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Pro und contra: Burkaverbot – ja oder nein?

Veröffentlicht am 21. November 2016

Hirn Foto

Pro: Lisz Hirn

In der aktuellen Diskussion rund um das Thema Burkaverbot werden zweifelsohne viele Argumente gegen eine gezielte Verhüllung des weiblichen Körpers ins Feld geführt. Im Folgenden beziehe ich mich ausschließlich auf das Verbot zur Ganzkörper- bzw. Gesichtsverschleierung und nicht auf den Hijab. So zeige diese angeblich die Ungleichheit von Mann und Frau und sei ferner ein Mittel zur Unterdrückung der Letzteren sowie das Symbol eines zutiefst konservativ geprägten, politischen Islams. Da der Koran kein (eindeutiges) Verschleierungsgebot für Frauen ausspricht, gibt es auch für die Burka keinerlei religiöse Legitimation. Worum geht es also in der Debatte um die Burka?

Ich möchte von einer anderen, oft vernachlässigten Seite gegen die Burka und für ein Verbot argumentieren. Ich möchte ferner nicht analysieren, was die Burka für Einzelne ist, sondern was sie im Sozialen macht. Sie schränkt nämlich vor allem die zwischenmenschliche Kommunikation ein, indem sie Menschen trennt, insbesondere nach Geschlechtern, darüber hinaus aber auch „Fremdes“ von „Bekanntem“, „Gläubige“ von „Ungläubigen“, also quasi „absolute soziale Dualitäten“ behauptet, die voneinander abgeschirmt werden müssen. Dabei verweigert bzw. erschwert das Tragen der Burka die zwischenmenschliche Kommunikation sowie die soziale und politische Partizipation in einem Ausmaß, das für funktionierende demokratische und soziale Prozesse problematisch ist.[1]

Der Staat soll sich nicht einmischen, was den Körper der Frau betrifft, so lautet ein bekanntes, feministisches Dogma. Damit fordern Frauen die körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung von staatlicher Seite ein. Besonders letztere wird aber durch die Burka unterbunden oder besser ad absurdum geführt. Ich greife an dieser Stelle Élisabeth Badinters Hinweis[2] auf, dass es in der Diskussion vor allem um das Gesicht geht, das die Identität einer Person zeigt und persönliches Kennenlernen ermöglicht. Zwar könnten ersteres auch die Fingerabdrücke bestätigen, letzteres basiert auf Offenheit und Vertrauen, die erst durch Kontakt – also durch die gegenseitige Enthüllung im Blick des anderen – hergestellt werden müssen. „Von Angesicht zu Angesicht sprechen“ ist keine leere Floskel, denn das Gesicht ist seit unserer Geburt von zentraler Bedeutung für unseren Bezug zur und unseren Dialog mit der Außenwelt.[3] Das Gesicht hilft uns nicht nur den Anderen zu verstehen, sondern ermöglicht uns die Teilnahme am sozialen Leben. Stellen wir uns vor, wir möchten den Vortrag einer illustren Person besuchen, die sich dann in Burka zeigt, was unsere Wahrnehmung und die Präsentation wesentlich beeinflussen wird. Oder stellen wir uns vor, wir müssen aufgrund einer Erbstreitigkeit zum Notar, dem wir wichtige Unterschriften oder Wertgegenstände aushändigen wollen, und dieser erscheint mit Burka und weigert sich auf unsere Bitte, die Burka abzulegen. Auch der Sicherheitscheck bzw. die Ausweisung der eigenen Identität am Flughafen oder am Eingang von öffentlichen Gebäuden wird mit Burka zum Problem.

Eine leichte Irritation ist das mindeste, was wir in diesen Begegnungen erleben werden, das allein wäre an sich noch kein handfestes Argument für ein Burkaverbot. Genauso wenig handfest ist aber das Argument, ein Verbot würde verhindern, dass die Träger am sozialen Leben teilnehmen können, da nicht ein Verbot, sondern die Träger selbst sich daran hindern, indem sie sich zuvor für die Burka entschieden haben. Wer sich nicht ausweisen will, kann also nicht überall hinein.

Nun habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Burka die rasche Identifizierung einer Person und die interaktive Kommunikation durch Gestik und Mimik zwischen Menschen, die eben nicht nur zur Familie der Träger gehören, in zu großem Maße erschwert und deshalb nicht toleriert werden kann. Das Problem verschärft sich mit der Einsicht, dass dieses „kommunikative Hindernis“ kein Zufall ist, sondern dass die Interaktion (mit dem „anderen Geschlecht“, dem „Fremden“) durch die Burka absichtlich eingeschränkt werden soll. Das Gebot oder der Wunsch, die eigene Identität zu verschleiern und damit abzugrenzen, bekommt dann aber etwas „sozial Unsittliches“, wenn gefordert wird, uneingeschränkt am alltäglichen, beruflichen Leben teilnehmen zu können, ohne sich wie die anderen zeigen zu müssen. Das Recht, sich jederzeit weigern zu können, von den anderen gesehen zu werden, d.h. auch identifiziert und angesprochen zu werden – und das ohne Rücksicht auf den sozialen Kontext – ist ungerecht.

„Schließt die Idee der Freiheit in demokratischen Gesellschaften nicht die uneingeschränkte Toleranz gegen rückschrittliche Bewegungen aus? Und gehören nicht alle Versuche und Doktrinen, Menschen und Gesellschaften wieder mehr voneinander zu trennen zu diesen Rückschritten?“ Herbert Marcuse hat diese Fragen in seinem Essay Repressive Toleranz[4] behandelt und bejaht. Das Adjektiv „rückschrittlich“ hat er treffend gewählt. Es verdeutlicht, dass Bewegungen, die anderes nicht tolerieren wollen, kein Interesse haben, Schritte auf einen Dialog hin zu machen. Sie wollen einen oder mehrere Schritte zurück, oft in eine fiktiv überhöhte Vergangenheit.

Die Diskussion um das Thema Burkaverbot zeigt doch deutlich, dass die gegenwärtig herrschende Toleranz eine Grenze überschritten hat. Sie akzeptiert aggressive Politik, Aufrüstung, Aufhebung der Freiheitsrechte, rechtsextreme Demonstrationen, toleriert Bewegungen, die selbst so ganz und gar nicht tolerant sind. Aktuell gefährdet die Toleranz sich selbst. „Toleranz wird auf politische Maßnahmen, Bedingungen und Verhaltensweisen ausgedehnt, die nicht toleriert werden sollten, weil sie die Chancen, ein Dasein ohne Furcht und Elend herbeizuführen, behindern, wo nicht zerstören (Marcuse).“ Eine Umkehr wäre durch die Besinnung auf die oben gestellten Fragen möglich.

Ich sehe nicht, wie diese gewollte Trennung von sozialen Gruppen – insbesondere nach Geschlechtern, die die Burka sichtbar macht, mit der in europäischen Ländern festgesetzten „freien“ Interaktion unterschiedlichster Menschen vereinbar sein soll. Es ist wohl richtig, dass ein Verbot nur wenige betreffen würde, es hätte aber eine Signalwirkung für viele.

Dr. phil. Lisz Hirn ist derzeit Research Fellow am fiph. Sie forscht und arbeitet u.a. zum Themenbereich Interkultureller und Interreligiöser Dialog.

[1] https://derstandard.at/1262208735435/Kopftuchstreit-Was-soll-denn-da-verschleiert-werden, abgerufen am 17.11.2016.
[2] https://www.welt.de/kultur/article13184524/Sinnbild-fuer-den-Angriff-von-radikalen-Islamisten.html, abgerufen am 17.11.2016.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Gesicht, abgerufen am 17.11.2016.
[4] https://www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/65reprtoleranzdt.htm, abgerufen am 17.11.2016.

Honnacker Foto

Contra: Ana Honnacker

Dass der Anblick einer vollverschleierten Frau erhebliche Irritationen auslösen kann und als regelrechter Affront gegen unsere (Gesprächs-)Kultur wahrgenommen wird, konnte man jüngst wieder an den Reaktionen auf die im Niqab bei „Anne Will“[1] aufgetretene Nora Illi ablesen. Nicht nur die Kommentare auf den einschlägigen Social Media-Plattformen liefen heiß angesichts der zum Islam konvertierten Frauenbeauftragten des sogenannten Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS)[2]. Auch diverse Vertreter politischer Parteien meldeten sich kritisch zu Wort ob der Einladung einer Person, die die Brutalitäten der IS-Milizen verharmlost und sich – nicht zuletzt auch optisch – offensichtlich aus der Mehrheitsgesellschaft verabschiedet hat. Dabei ist die Kritik an den von Illi vorgebrachten Positionen, die in der Tat schwer erträglich waren, kaum von den Bemerkungen über ihre äußere Erscheinung zu trennen. So wird sie auch in journalistisch aufbereiteten Medien als „Nikab-Frau“ und „die Vollverschleierte“ betitelt.[3] Obwohl es gute Gründe gibt, jemanden wie Nora Illi zu diesem Thema einzuladen,[4] sitzt der Ärger über den reinen Anblick bzw. eben Nicht-Anblick einer Talkshowteilnehmerin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so tief, dass die Rufe nach einem „Burka-Verbot“ wieder lauter geworden sind. Damit gemeint ist ein Gesetz gegen eine Vollverschleierung im öffentlichen Raum, wie es in Frankreich, Belgien und den Niederlanden bereits verabschiedet wurde.

Auf den ersten Blick scheint so ein Gesetz ein geeignetes Mittel zur Sicherstellung unserer westlich-aufgeklärten kulturellen Errungenschaften, insbesondere der Gleichstellung der Geschlechter und der offenen Diskurskultur, zu sein. Per gesetzlicher Entschleierung sollen die Betroffenen gleichsam in unsere liberale Gesellschaft katapultiert werden. Ihr Aufzug wird als Grund der verhinderten Integration in unsere Gesellschaft und unser Wertesystem ausgemacht. Hier wird aber zu kurz, bzw. vom falschen Ende her gedacht. Das betrifft zum einen die Ebene der praktischen Durchsetzung eines solchen Verbots. Die Bilder der am Strand von Nizza von Polizisten umringten Frau, die vermeintlich gegen das dort im Sommer 2016 nach den islamistischen Anschlägen erlassene „Burkini“-Verbot verstoßen hatte, lassen die Groteske dieses Vorhabens erahnen.[5] Und auf juristischer Ebene spricht das Recht auf positive Religionsfreiheit, das ausdrücklich in der deutschen Verfassung verankerte Recht auf freie Religionsausübung, dagegen.[6] Hierbei handelt es sich immerhin um ein zentrales Erbe der Aufklärung, dessen Aussetzung (nicht nur juristisch) unter erheblichem Begründungsdruck stünde. Nun kann man dagegen vorbringen, dass es sich bei der Vollverschleierung nicht um den frei gewählten Ausdruck einer weltanschaulichen Überzeugung handele, die zu schützen wäre, sondern um die sichtbar gewordene partriarchale Unterdrückung der Frau, die es zu bekämpfen gelte. Dieser Einwand ist insofern problematisch, als mit ihm kategorisch ausgeschlossen wird, dass es (und seien es noch so wenige) Frauen geben mag, die aus religiösen oder politischen Beweggründen heraus die Vollverschleierung wählen. Man kann ihre Motivation und ihre Entscheidung zweifelhaft finden, ihnen von vornherein Entscheidungsfähigkeit und Selbstbestimmung abzusprechen, ist jedoch wiederum ein fragwürdiger Zug, zumal wenn dies unter der Flagge des Feminismus geschieht. Hinzu kommt, dass es sich zumeist um eine „von außen“, d.h. nicht von den fraglichen Frauen selbst getroffene Unterscheidung handelt. Denn damit wird die, die eigentlich Trägerin der Emanzipation sein sollte, aus dem Diskurs und damit vom eigentlichen Prozess der Emanzipation ausgeschlossen: „Was aber will die Trägerin? Man weiß es nicht. Will sie befreit werden?“[7] Die Entschleierung per Gesetz gerät so zu einer Zwangsemanzipation. Allein damit wäre sie ad absurdum geführt: Emanzipation bedeutet wesentlich Selbstermächtigung. Doch selbst wenn man zugesteht, dass das Verbot womöglich nicht den antizipierten Willen der Betroffenen artikuliert und im Zweifel diesem sogar entgegenstünde, steht darüber hinaus in Frage, ob ein Verbot den Frauen in ihrem Lebensalltag tatsächlich hilft, oder ob sie dadurch erst recht an der gesellschaftlichen Teilhabe gehindert werden (etwa, weil sie dann die Privaträume gar nicht mehr verlassen). Die vermeintlich befreiende Wirkung würde damit um ein Doppeltes verfehlt.

Wir haben es hier, so meine These, mit einer klassischen Stellvertreterdebatte zu tun. Die Forderung nach dem Verbot der Burka ist eigentlich eine Forderung nach dem Verbot einer bestimmten Geisteshaltung, die als mit den „westlichen Werten“ inkompatibel angesehen wird. Das Recht auf Gleichbehandlung ist im deutschen Grundgesetz festgeschrieben.[8] Die Verwirklichung dieses Rechts sieht sich allerdings vor der Herausforderung, dass Ungleichbehandlung und Unterdrückung der Frau auch auf mehr oder weniger subtilen und tief verankerten mentalen Voreinstellungen beruhen, die man nicht einfach verbieten kann, gleichwohl es ihnen entschieden entgegenzutreten gilt (nicht zuletzt in ihren oft verdeckten und gesellschaftlich weithin akzeptierten Gestalten). Ein Burkaverbot geht somit am Kern des Problems vorbei und, schlimmer noch, es trifft die Falschen.

Der Weg sollte daher am anderen Ende beginnen. Wir brauchen keine Verbote, sondern Ideen dafür, wie die Bedingungen für Selbstermächtigung und -bestimmung geschaffen werden können. Der erste Schritt wäre, die Frauen hinter dem Schleier als Mitmenschen wahrzunehmen und demgemäß zu behandeln. Wir müssen des Weiteren dafür werben, wie gut es ist, sich im persönlichen Gespräch offen ins Gesicht sehen zu können – und ebenso für die Vorzüge eines nicht durch Sexismus geprägten Zusammenlebens. Das umfasst auch, uns bewusst zu machen, dass es einen allzu alltäglichen Sexismus gibt, der im Widerspruch zu unseren proklamierten Werten steht und noch längst nicht überwunden ist. Wir müssen für eine Gesellschaft kämpfen, in der kein Mann der Überzeugung ist, es sei sein Recht, die Kleidung einer Frau vorzugeben, und keine Frau meint, ihr Gesicht nicht öffentlich zeigen zu können.

Dr. Ana Honnacker ist wiss. Assistentin am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover und beschäftigt sich unter anderem mit dem Spannungsfeld von Religion und Politik.

[1] Sendung vom 06. November 2016: „Mein Leben für Allah – Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?“
[2]
Der IZRS entspricht nicht dem deutschen Zentralrat der Muslime. Er vertritt einen fundamentalistischen, am Salafismus orientierten Islam und wird vom Schweizerischen Nachrichtendienst beobachtet. Seit Dezember 2015 wird gegen den Generalsekretär des Vereins wegen Propaganda für diverse islamistische Gruppierungen ermittelt.
[3] So z.B. bei Handelsblatt-Online vom 08. November 2016
[4] Zusammengefasst z.B. nachzulesen im Kommentar von Anne Leiter: „Unverschleiert“ (NDR-online vom 08. November 2016) und im ZEIT-Interview mit der Moderatorin Anne Will vom 12. November 2016.
[5] Daran ändert auch eine womögliche Inszenierung der Szene nichts, die mittlerweile unterstellt wird, vlg. SZ-online vom 26. August 2016 „Was geschah wirklich am Strand von Nizza?“
[6]
Art. 4, Absatz: 2: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
[7] Mely Kiyak „Die Arroganz der Beleidigten“ (ZEIT online vom 24. August 2016). Zu dieser Problematik siehe auch Khola Maryam Hübsch „Warum ein Burka-Verbot falsch ist“ (FAZ online vom 1. September 2016).
[8] Art. 3, Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

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