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InDebate: Verachtung als Politik. Zum Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland

Veröffentlicht am 1. Mai 2017

Björn Freter

Die Alternative für Deutschland sieht in ihrem Grundsatzprogramm den »sozialen Frieden und den Fortbestand der Nation als kulturelle[r] Einheit« bedroht. Die »Ideologie des Multikulturalismus«, heißt es, stelle »importierte kulturelle Strömungen« und »einheimische Kultur« gleich. Gleichbewertung des ›Einheimischen‹ und des ›Imports‹ bedeutet, im Verständnis der AfD, de facto die Abwertung deutscher Kultur. Die AfD eröffnet damit eine scharfe Trennung zwischen dem offenkundig wertvollen Eigenen und dem offenkundig weniger wertvollen Anderen, das, wenn es dem Eigenen nur zu nahekommt, dieses wertvolle Eigene verdirbt. Dieses Zu-nahe-Kommen ist wichtig. Was das Fremde in der Fremde eigentlich ist, ist ganz uninteressant. Von Bedeutung wird das Fremde erst und nur durch seine bedrohliche Nähe zum Eigenen. Das Fremde kommt dabei als das, was es selbst ist, überhaupt nicht in den Blick. Das hat eine merkwürdige Konsequenz. Das Fremde wird nicht als das, was es ist, abgelehnt, sondern als das, was es nicht ist, nämlich: nicht das Eigene. Das aber bedeutet: Das Fremde wird verachtet. Verachtung bedeutet eine Abwertung des Anderen auf Grund seines Andersseins.

Dieses Andere, dieses Fremde, das unsere deutsche Kultur bedrohe, erkennt die AfD vor allem im Islam. »Der Islam«, so heißt es im Grundsatzprogramm, in polemischer Abgrenzung gegen eine wohlbekannte Äußerung, »gehört nicht zu Deutschland.« Und es kommt noch schlimmer: »In seiner Ausbreitung und in der Präsenz einer ständig wachsenden Zahl von Muslimen sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung. Ein Islam, der unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsan­spruch als alleingültige Religion erhebt, ist mit unserer Rechtsordnung und Kultur unvereinbar.« Das ist reichlich schwer zu verstehen. Der erste Satz scheint mit dem zweiten Satz einzig dadurch verbunden, dass er auf den ersten folgt. Inhaltlich bleibt die Verbindung dunkel. Der zweite Satz ist durchaus trivial und allgemein. So allgemein, dass ein Bezug auf den Islam ganz überflüssig ist: »Ein Islam« oder eben irgendetwas anderes, das »unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft […] ist mit unserer Rechtsordnung […] unvereinbar.« Das ist nicht weiter überraschend. Überraschend und keineswegs trivial ist indes, dass die AfD diesen Islam in der »ständig wachsenden Zahl von Muslimen« verwirklicht sieht. Jedoch, so befleißigt sich die AfD einzugestehen, es gäbe durchaus gemäßigte Muslime, die in Deutschland »rechtstreu sowie integriert« leben. Aber wie haben wir das zu verstehen? Sind diese Muslime andere als die, vor deren wachsender Zahl sich gefürchtet wird, oder sind es dieselben, doch auch sie sind nur in nicht weiter anwachsender Zahl duldbar? Das Grundsatzprogramm mag sich in dieser Frage nicht festlegen. Doch sei es, wie es sei: Diese gemäßigten Muslime können mit dem Islam derart umgehen, dass er für das Eigene, für die deutsche Kultur, ungefährlich ist. Dieser ungefährliche Umgang zeichnet sich vor allem durch eines aus: durch Unauffälligkeit. Als private metaphysische Vorliebe kann der Islam auch in Deutschland gelebt werden.

Der Islam ist als das Andere also entweder eine Gefahr für das deutsche Eigene oder – in der Fremde, wo er seine Heimat hat oder in seiner unauffälligen Form – einfach egal. Wichtig am Islam ist allein, dass er das Eigene, das Deutsche nicht dabei stört, deutsch zu sein und zu bleiben. Die AfD, wieder eine merkwürdige Konsequenz, ist daher gar nicht primär fremdenfeindlich, sondern sekundär fremdenfeindlich. Primär ist sie selbstverliebt oder, schärfer formuliert, primär ist sie narzisstisch. Das Eigene ist, weil es eben das Eigene ist, dem Anderen, weil es eben anders ist, vorzuziehen. Dabei zeigt sich sogleich eine wundersame Paradoxie dieser politischen Selbstverliebtheit, die gegenwärtig bedauerlich präsent ist – nicht nur bei der AfD, sondern auch bei den sogenannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands (PEGIDA) oder geradezu exzessiv, beim Donald Trump. Auf der einen Seite wird dem jeweils Eigenen eine geradezu atemberaubende Überlegenheit und dem jeweils Anderen eine geradezu jämmerliche Unterlegenheit zugeschrieben und dennoch ist dieses jeweils Andere auf höchst seltsame Weise in der Lage, dieser Überlegenheit gefährlich zu werden. Es fragt sich, von welcher Art die Überlegenheit des Eigenen ist, wenn seine Elementarwerte durch die bloße Nähe des vermeintlich so erbärmlich unterlegenen Anderen ernsthaft bedroht werden.

Wir können mit Hilfe des Grundsatzprogramms nicht verstehen, was es mit dem Anderen auf sich hatte. Misslicherweise ist auch die Bestimmung des Eigenen dürftig. Das Programm verkündet: »Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur, die sich im Wesentlichen aus drei Quellen speist: erstens der religiösen Überlieferung des Christentums, zweitens der wissenschaftlich-humanistischen Tradition, deren antike Wurzeln in Renaissance und Aufklärung erneuert wurden, und drittens dem römischen Recht, auf dem unser Rechtsstaat fußt.« (AfD 2016, 47) Diese Bestimmung der »deutschen Leitkultur« – schon für sich ein durchaus schwieriger Begriff – überschreitet in ihrer Unschärfe deutlich die Grenze zum Unsachlichen. Wenn es tatsächlich so etwas wie das ›Deutsche‹ oder eine ›deutsche Leitkultur‹ geben sollte, dann geht gerade diese Bestimmung daran vorbei. Denn: Fände sich in diesem bemüht akademischen, taumelig nationalstolzen Sammelsurium nicht das Wort ›deutsch‹, wäre gar nicht zu erkennen, um welche Leitkultur es hier gehen soll. Könnte hier nicht genauso gut von Frankreich oder Italien oder den Niederlanden die Rede sein?

Und noch etwas ist erstaunlich: Mit welcher Vehemenz der Islam als Nicht-Eigenes begriffen wird und gleichzeitig eine gewaltige Zahl ganz offenkundig nicht-deutscher kultureller Einflüsse – sollten wir gar von Importen sprechen dürfen? – als bestimmend für die deutsche Leitkultur veranschlagt werden. Die religiöse Überlieferung des Christentums ist nicht deutsch. Je nachdem, was alles zur christlichen Überlieferung gezählt wird – gehören die Kirchenväter dazu oder die Konzile? –, ist diese Überlieferung nahezu weltumspannend. Das römische Recht ist nicht deutsch. Und Humanismus, Renaissance und Aufklärung sind gewiss auch deutsch, aber ebenso haben sie französische, niederländische oder italienische, und ja, wenn man nur ein wenig gründlicher hinsieht, auch arabische Wurzeln. Aus all dem konnte sich das Deutsche entwickeln, aber nun darf es sich nicht mehr entwickeln, es muss es bestehen und bewahrt bleiben. Welch eine närrische Eitelkeit, welch eine bornierte Arroganz wir hier antreffen, welch ein, wie treffend bemerkt worden ist, »Gegenwartsnarzissmus«! Da wird, legitimiert durch gar nichts, befunden: Die Gegenwart, diese unsere eigene Gegenwart, ist nun der geschichtliche Moment, den es zu festzuhalten gilt. Die Geschichte mag weitergehen, aber bitte ohne Veränderung. Veränderung mag der Gegenwartsverliebte, der Selbstverliebte nicht ertragen. Es ist nur leider überhaupt nicht klar, weshalb das Deutsche eigentlich heute festzusetzen ist, weshalb es nun genug ist mit der Entwicklung. Warum durften Humanisten und Aufklärer aller Herkünfte noch ein Wörtchen beim Deutschen mitreden, warum durften jüdische und christliche Denker mit am Deutschen arbeiten, die arabischen Denker aber werden ausgeschlossen?

Als Leser des Grundsatzprogramms bleiben wir in Rätseln zurück. Wir lernen nicht, obwohl es von zentraler Bedeutung scheint, wer die Anderen sind, die nicht hier sein sollten, und wer wir sind, die wir unter uns bleiben sollten. Aber darüber hinaus gibt es ein tieferes Problem: Diese Verachtung, die das Andere als etwas Gefährliches und/oder Unbedeutendes begreift, ruht auf bedenklichen Voraussetzungen. Die AfD behauptet nicht, dass mit dem Islam kein Gespräch möglich sei. Die AfD hat kein Interesse, mit dem Islam ein Gespräch zu führen. Die AfD lehnt also etwas ab, das sie nicht versteht und nicht verstehen will, ja, das zu verstehen sie nicht einmal versuchen will. Wer aber ablehnt, was er weder versteht noch verstehen will, der weiß in Hinsicht auf diese Sache gar nicht recht, was er eigentlich tut. Er agiert willkürlich, er handelt aus Gründen, die ausschließlich mit ihm, aber eben wenig mit der Sache zu tun haben, denn die Sache kennt er nicht und will er nicht kennen: Er handelt nicht aus dem Urteil, sondern dem Vorurteil heraus. Diese Verweigerung – nämlich des gemeinsamen Gesprächs und der Arbeit an (Selbst-)Erkenntnis – der Alternative für Deutschland bedeutet nichts anderes als den Versuch, praktische Anti-Aufklärung zur Politik zu machen: Aus einem Urteil heraus, das dem Urteilenden und anderen undurchsichtig bleiben muss, wird das Andere abgelehnt.

Was können wir nun gegen die Verachtung, die als Anti-Aufklärung zur Erscheinung kommt, tun? Verachtung, wenn sie gesellschaftlich grundsätzlich zugelassen ist, kann sich in ganz verschiedenen Formen zeigen, nicht nur als Fremdenfeindlichkeit, sondern auch als Sexismus oder als Speziesismus. Wir haben versucht, anhand der Analyse des Grundsatzprogramms der AfD exemplarisch zu zeigen, dass es reine Willkür ist, was zum Objekt der Verachtung erklärt wird. Damit gerät es zu einer Frage der stärksten Kraft, wer oder was verachtet wird. Die Gefährlichkeit dieser willkürlichen, anti-aufklärerischen politischen Praxis wird noch deutlicher, wenn wir unseren Blick über das Grundsatzprogramm hinaus erweitern. Es ist schlechthin nicht begründbar, weshalb ein Syrer weniger wert sein sollte als ein Deutscher, eine Frau weniger als ein Mann, ein Tier weniger als ein Mensch. Damit ist nicht geleugnet, dass hier durchaus Unterschiede gefunden werden können, damit ist nur bestritten, dass diese Unterschiede normative Konsequenzen haben müssen. Verachtung wird, so unsere traurige Vermutung, motiviert durch die Interessen, oder stärker: den Egoismus, der Verachtenden. Das Leben ist einfacher, wenn der Andere – ob Frau, ob Fremder, ob Tier – verachtet werden kann. Verachtung ist nicht immer leicht zu erkennen und gewiss ist es nicht immer unstrittig, ob eine Praxis verächtlich ist oder nicht. Aber hier müssen wir beginnen: Eine Praxis der Verachtung zu untersagen, bringt langfristig nicht weiter, wenn das Ver­achten selbst weiterhin gesellschaftliche und/oder politische Billigung erfährt: Denn, akzeptiert eine Gesellschaft Verachtung, dann akzeptiert sie die willkürliche normative Herabsetzung. Wenn es aber eine gängige gesellschaftliche Praxis ist, normativ herabzusetzen, also zu verachten, dann gibt es außer müden Verweisen auf Konventionen, auf Tradition, auf den Geschichtsverlauf und ähnlich Kraftloses mehr keinen eigentlich triftigen Grund, weshalb nicht auch der Buddhist, die Frau, der Mensch mit Behinderung oder – wenn wir auch die speziesistische Dimension mit beachten – die Kuh, der Hering oder was und wer auch immer verachtet werden dürften. Willkür kennt kein Argument gegen Willkür.

Es scheint – bislang – beschämend willkürlich, dass wir bestimmte Praxen normativer Willkür dulden, andere aber nicht. Unzweifelhaft gibt es einen breiten gesellschaftlichen Widerstand gegen die neurechten Bewegungen, aber auch einen nicht unerheblichen Zuspruch. Was sollte auch dagegensprechen? Wenn Verachtung als solche nicht überwunden wird, dann kann sie sich eben auch als Rassismus Bahn brechen. Wir werden etwa Rassismus nur dann überwinden, wenn wir uns der viel umfänglicheren gesellschaftlichen Aufgabe bewusstwerden, die Verachtung zu überwinden. Gibt es eine Form der Verachtung, kann jederzeit eine andere Form der Verachtung ausbrechen. Gewiss ist alle Arbeit gegen den Rassismus schon zu würdigen und zu fördern. Aber das alles ist Linderung. Wir brauchen, und dazu braucht es uns alle, eine Gesellschaft, die Verachtung überwindet, die Verachtung nicht will – und endlich: die Verachtung als soziales Organisationsprinzip nicht mehr braucht, eine, mit den Worten Avishai Margalits gesagt, anständige Gesellschaft.

Dr. Björn Freter ist freier Philosoph und lebt und arbeitet in Berlin.

(c) Björn Freter

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