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InDebate: Politische Beleidigungen und andere Arkana

Veröffentlicht am 17. Mai 2016

Andreas Mix

Andreas Mix

In der öffentlichen Debatte um die Causa Erdogan gegen Böhmermann ist viel davon die Rede, dass ‚Satire alles dürfe‘. Das Tucholsky-Zitat dient hierbei der Solidarisierung der deutschen Öffentlichkeit mit einem durch den übermächtigen türkischen Staatspräsidenten bedrängten Grimme-Preisträger und ist in diesem Kontext sicher richtig. Was jedoch bedeutet der Satz ‚Satire darf alles‘ praktisch? Ist gemeint, dass wir als Publikum ein Recht auf Transparenz dahingehend haben, dass wir auch eindeutig beleidigende Inhalte als Satire geschützt ansehen können (transparent verfügbar halten, d.h. es kein Recht auf Unterlassung gibt), wenn die Beleidigung nur durch die Konstruktion einer Meta-Ebene angekündigt war? Nachdem inhaltlich schon von allen alles dazu gesagt wurde, fallen an diesem angenommenen ‚Recht auf Transparenz‘ (allein von Beleidigungen oder wäre auch Volksverhetzung okay, wenn sie nur als Satire angekündigt würde?) aus Sicht der politikwissenschaftlichen Geheimnisforschung einige Aspekte auf, die in Teilen so charakteristisch für die Gegenwart erscheinen, dass sie im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. Insbesondere wird zu fragen sein, ob die Forderung nach Transparenz an sich eine politische Haltung darstellt oder ob Transparenz ein ambivalentes Prinzip ist, dessen emanzipatorisches Potential davon abhängt, in welchem Kontext seine Realisation gefordert wird.

Zunächst einmal ist Transparenz der Gegenbegriff des Arkanums (hier verkürzt: Geheimnis) und somit desjenigen Begriffes, um den nach Schmitt (Schmitt, 2006 (1921)) herum die Politikwissenschaft sich in ihren Anfängen in der frühen Neuzeit überhaupt erst entwickelte. Schmitt rekonstruiert hierbei Arkana als ‚Fabrikationsgeheimnisse‘ politischer Macht. Diese Definition ist jedoch sicher verkürzt und Habermas weist zu Recht darauf hin, dass die repräsentative Öffentlichkeit des Absolutismus auf dem Geheimnis als Prinzip der Herrschaft beruhe (Habermas, 2013 (1962)). Diese Doppelfunktion des Geheimnisses für die absolutistische Ordnung weist auf eine strukturelle Ähnlichkeit des Begriffes des Arkanums mit dem der Demokratie hin, beziehen sich doch beide „ebenso [auf] eine Legitimationsform der Macht wie auch die Art und Weise ihrer Ausübung“ (Agamben, 2012, S. 9).

An diesem Punkt ist festzustellen, dass es, neben dem Begriff der Demokratie, wohl kaum noch einen für das Selbstverständnis der politischen Wissenschaft zentralen Terminus gibt, welcher einen ähnlich dramatischen Bedeutungswandel durchlebt hat wie der des Geheimnisses. Hinsichtlich der grundlegenden Neubewertung, die den Begriff des Arkanums im Verlauf der Zeit von einem Aktivum in ein Passivum der öffentlichen Meinung verwandelt hat, konstatiert Manfred Voigts, dass dieser sich insbesondere im Zeitalter der bürgerlichen Revolution vollzogen habe (Voigts, 1995). Die Bewertung des Begriffes Demokratie verlief bekanntlich genau spiegelverkehrt, was es plausibel erscheinen lässt, dass auch heutzutage die Forderung nach Transparenz die Forderung nach Demokratie meint. Die hier verfolgte Frage lässt sich also auch so formulieren: Sind die Begriffe der Demokratie und der Transparenz synonym? Die kurze Antwort hierauf lautet: nein.

Zunächst einmal fällt die zunehmende Verwechslung von Transparenz und Öffentlichkeit in der öffentlichen Debatte auf, wobei in einem politikwissenschaftlichen Sinne transparent natürlich alles ist, was allgemein zugänglich ist (etwa Einsteins Relativitätstheorie oder YouTube-Katzenvideos), öffentlich jedoch nur das, was von öffentlichem Interesse und somit vernünftiges Objekt kritischer Publizität ist. Hieraus ergibt sich, dass, sofern eine Tatsache von öffentlichem Interesse nicht allgemein zugänglich ist, wir von einem Mangel an Transparenz sprechen können, welcher politisch gegebenenfalls begründet, etwa mit dem Argument der öffentlichen Sicherheit, oder behoben werden muss. Es wird aber ebenfalls deutlich, dass es aus Sicht einer an Emanzipation interessierten politischen Theorie durchaus auch ein Zuviel an Transparenz geben kann, nämlich in dem Fall, in dem durch die Skandalisierung des bloßen Faktums der Verheimlichung (des Ausschlusses allgemeiner Zugänglichkeit) die öffentliche Aufmerksamkeit− also ein begrenztes, kostbares Gut − auf Themen gelenkt wird, die nicht von öffentlichem Interesse sind (etwa das Privatleben). Anders ausgedrückt, in der illegitimen Herrschaft ist das Öffentliche geheim und das Private transparent, in der legitimen Herrschaft ist es umgekehrt. Das Interesse, etwas Privates transparent machen zu wollen, erscheint also als ein starkes Indiz für einen illegitimen Herrschaftsanspruch.

Dies vorangestellt, lassen sich zentrale Momente der „Affäre Böhmermann“ etwa so interpretieren:

  1. Zunächst fällt der Zwittercharakter des als Meta-Satire verpackten Gedichts auf. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist hierzu zu sagen, dass diese eben entweder Satire und somit politisch (und geschützt) oder eine simple, d.h. private Beleidung ist. Diese faktische Entscheidung liegt ja nun auch bei den Gerichten. Was es jedoch sicher nicht ist, ist eine politische Beleidigung, da es diese aufgrund des privaten Charakters des Tatbestandes der Beleidigung nicht gibt.
  2. Dass es hier zu einer Verwirrung innerhalb der deutschen Öffentlichkeit kommen konnte, liegt nun sicher auch an der Löschung des Gedichts aus der ZDF-Mediathek. Diese nämlich wurde von einer zunehmend digitalen Öffentlichkeit, die es als ihr Recht betrachtet, alle Informationen immer und überall transparent, d.h. in digitalen Datenbanken, verfügbar zu haben, als Zensur einer politischen Satiresendung empfunden. Hier bleibt zweierlei festzuhalten, nämlich dass zum einen die Programmverantwortlichen des ZDF, sofern sie das Gedicht als potentiell beleidigend eingestuft haben, besser auf die Entscheidung eines Gerichts (Unterlassung) gewartet hätten, und zum anderen, soweit sie aus der Furcht handelten, mit dem Verbleib des Gedichts gegen § 103 StGB, also Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter, zu verstoßen, hiermit erwiesen ist, dass dieser Paragraph tatsächlich nicht mehr in unsere Rechtsordnung passt, da er die Grenze des privaten und öffentlichen Interesses, zwischen Personen und Ämtern, verwischt und somit abgeschafft gehört. Sofern sich also die Forderung nach Transparenz auf die Furcht bezieht, dass mittels § 103 StGB Zensur geübt wurde, ist sie politisch. Der weitere Gang der Debatte legt jedoch nahe, dass dies ein eher peripheres Phänomen war.
  3. Kurz nach der Löschung nämlich klagt Präsident Erdogan gegen das nun arkanisierte Gedicht, und zwar sowohl als Privatmann als auch als Präsident, und droht, so zumindest empfinden es große Teile der deutschen Öffentlichkeit, der Bundesregierung mit einem Scheitern der jüngsten Bemühungen um eine Ordnung der Fluchtbewegung aus der Türkei. Es wird deutlich, dass Erdogan das Gedicht als sowohl beleidigend als auch politisch empfindet. Auch hiermit verrät er seine anti-demokratischen Tendenzen.
  4. Anstelle jedoch die Position Erdogans an diesem Punkt zu packen und somit auch eine Perspektive auf die eigentlichen politischen Themen im Umgang mit der Erdogan-Türkei zu gewinnen – stichpunktartig seien hier die Pressefreiheit, der Umgang mit der Justiz, die bürgerkriegsähnlichen Zustände in den Kurdengebieten sowie die allgemeine autoritäre Tendenz im politischen Leben des Landes genannt –, machen sich relevante Teile der deutschen Öffentlichkeit, wohl ohne dies zu merken, Erdogans Position zu eigen, nämlich wenn sie ihr Recht auf politische Beleidigung einfordern.

Dass es hierzu kommen konnte, liegt sicher auch an der Arkanqualität, welche das Gedicht durch die voreilige Löschung gewonnen hatte. Dass die Verwirrung der deutschen Öffentlichkeit, die sich, wenigstens in Teilen, implizit Erdogans Position einer politischen Qualität von Beleidigungen zu eigen macht, ausgerechnet unter dem Banner der Transparenz geschieht, ist jedoch ein schönes Beispiel für den per se apolitischen Charakter der Transparenz, die politische Urteilsfähigkeit keinesfalls ersetzt. Oder noch einmal anders: Natürlich darf Satire alles. In einer Demokratie ist dies aber eine Tautologie, denn entweder ist eine satirische Meinungsäußerung politisch und damit geschützt oder sie ist keine Satire.

Verweise

Agamben, G. (2012). Einleitende Bemerkungen zum Begriff der Demokratie. In Demokratie? (S. 9-13). Berlin: Suhrkamp.
Habermas, J. (2013 [1962]). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt: Suhrkamp.
Schmitt, C. (2006 [1921]). Die Diktatur. Berlin: Duncker & Humblot.
Voigts, M. (1995). Das geheimnisvolle Verschwinden des Geheimnisses. Wien: Passagen.

(c) Andreas Mix

Andreas Mix ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am politikwissenschaftlichen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen und promoviert derzeit bei Frau Prof. Dr. Regina Kreide zum Thema des Geheimnisses in der politischen Theorie seit 1800.

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Beitragsthemen: Demokratie | Politik

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