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Philosophy and the Media: Im Herzen der technischen Katastrophe: Auf den Spuren des Avatars Jake Sully

Veröffentlicht am 24. Juni 2016

Foto_Pustovit

Natalja Pustovit

James Cameron ist nicht nur Regisseur des weltberühmten Blockbusters Avatar – Aufbruch nach Pandora (2009), sondern in gewisser Hinsicht auch Philosoph. Sein Film zeigt, wie philosophische Ideenfäden in einen Film verwebt werden können und wie damit über die Komplexität von sozial relevanten Themen für die Welt reflektiert werden kann. Zumeist wird Avatar als „Wunder der Kinematographie“ und „technische Überraschung“ beschrieben, da modernste technische Entwicklungen des 3D-Kinos erfolgreich in der Filmproduktion realisiert wurden. Doch darüber hinaus verhandelt der Film ein philosophisches Problem. Avatar zeigt uns etwas über unsere inneren Wiedersprüche und Konflikte im Bezug auf unser Verhalten gegenüber anderen Gesellschaften und der Natur.

Es ist zunächst interessant, dass Avatar nicht als Katastrophenfilm klassifiziert wird, Wikipedia bezeichnet den Film als „epic science fiction film“ [1]. Es geht mir nun nicht darum, Avatar als einen klassischen Katastrophenfilm zu deuten, sondern zu zeigen, wie im Film vielmehr die Stimme der Katastrophe erklingt. Ihre Stimmkraft variiert über den Film hinweg: Zu Beginn vernehmen wir die Stimme nur schwach und nicht deutlich genug. Ihren finalen Höhepunkt erreicht sie im „offenen Krieg“ zwischen den Na’vi und den Menschen. Am Ende wiederum lässt sich die Stimme als Echo vernehmen, sie erklingt als graduell abklingender Schmerz, der lange Zeit in Erinnerung bleiben wird. Das „Happy End“ des Filmes weist auf die Hoffnung, unsere Erde zu erhalten, eine Hoffnung die zugleich geprägt ist von der Einsicht in ihrer Zerbrechlichkeit, ihre Bedrohung.

Unter den philosophischen Fragen, die der Film artikuliert, ist insbesondere das Verhältnis des Menschen zur Natur und seinem Planeten von besonderer Aktualität und Relevanz. Ich möchte im Folgenden eine kurze Reise durch Avatar antreten, um danach zu überlegen, ob der homo sapiens in der Lage ist, die Rolle eines umweltbewussten und verantwortungsvollen Erdenbewohners zu spielen.

Pandora ist der von Cameron entworfene erdähnliche Planet, um den sich die Handlung des Films dreht. Cameron legt großen Wert auf die Beschreibung des Ökosystems von Pandora; vor allem die harmonische Beziehung zwischen der Natur und den humanoiden Einwohnern, den Na’vi, lässt den Planeten in paradiesischer Kraft und Schönheit erstrahlen. Seine Pflanzen- und Tierwelt überrascht mit ihrem Umfang und ihrer Vielfalt. Es scheint klar, dass Pandora im übertragenden Sinne für unseren eigenen Planeten steht.

Der Film zeigt nun den Konflikt dreier konkurrierender Haltungen zu Pandora und damit drei Konzepte von Pandora selbst: a) die harmonische Lebensweise der Na’vi, b) die aggressive Invasion des Konzerns Resources Development Administration (RDA) und c) die moralische Umkehr des Marine und Avatars Jake Sully. Diese Alternativen spiegeln gewissermaßen die Haltungen, die der Mensch zu seiner Umwelt einnehmen kann und weisen indirekt darauf hin, was unserem Umweltbewusstsein fehlt.

Beginnen möchte ich mit der Perspektive der Na’vi. Für sie ist Pandora mehr als die beindruckenden Landschaften, die zu Beginn über die Leinwand gleiten – sie allein entfalten noch nicht ihr Verständnis von Pandora. Es sind ihre konkreten Handlungen, die es uns ermöglichen, Pandora durch die Augen der Na’vi zu sehen. Für den Zuschauer wird das Pandora der Na’vi erst durch die Reflexion Jake Sullys sichtbar und begreifbar. Hierfür sind die Szenen nützlich, die zeigen, wie Jake Sully das Leben der Na’vi erfährt und erlebt. Schritte, die er als neues „Mitglied des Volkes“ machen muss, werden zum Wegweiser zu diesem Pandora. Das damit entwickelte Verständnis von Pandora zeugt von einem komplexen System der kulturell-politischen Beziehungen, das primär auf ein Miteinander mit der Natur geht. Die Na’vi haben beispielsweise spezielle Techniken entwickelt, die es ihnen ermöglichen, mit den Tieren und der Vegetation in Kontakt zu treten, um so eine einmalige spirituelle Kooperation zu etablieren. Diese Verbindung symbolisiert die reziproke Anerkennung und Akzeptanz des kulturellen und politischen Status der Natur. Die Natur übernimmt nicht einfach die Funktion des Hinter- oder Untergrundes für eine Zivilisation. Die Natur wird harmonisch in das kulturell-politische System der Gesellschaft integriert.

Es könnte nun sicher der Einwand gebracht werden, das Leben der Na’vi mute primitiv an oder dass ihre Rituale den Beigeschmack eines „Neopaganismus“ haben, dennoch zeigt ihre soziale Ordnung ein Pandora in seinem ursprünglichen Zustand ohne vermeintliches „Upgrade“. Ihr Pandora braucht keine Umweltschutzdeklarationen oder Klima-Aktivisten, da die Bewahrung der Umwelt de jure und de facto eine entscheidende Rolle für die kulturelle und politische Struktur spielt, die Natur ist nicht Äußerliches. Diese Rolle unterscheidet sich von der Rolle, die die Na’vi sich selbst geben. Sie repräsentieren die Natur, sie sehen sich nicht als Zentrum, sondern befinden sich in einem symbiotischen Verhältnis zur Natur. Die Haltung der Na’vi zu Pandora steht für ein spezifisches Konzept von Natur, das als theoretisches Gerüst für eine neue Umweltpraxis dienen könnte. Dennoch glaube ich, dass es für den Menschen zu radikal und deswegen fraglich sein mag, auch wenn es als Ideal, auf das wir uns ausrichten, durchaus von Bedeutung sein kann.

Die nächste Perspektive erscheint weniger harmonisch. Zu Beginn des Filmes sehen wir Pandora durch die Augen der erobernden RDA. Der Planet Pandora ist für die Menschen aufgrund seiner spezifischen Atmosphäre eigentlich nicht bewohnbar, dennoch bewältigen die Menschen der RDA dieses Problem und besiedeln ihn, um den (fiktiven) Rohstoff „Unobatnium“ zu gewinnen. Ausbeutung und technische Dominanz sind typische Motive, die im Film auffällig präsent und spürbar sind. Hier zeigt sich, wie die Perspektive der Menschen auf Pandora drei Logiken folgt: Pandora ist Fabrik, Labor und Schlachtfeld.

In der industriellen Logik der Fabrik liefert Pandora das Material zur effektiven Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Die grauen Industrielandschaften stehen für die technische Unterwerfung der Natur unter die Zwecke der RDA – deswegen spreche ich in diesem Kontext auch von Eroberern oder Ausbeutern. Das Ausmaß ihrer Technologie zielt letztlich auf die aggressive Verdrängung oder Manipulation der Natur. Als technisch-rationales Labor forscht die RDA primär an Herrschaftswissen zur Nutzbarmachung der Natur. Exemplarisch dafür stehen auch die Na’vi-Klone, die sogenannten „Avatare“, deren Genom genetische Information des Menschen und der Na’vi enthalten. Sie sind Teil einer wissenschaftlichen Expedition und stehen doch zugleich für die Manipulation natürlicher Gegebenheiten und der strategischen Infiltration der Na’vi, statt für eine Verständigung. Dies führt uns schließlich zur militärischen Logik,  gemäß derer Pandora ein Schlachtfeld ist, auf dem das Recht des Stärkeren gilt und Konflikte gewalttätig entschieden werden. Hier gilt es, dass Generäle mit allen Mitteln ihre Kompetenzen ausspielen. Zugleich wird Pandora – aufgrund der permanenten Bedrohung – zum Truppenübungsplatz für alle Expeditionsteilnehmer.

Genau in dieser Gleichgültigkeit und dem Willen, alles zu beherrschen, zeigt sich die negative Seite der Menschen. Die Perspektive der RDA betrachtet Pandora nicht als komplexes Ökosystems, dessen Teil sie sind. Vielmehr gilt es ihnen als „Bergwerk“ und „Ressourcenquellen“ und der damit verbundenen gefährlichen und doch notwendigen Arbeit. Pandora ist, wenn es sich nicht widerständig und gefährlich zeigt, Mittel zum Zweck.

Das Verhalten der RDA hat allerdings ungewollte Nebeneffekte, die Pandora quasi zur „Büchse der Pandora“ werden lassen: Einerseits, insofern die Menschen ihre eigene Lebensgrundlage zerstören, andererseits, sobald die Menschen auf eine Natur stoßen, die sich am Ende gegen die Menschen selbst wehren wird. Auch hier drängen sich Analogien zu unserer aktuellen globalen Situation auf, in der unsere Pflanzen- und Tierwelt durch globale Erwärmung, Luft- und Wasserverschmutzung sowie Ressourcenerschöpfung bedroht sind. Diese vom Menschen verursachten Probleme deuten auf das egoistische Verhalten gegenüber dem Planeten hin – ein Verhalten, das wir nach wie vor nicht verändert haben.

Die dritte Perspektive ist mit dem Avatar Jake Sully verbunden. Als ehemaliger Marine begann er auf der Seite der erobernden und ausbeutenden RDA, wird sich im Verlaufe des Films aber auf die Seite der Na’vi schlagen und ihnen helfen, sich gegen die Invasoren zu verteidigen. Jake Sully ist ein ehemaliger Marine, der seit einer Kriegsverletzung gelähmt ist und im Rollstuhl sitzt. Er führt ein tristes Dasein, das von Perspektivlosigkeit, Armut und Einsamkeit geprägt ist. Seine Teilnahme am Forschungsprogramm auf Pandora ist verbunden mit dem Angebot, eine Operation gegen seine Lähmung finanziert zu bekommen, was ihm Hoffnung auf einen Neuanfang gibt. Für das Forschungsprogramm soll er in einen Na’vi-Klon schlüpfen, der tief in die Kultur der Na’vi eintaucht. Er ahnt nicht, dass diese teilnehmende Beobachtung auf radikale Weise sein Leben verändern werden wird. Zu Beginn fühlt er sich wie ein Fremdkörper, der die Na’vi und ihre Weltsicht nicht akzeptieren kann. Pandora ist für ihn neues und fremdes Land, aber graduell wird es zu seinem Land, bis er sich schließlich entscheidet, seinen alten Körper zurückzulassen und fortan als Na’vi zu leben. Er findet auf Pandora nicht nur einen neuen Körper, sondern auch Werte, die in seiner menschlichen Gesellschaft nivelliert wurden. Der Avatar Jake Sully steht für die Möglichkeit der Veränderung, der Umkehr und das Potential, neue Werte zu schaffen, um in ein neues Verhältnis zur Natur einzutreten und diese, wenn nötig, mutig zu verteidigen. In gleicher Weise verkörpert er aber auch die Dimension dieser Transformation, die in ihrer Radikalität nicht bloß einzelne Überzeugungen, sondern unser ganz Selbstverständnis betrifft.

Die oben beschriebenen Perspektiven zeigen sowohl wirkliche, mögliche als auch ideale Modelle der Beziehung zwischen Mensch und Natur. In seiner Bildsprache bringt der Film uns in Erinnerung, wie schön und zugleich ungeschützt und bedroht unser eigener Planet ist. Er benötigt Menschen, die umweltbewusste homo sapiens werden, die in ihrem Handeln sich nicht allein von ihrem Eigeninteresse lenken lassen, sondern bedenken, welche potenziellen Gefahren und Konsequenzen sie auslösen, die immer überlegen, was sie tun können, um die Natur zu erhalten.

Das problematische Verhältnis zwischen Mensch und Natur in der gegenwärtigen Gesellschaft wirft zweifelsohne viele Fragen auf. Mit dem Film Avatar im Hintergrund scheint heute vor allem eine Frage relevant zu sein: Welchen Status hat Natur in anthropozentrischen und nicht-anthropozentrischen Konzepten und von welcher Seite aus können und sollen wir über Natur sprechen? Und wie müssen wir dafür neu denken, um über uns selber zu sprechen?

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Avatar_(2009_film)
[2] https://d33x6c2gojonez.cloudfront.net/wp-content/uploads/sites/112/2015/12/03154856/Avatar-1.jpg (Bild)

© Natalja Pustovit

Dr. Natalja Pustovit ist DAAD-Stipendiatin am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover.

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Beitragsthemen: Digitalisierung | Kunst

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