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InDebate: Weltanschauliche Konflikte

Veröffentlicht am 29. Juli 2015

 

Oliver Wendell Holmes Jr. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AOliver_Wendell_Holmes_Jr_c1924.jpg

Oliver Wendell Holmes Jr. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AOliver_Wendell_Holmes_Jr_c1924.jpg

Da unsere Blogger*innen Urlaub machen, starten wird in der Rubrik „InDebate“ mit neuen Beiträgen erst wieder Ende August. In der Zwischenzeit würden wir uns freuen, wenn Ihr an dieser Stelle in die Diskussion zu den jeweiligen Themen einsteigt. Als Ausgangspunkt der Diskussion stellen wir ein kontroverses Zitat zur Debatte.

Das Thema der nächsten beiden Wochen sind weltanschauliche Konflikte. Unser Zitat hierzu stammt von dem ehemaligen Richter am US-Supreme Court Oliver Wendell Holmes Jr.:

„Zwischen zwei Gruppen von Menschen, die miteinander unvereinbare Welten schaffen wollen, sehe ich keine andere Abhilfe als Gewalt.“

Im englischen Original lautet das Zitat wie folgt:

„Between two groups of people who want to make inconsistent kinds of worlds, I see no remedy but force.“

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2 Kommentare

  1. Viele Verschiedenheiten können lokal nebeneinander existieren. Es gibt aber auch unterschiedliche Weltentwürfe, die sich auf die Welt als Ganzes beziehen, die strukturelle Unterschiede betreffen und insofern nur global, in Bezug auf die ganze Welt, eine ganze Gesellschaft, Nation etc. (sinnvoll) vorgenommen werden können. Wenn sich in diesem zweiten Sinne mehrere unvereinbare Weltentwürfe gegenüberstehen, dann kann nur einer von diesen verwirklicht werden. Der Liberalismus tut immer so scheinheilig als könne alles miteinander koexistieren, solange er nur selbst als Hintergrundform nicht angegriffen wird, solange also er selbst als der eigentlich globale Weltentwurf gilt – und so verhält sich eigentlich jeder globale Weltentwurf, er ermöglicht vor seinem Hintergrund eine gewisse Pluralität verschiedener Lebensformen (die natürlich nicht für jeden Hintergrund die gleiche sein muss), stellt sich aber in Bezug auf die Form oder den Hintergrund, vor dem die durch ihn strukturierte Vielfalt erscheint, als absolut dar.
    In einer von Konflikten durchsetzten und in sich gespaltenen Welt halte ich eine voreilige Absage an das fragmentierende Denken für falsch; es wird dadurch imaginär eine Harmonie suggeriert, die in Wirklichkeit nicht existiert. Eine solche scheinhafte Harmonie, welche die realen Widersprüche schlichtweg leugnet und im Denken verschleiert, trägt letztlich zum Fortbestehen dieser Widersprüche bei und bietet keine wirkliche Lösung, weil sie den in ihnen enthaltenen Konflikt nicht austrägt, sondern zu überdecken versucht. Konflikte aber, die weder ausgetragen noch gelöst, sondern bloß imaginär zum Verschwinden gebracht worden sind, rumoren unbewältigt weiter im Untergrund. All diese oberflächlichen Konfliktvermeidungsstrategien, welche irgendeine scheinhafte Harmonie suggerieren oder erzwingen wollen, welche auf der Grundlage von Herrschaft und widersprüchlicher Gestaltung der Gesellschaft von gemeinsamen Interessen der Herrschenden und Beherrschten faseln und damit den zentralen, die Herrschaft überwindenden Interessenkonflikt unterdrücken und die Beherrschten durch ideologische Indoktrination einer scheinheiligen Harmonie oder einer voreiligen Absage an das fragmentierende Denken (voreilig, weil die Fragmentierung, die Zerrissenheit des Bewusstseins aus der Zerrissenheit der Welt selbst zu erklären ist) daran hindern, ihn auszutragen – eben solche oberflächlichen Konfliktvermeidungsstrategien tragen letztlich dazu bei, die Herrschafts- und strukturellen Gewaltverhältnisse zu zementieren. Sich schon im Paradies der Harmonie zu wähnen, bevor man darin ist, ist der sicherste Weg, um nie dorthin zu gelangen. Und letztlich verdient keine Gesellschaft, selbst wenn alle gesellschaftlichen Antagonismen in ihr überwunden sind, einen solchen Namen. Andererseits führt die Inflation der Konfliktwahrnehmungen oder die Überbetonung aller möglichen Konflikte ebenso in die falsche Richtung, weil dadurch der wirkliche gesellschaftliche Antagonismus durch spalterische Bewegungen innerhalb verschiedenster kleiner Konfliktgruppen abgeschwächt und eingehegt wird. Somit ist sowohl eine Suggerierung scheinbarer gesellschaftlicher Harmonie als auch eine Ablenkung vom strukturellen Antagonismus, welche die Unsummen (u.a. durchaus wichtiger, aber in ihrer gebündelten Kraft wichtiger) (Schein-)Konflikte betont.

    Es bedarf zunächst nicht der Absage an fragmentierendes Denken bzw. dieser bedarf es natürlich auch, insbesondere in den ideologischen Staatsapparaten, vor allem der Bildungsindustrie, um Individuen zu produzieren, welche den Teufelskreis der Reproduktion des vom individuellen Denken relativ unabhängigen, strukturellen Antagonismus durchbrechen können. Damit aber dieses „Können“ von seiner bloßen Möglichkeit, sich in Wirklichkeit verwandeln kann, bedarf es des direkten Widerstands gegen eben das Ganze dieser Reproduktionsmaschinerie, in welche auch die widerständigen Individuen mehr oder weniger gut eingefügt werden, ohne irgendetwas an ihr ändern zu können, solange sich ihr Widerstand bloß gegen das gespaltene Bewusstsein von einer in sich gespaltenen Welt richtet und bloß individuell oder lokal stattfindet. Der wirksame Widerstand muss gebündelt und gegen den wirklichen, nicht nur im Denken vorhandenen, sich aber u.a. darin reproduzierenden, strukturellen Antagonismus gerichtet sein.

    Wenn also (1) von verschiedenen nur global zu verwirklichenden (oder unter gewissen Bedingungen aufeinander feindlich aufeinander Einfluss nehmende) Weltentwürfen die Rede ist (oder von Weltentwürfen, die z.B. eine zersetzende, zerstörerische, demütigende oder demütige, knechtische Wirkung gegenüber anderen Weltentwürfen haben) und (2) global betrachtet das Verhältnis zwischen diesen Gruppen ein verfestigtes Ungleichgewicht bzw. ein strukturelles Herrschaftsverhältnis ist – und dies scheinen mir die eigentlich interessanten Konflikte zu sein (ansonsten sind Koexistenz oder Diskussion als umfassende Lösungsstrategien denkbar, sofern keine Instrumentalisierung durch andere Konflikte stattfindet) -, dann kann eine wirkliche Abhilfe nur im organisierten Widerstand der unterdrückten Gruppe gegen die unterdrückende Gruppe bestehen. Dieser Konflikt wird natürlich von mühsamen Verhandlungen und temporären Kompromissen (und anderen Strategien der Verschiebung der Lösung und der temporären Milderung des Elends und der (Selbst-)Entwürdigung der dominierten Gruppe) getragen sein. Ob schließlich Gewalt ein Abhilfe schaffendes Mittel gegenüber der bestehenden strukturell aufgespeicherten Gewalt ist, hängt davon ab, (1) dass es sich einerseits nicht um individuelle, vereinzelte, sondern organisierte Gegengewalt handelt; (2) ob die Distanz zwischen unterdrückter und unterdrückender Gruppe groß genug (geworden) ist; (3) ob die Herrschenden zu Mitteln greifen, die (a) selbst Mittel struktureller oder gar physischer Gewaltanwendung sind, (b) die Distanz stark vergrößernde oder (c) die Solidarität der unterdrückten Gruppe stark abschwächende Mittel sind, also Mittel, gegenüber denen sich die unterdrückte Gruppe nur auf sehr eingeschränkte Weise mit nicht der strukturellen Gewalt zuwiderlaufender Gegengewalt verteidigen kann.
    Ob dies physische Gewaltanwendung sein muss oder nur etwas, das vom sich als neutral verstehenden Standpunkt der strukturellen Gewaltverhältnisse aus als „Gewalt“ erscheint (gegenüber der wiederum Anwendung struktureller Gewalt „notwendig“ ist), wird von der jeweiligen Situation abhängen, in welcher sich der Konflikt befindet. Da aber davon auszugehen ist – insbesondere bei Verhältnissen, in denen Mittel der Form (a), (b) und (c) eine große Rolle bei der Sicherung der Herrschaft spielen -, dass sich die Herrschenden solcher Mittel (hinreichend oder sogar in exzessivem Ausmaß) bedienen werden, wird man auf Gewalt (als Verteidigung der Unterdrückten) schlicht und einfach nicht verzichten können, ohne sich in freiwillige Knechtschaft zu begeben. Welche Möglichkeit hat denn der Sklave, der eine Welt ohne Sklaverei schaffen will, gegenüber dem Sklavenhalter, welcher eine Welt mit Sklaverei bevorzugt? Soll er etwa mit dem Sklavenhalter solange diskutieren, bis dieser – völlig genervt vom diskussionswilligen Sklaven oder gänzlich überzeugt von seinen rationalen Gründen gegen die Sklaverei – ihm die Freiheit schenkt?! Und welche Möglichkeit hat der Sklave, der eine bessere Welt, eine Welt ohne Sklaverei schaffen will, um andere Sklaven, die ihre Sklaverei als ein Naturschicksal hinnehmen, sie stoisch oder christlich demutsvoll über sich ergehen lassen, sie religiös (bzw. ideologisch) als natürliche/göttliche Ordnung verklären usw., zu überzeugen? Man überzeugt Menschen niemals auf bloß theoretische Weise. So wie die Liebe durch den Magen geht, so auch die Überzeugung. Vollends vom Besseren überzeugen kann man andere nur auf praktische Weise. Damit aber diese Überzeugung sich allgemein realisiert und damit praktisch wird, muss die Welt ohne Sklaverei praktisch werden, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, die nur eine unvollkommene Verkörperung der Freiheit darstellen, müssen überwunden und durch eine neue Verkörperung der Freiheit ersetzt werden, was der bestehenden Herrschaftsordnung als eine gewaltsame Abschaffung der „natürlichen“ Ordnung und Freiheit erscheint.

  2. Die Welt ist ein großes Ganzes, daher ist da nichts Unvereinbares.
    Unvereinbare Welten werden „geschaffen“, konstruiert. Und zwischen diesen virtuellen Welten mag es und wird es Gewalt geben.
    Wirkliche Abhilfe schafft aber nicht Gewalt, sondern eine Absage an das fragmentierende Denken.

Beitragsthemen: Gewalt

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