Demokratie ist mehr als eine Regierungsform. Sie ist eine Lebensform. Und sie ist vor allem eins: ein Ereignis. Zur Demokratie befähigt werden wir durch unsere Leidempfindlichkeit, welche die Voraussetzung dafür ist, nicht nur das eigene Leid, sondern auch das Leid Ander*er wahrzunehmen. Demokratie zeichnet sich überdies durch eine Differenzsensibilität aus, die der Motor von Pluralität ist (für ausführliche Literaturhinweise zum Folgenden siehe Manemann 2019).
„Ein Wissenschaftler ist kein Politiker, der wurde nicht gewählt und der muss nicht zurücktreten. Kein Wissenschaftler will überhaupt so Dinge sagen wie: Diese politische Entscheidung, die war richtig. Oder diese politische Entscheidung, die war falsch. Oder diese politische Entscheidung, die muss jetzt als Nächstes getroffen werden. Sie hören das von keinem seriösen Wissenschaftler. […] Die Wissenschaft bekommt damit langsam wirklich ein Problem mit dieser doppelten Aussage, die sowohl von der Politik, wie auch von der Wissenschaft kommt. Beide Seiten sagen, die Politik trifft die Entscheidungen und nicht die Wissenschaft. Das sagt sowohl die Politik, wie auch die Wissenschaft. Dennoch wird weiterhin immer weiter dieses Bild des entscheidungstreffenden Wissenschaftlers in den Medien produziert. Wir sind hier langsam an einem Punkt, wo dann demnächst auch die Wissenschaft in geordneter Weise den Rückzug antreten muss, wenn das nicht aufhört.“ – Christian Drosten, NDR Info: Coronavirus-Update. Folge 24, 30.03.2020.
Die
Corona-Krise zeigt, wie viel Unsicherheit in der Verhältnisbestimmung von Politik
und Wissenschaft besteht. Politische Entscheidungsträger*innen – so scheint es
– waren noch nie so sehr auf wissenschaftliche Expertise angewiesen, aber auch
in der Gesellschaft selbst findet sich ein Verlangen nach eindeutigen
wissenschaftlichen Erklärungen und Empfehlungen. Zugleich finden sich
Wissenschaftler*innen wie nie zuvor in der medialen Öffentlichkeit präsentiert
und damit zugleich in Debatten, für die sie nicht immer gerüstet sind.[1] Trotz eines Grundvertrauens
gegenüber Wissenschaftler*innen[2] führt deren Sichtbarkeit
zu der Frage: Wie sehr können und müssen sich Wissenschaftler*innen in die
Politik einmischen? Und wie stark können und müssen Politiker*innen wissenschaftliche
Ergebnisse als Grundlage ihrer Entscheidungen gewichten?
„Nackt in der Badewanne“ verkündete Madonna in einem Videoclip, dass das Coronavirus „der große Gleichmacher“ sei, und stellte dabei erleichtert fest: „Wenn das Schiff untergeht, gehen wir alle zusammen unter.“[2] Eine solche Aussage zeugt von Blindheit gegenüber den unterschiedlichen Verwundbarkeiten, denen unterschiedliche Menschen aufgrund unterschiedlicher Gefährdungen in der Corona-Pandemie ausgesetzt sind. Zu Recht rieben sich einige Fans die Augen; verwundert ob derlei Weltfremdheit mahnten sie: „Entschuldige, meine Königin, ich liebe dich so sehr, aber wir sind nicht gleich. Wir können durch die gleiche Krankheit sterben, aber die Armen werden am meisten leiden. Romantisiere diese Tragödie nicht“.[3]
Es scheint dieser Tage einen liberalen Konsens darüber zu geben, dass ein
Rückzug ins Private und Häusliche geboten sei. „Stay Home! Stay safe!“ – so
lautet die Anrufung. Der Gedanke des Rückzuges ins Private und Häusliche
markiert dabei freilich selbst schon eine privilegierte Perspektive. Der
Rückzug ins Private, Geschützte, Isolierte macht dabei zweierlei strukturelle
Fehler: Zum einen naturalisiert er das Private und das „Zuhause“ als einen Ort
der Sicherheit und des Rückzuges, der für viele nichts anderes als die Hölle
sein muss. Zum anderen setzt dieser Gedanke das Private dem Politischen und
damit öffentlich Verhandelbaren entgegen. Beide Fehler sind Grundfehler, die
dem Liberalismus eingeschrieben sind und nun auf falsche Weise reproduziert
werden.
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