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Philosophie am Kröpcke: Sind Sie ein Weltbürger? (Teil 2)

Veröffentlicht am 19. August 2013

Hannover, Kröpcke-Uhr

Philosophie – eine Wissenschaft im Elfenbeinturm? Weit gefehlt! Das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover macht es sich zur Aufgabe, herauszufinden, was der Mann (und die Frau) von der Straße von den philosophischen Inhalten, die am Institut erforscht werden, weiß und hält. Pünktlich zu jeder Ausgabe des fiph-Journals führen wir dementsprechend eine streng wissenschaftlich kontrollierte Studie durch: Wir schreiten zum Kröpcke, der Agora Hannovers, mit Digitalkamera und Aufnahmegerät bewaffnet, und stellen allen Passanten, die nicht schnell genug flüchten, dieselbe Frage. Auf den Spuren des Sokrates, aber bar jeder Ironie.

In den Korridoren zwischen den Baustellen und vor der verhüllten Kröpcke-Uhr wollten wir dieses Mal wissen, wie weltoffen die Hannoveraner sind. „Sind Sie ein Weltbürger?“ lautete unsere Frage. Auszüge aus den profunden Antworten lesen Sie hier …

fiph: Sind Sie ein Weltbürger?
Stefan: Eher nicht.
fiph: Was spricht dagegen?
Stefan: Weil ich nicht so viel in der Welt unterwegs bin. Wenn ich mehr reisen würde, würde ich mich wahrscheinlich mehr als Weltbürger fühlen. Ich bin gerne unterwegs, auch viel in Europa, aber den Rest der Welt, den kenn’ ich nun nicht.
fiph: Meinen Sie, dass wir Pflichten gegenüber Menschen in anderen Ländern haben?
Stefan: Jeder Mensch trägt Verantwortung für die Welt, in der er lebt, da gehören die anderen Menschen dazu.
fiph: Es gibt Stimmen, die sagen, unsere Loyalität sei nur begrenzt. Sie würden das nicht so sehen?
Stefan: Ne, also dafür ist die Welt, wie man ja so schön neudeutsch sagt, zu sehr vernetzt. Dafür sind die Menschen, ob das die Wirtschaft ist, ob das die Umwelt ist oder andere Lebensverhältnisse, zu sehr aneinander, als dass man das einfach begrenzen könnte.
fiph: Können wir von Menschen aus anderen Kulturen lernen?
Stefan: Ja, auf jeden Fall.
fiph: Haben Sie eine Idee, was man machen könnte, um einer Weltgesellschaft näherzukommen?
Stefan: Viel reisen! Kann sich nicht jeder leisten – das ist sicherlich ein Problem. Dann gibt’s das Internet, da sind die Grenzen auch schon weniger. … Ich denke, man muss mit Menschen zusammenkommen, mit Menschen sprechen. Menschenverständnis kann man nicht aus ‘nem Buch lernen. Das muss man leben.

fiph: Sind Sie ein Weltbürger?
Losmann: Was heißt Weltbürger?
fiph: Das ist ein Mensch, der sich mit Menschen überall auf der Welt verbunden fühlt.
Losmann: Ja schon. Ich sach’ mal, man kommt in Deutschland durch, in Österreich …
fiph: Haben wir Verpflichtungen gegenüber Menschen aus anderen Ländern?
Losmann: Nein. Ich muss auch für mich selber sorgen.
fiph: Jeder stirbt für sich allein?
Losmann: Eben!

fiph: Sind Sie ein Weltbürger?
Heinrich: Schon.
fiph: Sie würden denken, dass die deutsche Staatsbürgerschaft vereinbar ist mit einem Weltbürgertum?
Heinrich: Nein, nicht so ganz. Das mit der Internationalität und dem Weltbürgertum, das ist etwas, das die Deutschen und das Deutsche so langsam unterdrückt. Das Problem ist – ich habe das schon mehrfach gehört –, dass die deutschen Kinder in der Schule von den ausländischen Kindern verspottet und gemobbt werden. Und das geht zu weit! Wir sind hier in Deutschland, und da sollte eigentlich die deutsche Nationalität mehr geachtet werden, da sollte man drauf stolz sein.
fiph: Was macht denn das Deutsche aus?
Heinrich: … (stockt kurz) Die Sprache allein schon, das ist schon mal sehr wichtig. Und die Deutschen haben ja auch einen guten Ruf, sind ordentlich und zielstrebig, das ist ja schon ein großer Unterschied zwischen den Deutschen und z.B. den Südländern.
fiph: Ist das Problem in der Schule, von dem Sie gehört haben, nicht eher ein Problem von Mehr- und Minderheiten? Würden deutsche Kinder, wenn sie in der Mehrheit wären, nicht auch fremde Kinder verspotten?
Heinrich: Das kann sein, natürlich.
fiph: Dann müsste man vielleicht einfach nur ausgeglichenere Verhältnisse schaffen?
Heinrich: So ist es.
fiph: Würden Sie sagen, dass wir Pflichten gegenüber Menschen in anderen Teilen der Welt haben?
Heinrich: Gewisse Pflichten schon, denn uns geht es hier ziemlich gut, und es tut uns nicht sehr weh, wenn wir anderen Leuten helfen, die in Not sind.

fiph: Seid ihr Weltbürgerinnen?
Anna: Ich glaub’ schon.
Lisa: Von unserem Interrail-Trip sind wir Weltbürgerinnen.
Anna: Europa-Bürgerinnen vielleicht.
fiph: Was macht einen zu einem Weltbürger?
Anna: Wenn man offen durch die Gegend reist, mit offenem Blick, und für neue Leute und andere Kulturen nicht verschlossen ist.
Lisa: Ja, so kosmopolitenmäßig, also auch in verschiedenen Bereichen interessiert, nicht nur in einem speziellen: am Essen, an Literatur, an …
fiph: Haben wir Pflichten gegenüber Menschen aus anderen Kulturen?
Anna: Ich finde schon, dass wir offen sein sollten und dass das auch so ‘ne Art Pflicht ist. Pflicht ist so ein böses Wort, finde ich. Aber ich meine, dass es z.B. gegenüber Religionen eine Pflicht ist, sich das Andere anzuhören und anzuschauen und sich darüber Gedanken zu machen und dann vielleicht erst was zu verurteilen. Hauptsache, man weiß auch wirklich, worüber man redet und was man verurteilt.
fiph: Geht das nur, wenn man irgendwo hinreist, oder auch von zu Hause aus?
Anna: Das geht auch hier, obwohl ich auch finde, dass es auch für Leute, die aus anderen Kulturen hierherziehen, Pflicht sein sollte, sich unsere Kultur genauer anzugucken. Man erlebt oft, dass z.B. sehr schlechtes Deutsch gesprochen wird, obwohl die Leute schon seit Jahren hier leben, und dass sie auch nicht offen gegenüber unserer Religion sind. Man sollte natürlich seine Kultur nicht verraten, aber man sollte sich auch in gewissen Punkten anpassen.
fiph: Haben Sie eine Idee, wie man Konflikte zwischen Kulturen schlichten könnte? Reicht es da, offen zu sein?
Lisa: Na ja, nee. Irgendwer muss nachgeben, vermute ich mal. Also man muss Kompromisse finden, aber das geht wahrscheinlich nicht immer. Besonders in der Religion kann man keine Kompromisse finden.

(Die Namen der Befragten wurden von der Redaktion geändert)

Interviews: Eike Bohlken und Christian Rößner

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1 Kommentar

  1. Klassische Philosophen sind ja nachweislich kaum aus ihrem Nest rausgekommen – die haben einfach nur meinen, persönlichen Lieblingssatz oft umgesetzt: Erkenne dich selbst!
    Da ich ja keine Ahnung habe – aber Frage? Muss man Philosophie gesellschaftlich anpassen? Ist Philosophie eine klassische Wissenschaft oder kann man da sein Fähnchen nach dem Wind hängen? Ihr Philosophen seid ja sowieso schwer irritiert, wegen der nachweislich nach ICD 10 Diagnosekriterien, was eure Vorbilder betrifft! Ich meine, geht da Philosphie überhaupt, wenn man keine Meinung hat und nur intellektuell rumschwafelt?

Beitragsthemen: Globalisierung | Identität

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