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Philosophy and the Web: Googles Marktmacht: Ein neues Kapitel zur Lehre von der Souveränität?

Veröffentlicht am 5. Mai 2014

Anfang April startete in der FAZ eine Debatte über die Monopolstellung von Google und deren negative Auswirkungen für den Wettbewerb. Nachdem der ehemalige Google-CEO Eric Schmidt in einem Beitrag auf den ersten Artikel antwortete, bekam er wiederum eine Antwort in Form eines offenen Briefes, geschrieben vom Chef des Axel Springer Verlages, Mathias Döpfner. In seinem Brief gesteht Döpfner Angst vor der Macht von Google ein, führt wettbewerbsschädigende Praxen und die Monopolstellung des Internetkonzerns auf sowie die Datenschutzproblematik, die sich durch Googles Zugriff auf die Daten seiner Nutzer*innen ergebe. Eine sanfte Ironie der Geschichte, dass der Chef ausgerechnet des Unternehmens, das die 68er enteignet sehen wollten, es nun seinerseits mit der Angst vor der Übermacht eines Monopols zu tun bekommt. Döpfners Klage über Googles Macht, die polemisch als GooMoKap-Hypothese bezeichnet werden könnte, spricht aber dennoch gesellschafts- und wirtschaftspolitische Probleme von Belang an.

Eine Befürchtung des Springer-Vorstandsvorsitzenden kann jedoch getrost als unbegründet zurückgewiesen werden: Gegen Ende seines Artikels erwähnt Döpfner den Kauf einer Drohnenfirma durch Google, sowie Googles Pläne für „schwimmende Arbeitswelten“, also auf Schiffen angesiedelte Arbeitsstätten. Unter der Zwischenüberschrift „Überstaat im rechtsfreien Raum“ führt Döpfner unter anderem Folgendes aus:

 

„Er [Goolge-Gründer Larry Paige] träumt von einem Ort ohne Datenschutzgesetze und ohne demokratische Verantwortung. ‚Es gibt eine Menge Dinge, die wir gern machen würden, aber leider nicht tun können, weil sie illegal sind‘, verkündete Page schon 2013. ‚Weil es Gesetze gibt, die sie verbieten. Wir sollten ein paar Orte haben, wo wir sicher sind. Wo wir neue Dinge ausprobieren und herausfinden können, welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben.‘

Heißt das, Google plant für alle Fälle die Operation im rechtsfreien Raum, ohne lästige Kartellämter und Datenschutz? Eine Art Überstaat, der sein schwimmendes Reich ungestört an allen Nationalstaaten vorbeinavigiert?“

Bei aller berechtigten Kritik an Google: Zu einem „Überstaat“ wird das Unternehmen genauso wenig werden wie die Europäische Union. Dass die Entwicklung des Internets Auswirkungen auf staatliche Souveränität hat, lässt sich nicht abstreiten. Dass diese Entwicklung Souveränität jedoch grundsätzlich in Frage stellen oder herausfordern könnte, darin irren Netzromantiker*innen und Netzkritiker*innen. Wenn beispielsweise Byung-Chul Han in seinem Buch Im Schwarm Carl Schmitt mit der Feststellung zitiert „Souverän ist, wer über die Wellen des Raumes verfügt“[i], und daraus schließt, dass Souverän nach der digitalen Revolution sein werde, „wer über die Shitstorms des Netzes verfügt“[ii], dann klingt das originell, aber nicht überzeugend. Denn in Schmitts Verständnis wäre Souverän vielmehr diejenige Macht oder Institution, die Shitstorms, auch nur ein Teil des ewigen Gesprächs, einfach abstellen kann.  Sofern Han diese Option nicht einkalkuliert, worauf im Kontext seines Buches nichts deutet, gehen seine Äußerungen zum Shitstorm am Thema vorbei. Wie das Abstellen unerwünschter Meinungen im Netz funktioniert, hat etwa das autoritäre Regime in Iran mit seiner Drosselung des Netzes wegen der Nachwahlproteste 2009 unter Beweis gestellt. Auch die chinesische Regierung, die schlicht den Zugang zu Google gesperrt hat, könnte hier aufgeführt werden oder die Sperrung von Twitter und Youtube vor den diesjährigen Kommunalwahlen in der Türkei. Die Gefahr einer exterritorialen Netzmacht, die entgrenzt operiert, ist, wie diese Vorgänge zeigen, ein Schreckgespenst.

Nicht globale Verflechtungen und Machtkonzentrationen stellen die klassische Vorstellung von Souveränität in Frage, sondern eine zunehmende Tendenz zur Partikularisierung, welche die Fähigkeit von Staatsgewalten angreift, unterschiedliche Gruppen rechtlich und gesellschaftlich zu integrieren. Während die Welt wirtschaftlich betrachtet zunehmend zum globalen Dorf wird, spaltet sie sich politisch und kulturell in immer kleinere Einheiten, oder, bayerisch gesagt, Kuhkäffer auf. Seit den frühen 1990er Jahren kommt es zu einer Resurgenz dessen, was Carl Schmitt in seinem Buch „Theorie des Partisanen“ mit Verweis auf Jover Zamora den „tellurischen Charakter“[iii] genannt hat. Diese Eigenschaft, ins Deutsche frei übersetzt „die Erde (oder besser: Scholle) betreffend“ beschreibt Schmitt als ein Charakteristikum des Partisanen, des irregulären Kämpfers. Dieser sei dezidiert politisch und seiner jeweiligen Kriegspartei voll und ganz verschrieben. Am deutlichsten lässt sich diese Haltung aktuell an den „Selbstverteidigungskräften“ in der Ukraine, aber auch bei den einzelnen Parteien des Bürgerkriegs in Syrien oder im Südsudan beobachten. Der Charakter solcher Gruppierungen nicht mehr als staatliches, sondern als kulturelles, ethnisches oder religiös gefasstes Kollektiv lässt sich aber nicht nur in kriegerischen Auseinandersetzungen erkennen, sondern auch in den Ergebnissen der Schweizer Volksabstimmung zur Zuwanderungsbegrenzung samt anstehender Ecopop-Initiative oder in der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union mit ihrem Grenzregime.

Heute lässt sich an vielen Stellen beobachten, wie das Beharren auf partikularen ethnischen Identitäten gegen den multiethnischen Nationalstaat ins Feld geführt wird. Wenn die Volkssouveränität beschworen wird, geschieht dies zunehmend mit Bezug auf einen ethnischen, nicht einen politischen Volksbegriff. Und in gesellschaftlichen Diskussionen scheinen partikulare Argumentationen universalistische Ideen zunehmend abzulösen, was von manchen als Übergang von der Postmoderne zurück zu reaktionären Stammesgemeinschaften gedeutet wird.

Es sind also nicht die globalen, scheinbar ortlosen Konzerne, die staatliche Souveränität in Frage stellen, sondern politische Bewegungen, die den Ort betonen und ihre Ziele teils friedlich, teils militant durchzusetzen versuchen. Die Marktmacht von Konzernen wie Google unterscheidet sich von der politischen Macht von Staaten. Im Gegensatz zu politischen Bewegungen kann Google zwar die Form der politischen Willensbildung beeinflussen, sie aber kaum mit Inhalt füllen, sofern die anstehenden politischen Entscheidungen nicht den Konzern selbst betreffen. Corporate Identities sind zudem nur ein schwacher Ersatz für die beschworenen ethnischen Identitäten, welche die Intensitätsgrade von Auseinandersetzungen viel stärker anheben.  Auch staatsähnliche Sanktionsmöglichkeiten stehen Google nicht zur Verfügung. In seiner ganzen Existenz ist Google auf das Funktionieren von staatlichen Strukturen angewiesen und könnte für deren Versagen keinen Ersatz liefern. Ein Staat, gar ein Überstaat, ist mit Google nicht zu machen. Eine schärfere Regulierung von Google mag politisch (noch) nicht erwünscht sein, möglich ist sie allemal.

Im Gegensatz zu großen Unternehmen werden diejenigen, die auf ethnisch homogene Staaten drängen, nicht so einfach unter Kontrolle zu bringen sein. Ihre Betonung von ethnischen Identitäten wird für das Leben in Staaten und die Beziehung von Staaten zueinander von zunehmender Bedeutung sein. Dieser Aufschwung des Partikularismus zeigt zudem an, über wie wenig reelle Macht die virtuelle Netzgemeinde tatsächlich verfügt. Denn globale Vernetzung heißt eben nicht automatisch globale Kommunikation. Und globale Kommunikation heißt erst recht nicht gelungene globale Kommunikation. Sowohl Netzskeptiker*innen mit ihrer Angst vor „Datenkraken“, die teilweise hässliche Züge annimmt, als auch Netzeuphoriker*innen irren, wenn sie das Netz für die Welt nehmen.

 


[i] Lindner, Christian: Der Bahnhof von Finnetrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land, Berlin 2008, S.422f., zitiert nach: Han, Byung-Chul: Im Schwarm. Ansichten des Digitalen, Berlin 2013, S.13-14.

[ii] Han 2013, S.14.

[iii] Schmitt, Carl: Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkungen zum Begriff des Politischen, 6. Auflage, Berlin 2006, S.26

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