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InDebate: Kollektive Intelligenz in der Politik? Kein Grund, ins Schwärmen zu geraten

Veröffentlicht am 9. September 2013

Vorbild für politische Entscheidungsfindung? Tierische Schwärme.
(c) Bild: Fir0002/Flagstaffotos

Vor wenigen Wochen haben wir auf unserem Weblog ein Experiment unternommen. Fünf Wochen lang stellten wir unseren Leser*innen Fragen, um Diskussionen herauszufordern und herauszufinden, wie es sich mit der vieldiskutierten kollektiven oder Schwarmintelligenz verhält. Neben interessanten Diskussionen zu den einzelnen Fragen rückte auch der Begriff der Schwarmintelligenz selbst immer wieder in den Fokus der Diskutant*innen und wurde teilweise heftig kritisiert. Grund genug, ihn in einem eigenen Debattenbeitrag zu diskutieren.

Hierzu ist es allerdings nötig, erst einmal zu klären, was unter Schwarmintelligenz oder kollektiver Intelligenz verstanden wird. Der Begriff der Schwarmintelligenz ist der Naturwissenschaft entlehnt, wo er zur Beschreibung des Verhaltens von Vogelschwärmen, aber auch von Ameisenstaaten genutzt wird. In diesen tierischen Gemeinschaften sorgt das Zusammenspiel der einzelnen Schwarmmitglieder dafür, dass komplexere Verhaltensstrukturen entstehen und aufrechterhalten werden können. Durch die Zusammenarbeit von einzelnen Tieren mit begrenzter Intelligenz entsteht in den genannten Beispielen, so das Konzept, eine höhere Form von Intelligenz, welche die Lösung von Problemen erlaubt, die einzelne zum Schwarm gehörende Tiere für sich nicht lösen könnten.

Ähnliche Wirkungsweisen sollen auch im menschlichen Sozialverhalten zu beobachten sein. Die „kollektive Intelligenz“, die James Surowiecki als „Die Weisheit der Vielen“ bezeichnet, komme unter bestimmten Umständen zum Tragen. Er nennt hier Meinungsvielfalt (Diversität), Unabhängigkeit der einzelnen Gruppenmitglieder und eine Dezentralisierung. Sind diese Faktoren gegeben und können die einzelnen Meinungen in irgendeiner Form aggregiert werden (z.B. über Umfragen), dann können laut Surowiecki Gruppen qualitativ bessere Problemlösungen finden als Einzelne. Als Beispiel hierfür führt er Wettmärkte an, in denen der Durchschnitt der Schätzungen präziser ist als die einzelnen Schätzungen, auch weil sich Abweichungen vom Ergebnis nach oben und unten gegenseitig aufwiegen. Dezidiert empfiehlt der Journalist die Nutzung solcher Gruppenstrukturen zur Lösung wirtschaftlicher, sozialer und politischer Probleme. Auf Konzepte von kollektiver oder Schwarmintelligenz wird in den verschiedensten Bereichen zurückgegriffen, von Ideen zum Klimaschutz, über Börsenspekulationen bis hin zu technischen Spielereien. Auch in das Politische wirken die Ideen vom Schwarm als Lösungsstruktur hinein. Als politische Vision verheißen Ansätze der Schwarmintelligenz, den demokratischen Grundgegensatz von Wahrheit und Mehrheit harmonisch aufzulösen, anstatt einer Entscheidung für das Mehrheitsprinzip oder den vielleicht unpopulären aber objektiv richtigen Weg die Präferenz zu geben.

Diese Verheißung ist jedoch nicht unproblematisch. Die Frage, inwieweit es berechtigt ist, Übertragungen von tierischem Verhalten auf das menschliche Sozialverhalten vorzunehmen, sei hier einmal außen vor gelassen, da diese nicht von allen Schwarmtheoretiker*innen vorgenommen werden. Vorwürfe einer Vermassung oder einer Dummheit der Masse kommen nur zum Tragen, wenn die Kriterien für den Erfolg der kollektiven Intelligenz außer Acht bleiben. Problematisch sind die Schwarmideen allerdings auch dann, wenn die Mechanismen kollektiver Intelligenz greifen. Denn dies würde die Mitglieder des Schwarms schlicht zu Atomen eines größeren Ganzen machen, die kaum mehr diskutieren, sondern gleich entscheiden. Der Philosoph Byung-Chul Han erblickt in einer solchen „Digitalen Rationalität“ das Ende des kommunikativen Handelns, wie Jürgen Habermas es beschrieben hat. Die post-ideologische Digitale Rationalität besitze eine syndetisch-additive statt einer diskursiven Logik. Sie biete das Potenzial zur Ablösung der repräsentativen Demokratie durch eine ständige digitale Präsenzdemokratie, in der die Einzelnen sofort am Bildschirm entscheiden. Han beendet seinen Essay mit der Feststellung: „Ob das eine Utopie oder eine Dystopie ist, ein Traum oder ein Albtraum, lässt sich heute nicht eindeutig beantworten“. Hier irrt Han. Denn freilich können Verfahrensweisen, die auf Konzepte kollektiver Intelligenz zurückgehen in manchen Bereichen zu guten Lösungen führen. Für eine Entscheidungsfindung in Anbetracht komplexer politischer Probleme sind sie jedoch gänzlich ungeeignet. Denn eine gute politische Entscheidung setzt Diskussion, Streit und Argumentation voraus. Sie kommt notwendig zustande mit Hilfe von Machtpolitik, Parteitaktik und unter dem Einfluss gesellschaftlicher Interessengruppen, den die Bürger so verabscheuen. Denn diese gesellschaftlichen Gruppen leisten, was der Schwarm in seiner dezentralen Form kaum schaffen kann. Sie integrieren und aggregieren die Interessen ihrer Mitglieder über die statistische Erhebung hinaus. Dies funktioniert über Mechanismen, die mit Surowieckis Kriterien nur sehr bedingt vereinbar sind. Die Mechanismen, die in einer Partei wirken, stehen teilweise sogar im offenen Widerspruch zu den Voraussetzungen, die er nennt. Die gemeinsame Weltanschauung, die die Parteimitglieder bei allen Meinungsverschiedenheiten eint, ist hierfür genauso ein Beispiel wie die Abhängigkeit der/des Abgeordneten von der Parteibasis und den Wähler*innen. Und auch der hierarchische, zentralisierende Aufbau von Parteistrukturen wäre hier zu nennen. Alle genannten Beispiele tragen zum Erfolg demokratischer Politik bei.

Das Problem für eine solche klassische demokratische Politik liegt übrigens nicht in der vielgescholtenen Internetkultur. Es liegt bei der nur scheinbar post-ideologischen und undogmatischen Einstellung, die diese Kultur mit befördert.

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20 Kommentare

  1. @Aaron:

    Ich beziehe mich auf Ihren letzten Kommentar. Freilich ist die Verhältnismäßigkeit einer politischen Maßnahme im juristischen Sinne eine notwendige Bedingung dafür, dass es sich hierbei um eine „gute“ politische Maßnahme handelt. Es ist jedoch keine hinreichende Bedingung. Die Kriterien, die Sie für die Güte einer politischen Entscheidung anlegen – Erforderlichkeit a priori und positives Ergebnis a posteriori – würde ich durchaus teilen. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass viele politische Entscheidungen keine Entscheidungen um Leben oder Tod sind, wie Sie sie in ihren Beispielen aufführen, und sich somit nachträglich keine so klaren Urteile über deren Güte fällen lassen. Dies wird eher durch eine ständige kritische Diskussion politischer Maßnahmen und Ihrer Umsetzung erreicht. Dies jedoch widerspricht der von Han so bezeichneten syndetisch-additiven Logik digitaler Schwärme.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dominik Hammer

  2. @Aaron:

    Lassen Sie mich meine Ausführungen zum Kompromiss präzisieren. Innerhalb einer demokratischen Gesellschaft sind auf Kompromissfindung ausgelegte Diskussionsprozesse im Regelfall der beste Modus, um politische Entscheidungen zu finden. Freilich mag es auch hier Ausnahmen geben. Demokratische Staatlichkeit zeichnet sich in meinem Verständnis unter anderem durch die Gewährung individueller Freiheitsrechte, sowie durch institutionalisierten Minderheitenschutz aus. Wo diese Grundbedingungen – wie in dem von Ihnen angeführten Beispiel – nicht anzutreffen sind, da sind schon die Grundvoraussetzungen für das Zustandekommen eines Kompromisses nicht gegeben.

    • Ich lese immer nur „kollektiv, kollektive……INTELLIGENZ!!!“

      Bullshit. Ich bin mir relativ sicher, dass ihr Philosophen das Thema „Individualismus“ einfach üperspringen wollt. Individualismus ist bis heute noch die treibende Kraft, Menschen ständig zu bewegen und zu manipulieren. Und um das schön zu reden, dass eben nicht alle nur doof sind und dem Marketing einiger schlauen Werbefuzzys zu verfallen(wie ihr selbst nämlich)…..macht ihr ne neue Baustelle auf: Kollektiv! Ich frag mich grad, ob das schlau ist?
      Vom Individualsimus zum Kollektiv……….Das ist so wie eine Brücke zu überquereren, von: Da wo wir sind ist alles doof……aber da wo die Anderen rüber gemacht haben, und da sind viele von uns, muss es besser sein, sonst wären da nicht so viele von uns! Ist ja nix gegen einzuwenden. Aber im Grunde stagniert das selbständige Denken……Aber das findet ihr ja schön, ihr Philosphen mit der Affinität zur Schwarmintelligenz.Das Bedrohliche ist nur, dass ihr Philosphen sowas gern dokumentiert haben wollt. Einer geht voraus – und alle folgen! YEAH – da hat man Hitler und sein Charisma endlich erkannt!
      Ja, genau. Und schon ist 2013 Evaluation Schwarm und so, nicht im heutigen Kontext zu betrachten. Denn mit dem alten Mist wollt ihr Philosphen nix zu tun haben. Aber es ist immer derselbe Scheiß.

  3. Sehr geehrte Philosophen vom FIPH,
    sehr geehrte Frau Dominik Hammer,

    Ich habe als Zuhörer an der Preisverleihung für die Arbeiten zu „Was ist und wie entsteht Identität“ am 7. September teilgenommen. Da der Empfang mit Imbiss, keine gute Gelegenheit war sich über das Gehörte und über die Arbeit des FIPH auszutauschen, hatte ich vor, ein paar Gedanken in einem E-Mail zu formulieren. Ich kam auf den Gedanken, die Internetseite anzuklicken, um zu schauen, ob es dort eine Möglichkeit des Gesprächs gibt. Ich entdeckte den Blog des FIPH und bin positiv beeindruckt.

    Wenn ich nach der Übersicht bei dem Thema Schwarmintelligenz hängen geblieben bin, dann hängt das damit zusammen, dass ich mir auf Empfehlung eines Freundes das Buch „Keine Macht den Doofen / Eine Streitschrift“ von Michael Schmidt-Salomon angeschafft hat. Schmidt-Salomon thematisiert die Schwarmdummheit, die auch von hochintelligenten Menschen gespeist wird. Er schreibt im Vorwort: „Die Dummheit – sie ist die große Konstante der menschlichen Geschichte, die einzige Weltmacht, die seit Jahrtausenden Bestand hat.“

    Die Fragen, die zu klären wären sind dann doch, wie entsteht Schwarmintelligenz und ihr Gegenpool die Schwarmdummheit und welche Faktoren bestimmen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ihren jeweiligen Einsatz?

    Anmerkungen zu der aktuellen Diskursion:

    Aus der Antwort von Aron:
    „Nein, eine gute politische Lösung ist dann gut, wenn sie Gutes bewirkt und die Maßnahme das Problem löst. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn sie mit tauglichen Mitteln das Ergebnis herbeiführt, welches nützlich, bzw. erforderlich und angemessen ist. Eine gute politische Lösung setzt nicht Streit, Diskussion und Argumentation voraus!“

    Das sehe ich auch so, zwar nicht als Praxis, sondern als Ziel und nicht immer realisierbar.

    Aus der Erwiderung von Dominik Hammer:
    „Hier muss ich Ihnen schlicht widersprechen. Natürlich ist in Einzelfällen denkbar, dass die Lösung eines politischen Problems so konsensual ist, dass kein Streit und keine Diskussion über diese notwendig ist. Jedoch geschieht so etwas äußerst selten. Fast jeder Lösungsansatz für ein politisches Problem wirkt sich negativ auf eine oder mehrere Gruppen in der Gesellschaft aus. Während ein Problem mit einer Entscheidung gelöst wird, können durch die Lösung selbst andere entstehen. „

    Frau Hammer, sie beschreiben hier die gängige Praxis, die aber im wesentlichen das Ergebnis der Anbetung der heiligen Kuh ist, die bei uns Kompromiss heißt. Und der Kompromiss ist der Ausdruck der momentanen Balance widerstreitender Interessen, ein Ausdruck der Schwarmdummheit und nicht der Schwarmintelligenz, die allen ein Vorteil zu bringen hat. Wenn sie dies überhaupt nicht kann, ist sie es nicht wert als Thema zu diskutiert zu werden.

    Es grüßt Tristan Abromeit

    • Sehr geehrter Herr Abromeit,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Leider kenne ich Schmidt-Salomons Schrift über die Schwarmdummheit nicht. Ich würde aber auf jeden Fall der Aussage widersprechen, dass Kompromisse Ausdruck einer Schwarmdummheit, oder auch einer Dummheit der Massen sind. Was politische Entscheidungen angeht, so sind Kompromisse meist die Beste und nicht nur die zweitbeste Lösung. Sie entstehen nicht zwischen oder in Schwärmen, sondern nach der Auseinandersetzung gesellschaftlicher Gruppen welche die Interessen ihrer Mitglieder bestmöglich zu vertreten versuchen. Dies hat nichts mit Vermassung oder Schwärmen zu tun. Denn zum einen sorgen (idealerweise) auch innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen Mechanismen dafür, dass ihren Entscheidungen Diskussionen und Abwägungen vorausgehen. Und zum anderen verhindert der Widerstreit der Gruppen, dass ein gesamtgesellschaftlicher „Groupthink“ entsteht, den ich am ehesten mit dem Begriff der Schwarmdummheit verbinden würde.

      Gestatten Sie mir zum Abschluss noch folgenden Hinweis, um möglichen künftigen Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin ein Herr Hammer und keine Frau Hammer.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dominik Hammer

      • Sehr geehrter Herr Hammer,

        ich wollte Sie nicht zu einer Frau machen – mir ist jetzt wieder eingefallen, dass ich im Mai einen Mann namens Dominik begegnet bin – und ich kann ihnen gottlob – merkwürdig, mir fällt als Konfessionsloser kein Synonym für gottlob ein -, auch Ihr Verständnis vom Kompromiss ausreden.

        Die Sache mit dem Kompromiss ist vermutlich auch komplizierter, wie es auf den ersten Blick erscheint. Wenn auf einem Markt – der nicht vermachtet ist – sich Verkäufer und Käufer auf einen Preis einigen, dann ist das auch ein Kompromiss, wenn vorher die Erwartungen beider Parteien sich nicht deckten. Im täglichen Leben gehen wir – privat und beruflich – auch Kompromisse ein, um die offene oder versteckte Austragung von Konflikten zu vermeiden. Aber hier besteht auch die Gefahr das der ständige Kompromiss zur Unterwerfung wird, eine Krankheit bewirkt oder in eine offene Aggression umschlägt.

        Ich habe meine vorherigen Zeilen zum Konflikt an den politischen Kompromiss gedacht. Wenn dieser für das politische Handeln notwendig wird, ist er ein Ausdruck einer Machtbalance und verhindert die jeweilige optimale Lösung der beteiligten Parteien, aber auch die Lösungen, die gar nicht im Blickfeld der Parteien liegen.

        Im September 1991 entstand zwischen Freunden im Zusammenhang einer Strategie zur Verbreitung einer Idee ein heftiger Streit. Der eine warf dem anderen vor, zu wenig kompromissbereit zu sein. Ich empfand damals schon den politischen Kompromiss als verschleierndes politisches Instrument. Ich erinnerte mich an die Aussagen zum Kompromiss von Prof. Erich Reigrotzki, der einst in Marburg einen Lehrstuhl für Staatswissenschaft innehatte und politisch gegen den Institutionsabsolutismus und für den Ombudsman. Ich bat um seine Stellungnahme zum Thema. Er antwortete – damals schon 90jährig – postwendend:

        > So etwa: gegen Menschen tolerant, aber völlig intolerant in der Sache. In der Politik (Bundestag) ist es meist total umgekehrt: Da pöbelt man sich erst an, und fällt dann meist hinter der Scene in irgendeinen elenden Kompromiß zurück. Vor allem wisse man: ohne offenkundige Notwendigkeit sollen frühere Gesetze, Statuten, Anordnungen, Gewohnheiten aller Art, welche die Gemeinschaft betreffen, nicht abgeändert werden. So lehrt Aristoteles im zweiten Buch der Politik. Ein positives altes Gesetz ist nicht zugunsten eines neuen und vielleicht besseren abzuschaffen, außer es liege ein großer Unterschied in ihrer Güte vor. Denn solche Änderungen erschüttern Autorität und Ehrfurcht vor den Gesetzen in hohem Maße, falls sie häufig vorkommen. Ärgernis und Murren im Volk und Gefahr der Auflehnung sind Folgen. … <
        Das ist zu lesen von „Nicolaus Oresme, Bischof von Lisieux (1325 – 1382) in seinem „Traktat über Geldabwertungen“, Seite 47, hier in der Ausgabe und Übersetzung von Edgar Schorer, Jena1937.

        Es grüßt Tristan Abromeit

        • Sehr geehrter Herr Abromeit,

          vielen Dank für Ihren Kommentar. Leider muss ich Sie enttäuschen, denn meine positive Bewertung des Kompromisses als Lösung ist nicht leicht zu erschüttern.

          Zuerst möchte ich mich auf folgenden Teil Ihres Kommentars beziehen:

          „Ich habe meine vorherigen Zeilen zum Konflikt an den politischen Kompromiss gedacht. Wenn dieser für das politische Handeln notwendig wird, ist er ein Ausdruck einer Machtbalance und verhindert die jeweilige optimale Lösung der beteiligten Parteien, aber auch die Lösungen, die gar nicht im Blickfeld der Parteien liegen.“

          Zwar wird durch einen Kompromiss die „optimale Lösung“ der jeweiligen Parteien ausgeschlossen. Dadurch aber, dass sie die Interessen anderer Gruppen zu Kenntnis nehmen und in Ihre Entscheidungen einfließen lassen, sind die Interessen eines größeren Teils der Gesellschaft gewahrt. Somit kommen politische Kompromisse einem Gemeinwohl a posteriori näher als die kompromisslose Durchsetzung der „optimalen Lösung“ einer Partei. Ein Kompromiss, der immer ein vorläufiger ist, hält die Möglichkeit offen, für neue Probleme neue Lösungen zu finden, wenn sich Umstände ändern. Was Lösungen außerhalb des Blickfeldes der Parteien angeht, so stelle ich fest: diese bleiben in einer pluralistischen Gesellschaft sicher nicht lange dort, sondern werden durch die öffentliche Diskussion früher oder später in dieses Blickfeld gebracht.

          Mit freundlichen Grüßen
          Dominik Hammer

          • Vielleicht noch eine Anmerkung zur Änderung von Gesetzen: Diese beziehen ihre Legitimität und ihre Autorität in modernen Demokratien daraus, dass sie ordnungsgemäß gesetzt wurden, und dass ihr Inhalt von den Bürgerinnen und Bürgern als bindend und als richtig anerkannt ist. Durch Gesetzesänderungen wird die Legitimität von Gesetzen schon lange nicht mehr erschüttert. Eher ist das Gegenteil der Fall. Murren und Ärgernis entstehen heutzutage eher, wenn Regelungen unverändert bleiben, die der gesellschaftlichen Realität nicht mehr entsprechen.

          • Ich kann gar nicht nachvollziehen, wieso Kompromisse generell gut sein sollen, völlig abgekoppelt von den Streitfragen in denen sie eventuell anstehen. Das setzt ja zwingend voraus, dass Nutzen und Schaden widerstrebender Positionen immer austauschbar gleich hoch bzw. gering sind.

            Die Sache ist doch entscheidend! Es gibt politische Positionen, die werden unter anständigen Menschen kompromisslos abgelehnt.
            Kleines aktuelles Beispiel aus Russland: Putin hat ein Gesetz verabschieden lassen, dass jede positive oder neutrale verbale öffentliche Erwähnung von Homosexualität ab jetzt unter Strafe stellt. Verunglimpfungen sind erlaubt. Es gibt zwei widerstreitende Interessengruppen: Machtpolitiker, die homophobe Horden mit irrationalen Ängsten füttern und auf der anderen Seite eine aufgeklärte Bevölkerungsschicht und natürlich die Homosexuellen selbst.
            Wie sähe jetzt der „gute Kompromiss aus“, vorausgesetzt man hätte die Angelegenheit demokratisch klären können. Die Strafe für Schwule nur halb so hoch ansetzen? Die Haftanstalten etwas konfortabler einrichten?

        • Sehr geehrter Herr Hammer,

          zuerst möchte ich mich entschuldigen. Im ersten Absatz habe am Ende des Satzes vor ausreden das Wort nicht vergessen einzufügen und damit das Gegenteil von dem geschrieben, was ich sagen wollte. Ich hoffe, dass alle – die sich hier zu Wort melden – wissen, dass Einsichten und Erkenntnisse nicht durch das Einreden oder durch das Ausreden gewonnen oder vermittelt werden können.

          Dann fehlt, vermutlich weil ich von der Zeichenbegrenzung nichts wusste, zwischen dem Zitat von Reigrotzki, das mit >„… Kompromiß zurück. > endet und dem Zitat von Oresme, welches mit > Vor allem wisse man … Die Folge ist, dass schon im Zeitpunkt einer Verordnung oder eines Gesetzes das Verfallsdatum sichtbar ist und Folgeprobleme produziert werden. Wenn dann noch hinzukommt, dass die Politik die ordnungspolitische Orientierung verloren hat, wird es übel. Der Kompromiss ist dann die Hefe, die die Gesetzgeberitis zum Treiben bringt. Einen Satz wie den nachfolgend zitierten können unsere Parteien und ihre Vertreter in der Regierung und dem Parlament gar nicht mehr verstehen, weil für sie der Kompromiss ein Instrument des Machtzuwachses oder -erhaltes ist und sie sich dadurch und durch die Kosten, die sie dem Volk verursachen, verpflichtet fühlen als Gegenleistung dafür neue Gesetze oder Gesetzesänderungen zu liefern. Es folgt das angekündigte Zitat: <#

          Ich melde mich mit einem weiteren Beitrag zu den Textkürzungen.

          Mit Gruß Tristan Abromeit

        • Inhaltliche Erwiderung I zu Ihre Antwort v. 12. 9.

          Herr Hammer,

          da das Hauptthema ja „Kollektive Intelligenz in der Politik? …“ (Schwarm-Intelligenz) lautet, ist ja zu fragen, ob der Kompromiss Ausdruck der kollektiven Klugheit ( Klugheit hier gleichgesetzt mit Intelligenz) ist oder der kollektiven Dummheit (Schwarm-Dumheit). Die dritte Möglichkeit wäre, dass der Kompromiss weder etwas mit Klugheit noch mit Dummheit zu tun hat.

          Von der Existenz der Schwarm-Dummheit können wir durch Beobachtung wissen. Besonders der Ablauf des 20. Jahrhunderts macht deutlich, dass diese bisher herrschte. Keine Diktatur, kein Krieg und kein Massensterben durch Hunger wäre möglich, wenn es so etwas wie eine Schwarm-Klugheit und ein davon abgeleitetes Handeln gäbe.

          Zum Kompromiss: Im privaten und beruflichen Alltag ist der Kompromiss unser ständiger Begleiter um trotz unterschiedlicher Ziele und Wünsche zu Entscheidungen für das praktische Handeln zu kommen. In der Politik kann der Kompromiss manchmal z.B. zur Vermeidung eines Krieges führen. Wenn er dort aber den Gesetzgebungsalltag bestimmt, führt er zu einer Kette von Fehlentscheidungen, die dadurch entstehen, dass versucht wird, Fehler von Kompromiss-Entscheidungen mit Kompromissen zu beheben. Z. B. ist die Idee von der Sozialen Marktwirtschaft auf diesem Weg zu dem verkommen, was etwas ungenau mit dem Kürzel Stamokap (Staatsmonopolistischer Kapitalismus) bezeichnet werden kann. TA

        • Inhaltliche Erwiderung II zum Nachtrag Ihrer Antwort v. 12. 9.

          Herr Hammer,

          ich muss Ihnen leider widersprechen: Das von Oresme erwähnte Murren findet heute in anderen Formen statt: Wahlenthaltung, Verlust des Einflusses der großen Parteien, Verfall des Ansehens der PolitikerInnen, die Verneinung der Legitimität von Gesetzen, der Kampf um Vermeidung oder Veränderung von Gesetzen.

          Oresme spricht sich nicht gegen neue Gesetze aus, sondern er fordert für ihre Einführung einen großen Unterschied in der Güte gegenüber den alten. Der Kompromiss verhindert diesen Unterschied in der Güte.
          Die Ethik – ein Forschungsgegenstand des FIPH – hat ja auch etwas mit Gesetzestreue zu tun. Eine Gesetzestreue kann aber nur von den Bürgern eingefordert werden, wenn es jenen mit durchschnittlicher Intelligenz noch möglich ist, sich eine Vorstellung vom geltenden Recht zu machen. Das ist heute, wo sich Juristen noch spezialisieren müssen, um die Verzweigungen des Rechts auszuleuchten, nicht mehr möglich. Die Rechtsübertretung wird so nicht mehr bemerkt oder zum Selbstschutz.

          Die Gestaltungsfreiheit der Bürger mit Hilfe des privatrechtlichen Vertrages nimmt rapide ab, je mehr unser Staat wie in der Zentralverwaltungswirtschaft den Alltag der Bürger mit Gesetzen und Verordnungen regelt. Die Forderung muss daher lauten, das für jedes neue Gesetz für jede neue Verordnung jeweils 10 alte aus den Verkehr gezogen werden müssen. Das zwingt zur Qualitätssteigerung bei der Gesetzgebung. TA

          • Lieber Herr Abromeit,

            ich denke, das Murren hat wohl andere Gründe, und Verweise hier nochmals auf den auf dieser Seite bereits erwähnten Aufsatz von Werner J. Patzelt.

            Ob bei Gesetzen auf eine höhere Qualität durch verminderte Quantität erreicht werden kann, bezweifele ich. Es wurde eine gewisse Tendenz zur Überladung des Bundestags kürzlich auch von Bundestagspräsident Norbert Lammert angesprochen. Sicher würde also die Qualität der Gesetze steigen, wenn für die Beratung und Ausarbeitung der einzelnen Gesetze mehr Zeit zur Verfügung stünde. Ob sich dies jedoch umsetzen lässt, obwohl eine hohe Anzahl von zu regelnden Sachverhalten anstehen, denke ich nicht.

            Mit freundlichen Grüßen
            Dominik Hammer

  4. Zunächst einmal bedanke ich mich dafür, dass meine Anregung aufgegriffen wurde, genauer zu umreißen, was „hier“ in der Diskussion unter Schwarmintelligenz zu verstehen ist.

    Zitat:
    Denn freilich können Verfahrensweisen, die auf Konzepte kollektiver Intelligenz zurückgehen in manchen Bereichen zu guten Lösungen führen. Für eine Entscheidungsfindung in Anbetracht komplexer politischer Probleme sind sie jedoch gänzlich ungeeignet. Denn eine gute politische Entscheidung setzt Diskussion, Streit und Argumentation voraus. Sie kommt notwendig zustande mit Hilfe von Machtpolitik, Parteitaktik und unter dem Einfluss gesellschaftlicher Interessengruppen, den die Bürger so verabscheuen. Denn diese gesellschaftlichen Gruppen leisten, was der Schwarm in seiner dezentralen Form kaum schaffen kann. Sie integrieren und aggregieren die Interessen ihrer Mitglieder über die statistische Erhebung hinaus.

    Antwort:
    Nein, eine gute politische Lösung ist dann gut, wenn sie Gutes bewirkt und die Maßnahme das Problem löst. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn sie mit tauglichen Mitteln das Ergebnis herbeiführt, welches nützlich, bzw. erforderlich und angemessen ist. Eine gute politische Lösung setzt nicht Streit, Diskussion und Argumentation voraus! Auch verabscheuen die Bürger dieses nicht. Es ist umgekehrt. Der Bürger will nicht bevormundet werden und akzeptiert darum eine politische Lösung nur, wenn sie demokratisch, also in einem gesellschaftlichen Diskurs errungen wurde. Die Lösung ist dann nach demokratischen „Spielregeln“ beschlossen und wird allgemein akzeptiert, selbst wenn sie Bockmist ist! Umgekehrt könnte die gute „Lösung“ auch von einem Monarchen diktiert werden, würde aber von einer bürgerlichen Gesellschaft nicht akzeptiert! So herum wird ein Schuh „draus“.

    Menschliche Schwarmintelligenz im Sinne einer Wissensaddition oder Wiissenspotenzierung ist ein faszinierender Gedanke. Es könnte zu einem Synergieeffekt führen, der heutige Vorstellungen sprengt, da ja vor dem Internetzeitalter jeder in seiner „eigenen Fachbuchhöhle gelebt hat“.
    Aber ich glaube der „Schwarm“ macht die Dummen dümmer und die Klugen klüger, so dass am Ende ein arithmetischen Mittel wieder nur so bei Daniela Katzenberger oder Verona Poth liegen wird.
    Schwarmintelligenz via Internet wird sicher nicht die repräsentative Demokratie ersetzen. Man wird Filter „einsetzen“ müssen, um beispielsweise politische Abstimmungen vorzunehmen. Die uns politisch Repräsentierenden tragen mit ihrem Gesicht Verantwortung für ihr Handeln und schulden uns Rechenschaft. Das ist gut so. Im Internet etwaig anonym durchgeführte Beschlüsse würden diesen Vorteil nicht bieten!

    • Hallo Aaron,

      zu erst einmal: nichts zu danken, wir freuen uns immer über Anregungen.

      Zu Ihrem Kommentar habe ich einige Anmerkungen.

      Sie stellen Folgendes fest:

      „Nein, eine gute politische Lösung ist dann gut, wenn sie Gutes bewirkt und die Maßnahme das Problem löst. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn sie mit tauglichen Mitteln das Ergebnis herbeiführt, welches nützlich, bzw. erforderlich und angemessen ist. Eine gute politische Lösung setzt nicht Streit, Diskussion und Argumentation voraus!“

      Hier muss ich Ihnen schlicht widersprechen. Natürlich ist in Einzelfällen denkbar, dass die Lösung eines politischen Problems so konsensual ist, dass kein Streit und keine Diskussion über diese notwendig ist. Jedoch geschieht so etwas äußerst selten. Fast jeder Lösungsansatz für ein politisches Problem wirkt sich negativ auf eine oder mehrere Gruppen in der Gesellschaft aus. Während ein Problem mit einer Entscheidung gelöst wird, können durch die Lösung selbst andere entstehen. Gerade die Angemessenheit der Lösung eines politischen Problems wird in einer solchen Situation durch Streit und Diskussion gewahrt, da widerstreitende Gruppen (im Parlament die Oppositionsparteien) die neuen Probleme aufzeigen, welche die jeweilige Lösung herbeiführen könnte. Auf die problematischen Konsequenzen politischer Entscheidungen muss dann seitens der jeweiligen Regierungsparteien reagiert werden, entweder damit, die negativen Konsequenzen zu mindern, oder damit, zu erklären, warum diese legitim sind. So oder so, es entsteht eine qualitativ bessere Entscheidung, da Punkte mit einbezogen werden, die bei einem widerspruchslosen Durchregieren möglicherweise nicht bedacht würden. Der Inhalt einer politischen Entscheidung ist meiner Meinung nach vom Prozess ihres Zustandekommens nicht zu trennen. Ihre Fokussierung auf den Inhalt einer Entscheidung als Qualitätskriterium blendet, glaube ich, die Wichtigkeit der prozeduralen Ausgestaltung aus, die einer Entscheidung Legitimität verleiht. Freilich wäre auch die Gegenposition, eine reine Fokussierung auf den Prozess ohne Frage nach dem Inhalt, falsch.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dominik Hammer

      • Auch Ihrer Einschätzung, dass die Bürgerinnen und Bürger den Parteienstreit nicht verabscheuen würden, möchte ich widersprechen. Denn der Streit zwischen Regierung und Opposition ist vielen Bürgern ein Dorn im Auge, die sich scheinbar eine kooperative Zusammenarbeit dieser beiden Teile des Parlaments wünschen. Die Tatsache, dass im Parlament parteipolitische Streits ausgetragen werden, schadet dessen Ansehen in der Bevölkerung, wie beispielsweise der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt in seinem Aufsatz „Warum verachten die Deutschen ihr Parlament und lieben ihr Verfassungsgericht? Ergebnisse einer vergleichenden demoskopischen Studie.“ (ZParl, 36. Jg., H. 3, S. 517 – 538) betont.

        • Politischer Streit ist doch die Grundvoraussetzung einer Demokratie, also bitte! Meinungen von Bürgern denen das ein Dorn im Auge ist, kann man getrost vernachlässigen. Möglicherweise ist in Wahrheit auch etwas ganz anderes gemeint: Plattitüdenhafte sich in Endlosschleifen bewegende Selbstdarstellung und Laberei, statt Wettbewerb von Ideen und Überzeugungen. Oppositionsverhalten als Selbstzweck.
          Wem es an Esprit fehlt, den darf man dann eben nicht wählen!
          Dagegen machen kann man nichts. Die bräsigen Langweiler im Bundestag bilden genau das Spiegelbild aller mittelmäßigen Vereinsmeier in Deutschland. Die haben wir uns alle schön verdient!
          Fehlte gerade noch, dass die ihre Konflikte auch noch gegenseitig abnicken und nicht mal mehr streiten!
          Grüße

      • Zitat:
        Gerade die Angemessenheit der Lösung eines politischen Problems wird in einer solchen Situation durch Streit und Diskussion gewahrt, da widerstreitende Gruppen (im Parlament die Oppositionsparteien) die neuen Probleme aufzeigen, welche die jeweilige Lösung herbeiführen könnte. Auf die problematischen Konsequenzen politischer Entscheidungen muss dann seitens der jeweiligen Regierungsparteien reagiert werden, entweder damit, die negativen Konsequenzen zu mindern, oder damit, zu erklären, warum diese legitim sind. So oder so, es entsteht eine qualitativ bessere Entscheidung, da Punkte mit einbezogen werden, die bei einem widerspruchslosen Durchregieren möglicherweise nicht bedacht würden.

        Antwort:
        Streit und Diskussion reflektieren das Problem, bzw. die Lösung, die Angemessenheit einer Lösung wird dadurch nicht gewahrt. Angemessen ist eine Problemlösung dann, wenn sie verhältnismäßig ist und nicht außer Verhältnis steht. Angemessenheit betrifft die Problemlösung selbst, Diskussion ist das Reden darüber!
        Auch ob eine Entscheidung konsensual erfolgt, ist ganz unabhängig davon, ob sie nützlich oder schädlich ist. Die deutsche Kriegserklärung an Russland 1914 wurde von der Bevölkerung mit Jubel begleitet, der Nato -Doppelbeschluss unter Kanzler Schmidt rief Entsetzen hervor, Heute wissen wir, dass das Eine in ein Fiasko führte und das Andere angemessenes Mittel war, um auf russischer Seite auf Abrüstung zu drängen..
        Diskussionen in großen Koalitionen können sogar zur völliger Lähmung führen, wenn alle widerstreitenden Interessen berücksichtigt werden. Mit der Qualität einer Entscheidung haben sie nichts zu tun. Sie betreffen nur die psychologische Seite und die politische Gesprächskultur.
        Eine Entscheidung ist auch nicht dann legitim, wenn alle darüber diskutiert haben, sondern wenn sie mit guten Gründen gefällt wird. Legal ist sie, wenn dabei alle Gesetze eingehalten wurden.

        Liebe Grüße zurück

        • Hallo Aaron,

          Zitat: „Angemessen ist eine Problemlösung dann, wenn sie verhältnismäßig ist“

          Frage: Und wie kann Güte oder Verhältnismäßigkeit einer Lösung festgestellt werden?

          Es geht hier ja vermutlich nicht um die rein juristische Verhältnismäßigkeit einer politischen Problemlösung, die gewahrt werden muss, damit beispielsweise ein Gesetz materiell verfassungsmäßig ist. Ich gehe davon aus, dass es keiner Gruppe möglich ist, jede Situation zur Gänze zu erfassen. Ich gehe außerdem davon aus, dass es auf viele gesellschaftliche Probleme keine eine Ideale Lösung gibt. Daher komme ich zu dem Schluss, dass die von Ihnen angesprochene Verhältnismäßigkeit, sofern sie eben nicht nur juristisch gefasst ist, am ehesten gewahrt ist, wenn das jeweilige Problem in einem Diskussionsprozess ausführlich und kontrovers behandelt wurde.

          • Zitat: “Angemessen ist eine Problemlösung dann, wenn sie verhältnismäßig ist”

            Frage: Und wie kann Güte oder Verhältnismäßigkeit einer Lösung festgestellt werden?

            Es geht hier ja vermutlich nicht um die rein juristische Verhältnismäßigkeit einer politischen Problemlösung,

            Antwort: Da wir in einem Rechtsstaat leben, sind polizeiliche oder auch politische Maßnahmen im Streitfall einer gerichtlichen Überprufung zugänglich.

            Ich habe es weiter oben bereits angedeutet: Eine öffentlich rechtliche Maßnahme (z.B. Auflösung einer Demonstration) ist dann verhältnismäßig wenn der zu erwartende Nutzen durch die Maßnahme, den zu erwartenden Schaden aus a priori- Sicht übersteigt.

            Die Güte kann beispielsweise dadurch festgestellt werden, dass aufgrund der Maßnahme niemand verletzt wurde, obwohl eine hohe Gefährdung bestand.
            Die Güte einer umstrittenen politischen Maßnahme zeigt sich in der positiven Wirkung , die sie hinterlässt, oder in ihrer Erforderlicheit aus a priori -Sicht. Wenn ein Polizist einen Amokläufer kampfunfähig schießt, war die Maßnahme erforderlich und sicherlich gut, auch wenn sich später herausstellt, der Amokschütze besaß nur eine Attrappe.
            UN Tuppen in Ruanda hatten kein politisches Mandat die Bevölkerung vor einem Massenmord zu schützen obwohl sie taugliche Mittel dazu besaßen und dies erforderlich und angemessen war. Dieses Mandat fehlte, weil in diplomatischen Kreisen pro und contra Diskussionen in eine Pattsituation gerieten. Viele Parteien hatten alle möglichen Konsequenzen so sorgfältig erörtert, dass sich zwischenzeitlich ein Völkermord biblischen Ausmaßes ereigenete. Gut bewaffnete Bluhelmsoldaten schauten weg und verließen das Land. Eine verhältnismäßige politische Lösung hätte darin bestehen können, wenigstens das Mandat so auszugestalten, dass Frauen und KInder vor dem Abschlachten mit Macheten beschützt werden.
            Soll ich das jetzt etwa noch philosphisch begründen?Grüße

Beitragsthemen: Öffentlichkeit | Politik

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