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Schwerpunktbeitrag: Mit Kindern philosophieren. Geht das und wenn wie?

Veröffentlicht am 28. Oktober 2013

Im März d. J. wurde bei „Philosophie indebate“ die Frage gestellt, ob es Philosophische Cafés geben sollte. Lutz von Werder (pro) und Héctor Wittwer (contra) tauschten Argumente dazu aus. Seit ca. 20 Jahren gibt es zunächst in Frankreich, später auch in Deutschland diese Philosophie-Cafés, welche philosophische Nachdenklichkeit für Jedermann anbieten möchten. Gegen solche Bemühungen wird immer wieder genannt: Auch Sokrates habe ja nicht drauf los philosophiert, sondern mit seinem besonderen System provoziert; Philosophie sei eben an methodische Standards gebunden; Philosophie sei vor allem Arbeit am Begriff. Aber sind denn die freie philosophische Nachdenklichkeit und die akademische Philosophie tatsächlich Gegensätze? Leisten wir durch Verzicht auf Popularisierung der Philosophie keinen Dienst, oder sollte sie sich weiterhin mutig in den Dienst am Menschen und an der Welt begeben?
Dies waren auch Fragen, als wir begannen, uns ohne „schulische Methodik und Didaktik“ an die Durchführung von freizeitlicher Kinderphilosophie bzw. an Kinder-Philosophie-Cafés zu wagen. Anlass waren Überlegungen zur Hinführung von Kindern zu einer Philosophie des Lebens mit dem Sterben und Tod, in unserem Falle philosophische Grundlagen einer Ethik der Kinderhospizarbeit.
Eines Tages starb unser großer, schwarzer Hund. Tage vorher war er nicht mehr von seinem Schlafplatz aufgestanden, hatte ganz leise mit seiner tiefen Stimme gewimmert, nicht mehr gefressen und schließlich Blut verloren. Wir trugen ihn zu zweit auf unseren Armen zum Tierarzt, denn er war sehr schwer; der aber konnte ihm nicht mehr helfen. Der Hund schaute uns traurig an, schloss schließlich seine Augen, mit denen er seine Welt gesehen und verstanden hatte, und starb in unseren Armen. Durch meine Tränen hindurch sah ich ihn tapsig inmitten vieler anderer, kleiner und großer Hunde spielen ohne Streit und ohne Gebell. „Bekommen Tiere im Himmel Flügel?“, fragte ich meinen etwa zehnjährigen Sohn. Und er fragte zurück: „Ja, brauchen sie denn Flügel im Himmel?“
Mit dieser Geschichte starteten wir unser Kinder-Philosophie-Café für Kinder ab dem 8. Lebensjahr mit lebensverkürzender Krankheit, Sterbeerfahrung in der Familie oder mit der Verlusterfahrung eines Geschwisters. Denn in den philosophischen Cafés gibt es ja keine „verbotenen Fragen“ und keine „falschen Antworten“; es gibt nur eine Zunahme von Nachdenklichkeit. Gemeinsam starteten wir mit Fragen wie: Wo kommen die Tiere eigentlich her? Wo gehen die Tiere eines Tages hin? Was ist und wo ist der Himmel? Was geschieht mit unserer Liebe, wenn das geliebte „Objekt“ nicht mehr ist? Und – wer wäre ich, wenn ich kein Mensch wäre, sondern ein Tier?
Vielleicht erfahren wir mehr, wenn wir miteinander reden, schreiben, malen, wie es uns gerade gefällt. Niemand weiß mehr als die anderen, nicht einmal die „Erwachsenen“ mehr als die Kinder; wir wissen oder denken nur alle etwas anderes: frisch im freien Spiel der Gedanken oder systematisch oder anhand von Texten oder bei der Suche nach Begriffen, metaphorischen Bildern, „Erkenntnissen“.
Philosophie kann uns wichtige Probleme erschließen: Was ist der Mensch? Wer bin ich? Was ist Leben? Was ist die Welt? Was ist Wahrheit? Bei Immanuel Kant gibt es ja weitere Fragen und Problemfelder; zum Beispiel: Was ist mein Begehren? Was soll und was darf ich wollen? Aber auch: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun, was soll ich lassen? Woraus entsteht eigentlich ein „Sollen“? Warum soll ich müssen, was ich kann? Wie kann ich mir mein Glück erhellen?
In der Philosophiegeschichte und in philosophischer Praxis stellen gerade junge Menschen, wenn sie denn fragen, genau solche Fragen, erst recht, wenn sie sich existenziell angesprochen fühlen, also z.B. im Angesicht von Schicksalsschlägen, von Krankheit, Armut, Tod, Verlust, Schmerz. Insofern hat unsere Kinder-Philosophie-Arbeit im Rahmen hospizlicher Praxis gerade bei diesen Fragen angesetzt ohne Scheu vor der „philosophischen Fachdisziplin“, von der die jungen Menschen entweder gar nichts wussten oder eher abgeschreckt waren.
Diese philosophische Arbeit leitet sich ja bekanntlich von den Gesprächen auf dem Marktplatz im antiken Griechenland her und verwendet insofern Teile der sokratischen „Hebammenmethode“, also eine Art Geburtshilfe für die „richtige“ Einsicht. Der antike Marktplatz hatte bekanntlich zwei Funktionen: Verkaufsplatz und Platz des öffentlichen Lebens einschl. des Diskurses; hier nahmen die „Stadtkultur“, also die „Politik“ (griech.: politeia = Stadt) und die Demokartie (griech.: demos = Volk) ihren Ausgang. Philosophie (griech.: philia + sophia = Liebe zur Weisheit) folgt den „Kategorien“ (griech.: kat-agora = auf dem Markt) einer Sache bzw. eines Gedankens. So verbinden sich Leib (Nahrungsmittelverkauf) und Seele (philosophisches Erörtern) zu einem Ganzen. Ein wichtiger Baustein ist das „Argument“ (lat.: arguere = erhellen, verdeutlichen). Eine Aussage wird vor allem dann zum Argument, wenn sie nicht nur von mir, sondern auch von anderen Menschen geteilt wird, also vielleicht auch von sogn. „bedeutenden“ Philosophen, deren Texte wir hinzuziehen können. Letztlich ist die treibende Energie dieser Philosophie die „Neugier“, die Lust, zu „anderem Denken“ aufzubrechen.
Grundlagen solch philosophischer Arbeit sind die Offenheit und eingeübte Toleranz sowie die Eröffnung des philosophischen Fragens für Ungeübte und für Gruppen unterschiedlicher Voraussetzungen. Die Themen sind keine abstrakten und „akademischen“ Fragestellungen, sondern solche der Lebensphilosophie und des „gelebten Augenblicks“. Z.B. haben wir neben der Hospizarbeit an Themen gearbeitet wie: Über die Dummheit / Kann auch das Böse gut sein? / Hoffnungen unserer Zeit / Wann endet die Zeit? / Was ist Liebe? / Was ist Heimat? / Wie viel Natur brauchen wir? / Vom Sinn des Leidens / Vom Sinn und Unsinn des Sinns / Wie sprechen unsere Gedanken?
Voraussetzungen solch philosophischer Arbeit sind: eine offene Atmosphäre, bei der sich die Teilnehmenden wohlfühlen, Gemütlichkeit und Gelassenheit (vielleicht mit Essen + Trinken), eine kommunikative Sitz-Ordnung (Hufeisen, Gruppentische, Sitzen auf dem Boden, Umhergehen). Sinnvoll wäre für die Atmosphäre möglichst eine Abstimmung und Beteiligung der Teilnehmenden.
Sehr wichtig ist die qualifizierte Moderation: Vereinbarung von Gesprächsregeln; evtl. Sammeln von Gesprächsthemen; Kompetenzen in der Gesprächsführung und „philosophisches Rüstzeug“; Zwischen- und Schlusszusammenfassungen. Moderatoren müssen sich selbst zurücknehmen, damit die Teilnehmenden aus sich kommen können; sie sind „Geburtshelfer“, soll heißen, sie helfen einer Aussage / einem Gedanken, das Licht der Welt zu erblicken.
Diese Philosophie stand bei uns in Wechselbeziehung zur Poetik; Philosophie und Poetik können einander ergänzen, ohne ihre Selbständigkeit zu verlieren. Die Poetik als Lehre von der „verdichteten“ Sprache ist als Teil der Philosophie, also der „Weisheitsliebe“, nämlich als Ästhetik zu betrachten, indem sie sich mit Wirkung, Wert, Aufgabe, Funktion und Ausdrucksmitteln der Sprache und Dichtung befasst; Gegenstände der Poetik sind alle Formen der Poesie, also Drama, Epos und ganz besonders Lyrik, wobei letztere vor allem den gesanglichen Teil („zur Lyra passend“) bezeichnet.
Als Beitrag zur Lebens-Kunst für Kinder und Jugendliche kann das „er-finden“ heilsamer Worte gelten. Eigentlich braucht man dafür mehrere Stunden, wobei selbstverständlich Unterbrechungen notwendig sind: ca. nach 30 Minuten ein Methodenwechsel; ca. nach einer Stunde eine längere Unterbrechung von einer Stunde bzw. mehreren Tagen. Aber warum ausgerechnet Gedichte? Gedichte sind entweder kleine Texte, die ich lese, weil sie mir gefallen, oder die etwas mit meiner Person zu tun haben, und durch die ich auf diese Art mehr von mir selbst erfahre als z.B. über den Lebenslauf oder den Personalausweis, welche ja auch irgendwie geschriebene Texte sind. Lebens-Kunst verspricht ein Tun, das uns einerseits hilft, zu leben, andererseits aber auch beim Überleben behilflich wäre, falls wir tatsächlich etwas bzw. ein Ereignis überleben wollen. Eine solche Kunst verspricht eine neue, andere Kraft in Zeiten nachlassender Kräfte. Die Herkunft des Wortes „Kunst“ ist letztlich nicht abschließend geklärt. Zumeist wird es abgeleitet von „können“, was so viel bedeutet, dass ein Wissen vermittelt wird, das schließlich in eine Fähigkeit mündet. Aber dann könnte es auch von „kennen“ abgeleitet werden. Man muss eben zuerst etwas kennen lernen, um es dann beherrschen zu können. Schließlich münden beide Herleitungen in der „Kunde“ zusammen, was zugleich ein „erkunden“ und ein „verkünden“ begründen würde.
Genau dies kommt Kindern und Jugendlichen sehr entgegen, welche zuerst gerne auf eine Erkundungstour (Schatzsuche) gehen möchten, bevor sie abfragbares Wissen und umsetzbares Können entwickeln. Die Fragen der Philosophie und die Gestaltungskräfte der Poesie holen die jungen Menschen dort ab, wo sich ihre Forscher- und Experimentierfreude gerade befinden.
So halten wir es mit der Poesie als „Dichtkunst“. Wollen wir den Kindern und Jugendlichen helfen, auf ihrer Suche das Gefundene mit angenehmen und brauchbaren Worten auszudrücken, so bietet sich ihnen das poetische, lyrische Tun. Also sollten sie etwas Neues „kennen“ lernen, damit sie dann etwas „können“, was sie „kundig“ verborgene Schätze heben lässt, damit sie anderen Menschen davon berichten und von dem Erlebten „Kunde“ geben; sollten sie dabei eine Wahrheit bei sich selbst oder auch allgemeingültig entdeckt haben, so sei ihnen erlaubt, dies auch zu „verkünden“, womit wir dann wieder beim poetischen Tun angelangt wären. Wir suchen nach „Worten“, nicht nur nach Wörtern.
Was aber ist nun Kinderphilosophie-Arbeit? „Philosophieren mit Kindern“ wird in Schulen oft als Ersatzfach für den Religionsunterricht (RU) oder als Wahlpflichtfach angeboten, allerdings zumeist erst ab Sekundarstufe I. Somit stehen Religions- und Philosophieunterricht häufig in Konkurrenz zueinander. Tatsächlich lassen Gegenstände und Methoden des RU Parallelen zum Philosophieunterricht erkennen. Aber „Philosophieren mit Kindern“ als methodisches Prinzip und Querschnittsaufgabe sollte eigentlich jedes Schulfach ab der Primarstufe und sogar die Zeit der Vorschule und des Außerschulischen prägen, denn in jeder pädagogischen Situation können Fragen entstehen, denen philosophisch begegnet werden sollte und auch begegnet werden kann.
Philosophie heißt immer Fragen nach Bedeutungen, nach Gründen und nach Folgen: „Was ist? Warum ist? Was wäre wenn?“, und Philosophieren heißt zugleich Antworten sowie die gefundenen Antworten begründen. Weil beides – Fragen und Antworten – zusammengehört, ist Philosophieren immer ein „Dialog“ und zugleich „Dialektik“. Dieser Dialog ist zudem immer rational und reflexiv. Philosophieren mit Kindern heißt deshalb auch, gemeinsam der Bedeutung von Wörtern und Worten nachforschen, gemeinsam nach Gründen fragen, warum etwas ist, wie es ist, und gemeinsam die Folgen von Handlungen und Sachverhalten erwägen und abwägen. Die Antworten müssen rational einsichtig bzw. einsehbar sein. Wir nennen dies deshalb „Rationalität“. Außerdem muss es möglich sein, über die Art des jeweiligen Antwortgebens Rechenschaft abzulegen. Wir nennen dies „Reflexivität“.
Die wichtigste Aufgabe der Kinderphilosophie besteht also darin, Rationalität und Reflexivität, Neugierde und Wissensdurst zu nutzen bzw. anzuregen. Kinder fragen gerne nach; diese Fähigkeit muss geweckt bzw. gefördert werden. Dazu gehört die Fähigkeit des Entdeckens und selbständigen Denkens. Antworten sollen selbständig gefunden und Meinungen begründet werden. Außerdem fördert der Gruppenkontakt in einer philosophischen Diskutier- und Gesprächsgruppe das Problemverständnis, die Urteils- und Artikulationsfähigkeit, sowie die Toleranz gegenüber den jeweils anderen bzw. abweichenden Meinungen.
Wir beginnen bei eigenen Ideen und Neigungen der jungen Menschen und hören die philosophische Dimension ihrer Fragen, welche von Erwachsenen und von der Schule oft nicht beachtet werden. Dazu brauchen wir hauptsächlich philosophische Geschichten, die sich mit den alltäglichen Lebenssituationen und Problemen der Kinder befassen. Diese „Geschichten“ aller Art sind wesentliche Hilfsmittel der philosophischen Arbeit.
Wozu dient demnach eine philosophische Praxis mit Kindern? Dazu einige wichtige und begründete Erwartungen:
1. Potentielle Unterstützung bei der Bewältigung grundlegender Fragen während der Entwicklung, z.B. schwierige existentielle Themen. Selbstverständlich müssen die Entwicklungsstufen beachtet werden, z.B. das „Nichtwissen“ der Endgültigkeit des Todes vor dem 6./7. Lebensjahr und der damit zusammenhängende Unterschied zwischen Unausweichlichkeit des Todes und Endgültigkeit oder zwischen Verlust und Trennung etc.
2. Philosophisches Selbstdenken ist ein wesentliches Mittel, um wechselseitigen Respekt, Offenheit und Toleranz zu fördern. Ohne gelerntes „Selbstdenken“ entstehen kaum Respekt vor dem Wissen, Denken und Fühlen anderer, Offenheit für das Andersdenken und Toleranz gegenüber Kritik und negative Bewertungen.
3. Schulung des eigenen, selbständigen, kritischen Denkens.
4. Kinder erleben Freude, Dinge selbst zu entdecken und mit Anderen gemeinsam Fragen aufzuwerfen und Lösungen zu finden.
5. Das Philosophieren steigert das „Selbstwertgefühl“ und hebt die Selbstachtung. In der Gruppe kann erlebt werden, dass das eigene Denken von anderen als wertvoll erachtet wird.
6. Es trägt dazu bei, die Sicht für das Ganze wieder zu gewinnen, die durch das Fächerdenken in Schule und anderen Bildungsinstanzen weitgehend verloren gegangen ist, wo ausschließlich in Sparten gedacht wird: Mathematik, Deutsch, Kunst, Erdkunde. Philosophie trainiert das Denken des Sowohl-Als-Auch und hilft über die Unerträglichkeit des Entweder-Oder hinweg.
7. Es kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um ein Demokratieverständnis aufzubauen. Demokratie als das Akzeptieren des Andersseins ist auch für das Begreifen von Behinderung, Krankheit, Totsein usw. wichtig.
8. Das Philosophieren über ethische Fragen kann Orientierungshilfe bieten. So entsteht beispielsweise vielleicht ein Bejahen von Sterbe- und Behindertenbegleitung, Nicht-Allein-Lassen usw. Jugendliche brauchen Stärke, sich das Mögliche auch zuzumuten.
9. Interesse, Freude und Lust der Kinder am Philosophieren sind zugleich Interesse, Freude und Lust am Leben, evtl. sogar an einem Leben mit schwerer Krankheit oder mit einem erlebten Verlust.
10. Schulung logischer Fähigkeiten: Argumentation, Urteilsvermögen.
Als wichtigste Regel bei der Philosophie mit Kindern und Jugendlichen sollte gelten, dass sie nur mit möglichst großer Freiheit und sehr individuell stattfinden kann. Dazu gehört es, dass wir die Kinder und Jugendlichen eigene Regeln entwickeln lassen; sonst besteht die Gefahr, dass sie die Freude am Selbstdenken und an geübter Nachdenklichkeit verlieren. Allerdings brauchen sie auch Vorschläge für solche Regeln, da es dafür keine Selbstverständlichkeit gibt.
Weitere Regeln könnten sein: Kinder von erlebten Situationen erzählen lassen / Wortfelduntersuchungen bzw. Wortfeldbesprechungen durchführen / Möglichst immer ganze Sätze bilden / Aussagen immer begründen lassen / Kinder können der Begründung zustimmen oder eine Gegenposition formulieren / Bei Gegenpositionen: Argumente neu durchdenken und „Belege“ suchen bzw. finden / Kinder sollen eigene Ideen zum vereinbarten Thema entwickeln / Trainer, Lehrer, Gedanken-Moderatoren geben nur Hilfestellung / Den Ausgang der Diskussion meist offen lassen / Ein Vorbereitungsgespräch führen, z.B.: Welches philosophische Thema soll uns heute beschäftigen? / Beim philosophischen Gespräch: Begriffsklärungen, Argumentationen, Statements suchen / Ein Meta-Gespräch führen: Verständigung über die beschrittenen Kommunikationswege und die aufgetretenen zwischenmenschlichen Probleme.
Gedankenexperimente werden von Kindern und Jugendlichen sehr geschätzt z.B.: Was wäre wenn? / Was wäre wenn nicht? / Gedanken kombinieren / Den fremden Blick üben: Betrachten des Geschehenen, einer Aussage, einer Feststellung durch fremde Augen, z.B. Betrachtung als Außerirdischer, als Tier, als Besucher aus einem fremden Land / Gedankenketten herstellen.
Grundmethoden philosophischer Arbeit mit Kindern sind das Gespräch, das Schreiben und das Lesen, welche allesamt kognitive Methoden darstellen, die dennoch oder gerade deshalb eine kreative Umsetzung verlangen. Einige dieser kreativen Methoden seien kurz vorgestellt: Das Brainstorming ist eine Kreativitätsmethode, die schriftlich wie auch mündlich umzusetzen ist. Das Grundprinzip ist, innerhalb einer vorher festgelegten Zeit alle Vorschläge und Assoziationen einer Gruppe, zu einem Thema zu sammeln, ohne diese zu kommentieren, zu bewerten oder zu diskutieren. / Methodisch werden Bilder oftmals als Impuls eingesetzt, weil sie eine Geschichte oder ein Problem anschaulich machen. Sie führen möglicherweise unmittelbar in eine Fragestellung. Allerdings müssen diese Bilder sorgfältig ausgewählt werden. / Schon in der Antike waren Rätsel ein Medium des Philosophierens. Sie ermöglichen es, bekannte Dinge neu zu betrachten und auf oft übersehene Aspekte zurückzugreifen. Rätsel schulen das abstrakte Denkvermögen und die Fähigkeit, Probleme zu lösen.
Die Methode des Mind-Mapping dient der Strukturierung von Informationen. Anhand einer „Wörtersonne“ können um einen zentralen Begriff herum die untergeordneten Begriffe und Assoziationen wie „Sonnenstrahlen“ notiert werden. Es ist vergleichbar mit Formen der sogn. Clusterbildung. / Beim Sokratischen Gespräch entwickeln Kinder eigene Ideen zu einem Thema; der Moderator gibt nur Hilfestellung; der Ausgang des Gesprächs bleibt offen. Die Zwischenimpulse der Gesprächsleiter dienen der „Geburtshilfe“ für neue Gedanken. / In der Beispielleiter wird schrittweise von einem abstrakten Begriff zu einem konkreten Beispiel übergegangen. Dieses wird in einer Stufenfolge dargestellt. Der Ausgang ist ein zu erörternder Begriff und das Ziel ist ein konkretes Beispiel. / Philosophische Geschichten werden vorrangig in philosophisch didaktischer Absicht erzählt werden (Erzählungen von M. Lipman oder Romane von J. Gaarder). Ihnen geht es um eine kindgerechte Einführung in die Logik oder um philosophisch geschichtliche Positionen in für Kinder und Jugendliche altersgemäß verständlicher Weise. / In vielen Märchen, Fabeln und Gleichnissen sind auch philosophische, nicht nur moralische Fragestellungen verborgen (z.B. „Glück“, „Liebe“, „Hoffnung“ usw.). / Dilemma- und Konfliktgeschichten lassen sich als Diskussionsgrundlage verwenden. Die Grundstruktur der Geschichten ist, dass eine Person ein moralisches Problem nur durch eine eigentlich moralisch disqualifizierte Handlung lösen kann (z.B. einem Menschen durch den Diebstahl eines Medikamentes das Leben retten). Die Geschichten lassen sich als Diskussionsgrundlage verwenden. Es geht hierbei nicht um die Lösung eines Problems, sondern um die Art der Begründung für oder gegen eine Handlungsoption. / Dialog- und Rollenspiele ermöglichen einerseits das Sich-Eindenken in fremde Rollen und üben andererseits spielerisch-distanziertes Gesprächsverhalten. Rollenspiele haben einen starken inszenatorischen Charakter, während sich Dialogspiele mehr auf das Gesprächsverhalten fokussieren lassen. Hierdurch können Kinder philosophische, spirituelle, grundsätzliche Auseinandersetzungen mit Lehrern, Eltern, Freunden usw. untereinander darstellen.
Abschließend seien noch einige wichtige Punkte benannt, auf die bei den Projekten besonders geachtet werden sollte bzw. worden ist.
Da sind vor allem die Eingangsimpulse: Hier scheinen Zitate besondere Chancen zu haben. Z.B. wurde ein Projekt nur an dem einen Satz „Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen“ durchgeführt. Andere Eingangsimpulse mit erfolgversprechender Wirkung bestehen im Selbst-Schreiben von „Elfchen“ oder in Eingangsgeschichten. Diese sind natürlich für Kinder und Jugendliche nahe liegend, aber auch bei Erwachsenen lässt sich gut mit kurzen Geschichten arbeiten.
Da ist weiterhin die Bedeutung der richtigen Moderation: Durch die Moderation wird auf die Einhaltung der Regeln geachtet. Das bedeutet ggf., dass sich die moderierende Person zumeist nicht in das Gespräch selbst inhaltlich einbringen sollte. Die „Autorität“ der Moderation könnte geschmälert werden, wenn zu aktiv ins Gespräch eingegriffen wird. Anders ist wohl der Einsatz von „Impulsen“ zu sehen, deren Qualität jedoch auch an ihrer Art (Zitate, Fragen, Geschichten etc.) und an ihrer vorsichtigen Nutzung hängt. Zu viele Impulse könnten das Gespräch scheinbar oder wirklich eher „lenken“, was dem Gesprächsgegenstand abträglich wäre.
Besondere Schwierigkeiten bereitet die Wahl der Themen. Wir unterscheiden zwischen offenen Cafégesprächen und einer Themenzentrierung. Außerdem ist ein Unterschied zu sehen, je nachdem, ob das Thema vorgegeben wird, wozu dann die teilnehmenden Beiträge vorbereiten können, oder ob die Thematik „entsteht“.
Eine weitere Hürde stellt die Wahl der richtigen Gruppe und die Zusammensetzung der Gruppe dar. Einander bekannte Menschen schaffen Sicherheit, Offenheit und Nähe; aber sie erschweren auch die Abstraktion und Distanziertheit. Nicht so wichtig ist die Altershomogenität; altersgemischte Gruppen haben sich als kreativer herausgestellt. Zudem ist die Moderation und Einhaltung der Regeln eher in einer einander unbekannten Gruppe durchzuhalten.
Sehr zu achten ist auf ein Zuviel an Fragen und Impulsen. Philosophisch-poetische Arbeit darf nicht im Abfragen ausgewählter Fragen stecken bleiben. Andererseits gibt es die Gefahr, dass Vorbereitungen aus den Quellen der Geschichte der Philosophie zum Zwang führen, die Teilnehmenden mit immer mehr Zitaten und Anregungen zu „bombardieren“ (Impulskumulation). Ziel bleibt eine weitgehende Ergebnisoffenheit in den Grenzen der Grundwerte, also dem „normativen Rahmen“, sowie ein Austausch von Argumenten, Erfahrungen, Stellungnahmen und Nachdenklichkeiten. Alles, was dem „Staunen“ entgegen läuft, hat beim philosophischen Beisammensein mit Kindern (und Jugendlichen) keinen Platz.

(c) Franco Rest

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