InDepth – longread: Verstehen, was es heißt, kritisch zu fragen, was es gibt

(Kantische) Überlegungen zum ontologischen Fragen

Benedikt Wissing

Eine mögliche Auffassung von Philosophie lässt sich wie folgt wiedergeben: Philosophie untersucht die Grundstrukturen der Wirklichkeit, also das, was es letztlich wirklich gibt. Sie tut dies, indem sie Fragen danach stellt, was existiert. Spätestens seit der deutschen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts, ist es üblich, Fragen nach dem Seienden im Allgemeinen, einer philosophischen Teildisziplin mit dem Namen „Ontologie“ (metaphysica generalis) zuzurechnen. Beschreibt man aber das ontologische Fragen als ein Fragen danach, was existiert, dann hat man bereits eine Entscheidung über die Art des Fragens getroffen. Eine solche Entscheidung kann der Rückfrage ausgesetzt werden, ob sie selbst schon unkritische Voraussetzungen enthält. Sollte dies bejaht werden und problematisch sein, lässt sich weiterführend fragen, welche Art des ontologischen Fragens „kritisch“[i] genannt werden könnte. Beide Fragen sollen im Folgenden skizzenhaft behandelt werden, um nachzuvollziehen, wie man die kantische These verstehen könnte, dass „der stolze Name einer Ontologie […] dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen [muß]“ (KrV, A 247/B 303).

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In Debate: Kunst, KI, Kant und NFT: Wie geht das zusammen?

Dorothea Winter

NFT. An diesen drei Buchstaben kommt man zurzeit nicht vorbei. NFTs – Non-fungible Tokens, das sind nicht-austauschbare Token, die einen bestimmten Gegenstand in einer Blockchain repräsentieren. Ähnlich zu Kryptowährungen wie Bitcoin. Nur im Unterschied zu diesen sind NFTs einmalig und nicht teilbar. Das bedeutet, dass sie nur einmalig erworben werden können und auch nur ein einziges Mal existieren. Sie werden nicht nur für Millionen bei dem Auktionshaus Christie’s versteigert, sondern seit kurzem auch für den kleineren Geldbeutel auf einem eigenen Marktplatz, wie etwa des Videospielhändlers Gamestop angeboten. Das Missachten der Auktionsbedingungen seiner NFT-Kunst stellt in der Causa Fynn Kliemann den jüngsten Vorwurf gegen diesen dar. Und nicht zuletzt: NFT wurde zum Wort des Jahres 2021 des vielbeachteten Collins Dictionary gewählt. Wie gesagt: NFTs sind überall.
Doch viele Expert*innen des Kunstbetriebs gehen bereits einen Schritt weiter. Sie sehen in der Hochzeit zwischen NFT und Künstlicher Intelligenz (KI) jenen entscheidenden Schritt, der KI künstlerische Individualität zu verleihen vermag: Die digitale Signatur wird zum unverwechselbaren Pinselstrich des künstlichen Kunstschaffenden. Ist dieser Optimismus berechtigt?

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InDepth – shortread: Epistemic extortion, between epistemic obligation and political duty

Blas Radi

The growing field of political epistemology has proved fertile for reflecting on how to understand the relationship between epistemic and social positions, raising challenging questions about the intersection of social identities, epistemic norms and structural privilege. In doing so, it has illuminated both social aspects of knowledge and cognitive aspects of society (Broncano, 2020). Along these lines, in this brief essay I wish to contribute to the field by offering the concept of „epistemic extortion“. As I understand it, epistemic extortion takes the form of a dilemma experienced by vulnerabilized groups whenever they are forced to choose between experiencing the harms of epistemic exploitation or the negative consequences of not doing so.

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InDepth – shortread: Auschwitz erinnern

Anne Specht

… mein erster Besuch in Auschwitz ist jetzt über ein Jahr her. Seitdem schreibe ich darüber. Ich versuche, die Eindrücke zu reflektieren, einen Umgang mit der Hilflosigkeit zu finden, zu verstehen, warum dieser Besuch in meiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus so eine Zäsur darstellt. Am Anfang steht die Einsicht, dass Auschwitz nicht nur ein Ort ist, sondern zugleich Name für die Verdichtung aller Gräueltaten des Nationalsozialismus.[1] Am Ende – besser gesagt heute – steht dieser Text. Kein Bericht oder Leitfaden, keine streng wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Aufforderung, Auschwitz zu erinnern. Gegen alle Widerstände, auch die des heutigen Datums.

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