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Die abgesagte Katastrophe –Kritische Randnotizen zum EINEWELT Zukunftsforum

Veröffentlicht am 8. Dezember 2014

Nichts weniger als die Zukunft der globalen Gesellschaft war das Thema des am 24. November 2014 in Berlin ausgerichteten „EINEWELT Zukunftsforums„. Eingeladen hatte das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), um den Abschluss des Dialogprozesses, der Anfang 2014 gemeinsam mit zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, Vereinen und Initiativen gestartet worden war, mit der Übergabe der daraus entstandenen „EINEWELT Zukunftscharta“ an die Bundeskanzlerin zu begehen. Eingerahmt von „Zukunftsslams“ und „Erlebnisinseln“, in denen die verschiedenen Akteure sich und ihre Projekte vorstellen konnten, präsentierte sich eine durchweg zufriedene Bundesregierung. Die insgeheim ausgegebene Losung der Veranstaltung dürfte jedoch „Alles unter Kontrolle, keine Panik“ gelautet haben. Welthunger, Armut und Klimawandel wurden zu einer rein technologischen Herausforderung stilisiert, die im Rahmen des bestehenden Systems bewältigt werden kann. Die Logik des Wachstums wird mit dem Stichwort Nachhaltigkeit indiziert. Das beruhigt und schont die Nerven: Wir müssen nicht uns ändern. Jedenfalls nicht radikal. Wir bauen energieeffiziente Häuser und höhere Deiche. Wir kaufen fair gehandelten Kaffee und trinken Wasser aus der Leitung statt aus Plastikflaschen.  Der notwendige radikalere Kulturwandel wird vertagt.

Immerhin sind viele wichtige Punkte inzwischen unstrittige Gemeinplätze: die Tatsache, dass der Klimawandel anthropogen ist, dass Maßnahmen nicht länger herausgezögert werden dürfen, sondern umgehend umgesetzt werden müssen, dass auch in der globalen Perspektive die lokalen Akteure zu Gehör kommen müssen. Es ist nicht länger ein reicher, entwickelter globaler Norden, der seine – natürlich als universal verstandene – Sicht dem unterentwickelten armen Süden beibringen muss, um das weltweite Gemeinwohl zu fördern. Es wird nach spezifischen Lösungen für spezifische Problemstellungen gesucht, lokales Wissen als Ressource genutzt. Zugleich werden multilaterale Abkommen angestrebt, die die globalisierten Finanz- und Warenströme  einhegen sollen. So wurde denn auch mehrfach die Verabschiedung der Rede von „Erster“ und „Dritter Welt“ gefordert. (Und nicht zuletzt durch die Wortneuschöpfung EINEWELT in Rede und Schrift auch praktiziert.)

Ein Blick in die Zukunftscharta erhärtet jedoch den Verdacht, dass eine gewisse Spannung bis hin zur kognitiven Dissonanz zu diagnostizieren ist: Das Wissen, dass es so nicht weiter gehen kann, ringt mit dem Wunsch, es möge so weiter gehen. Dieser Widerspruch ist bereits in die Ausgangsfrage, die den Dialogprozess einleitete, deutlich eingebaut: „Wie können wir eine Zukunft gestalten, die verantwortliches Handeln ermöglicht und uns gleichzeitig nicht in unserem Leben einschränkt?“[1] Unser Lebensniveau ist die heilige Kuh, die nicht angerührt werden darf. Dabei wird nicht einmal geleugnet, dass die globalen Ressourcen eben dieses Niveau nicht für alle ihre Bewohner hergeben, sondern dafür „mehrere Planeten Erde“[2] von Nöten wären. Es ist nicht so, als benenne die Charta nicht die wichtigsten Herausforderungen im dritten Jahrtausend. Sie identifiziert drängende Problemstellungen und Handlungsfelder. Sie beschreibt auch die Ausgangslagen, die teils bedrohlich, teils deprimierend sind: Armut, die Folgen des Klimawandels, gewaltsame Konflikte, unzureichende Gesundheitsversorgung, mangelnde Bildungsmöglichkeiten, Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, instabile Staaten. Allein die präsentierte Lösung erweckt den Eindruck, als verschließe man die Augen vor der selbstgestellten Diagnose. Die Forderung nach nachhaltigem Wirtschaftswachstum und ökologischem Konsum enthält das Versprechen, dass keine Einschränkung, allenfalls eine Modifikation, unserer Lebensweise erforderlich ist. Der Ruf nach mehr und verbesserter internationaler Zusammenarbeit verhallt, solange zwar Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft als potentielle Akteure benannt, aber keinerlei konkrete Angaben oder konkrete Verpflichtungen festgesetzt werden. Insofern ist auch fraglich, wie die Charta die ihr zugedachte Rolle als Referenzpapier des BMZ erfüllen soll.

„No future“, das war gestern. Die Katastrophe wurde abgesagt. Das ist strategisch einzusehen: Im Angesicht der Katastrophe verfällt es sich allzu leicht in Defätismus. Die Rede von der Katastrophe kann paralysieren statt wachrütteln. Gleichwohl ist zu bezweifeln, dass sich die großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ohne Katastrophenbewusstsein meistern lassen. Ein bisschen mehr Mut zur Radikalität, zum Experiment könnte verhindern, sich allzu wohlig am Fairtrade-Adventskaffeetisch einzurichten.

Was könnte es heißen, eine solche fruchtbare, eine kreative Haltung zu entwickeln und einzunehmen? Voraussetzung dafür ist zunächst die Anerkennung der drohenden Katastrophe und die grundsätzliche, schonungslose Auseinandersetzung damit, was es heißt, in der globalisierten Welt zu leben – und auf der „Sonnenseite“ zu stehen. Die vielbeschworene Verantwortung für eine gerechte Welt besteht auch darin, die Benachteiligten und Marginalisierten der Weltgesellschaft nicht als Opfer eines blinden Mechanismus zu sehen, der quasi als Naturkatastrophe schicksalhaft über sie gekommen ist. Als solche wären sie lediglich zu bedauern. Die eigene Verantwortlichkeit an der Erzeugung des Status quo wird damit jedoch ausgeblendet. Eine Reflexion auf diese Rolle scheint unerlässlich, um die Problemlage in allen Aspekten zu erfassen.

Darüber hinaus braucht es die Bereitschaft, die Dinge grundlegend anders zu denken. Das erfordert eine gewisse geistige Flexibilität und Offenheit. Eine solche Haltung äußert sich auch in einer Begeisterung für neue Wege, so wie sie gerade bei vielen der Projekte auf dem Zukunftsforum zu erleben war, die von Kindern und Jugendlichen getragen werden. Änderungen sind dann kein zähneknirschendes Zugeständnis, sondern im besten Sinne Bejahung der Realität.

Für die Generation des Umbruchs wird es zweifellos aber auch schmerzhaft sein, sich von liebgewordenen Bequemlichkeiten zu verabschieden. Nur durch die Erweiterung der Sicht nicht nur um die (synchrone) globale Perspektive, sondern auch um die (diachrone) Dimension zukünftiger Generationen kann dieser Prozess vermittelt, für ihn geworben werden. Dafür müssen die in der Charta als bislang vernachlässigt angesprochenen kulturellen Herausforderungen[3], die Frage der Transformation der Gesellschaft, einem echten Kulturwandel erst noch auf die Agenda gebracht werden. Es könnte damit beginnen, dass wir andere Fragen stellen als die, wie wir unser Lebensniveau halten können, denn alle denkbaren Antworten verbleiben in der alten Logik. Die Etablierung des Begriffs des „guten Lebens“[4] z.B. könnte zu einer Rekonzeptualisierung dessen führen, was wir unter Entwicklung und einer erfolgreichen Gesellschaft verstehen.

Als Kurzformel für das, was fehlt, mag das Prophetische eingesetzt werden: eine Perspektive, die die Katastrophe klar im Blick hat und als solche für andere wahrnehmbar macht. Diese Perspektive hält der Gesellschaft den Spiegel vor, sie reflektiert sie. Sie beunruhigt und irritiert den Status quo, in dem sie ein „Weiter so“ als Unmöglichkeit konstatiert. Zugleich birgt sie die Vision einer besseren Zukunft, ein utopisches Element, und hält die Möglichkeit einer anderen Welt vor Augen. Dazwischen steht die radikale Umkehr, ein Bruch, ein Paradigmenwechsel. Eine sanfte Umbettung unseres Luxus unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit ist keine Option.


[1] https://www.zukunftscharta.de/zukunftscharta/de/home/informieren
[2] Zukunftscharta, S. 19.
[3] Zukunftscharta, S. 43.
[4] Einführend dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Sumak_kawsay. Die Charta deutet dies an zwei Stellen an, vgl. S. 19 und S. 26.

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4 Kommentare

  1. Menschen, in ihrer Substanz, was Fühlen und Denken und Handeln betrifft, sind meiner Meinung nach zutiefst philosophisch. Jeder Einzelne will denken und möchte handeln.
    Was für ein Chaos, würden Regierungen das zulassen!

  2. Ein inhaltlich und ästhetisch sehr wertvoller Beitrag mit der nötigen Portion Handlungsaufforderung. „Die Katastrophe wird einfach vertagt“, – dieser Satz gefällt bringt die Malaise der Umweltapokalypse inhaltlich am Besten auf den Punkt. Die Frage ist auch, mit welcher Methodik das Individuum dazu gebracht werden kann, seinen Lebensstandard aufzugeben. Griechische BürgerInnen mussten in der Eurokrise ihren Lebensstandard runterschrauben und es gab landesweite Proteste. Das lag sicherlich auch an ihrem Gefühl ungerecht behandelt zu werden, aber ich bezweifle, dass alle Menschen (im intersubjektiven Konsens?) angesichts der globalen Klimaveränderung zu einem umweltverträglichen Verhalten sich heruntersschrauben könnten. Spüren wir individuell einfach keine Verantwortung für ein kollektives Phänomen?

    Vielleicht braucht es eine positive Narration: nicht den ewigen Untergang der Natur beschwören, sondern die positiven Erffekte eines Lebens im Einklang mit der Natur freudig erzählen.

    • Das trifft genau die Achillesferse: Es fehlt an einer positiven Vision, die sich nicht in einem romantisierenden „back to nature“ erschöpft und genügend Attraktionskraft besitzt, die Transformation der Gesellschaft einzuleiten. Das Wachstumsnarrativ ist immer noch das verheißungsvollste, unter diesen Bedingungen können Forderungen nach Umstellungen ja schon beinahe nur Ablehung hervorrufen, da sie als empfindliche Einschränkungen wahrgenommen werden, als drohende Verluste (man erinnere sich an den „Veggie-Day“ als unglückliches Beispiel). Die Frage ist: Aus welcher Quelle kann diese Alternativerzählung kommen oder geschaffen werden?

      • Antwort: ich habe die Quelle der Alternativerzählung gefunden. Sie lautet: „Geschichten vom guten Umgang mit der Welt“ (2013) Der Futurzwei-Zukunftsalmanach von dem Hannoveraner Harald Welzer.
        Auf ihrer Webseite kann man schöne Geschichten über die Zukunft aufnehmen, es heißt „in die Zukunft hören“ http://www.futurzwei.org/.

        Abgesehen davon stelle ich immer gerne als Co-Autorin zur Verfügung, um die positiv erzählte Geschichte einer nachhaltigen Welt zu verfassen

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