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Pro und Contra: Sollte ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden?

Veröffentlicht am 27. Januar 2014

Pro: Christoph Henning

Bild Henning

Für die Mehrzahl der Menschen würde ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) eine große Erleichterung sein. Es brächte für sie eine ökonomische Entlastung und eine Befreiung von erniedrigenden Behördengängen. Auch für Menschen in der Normalerwerbsbiographie (die gar nicht mehr so normal ist) böte das BGE eine Chance, nämlich die, sich zeitweise aus einer vereinnahmenden Alltagsmühle abzuseilen und eine Auszeit zu nehmen, in der man endlich Zeit für sich und die seinen hätte. Kurzum, eine reiche Gesellschaft würde sich damit das erlauben, was doch eigentlich der Sinn von Reichtum ist: ein gemeinsames gutes Leben, statt wie bisher ein übersattes Leben für einige und ein Sich-Kaputt-Laufen im Hamsterrad für viele andere. Diese historische Bedeutung des BGE lässt sich nicht wegdiskutieren.

Nachgefragt wird allerdings, zu welchem Preis all das erkauft würde und wer ihn zu entrichten hätte. Manche wenden ein, ein BGE wäre nicht zu finanzieren, es würde die Arbeitsmoral untergraben (und die disziplinierende Wirkung der Lohnarbeit preisgeben) sowie makroökonomisch das Wachstum verlangsamen. Andere befürchten, ein BGE könnte die Ungleichheiten in der Gesellschaft noch vergrößern, indem es helfen würde, die Löhne und Sozialleistungen zu senken. Der Einwand der Nichtfinanzierbarkeit verfehlt jedoch die gestalterische Dimension und damit den Sinn des BGE. Wenn wir noch kein Bildungs- oder Gesundheitssystem hätten, würden deren Kosten uns sicher ebenfalls „zu hoch“ erscheinen.  Doch würden wir sie heute preisgeben wollen? Wir leisten uns ja noch ganz andere, weit weniger ‚notwendige‘ Geldverbrenner (ein CERN, das IOC etc.). Wer an die Überlegenheit der Marktkräfte glaubt, sollte ihnen zutrauen, auch mit veränderten Rahmenbedingungen zurande zu kommen.

Der Einwand der Arbeitsmoral hingegen unterschlägt, dass es gerade der Sinn des BGE ist, den Menschen die Freiheit zu geben, nicht mehr jede Arbeit annehmen zu müssen. Dass sie das bisher aus moralischen Gründen taten, kann man bei schlechtbezahlten Jobs nicht ernsthaft glauben. Bei besserbezahlten besteht ohnehin keine Gefahr, dass sie keiner mehr machen will. Es wäre nicht verkehrt, wenn sich Arbeitgeber künftig mehr um Arbeitende bemühen müssten. Und ein Zwang zum steten Wachstum ist heute kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Es kann nur unter hohem politischem Aufwand und großen ökologischen Schäden erzielt werden, und die Früchte dieses Wachstums können gar nicht mehr genossen werden, wenn aufgrund der steigenden Arbeitsbelastung niemand mehr Zeit dafür hat und Löhne durch den ‚Standortwettbewerb‘ stetig sinken. Uns ging es vor zehn Jahren nicht schlechter als heute. Was entginge uns also, wenn wir nur halb so schnell wüchsen, und uns dafür in nachhaltigeren, weil nicht-ressourcenverzehrenden Sektoren tummelten? Weniger ist mehr: Der ökonomische Reichtumsbegriff ist nicht der einzige, er geht im Extremfall auf Kosten des „menschlichen Reichtums“ kultivierter Muße oder der Pflege sozialer Beziehungen.

Besorgniserregend ist allerdings, dass Kritiker vorrechnen, es könne den Menschen mit BGE schlechter gehen als zuvor, etwa weil die bisherigen Renten oder Sozialleistungen höher waren oder weil die Löhne stark sinken würden. Solange ein BGE nicht existenzsichernd ist, könnte es zur Prekarisierungsfalle werden. Daraus kann man nur den Schluss ziehen: wenn ein BGE eingeführt wird, dann bitte richtig – nämlich so, dass es ein menschenwürdiges Dasein für alle erlaubt und die soziale Ungleichheit nicht noch weiter verschärft.

Christoph Henning ist Habilitand im Fach Philosophie an der Universität St. Gallen.

Contra: Gerhard Kruip

Foto Kruip

Unstrittig ist aus meiner Sicht, dass allen Menschen eine wirtschaftliche Absicherung auf der Höhe eines soziokulturellen Existenzminimums zusteht. In Deutschland soll dies durch „Hartz IV“ sichergestellt werden, wobei man darüber streiten kann, ob die Höhe wirklich ausreicht. „Hartz IV“ bekommt jedoch nur, wer beweisen kann, tatsächlich „hilfebedürftig“ zu sein. Im Unterschied dazu wird ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ ohne jede Voraussetzung einfach an alle ausgezahlt, unabhängig davon, wie viel Vermögen sie haben und welche Einkommen sie sonst noch erwirtschaften.

Obwohl damit das Modell den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und der Bedarfsgerechtigkeit widerspricht, scheint es für viele attraktiv zu sein. Die Befürworter/innen eines bedingungslosen Grundeinkommens schildern das Modell denn auch in den schönsten Farben. Niemand wäre mehr arm, niemand wäre mehr zum Arbeiten gezwungen, die lästige Bürokratie bei der Offenlegung der eigenen Bedürftigkeit bei der Beantragung von „Hartz IV“ würde entfallen, die Menschen fühlten sich zu ehrenamtlichem Engagement motiviert und auch Haus- und Pflegearbeiten würden endlich honoriert.

Offensichtlich kommt es sehr darauf an, wie hoch das Grundeinkommen ist und mit welchen Sätzen dann weitere Einkommen besteuert werden. Die oben genannten Ziele werden nur bei einem relativ hohen Grundeinkommen erreicht. Um dieses dann aber zu finanzieren, müssen Einkommen aus Arbeitsverhältnissen sehr hoch besteuert werden. Es ist schwer abzuschätzen, wie die Menschen darauf reagieren werden. Wie viele werden dann die Mühe einer entlohnten Erwerbsarbeit noch auf sich nehmen, wenn sie auch ohne Arbeit gut leben oder jeder hinzuverdiente Euro hoch besteuert würde? Die Freistellung vom Arbeitszwang kann ökonomisch ja nur funktionieren, wenn es trotzdem noch so viele Erwerbstätige gibt, dass aus deren Steueraufkommen diejenigen mitfinanziert werden können, die nicht arbeiten, obwohl sie ja durchaus arbeiten könnten. Insbesondere junge Menschen könnten nicht mehr motiviert sein, in ihre Bildung und Ausbildung zu investieren, um später eine gut bezahlte Stelle zu finden. Ihnen erscheint das entsprechende Grundeinkommen noch attraktiver als den Älteren, weil sie ihre späteren Wünsche noch nicht realistisch einschätzen können. Auf diese Weise könnte ein größerer Teil der Bevölkerung, vor allem die weniger gut Qualifizierten, zwar ein Grundeinkommen beziehen, würde sich aber langfristig nicht am Erwerbsleben beteiligen. Diese Menschen wären faktisch dann aus einem relevanten Bereich gesellschaftlichen Lebens, in dem man Selbstachtung und Anerkennung erfährt und wichtige Beteiligungsmöglichkeiten hat, ausgeschlossen.

Würde andererseits das Grundeinkommen relativ niedrig angesetzt, beispielsweise auf der Höhe des derzeitigen „Hartz IV“, würde das Ziel der Armutsbekämpfung kaum erreicht. Auch könnten sich Grundeinkommensbezieher und -bezieherinnen, die sich ehrenamtlich oder in der häuslichen Pflege engagieren, durch ein so niedriges Grundeinkommen wohl kaum honoriert fühlen, ganz abgesehen davon, dass es ihnen ohnehin nur ein Überleben auf einem relativ niedrigen materiellen Niveau ermöglichen würde.

Das entscheidende Problem scheint mir aber das der Finanzierung zu sein. Um die Kosten abschätzen zu können, ist neben der Höhe des Grundeinkommens natürlich die Frage wichtig, welche bisherigen Sozialleistungen nach Einführung des Grundeinkommens wegfallen könnten. Das ist schon bei Arbeitslosengeld I und Rente schwierig, bei Pflege- und Krankenversicherung und besonderen Hilfen für Menschen mit Behinderungen sicherlich nicht möglich.

Verschiedene Berechnungen zum Finanzierungsbedarf führen zu dem Ergebnis, dass nur ein relativ niedriges bedingungsloses Grundeinkommen, etwa in Höhe von 800 Euro/Monat, wobei davon auch noch die Krankenversicherung zu bezahlen wäre, finanzierbar ist und dies auch nur dann, wenn die Einkommen aus Erwerbstätigkeiten sehr hoch, nämlich zwischen 60 und 70 Prozent, besteuert werden – allerdings bei gleichzeitigem Wegfall der bisherigen Beiträge zu den Sozialversicherungen. Dadurch würde das Grundeinkommen aber sehr viel seiner Attraktivität verlieren. Es würde zusätzlich diejenigen, die durch ihre Leistung die anderen mitfinanzieren, in einer demotivierenden Höhe belasten. Und wegen der in einem solchen Modell steigenden Attraktivität von Schwarzarbeit wäre auch nicht gesagt, dass die Kontroll- und Bürokratiekosten wirklich abnehmen würden.

Gerhard Kruip ist Professor für Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Universität Mainz.

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2 Kommentare

  1. Beim Thema bedinungsloses Grundeinkommen stehen sich die Deutschen selbst auf den Füßen, sozusagen…..Wer es noch nicht benötigt und in Hoffnung auf Besserung dahindümpelt, wird durch Medien, besonders BZ, genötigt, sich selbst zu boykottieren, um nicht als Schmarotzer der Gesellschaft abgestempelt zu werden.

    Das ist ein Teufelskreis der dahin führt, dass die Schwächsten einer Gesellschaft schnell sterben, weil sie sich mit Hartz IV kein lebenswertes Leben leisten können.
    Das ist einfach so, denn ich weiß es aus eigener Erfahrung.

    Wer wie ich, 50 Jahre seines Lebens „normal“ gelebt hat und dann im Aus landet, hat nur noch negative Gedanken. Wie Nietzsche so ähnlich sagte: Wenn du lange genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abrund auch in dich…..Da kannst du nichst machen, das ist wie ein Sog, es geht einfach abwärst. Du hast keine Kraft mehr, keine Energie.
    Da kannst du dich dagegen stemmen, wie du willst, du rechnest mit ca. 300 Euros die dir monatlich übrig bleiben täglich. Du wirst zur Rechenmaschine und machst ständig Fehler, weil du weißt, im Grunde kannst du dir nichts leisten und jeder Kauf ist ein Risiko. Du hast Angst – Angst ist dein Motor, da kannst du noch so intellektuell oder kreativ sein, die Angst ist da, außer du blendest sie aus. Du träumst ständig vom Tod, weil du keine Perspektive mehr hast. Du wachst morgens in diesem Moment auf, der dir vorgaukelt, du bist zwischen wach/Leben und schlafen/Tod, Mensch. Und in Sekundenbruchteilen wird dir bewusst, du bist ein Nichts. Als ob du nicht mal ein Recht auf deine Träume hättest.

    Das Sterben hat in dein Leben Einzug genommen, der Tod ist allgegenwärtig. Du siehst den Sonnenaufgang und die Natur – und eine tote Schnecke auf deinem Weg katapultiert dich in deine sterbende Welt sofort zurück. Und du willst das nicht!

    Du kannst nicht dagegen ankämpfen, denn niemand sieht dich.

    Jeder sieht nur sein eigenes Sterben. Falten, verwelkende Blumen, Zeit als Maßstab für Endlichkeit……Mit Geld kann man das alles wegdenken und es sich schön machen.

    Der mit ALG II ist schon tot. Du weißt, du wirst nicht alt. Mag, sein, dass du genetisch veranlagt bist, alt zu werden…..aber du wirst früher tot sein als jene, die sich mit Geld pflegen können. Du könntest noch Zeichen setzen. Das will aber niemand hören oder sehen. Du könntest kriminell werden, auf deine alten Tage. Den Staat würde jeder deiner Tage im Knast teurer werden, als Hartz IV. Du könntest sogar jemanden umbrigen und dann ca. 5 Jahre mit Vollverpflegung auf Staatskosten Zeit haben, erleuchtet zu werden.
    Es ist also nichts schlimmer, als nichts zu sein.

    Am Ende wird das Nichts aufbegehren und sich seinen Weg in der Evolution zumindest dokumentieren lassen.
    Mir ist übrigens Grundeinkommen ziemlich egal, ich habe abgeschlossen. Diese Einstellung ist übrigens für Philosophen auch interessant!

  2. deshalb wird es auch „existenzsichernd“ ausbezahlt werden. deshalb heißt ja das bedingungslose GE „bedingungloses grundeinkommen“ :-), wegen der Höhe warad’s g’wesen……..Grundeinkommensbezieher und -bezieherinnen, was wir ALLE wären, ………….die sich ehrenamtlich oder in der häuslichen Pflege engagieren, durch ein so niedriges Grundeinkommen wohl kaum honoriert fühlen, ganz abgesehen davon, dass es ihnen ohnehin nur ein Überleben auf einem relativ niedrigen materiellen Niveau ermöglichen würde…………was im heutigen system ein problem darstellt, weil viele, die sich ehrenamtlich betätigen würden, heute nicht können (aus zeitmangel?), weil sie ja ein Einkommen benötigen, um leben zu können,..sprich: zu erwarten sind mehr ehrenamtliche Stunden, noch mehr als heute bereits getätigt werden…..fühlen sich denn heute ehrenamtlich tätige honoriert?………deshalb – und wir drehen uns im Kreis: „existenzsicher“….;-)

Beitragsthemen: Ökonomie | Politik

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