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Pro und contra: Dürfen Schweine genetisch verändert werden, um als Spender für Organtransplantationen dienen zu können?

Veröffentlicht am 25. November 2013

Pro: Heiner Niemann

Durch die Transplantation humaner Herzen, Lebern oder Nieren kann das Überleben der Empfänger heute um acht bis zwölf Jahre verlängert werden. Weltweit verdanken mehr als 250.000 Menschen ihr Leben einer Organspende. In den meisten Industrieländern klafft eine große Lücke zwischen der Anzahl verfügbarer, geeigneter Spenderorgane und der Anzahl benötigter Transplantate. In Deutschland versterben täglich drei Patienten auf der Warteliste, die durch rechtzeitige Bereitstellung eines geeigneten Organs gerettet werden könnten. Um diese Lücke zu schließen, sollen Schweine genetisch so verändert werden, dass ihre Organe nicht mehr durch den menschlichen Empfänger abgestoßen werden.

Das Schwein wird als bevorzugte Spenderspezies für Xenotransplantate angesehen, da es eine domestizierte Spezies mit hoher Fruchtbarkeit ist, die Tiere in Genetik, Anatomie und Physiologie dem Menschen ähneln und biotechnologische Verfahren zur Steuerung der Reproduktion und zur Modifikation des Genoms weit entwickelt sind. In Deutschland werden jährlich ca. 48 Millionen Schweine für den Verzehr geschlachtet; bei klinischer Anwendung der Xenotransplantation wird mit maximal 4000 bis 6000 transgenen Schweinen gerechnet. Das potenzielle Übertragungsrisiko pathogener Viren auf den Menschen wird heute als beherrschbar angesehen. Schweine können unter keimfreien Bedingungen gehalten werden und bleiben frei von einer großen Anzahl viraler, bakterieller und parasitärer Erreger. Die Verwendung tierischer Zellen, Gewebe oder Hormone in menschlichen Patienten hat eine lange und erfolgreiche Tradition, wie die Verwendung von Schweineinsulin zur Behandlung von Diabetes, die Verwendung porciner Herzklappen oder von Schweinehaut bei Verbrennungen eindrucksvoll beweisen.

Für eine dauerhafte Funktion porciner Organe im humanen Empfänger sind genetische Veränderungen im Schweinegenom notwendig, um die auftretenden Abstoßungsreaktionen zu unterdrücken. Dies gelingt bereits heute mit sicheren Verfahren z.B. durch Elimination der als fremd erkannten (antigenen) Zuckermoleküle auf der Oberfläche des Schweineorgans. Nach der Transplantation transgener Schweineherzen oder -nieren in Primaten konnten maximale Überlebensraten von bis zu 236 Tagen erreicht werden. In klinischen Versuchen wird bereits die Transplantation porciner Inselzellen als Therapie an Diabetespatienten erprobt.

Die katholische und evangelische Kirche, das Judentum und der Islam haben keine grundsätzlichen ethischen Bedenken gegen die Xenotransplantation geäußert, sondern die Notwendigkeit zur Rettung menschlichen Lebens ausdrücklich anerkannt. Die Verfügbarkeit geeigneter porciner Xenotransplantate könnte zur Lösung des Allokationsproblems beitragen, eine bessere Planung der Transplantation durch Synchronisation mit der Organentnahme ermöglichen, den internationalen Organhandel beenden sowie Probleme, die mit der Organentnahme aus einem Spender im Zusammenhang mit der Feststellung des Hirntodes verbunden sind, überwinden. Deshalb ist die Verwendung genetisch veränderter Schweine als Spender von Xenotransplantaten zum Wohle der Patienten gerechtfertigt.

Heiner Niemann ist Professor für Reproduktionsmedizin und Leiter des Instituts für Nutztiergenetik (FLI) in Mariensee/Neustadt.

Contra: Arianna Ferrari

Schweine sind sensible, intelligente Wesen, die in komplexen Beziehungen zusammenleben. Sie erkennen ihr Spiegelbild und entwickeln enge Mutter-Tochter-Bindungen. In der Xenotransplantationsforschung müssen gentechnisch veränderte Schweine eingesperrt leben, weil ihr Immunsystem geschwächt ist und sie als teure experimentelle Modelle gelten. Sie werden auch über weite Strecken mit dem Flugzeug transportiert, da der internationale Schweinezuchtmarkt blüht. Ihre gentechnisch veränderten Zellen, Gewebe oder Organe werden an Affen (meistens Paviane) transplantiert, die vorher ebenfalls immunologisch behandelt worden sind. Zur Erforschung der Mechanismen der Kompatibilität, der Regulierung des Immunsystems oder zum Testen von Immunsuppressiva werden in der Regel Millionen gentechnisch veränderter Mäuse verwendet. Das Leben all dieser Tiere ist extrem kurz (die Sterblichkeitsrate ist hoch) und mit viel Leid verbunden. Die Haltung ist weit davon entfernt, den Tieren die Ausübung ihrer Bedürfnisse zu ermöglichen. Außerdem ist die gentechnische Veränderung eine ineffiziente Methode (geringe Erfolgsquote), die mit der Tötung bzw. Nutzung anderer Tiere (Zwischengenerationen, „falsch“ veränderter Tiere usw.) in Verbindung steht.

Schweine dürfen nicht als „Spender“ betrachtet werden. Sie treten nicht willentlich in diese Abhängigkeitsverhältnisse ein und haben selbst keine Vorteile davon (ebenso wenig wie ihre Artgenossen). Das Konzept des Spenders basiert auf einer freiwilligen Handlung, und es ist evident, dass hiervon in diesem Kontext keine Rede sein kann.

Die Ausrichtung der experimentellen Forschung ist eine Frage der Forschungspolitik: Je mehr über Transplantationen von Organen gentechnisch veränderter Schweine und porcine endogene Retroviren geforscht wird, desto mehr Erkenntnisse darüber können gewonnen werden. Aber umso weniger finanzielle Ressourcen bleiben für andere Forschungszweige, wie Präventionen von Krankheiten, andere Heilmethoden (u.a. Stammzellforschung und tissue engineering) oder Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz von menschlichen Transplantationen (man denke an die Diskrepanz zwischen Zustimmungsrate und Melderate und das Fehlen eines bundesweiten Melderegisters).

Die Hoffnungen der Wissenschaft in die Xenotransplantation steigen; dagegen hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Technikfolgenabschätzung deutlich abgenommen. Das ist nicht nachvollziehbar. Xenotransplantation stellt eine echte Herausforderung nicht nur für Tierrechte, sondern auch für Menschenrechte dar, was den Schutz der öffentlichen Gesundheit und die Privatsphäre betrifft: Retroviren können Pandemien auslösen und deswegen erscheint ein Langzeit-Monitoring der Patient_innen zur Minimierung der Übertragung von Viren notwendig.

Wir brauchen eine andere Medizin, die Krankheiten anders erforscht und nicht Bibliotheken mit Grunderkenntnissen über die molekularen Mechanismen von Retroviren lebenslang eingesperrter Schweine und immunsupprimierter Paviane füllt. Wir brauchen eine Forschung, die nicht auf Kosten Millionen leidensfähiger Wesen geht und deren Bedürfnisse und Rechte systematisch verletzt.

Arianna Ferrari ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie.

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1 Kommentar

  1. Mir scheint, dass dem Kommentar der Frau Ferrari nichts hinzuzufügen ist; wie kann man als Christ den Frevel an der armen Kreatur, den Tieren, ohne Protest hinnehmen?Worauf hofft man dann noch als Mensch?

Beitragsthemen: Ethik | Medizin | Technik

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