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Pro und Contra: Ist gute Kritik konstruktiv?

Veröffentlicht am 9. Dezember 2015

Honnacker Foto

Pro: Ana Honnacker

Der Begriff der Kritik ist nicht notwendigerweise mit der Idee der Konstruktivität verknüpft. Das Gebot, Kritik müsse zwingend konstruktiv sein, muss daher mit Vorsicht (und Nachsicht) eingesetzt werden. Allzu häufig mag es als Immunisierungsstrategie eingesetzt werden, um unbequeme Stimmen mundtot zu machen. Das Recht, Missstände anzuprangern, scheint an die Bedingung geknüpft zu sein, eine Alternative für den Status Quo anzubieten. Wer das nicht kann, hat zu schweigen. Dass jedoch eine Vielzahl an Situationen vorstellbar ist, in denen nur Kritik im Sinne von Protest und gar Widerstand gegen das Bestehende auf der Tagesordnung stehen kann, möchte ich gar nicht bestreiten. Allein, dass man es dabei nicht auf Dauer belassen kann, halte ich für wichtig. Spätestens im Moment des erreichten Umsturzes, der Abschaffung des Kritisierten, muss etwas Neues an dessen Stelle gesetzt werden. Auf die Dekonstruktion oder Destruktion muss die Konstruktion folgen.

Fasst man Konstruktivität auf als das Potential von Kritik, Zukunft zu entwerfen und nicht nur Gegenwart zu verwerfen, so liegt es zumindest nahe, diesen Ausgriff auf das Zukünftige als Motivation des Kritisierens überhaupt zu beschreiben. Es unterscheidet ja gerade den Kritiker vom Resignierten, dass er die Welt anders denken kann, als sie ist. Er imaginiert einen Zustand, der abweicht von der gegebenen Situation. Und sei es nur, weil ihn ein Gefühl des „Es sollte anders sein“ umtreibt. Und dieses andere ist zugleich als das Bessere gedacht. Selbst wenn keine konkrete Anleitung zu diesem Besseren vorliegt, so ist doch unmissverständlich die Aufhebung dessen, was eben nicht gut ist, angezielt. Das unterscheidet (sinnvolle) Kritik vom (sinnlosen) Nörgeln oder Jammern. Kritisieren kann ich nur, was sich – grundsätzlich – ändern lässt. Der nieselgraue Novembertag lässt sich nicht dafür kritisieren, dass er novemberhaftes Wetter mit sich bringt. Ich kann das bedauern, ich kann darüber schimpfen. Aber schon das Protestieren dagegen bekommt einen lächerlichen Zug. Denn es ist in der performativen Logik des Kritikübens impliziert, dass es vielleicht nicht in meiner, aber in irgendjemandes Macht liegt, den kritisierten Zustand in einen nicht-kritisierenswerten zu überführen. Den Novembertag in einen Maitag zu verwandeln liegt so deutlich außerhalb des Möglichen, dass der Protest gegen ihn komisch wirken muss. Wenn meine Kritik also nicht humorvoll gemeint war, etwa, um nur meinen Unmut auszudrücken, so habe ich offensichtlich etwas am Konzept der Kritik nicht verstanden, gewissermaßen einen missglückten Sprechakt ausgeführt, das falsche Register gezogen.

Wenn es nun aber die grundlegende Motivation zu jeglichem Akt des Kritisierens ist, die Welt zu transfomieren, so wird diesem Bewegungsmoment eher Rechnung getragen, und diese Sehnsucht nach dem besseren Anderen eher erfüllt, wenn die Kritik zumindest in Ansätzen einen Entwurf des Sollzustandes enthält. Je genauer sie den Ist-Zustand beschreibt und darlegt, was falsch oder suboptimal an ihm ist, desto klarer werden die Ansatzpunkte und Stellschrauben, an denen für eine alternative Zukunft anzusetzen ist. Und desto überzeugender wird sie darüber hinaus sein.

Daher ist gute Kritik konstruktiv.

Dr. Ana Honnacker ist Wissenschaftliche Assistentin des Direktors des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover.

Foto Hammer

Contra: Dominik Hammer

Um die Frage zu klären, ob gute Kritik konstruktiv ist, muss erst geklärt werden, was es bedeutet, wenn Kritik konstruktiv ist. Konstruktiv sind Kritik, Vorschläge oder Anregungen, wenn sie etwas beitragen, wenn sie hilfreich sind. Kritik kann also dann als konstruktiv gelten, wenn sie entweder darauf gerichtet ist, einen Verbesserungsvorschlag bezüglich des kritisierten Phänomens zu liefern, oder auch nur, wenn sie im Effekt eine solche Wirkung entfaltet. Auf beide Fälle bezogen möchte ich verneinen, dass Kritik konstruktiv sein muss, um gute Kritik zu sein. Die erste Deutung, konstruktive Kritik als konstruktiv intendierte Kritik zu verstehen, ist relativ einfach zu widerlegen. Denn auch eine Fundamental- oder Schmähkritik kann für den Kritisierten von Wert sein. Sie ist dann konstruktiv jenseits oder entgegen ihrer Intention. Auch rein destruktives Genörgel kann, unabhängig von der Intention, weiterhelfen. Beispielsweise indem es dazu anregt, die eigene Position oder das eigene Handeln nochmals zu überdenken und dann – idealiter – zu der Erkenntnis zu kommen, dass die Einwände unbegründet sind. Außerdem kann auch eine anders intendierte Kritik Sachverhalte richtig benennen, die der Kritisierte zuvor nicht gesehen hat, und es ihm ermöglichen, auf diese Sachverhalte zu reagieren.

Die zweite Deutung ist weiter gefasst, hält aber einer kritischen Überprüfung ebenfalls nicht Stand. Denn selbst wenn eine Kritik nichts zur Lösung eines Problems beiträgt, sagt dies noch nichts über ihre Güte aus. Denn der Wert einer Kritik – sowie von Analyse im Allgemeinen – richtet sich nicht danach, wie nützlich diese ist, sondern danach, ob sie einen Sachverhalt treffend beschreibt. Manchmal gelingt es, Fehler treffend zu analysieren und zu kritisieren, ohne dass zu Mitteln ihrer Behebung Angaben gemacht werden könnten. Wenn Probleme benannt werden, für die es noch keine Lösung gibt, für die es keine Lösung mehr gibt, oder für die es überhaupt keine Lösung gibt, so kann dieser im Sachverhalt selbst begründete Umstand nicht dazu führen, die Beschreibung und Kritik der Probleme selbst abzuwerten. Das Kriterium, an dem sich die Güte der Kritik einzig messen lassen muss, ist, ob und inwieweit sie zutrifft. Sofern dem Ziel einer möglichst genauen Beschreibung jedoch noch das Ziel zur Seite gestellt wird, etwas Positives beizutragen, kann es geschehen, dass das zweite Ziel auf das erste zurückwirkt. Wenn Kritik so funktionalisiert wird, unter das Ziel der Lösungsfindung subsumiert wird, dann ist zu erwarten, dass ihre Fähigkeit, Probleme präzise zu beschreiben, hierunter leiden wird. Denn wenn die Beschreibung des zu lösenden Problems schon von seiner Lösung her gedacht wird, verengt sich der Blickwinkel auf den problematischen Sachverhalt. Im schlechtesten Fall werden dadurch wichtige Teilbereiche des Problems übersehen. Eine auf einer solchen Kritik basierende Lösung wäre dann zwar konstruktiv intendiert. Aber mit ziemlicher Sicherheit wäre sie nicht konstruktiv.

Dominik Hammer M.A. ist Stipendiat am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover.

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1 Kommentar

  1. gut von d..h-

Beitragsthemen: Demokratie

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