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InDebate: Können Staaten miteinander befreundet sein?

Veröffentlicht am 25. November 2013

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Bernhard Schreyer

Derzeit erlebt man als Beobachter des politischen Betriebs im Rahmen der Diskussionen über den NSA-Abhörskandal einen Bedeutungsaufschwung der Freundschaft als (außen-) politische Tugend. Wenn gleich auch hier – wie so oft – in politischen Auseinandersetzungen der Mangel beklagt und nicht der Vorhandensein gelobt wird. Es wird vorgebracht, dass es den Vereinigten Staaten an Anstand und Gespür mangele, wie man sich gegenüber einem Freund zu verhalten habe. Die entsprechende Suada gipfelt in einem Urteil, das die Form eines kategorischen Imperativs annimmt: „Einen befreundeten Staat darf man nicht ausspionieren“. Doch was bedeutet die Rede von der Freundschaft im Bereich der Politik?

Blickt man auf nur auf den politischen Gebrauch des Begriffs, so wird aus „Freundschaft“, wie aus politischen Begriffen überhaupt, ein Kampfbegriff im Streit um politische Positionen, dem eine zweifache Funktion zufällt. Erstens soll damit der politische Gegner düpiert werden, da er im vorliegenden Fall nicht oder nicht genügend gegen die unfreundlichen Anmaßungen seitens der USA vorgeht. Zweitens dient die Verwendung von Kampfbegriffen der Herstellung der inneren Geschlossenheit in den eigenen Reihen, denn nichts vermag eine größere integrative Wirkung zu entfalten, als ein Angriff auf einen gemeinsamen Gegner. Wer in einem solchen Spiel welche inhaltliche Standpunkte einnimmt, hängt hauptsächlich von der konkreten politischen Situation ab. In der NSA-Affäre erleben wir die paradox anmutende Konstellation, dass eher linke Kräfte der Staatsfreundschaft das Wort reden, die den dahinterstehenden Vorstellungen von staatlicher Souveränität und einer wie auch immer gearteten Subjektqualität des Staates eigentlich äußerst skeptisch gegenüber stehen müssten, während sich die eher konservativ-bürgerlichen Parteien an den vorhandenen Eingriffen in die nationale Souveränität bedeutend weniger stören. Wie zufällig diese Rollenverteilung entstand, wird am Beispiel der SPD deutlich: Im Wahlkampfmodus gestartet, war sie zunächst bei dieser Thematik sehr viel regierungskritischer als sie es nun als Fastregierungspartner sein möchte und kann. Ob Staaten miteinander befreundet sein können, lässt sich daher mit dem bloßen Blick auf das politische Geschehen nicht sagen.

In der politischen Ideengeschichte nimmt die Freundschaft allerdings einen prominenten Platz ein. Insbesondere bei Aristoteles findet man ihre Wertschätzung als zentralen Bestandteil des Politischen. Für ihn stellt die Bürgerfreundschaft ein einigendes Band dar, das die zur Politik befähigten Männer in die Polis eingliedert und ihr damit die notwendige Stabilität verleiht. Für Jacques Derrida wiederum bildet eine „Politik der Freundschaft“ die entscheidende Grundlage für demokratisches Verhalten. Im Anschluss an diese beiden Beispiele lässt sich – zugegeben – sehr allgemein formulieren, dass jegliche Art von Freundschaft auch in ihren politiktheoretischen Ausprägungen eine normative Kernvorstellung voraussetzt, die ein bestimmtes Verhalten einfordert, das den aufgestellten ethischen Maßstäben entspricht und zugleich unbotmäßiges Verhalten tadelt. Man muss selbst kein entschiedener Kritiker einer „Ethik-hat-Vorrang“-Haltung (Raymond Geuss) sein, um der Möglichkeit von politischer Freundschaft skeptisch zu begegnen. Die sicherlich provokant formulierte These dazu lautet, dass die Arenen der Politik strukturell ungeeignet sind, als Ort der Freundschaft zu fungieren.

Eine zentrale Eigenschaft des Freundes ist seine Verlässlichkeit. Sie ist deshalb so wichtig, weil sie die Dauer der Freundschaft über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus gewährleistet. Die Verlässlichkeit findet ihren Ausdruck in einem grundsätzlich wohlwollenden Verhalten gegenüber dem Freund und der Bereitschaft zur Hilfe bei Notlagen. Wohlwollen und Nothilfe sind ihrerseits rückgebunden an stabile Fundamente. Zu ihnen zählen z. B. die Kontinuität gemeinsamer Wertvorstellungen und politischer Interessen, der Wille, auch Nachteile eines Verhaltens in Kauf zu nehmen, wenn man damit den Freund stützen kann sowie das Vertrauen, dass der Freund als Freund handelt und handeln wird. Dem ist gleichwohl die spezifische Funktionslogik politischer Systeme entgegenzusetzen. Politische Systeme sind nicht erst seit der Globalisierung als komplex zu beschreiben. Kennzeichen komplexer Systeme sind die Unvorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen und die Kontingenz gegenwärtiger Strukturen. Jede politische Tätigkeit ist ein Spiel innerhalb dieses Szenarios, das von den unterschiedlichsten Ereignissen beeinflusst werden kann, die selbst außerhalb einer intentionalen Beeinflussung seitens der Politik liegen. Wirtschaftliche Krisen, Naturkatastrophen, technische Entwicklungen oder gesellschaftliche Veränderungen können eine enorme Wirkung ausstrahlen. Wir fahren nicht nur bei der Euro-Krise auf Sicht. Damit ist aber zugleich ein Verlust an Verlässlichkeit für die Politik verbunden, der sich im unverlässlichen Handeln der Politiker widerspiegeln muss. Das mag man als Bürger und Wähler nicht goutieren und deshalb als Wankelmütigkeit oder gar Charakterlosigkeit kritisieren, aber es stellt eine grundsätzliche Bedingtheit des politischen Handelns in der heutigen Zeit dar. Die Verlässlichkeit der Freundschaft wird darin notwendigerweise in Mitleidenschaft gezogen. So ist es fraglich, ob beispielsweise die USA und die Bundesrepublik sich noch als Freunde bezeichnen können, wenn sie in zentralen politischen Fragen (z. B. zweiter Irakkrieg, Libyen, Syrien, Energiepolitik) nicht mehr übereinstimmen und entgegengesetzt handeln. Die Gründe für das jeweilige Verhalten sind auf beiden Seiten ebenso vielschichtig und vielfältig.

Dennoch arbeiten Staaten zusammen und kooperieren auf vielen Politikfeldern. Denn unstrittig ist auch, dass es Bereiche gibt, in denen internationale Zusammenarbeit dringlich erforderlich ist, da die einzelnen Staaten nicht in der Lage sind, hierfür effiziente Regelungen zu finden und durchzusetzen.

Geeigneter für die Kooperation auf internationaler Ebene erscheint der Begriff des Bündnisses zu sein. Ein Bündnis, dem in Gegensatz zur Freundschaft nichts Gefühliges anhaftet, stellt eine auf gegenseitigen Nutzenzuwachs hin angelegte Zweckgemeinschaft dar. Zwar gehen auch die Verbündeten gegenseitige Verpflichtungen ein, die jedoch im Gegensatz zur Freundschaft, zumeist genau vertraglich festzulegen sind. Darüberhinaus ist es nicht nötig, einmütig zu handeln. Daher können die USA und Deutschland trotz der erwähnten Unstimmigkeiten Verbündete bleiben. Bündnisse sind außerdem enttäuschungsresistenter als Freundschaften. Auch können Bündnisse zeitlich begrenzt werden und bei Wegfall des Bündnisgrundes aufgelöst werden, was aber nur dann gelingen kann, wenn sie nicht mit der politischen Aufgabe überfrachtet werden, als Ausweise der Staatenfreundschaft zu gelten zu müssen. Dann verwechselt man nicht nur das eine mit den anderen, sondern man wird der spezifischen Begründungsstruktur von Bündnissen (gegenseitiger Nutzen) und Freundschaften (Sympathie und Zuneigung) nicht gerecht.

Einige Literaturhinweise:

  • Aristoteles: Nikomachische Ethik, Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 6, übersetzt und kommentiert von Franz Dirlmeier, Berlin 71979
  • Derrida, Jacques: Politik der Freundschaft, Frankfurt/ M. 2002
  • Geuss, Raymond: Kritik der politischen Philosophie. Eine Streitschrift, Hamburg 2011
  • Luhmann, Niklas: Einführung in die Systemtheorie, hrsg. von Dirk Baecker, Heidelberg 2002
  • Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 82009

Bernhard Schreyer ist Mitarbeiter der Redaktion Staatslexikon an der Universität Passau, die die Neuausgabe des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft koordiniert. Er hat  Politikwissenschaft an der Universität Passau und an der LMU studiert und war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Theorie und Wissenschaftstheorie an der Universität der Bundeswehr München. Außerdem ist er derzeit als Lehrbeauftragter an der Hochschule für Politik in München und der Technischen Hochschule Deggendorf tätig.

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4 Kommentare

  1. Die Überraschung über die letzte Abhör-Sache (der USA in Deutschland) könnte, historisch gesehen, ihrerseits überraschen.Denn seit 1945 besteht doch keine gewisse Gleichheit im staatlichen Verhältnis (realistischerweise wohl Voraussetzung von Freundschaft).US-Truppen stehen auf deutschem Boden(infolge vorheriger deutscher Kriegserklärung, soweit mit bekannt); Gegenseitigkeit besteht nicht; keine Bundeswehr steht auf US-Boden.- Beispielweise wurde die Freundschaft von Heisenberg zu Nils Bohr 1943 problematisch, der sich wohl entzog, als Heisenberg sich über Atombombenbau beraten wollte.- Ansonsten, gewisse Gleichheit vorausgesetzt, warum sollte ein Christ hinter das seit der Aufklärung angestrebte , auch politisch verstandene Freundschaftsziel zurückfallen?womöglich bequem als „utopisch“ abtun?

  2. Sehr geehrter Herr Manemann,
    Ich möchte nicht mit Carl Schmitt behaupten, dass das Kriterium für das Politische die Unterscheidung von Freund und Feind ist. Ebenso wenig wie Verbündete Freunde sein müssen, stellen Nichtverbündete per se Feinde dar. Dies wäre die Logik der Athener im Melier-Dialog bei Thukydides, was weder für die Melier noch für die Athener ein gutes Ende nahm. Man muss nicht befreundet sein, um höflich und vertrauensvoll miteinander umzugehen. Dies gilt meines Erachtens auch für Staaten. Sie sind in der Lage, ohne freundschaftliche Bindungen friedlich und kooperativ zu handeln. Eine speziellere Problematik stellt die Frage dar, ob Freundschaft für Demokratien ein konstituierendes Element darstellt. Auch an dieser Stelle bin ich eher skeptisch, ob wir der Demokratie einen Gefallen erweisen, wenn wir von ihr neben einer langen Liste von Funktionsvoraussetzungen (z. B. Wohlstand, Sozialstaatlichkeit, Partizipationsmöglichkeiten…) auch noch Freundschaft abverlangen. Überfordern wir damit nicht ein politisches System? Die praktische und normative Qualität der Staatstätigkeit wie auch des konkreten politischen Handelns erweist sich gerade darin, dass ich dem „Nichtfreund“ und sogar einem Feind helfe und mich ihm gegenüber solidarisch verhalte, wenn Hilfe benötigt wird.

    • Vielen Dank für Ihre Antwort. In der Tat besteht die Gefahr, das politische System zu ueberfordern, wenn nun auch noch Freundschaft abverlangt wird. Aber ist Demokratie nicht mehr als ein bloßes System? Ist Demokratie nicht auch eine Lebensform – die uns viel, vielleicht zuviel abverlangt?
      Gruß, JM

  3. Herr Schreyer, vielen Dank für den Beitrag. Ich stimme Ihnen zu, dass viele Begriffe im Feld des Politischen Kampfbegriffe sind. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass diese Begriff nichts anderes als Kampfbegriffe sind. Wenn man dieser Ansicht wäre, landete man nolens volens bei Carl Schmitts Verständnis des Politischen: der Unterscheidung von Freund und Feind. Sie rekurrieren in Ihrem Statement auf Derrida. Nun versucht Derrida ja gerade die Versuchung, die Carl Schmitt für Politik und Politiker darstellt, zu unterlaufen, und zwar durch eine Politik der Freundschaft. Könnte von hier aus nicht doch noch der Begriff der Freundschaft für die Politik gerettet werden? Ja, brauchen wir den Begriff nicht, um das Projekt Demokratie voranzutreiben? Wäre nicht gerade eine Politik der Freundschaft der transformierende Motor in einer Demokratie hin zu einer Demokratie jenseits von Blut, Rasse, Nation etc.? Durch eine Politik der Freundschaft würde ein sogenannter realpolitischer Blick auf das Verhältnis demokratischer Staaten zueinander zumindest irritiert.
    Beste Grüße, Jürgen Manemann

Beitragsthemen: Emotionen | Politik

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