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InDebate: Die Grenzen der Freiheit

Veröffentlicht am 26. August 2013

Individuelle Autonomie muss in ihren Wirkungen auf die Weltbevölkerung und künftige Generationen gedacht werden

Die gleiche Freiheit aller Bürger ist bis heute selbst bei jenen, die universalistisch denken, meist als Ordnung innerhalb von Gesellschaften gedacht worden – aber nicht als Ordnung zwischen den Gesellschaften und zwischen den Zeiten. In diesem Sinne genießen heute die im Okzident lebenden 20 % der Menschheit die größte Freiheit seit Menschengedenken. Der größere Teil der Menschheit dagegen lebt in z.T. unvorstellbarer Armut und unter repressiven, freiheitsfeindlichen Regierungen. Und jungen und künftigen Menschen drohen wir verbrannte Erde zu hinterlassen. Sobald nun Länder wie China oder Indien unseren Lebensstil übernehmen – wie sie es, mit sichtbaren Auswirkungen auf den Ölpreis, gerade versuchen –, droht unsere heutige Existenzform zusammenzubrechen, weil unsere Ressourcenbasis und das globale Klima dies nicht hergeben. Doch ziehen wir nur wenig praktische Konsequenzen daraus, dass die von uns hochgehaltene gleiche Freiheit (einschließlich der physischen Lebensvoraussetzungen, ohne die es keine Freiheit geben kann) offenbar weder global noch generationenübergreifend gilt. Wir pflegen unseren ressourcenintensiven Lebensstil einfach weiter. Das existenzialistische Empfinden der tragischen Kürze des menschlichen Seins, die nach sofortigem maximalem Genuss drängt, und der scheinbaren Imperative des Augenblicks sind einfach mächtiger als unser Mitgefühl mit Menschen in 100 Jahren oder in Bangladesh, die just in der Sekunde, wo dieser Satz geschrieben wird, verhungern. Natürlich stecken wir alle auch in ökonomischen Sachzwängen. Doch zu einer bestimmten Wirtschaftsweise gehören immer auch Kunden, die viele und ständig neue Produkte kaufen, lieber nicht nach den Produktionsumständen fragen und ökologische Produkte zu teuer finden.
Wir alle „wissen“ durchaus, dass mehrere Flugfernreisen jährlich, die tägliche Autofahrt zur Arbeit und die Südfrüchte im tiefsten Winter einen Lebensstil verkörpern, der weltweit und intergenerationell nicht durchhaltbar ist – der also nicht nachhaltig ist. Vielleicht bin ich sogar moralisch sehr überzeugt von der Nachhaltigkeitsidee. Wenn dann aber meine Partnerin sagt, dass sie im kalten Februar doch unheimlich gern mal schnell eine Woche nach Ägypten fliegen möchte, um sich mal so richtig etwas Gutes zu tun – dann fliege ich! Warum? Erstens aus Konformität: Lasse ich den Urlaub sein, bin ich womöglich ein Sonderling und muss mit sozialer Distanz oder gar Ablehnung rechnen. Zweitens aus emotionalen Motiven: Die Bindung an einen geliebten Menschen ist im Zweifel allemal stärker als meine moralischen Überzeugungen. Drittens aus eigennützigen Erwägungen: Wenn ich die Reise ablehne, entgeht mir etwas Schönes, und außerdem bekomme ich Ärger mit meiner Partnerin, weil ich ein Prinzipienreiter bin. Dies macht nicht nur wenig Spaß, sondern ist auch noch unbequem – und letztlich interessieren mich die Folgen meiner Urlaubsflüge, die eines fernen Tages Menschen treffen, die ich nie kennenlernen werde, dann doch nur begrenzt. Zumal jeder weiß, daß er mit seinem privaten Klimaschutz empfindliche Verzichte erleidet – und damit am Klimawandel trotzdem als einzelner nichts ändern wird.
Und wer in dieser Situation eine Politik machen wollte, die massive und nicht nur Mini-Schritte im Klimaschutz und in der Ressourceneffizienz vorsieht, indem sie Flugreisen und Autofahrten z.B. kostenmäßig deutlich unattraktiver macht, würde wohl postwendend abgewählt („Ökosteuer = K.O.-Steuer“). Deshalb erleben wir eine oft eher symbolische Umweltpolitik, die am eben gestellten Ressourcen- und Klimabefund wenig ändert. Und eine Familienpolitik, die parteiübergreifend auf Geburtenmehrung setzt (wenngleich erfolglos, denn nicht Geldmangel, sondern beruflicher Druck und Selbstverwirklichungswünsche sind für niedrige Geburtenraten ursächlich) – obwohl eine Schrumpfung der wohlhabenden deutschen Bevölkerung gerade mehr Lebenschancen für unsere Kinder und Enkel und für andere Völker bedeuten würde.
Doch ob wir es wollen oder nicht – auch junge und künftige Menschen haben einen Anspruch auf gleiche Freiheit. Denn in ihrem Lebenszeitpunkt sind auch junge und künftige Menschen natürlich Menschen und damit Träger der Menschenrechte. Und Rechte, die definitiv zu einem zukünftigen Zeitpunkt entstehen werden, sind schon heute beachtlich. Denn wenn ich die Lebensgrundlagen heute in einer Weise schädige, dass dieses Handeln bei jungen und künftigen Menschen später keine Freiheit von Beeinträchtigungen in Existenzminimum, Leben und Gesundheit mehr garantieren kann, richte ich in der Zukunft einen irreversiblen Schaden an. Und damit würden die betroffenen Rechte nicht mehr das leisten, was die menschenrechtliche Freiheit leisten soll: einen sicheren Schutz gegen Beeinträchtigungen zu gewährleisten. Die gleiche Argumentation gilt übrigens auch im Verhältnis zwischen den Nationen.
Deshalb ist Freiheit heute nur noch denkbar als Konzept einer radikalen Autonomie des Individuums – die sich indes ihrer Absolutheit ebenso bewusst sein muss wie ihrer Grenzen in der gleichen Autonomie aller anderen, auch derjenigen, die räumlich und zeitlich weit entfernt von uns sind. Das bedeutet auch, dass Freiheit nicht länger als primär wirtschaftliche Freiheit gedeutet werden darf. Zudem müssen die Freiheitsrechte endlich so interpretiert werden, dass sie auch die elementaren physischen Freiheitsvoraussetzungen einschließen. Denn ohne sie gibt es keine gleiche Freiheit. Ferner muss Freiheit ein striktes Einstehenmüssen für die vorhersehbaren Folgen des eigenen Tuns – auch in anderen Ländern und in der Zukunft – einschließen. Denn Freiheit heißt Verantwortung – auch für die unangenehmen Konsequenzen des eigenen Lebensplanes.

Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und apl. Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock (Juristische Fakultät). Nähere Informationen finden Sie unter https://www.sustainability-justice-climate.eu/de/short_cv.html.

(c) Felix Ekardt

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2 Kommentare

  1. Es ist insbesondere die wirtschaftliche Freiheit, die seit jeher durch private und staatliche Vorrechte aller Art eingeschränkt wird. Das ist insofern höchst bedenklich, als es gerade auf die wirtschaftliche Freiheit ankommt. Denn nur wer wirtschaftlich frei ist, ist wirklich frei. Ist doch die Wirtschaft das Fundament, auf dem der Mensch steht, die materielle Grundlage, aus der er die Mittel für sein Dasein schöpft. Die wirtschaftliche Freiheit ist deshalb die entscheidende Freiheit. Alle anderen Freiheiten, wie sie auch heißen mögen, sind nur ein Abglanz der wirtschaftlichen Freiheit, um die es letzten Endes geht.

    Unbehindert durch äußere Umstände eine seinen Neigungen und Fähigkeiten angepasste Tätigkeit im freien Wettbewerb auszuüben, vom Ertrag dieser Tätigkeit die persönlichen Bedürfnisse des Lebens nach eigenem Belieben befriedigen zu können, das unbeschränkte Recht auf Erwerb von Privateigentum an den von Menschen erzeugten Gütern sowie das Recht des Zugangs zu Grund und Boden zu besitzen, stellt wirtschaftliche Freiheit dar. Sie schließt persönliche und Marktfreiheit, d.h. Freizügigkeit für Personen, Güter, Zahlungen und Nachrichten mit ein und gehört neben dem Recht der freien Meinungsäußerung zu den elementaren, unabdingbaren Freiheiten.

    Wie ersichtlich, basiert die wirtschaftliche Freiheit auf dem Grundsatz des freien Wettbewerbs. Er ist der zentrale Freiheitsbegriff, um den sich alle anderen Freiheiten anordnen. Frei ist, wer wirtschaftlich frei ist; und wirtschaftlich frei ist, wer sich ungehindert am Wettbewerb beteiligen kann. Umgekehrt ist unfrei, wer an der Teilnahme am Wettbewerb gehindert oder gar vom Wettbewerb ausgeschlossen ist. Wirtschaftliche Freiheit und damit das Fundament der Freiheit überhaupt ist nichts anderes als das Recht zur Beteiligung am Wettbewerb.

    Was dagegen heute die so genannte Freiheit ausmacht, ist die Freiheit politischer Art, die vorwiegend darin besteht, bei irgendeiner Abstimmung, die meist zu Unrecht die Bezeichnung „Wahl“ führt, Ja oder Nein sagen oder irgendeinen Zettel abgeben zu dürfen. Diese politische Freiheit ist vergleichsweise bedeutungslos; sie kann, ebenso wie die persönliche Freiheit, ohne die wirtschaftliche Freiheit gewährt werden und ist dann ein Torso.

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/02/halbwegs-glucklich.html

  2. Puh, harter Tobak! Anspruch auf Freiheit…..und so…..Philosophie definiert über die Freundin und sowas…..Ja, find ich gut, so die Überbleibsel der gefühlten Individualität privat einzubasteln, weil sonst im Philosphengehirn die Fragen ausbleiben. Ja. die Fragen – Antworten eh nicht!!!!

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