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InDebate: Der 18. Brumaire des Donald Trump und die Transparenz des Privaten

Veröffentlicht am 11. April 2017

Andreas Mix

Andreas Mix

In der Zeit 10 / 2017 vom 02. März 2017 zieht Micha Brumlik eine Parallele zwischen der Herrschaft Napoleons III. (1851–1870) in Frankreich zur Mitte des 19. Jahrhunderts und Donald Trumps in den USA heute.[1] Insbesondere verweist Brumlik darauf, dass der Populismus Louis Bonapartes die sozialen Spannungen, welche zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Legitimität des Liberalismus untergruben, „um den Preis eingeschränkter Freiheitsrechte“ (Brumlik) zu lösen versprach. Der vorgestellten These einer liberalen Epoche, welche durch selbst verursachte Umstände ihre Legitimität – zumindest praktisch, in den Augen ihrer Bürger – verliert und folglich nur durch eine Änderung dieser Umstände, konkret eines Einschlusses der abgehängten Bevölkerungsschichten in das liberalen Versprechen des wirtschaftlichen Fortschritts für alle, ihre Würde und Bedeutung zurückgewinnen kann, möchte ich ausdrücklich zustimmen, Brumliks Analyse jedoch um einen Punkt ergänzen. Hinsichtlich der Parallelen zwischen Napoleon III. und Trump verweist Brumlik völlig zurecht auf die sozialen Spaltungen, welche die liberalen Epochen 1815–1848 und wiederum etwa 1975–2016 scheinbar schicksalhaft begleiteten. Was Brumlik an dieser Stelle nicht erwähnt, ist, dass Louis Bonaparte diese Spaltung eben auch mit Hilfe einer geheimen Gesellschaft (derjenigen ‚vom 10. Dezember‘) ausnutzen konnte, um zu Napoleon III. zu werden. Wie konnte dies in einer bürgerlichen Öffentlichkeit geschehen? Ohne dies hier näher ausführen zu können, ist die normative Position demokratischer Herrschaft immer die, dass das Private geheim und das Öffentliche publik sein soll. Sofern Napoleon III. das offene Geheimnis seiner Verbindung zur Gesellschaft des 10. Dezember also politisch nicht geschadet hat, zeigt dieses Faktum sehr schön den antidemokratischen Impuls, der ihn an die Macht gebracht und zugleich seinen 18. Brumaire zur Farce der Französischen Revolution gemacht hat. Sofern wir die Analogie zwischen Napoleon III. und Trump etwas weiter spinnen wollen, ergibt sich die Frage, welches Prinzip der Trumpismus verrät. Die Farce welcher Revolution ist der 18. Brumaire des Donald Trump?

Zunächst einmal fällt auf, dass das Bündnis Trumps mit der „vulgären und protzerischen Halbwelt“ (Brumlik) nicht im Geheimen, sondern, im Gegenteil, im grellsten Licht einer digitalen Öffentlichkeit geschlossen wurde. Brumlik weist zurecht darauf hin, dass Trumps spezifische Kompatibilität mit einer digitalisierten öffentlichen Sphäre sich in seiner Vorliebe für die – vermeintlich unmediatisierte, transparente – Kommunikationsform Tweet manifestiert. Transparenz jedoch ist nicht Öffentlichkeit und wo das Geheimnis hinter die Publizitätsforderung bürgerlicher Öffentlichkeit zurückfällt, geht Transparenz über diese hinaus, lädt sie doch die an sich nüchterne Forderung der Publizität des Öffentlichen mit dem Versprechen der Öffentlichkeit des Privaten auf. Und dies ist der Punkt: Die vulgäre Öffentlichkeit des Privatmanns Trump ist die Farce von 1968. Jetzt mag man einwenden, Trump sei kein Hippie, sondern American Psycho oder – wie Brumlik über den 1980er-Jahre-Trump schreibt – die „Verkörperung einer Unkultur der Gier“. Diese richtige Beobachtung ist aber nur eine weitere Parallele zu Napoleon III., der ja auch kein Republikaner oder Konstitutionalist war, sondern eine an sich unerhebliche Figur, die jedoch durch ihre Herkunft und ihren Willen zur Macht zu einem Instrument wurde, um die sich gleichzeitig verbreiternden und verwässernden Prinzipien von 1789 – Gleichheit und Öffentlichkeit anstelle der Arcana Imperii – zu ergreifen und in die Farce eines liberalen Wahlkaisertums zu verwandeln. Sofern richtig ist, dass das Silicon Valley die Praxis der Revolte von 1968 geworden ist und deren Forderung diejenige nach der Politik des Privaten war, erscheint der Trumpismus als derjenige Punkt in der Geschichte der Gegenwart, in dem diese Prinzipen so weit verbreitet und verwässert worden sind, dass sie von einer Figur des (im allerweitesten Sinne) konservativen Roll-back ergriffen und in die Farce von 1968 verwandelt werden konnten. Hierzu passt sehr schön Trumps Idee freier Liebe, die ich hier nicht im Wortlaut wiederholen mag, die sich aber als Eingeständnis eines Scheiterns lesen lässt. Betrogen in ihren Hoffnungen auf eine tatsächliche Befreiung ergeben sich diese überlebenden Befürworter und Gegner von ‘68 einer Betäubung ihres gemeinsamen Schmerzes über eine gescheiterte Revolte, hinter die es dennoch kein Zurück mehr gibt, durch Drogen und anonymen Sex. So betrachtet handelt es sich vielleicht doch eher um Less Than Zero als um American Psycho, jedenfalls um ein Bild von Kokain, Disko und der gleißenden Transparenz des Darkrooms, dessen Motto ‚any two can play‘ nichts anderes als das Ende einer Hoffnung auf wechselseitige Kommunikation, geteilte Welt und Wahrheit ist.

Literatur

Brumlik, M. (02.03.2017). Der 18. Brumaire des Donald Trump. Die Zeit, S. 19. auch unter: https://www.zeit.de/2017/10/napoleon-iii-geschichte-donald-trump, zuletzt aufgerufen am: 11.04.2017.
Marx, K. (2007 (1852)). Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte – Kommentar von Hauke Brunkhorst. Frankfurt: Suhrkamp.

Andreas Mix ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am politikwissenschaftlichen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen und promoviert derzeit bei Frau Prof. Dr. Regina Kreide zum Thema des Geheimnisses in der politischen Theorie seit 1800.

[1] https://www.zeit.de/2017/10/napoleon-iii-geschichte-donald-trump

(c) Andreas Mix

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Beitragsthemen: Öffentlichkeit | Politik | Populismus

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