Wer den Trumpismus verstehen will, muss sich mit dem Tech-Milliardär Peter Thiel befassen. Und wer Thiel verstehen will, muss sich mit der Katechontik von Carl Schmitt, dem „Kronjuristen des III. Reiches“ (W. Gurian), befassen.[1] Dass es sich bei der Katechontik nicht um eine spinnerte Idee handelt, wurde jüngst in dem DLF-Podcast „Die Peter-Thiel-Story“ eindrücklich dargelegt.[2] Der Podcast zeigt auf, wie der politische Stratege Peter Thiel zum Ideologen im Gewande eines politischen Theologen alter Couleur avanciert ist.
Inhaltsverzeichnis
Der Ideologe
1924 schrieb Hugo Ball in einer Rezension zu Carl Schmitt:
„Chesterton sagt einmal in einem schönen Essay ‚Von den Idealen‘, daß unserer verworrenen und argen Zeit zu ihrer Sanierung keineswegs der große Praktiker nottut, nach dem alle Welt verlangt, sondern der große Ideologe. ‚Ein Praktiker, das ist ein Mensch, eingeweiht in die Alltagspraxis, in die Art, wie die Dinge gemeinhin funktionieren. Wenn aber die Dinge nicht arbeiten, dann braucht man den Denker, den Mann, der sowas wie eine Doktrin hat, warum die Dinge überhaupt funktionieren. Es ist unrecht, zu geigen, während Rom brennt, aber es ist ganz in der Ordnung, die Theorie der Hydraulik zu studieren, während Rom brennt‘. Carl Schmitt gehört zu denen, die ‚die Theorie der Hydraulik studieren‘; er ist mit seltener Überzeugung Ideologe; ja man kann sagen, daß er diesem Wort, das unter Deutschen seit Bismarck eine üble Bedeutung hat, wieder zu Ansehen verhelfen wird.“[3]
Was aber zeichnet den*die Ideolog*in aus?
„Er hat ein persönliches, fast ein privates System, dem er Dauer verleihen möchte. Er gruppiert alle Lebenstatsachen, gruppiert seine ganze Erfahrung um die eine Grundüberzeugung, daß Ideen das Leben beherrschen, daß das Leben niemals nach seinen Bedingungen, sondern nur nach freien, unbedingten, ja bedingenden Einsichten, eben nach Ideen geordnet und aufgebaut werden kann. (…) In einer Zeit, die das Nichts anbetet, indem sie die Ideologie bekämpft oder belächelt, in solcher Zeit, wird der Ideologe genötigt sein, seine Basis zu prüfen. Er wird zum Politiker und schließlich zum Theologen werden, ehe er sich’s versieht.“[4]
– genauer: zum politischen Theologen. Politische Theolog*innen alter Couleur betreiben eine soziologische Betrachtung juristischer Begriffe. In dieser radikalen Begrifflichkeit befragen sie die Tatsachen und Strukturen eines Systems: „Erst wenn der Gott oder Götze gefunden ist, dem vertraut und geglaubt wird, gilt ein System, eine Zeit, für begriffen.“[5] Der politische Theologe Peter Thiel glaubt, diesen Götzen gefunden zu haben: Es sei der Antichrist, und dieser verspreche „Frieden und Toleranz“, „Frieden und Sicherheit“.[6] Im Hinterkopf steht bei Thiel die Warnung des Paulus im ersten Brief an die Thessalonicher:
„Über die Zeiten und Fristen brauche ich euch, Brüder, nicht zu schreiben. Denn ihr wißt selbst genau: Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wenn die Leute sagen: ‚Frieden, Sicherheit!‘, dann wird plötzlich das Verderben über sie kommen wie die Wehen über eine schwangere Frau. Da wird es kein Entrinnen geben! Ihr aber, Brüder, seid nicht im Dunkeln, so daß euch der Tag wie ein Dieb überraschen könnte.“ (1 Thess 5,1-5)
Diejenigen, die solche Parolen verkünden, werden von Paulus als falsche Prophet*innen gebrandmarkt: „Die politische Brisanz der paulinischen Wendung tritt besonders deutlich hervor, wenn man beachtet, daß ‚Frieden und Sicherheit’ zugleich die auf Münzen und Inschriften, in öffentlicher Rede, Belletristik und Geschichtsschreibung belegte politische Propaganda der Pax Romana – pax et securitas – aufnimmt.“ [7]
Die Apokalypse
Thiel zufolge herrscht unter vielen Menschen eine realistische Angst vor existenziellen Gefahren, die in eine Weltzerstörung münden könnten: atomare Waffen, Biowaffen, KI-Roboter u.ä. In einer solchen Situation sehnten Menschen sich nach „Frieden und Sicherheit“.[8] Trotz der Angst sei den Menschen aber nicht bewusst, dass sie in der Zeit der Apokalypse lebten. Das liege zum einen daran, dass jede Person sich immer nur vor einer bestimmten Katastrophe fürchte. Zum anderen deute sich für einige am Horizorent eine Lösung an: eine Weltregierung. Diese verspreche „Frieden und Sicherheit“. Thiel sieht just genau in dieser Idee nicht nur eine weitere existentielle Gefahr. Was als Lösung der Probleme erscheint, hat für ihn geradezu eine diabolische Dimension. In der Zeit der Apokalypse übernehme die Weltregierung die Funktion des Antichristen. Das heißt: Diejenigen, die die Katastrophe – „Harmagedon“ – verhindern wollten, würden sich nun, so die These von Thiel, einer in seinen Augen noch größeren Gefahr zuwenden: dem „Antichristen“.
Wenn angesichts der existentiellen Gefahren von „Harmagedon“ gesprochen werde, so Thiel, dann stoße das noch auf Verständnis. Hingegen sei es tabuisiert, vom „Antichristen“ zu sprechen: „Antichrist is like, ‚Wow, what planet are you from?‘ And so that tells me that the existential risks are very selective of the sort that we’ve given, and the fears about a one world state are downplayed because they are the solution to the other ones.“[9] Nicht zuletzt aus diesem Grund gelte es, den Antichristen mehr zu fürchten als Harmagedon. Die Antichrist-Blindheit führe spätestens dann, wenn alles drunter und drüber gehen sollte, zur Einsetzung einer totalitären Regierung.[10] Aus diesem Grund reformuliert Thiel den 1946 in Umlauf gebrachten Slogan „One world or None” in „Antichrist or Armageddon”. Für ihn ist klar: Das ständige Reden von den Katastrophen, mit einem anderen Wort: Harmagedon, verhelfe dem Antichristen zur Macht, weil dieser den Geängstigten Frieden und Toleranz, Frieden und Sicherheit verspreche.
Der Antichrist
Zum Begriff „Antichrist“ (ein Begriff übrigens, der in der christlichen Bibel nur im ersten und zweiten Johannesbrief vorkommt) bietet Thiel folgende Erläuterungen an:
„There’s so many different things one can say about it. I think it was Ivan Illich who said that in the time before Christ, there were many forerunners to Christ. In the time after Christ, there will be many forerunners of the antichrist. So in some sense, it’s a type. So Nero was a type of the antichrist, or maybe Napoleon was a type of the antichrist. It’s someone which aspires for world domination, the creation of this sort of one world state. In some ways Alexander the Great was sort of a pre-Christ prototype of the antichrist. It’s very parallel to Christ. They both die at thirty-three. Alexander conquers the world. Christ saves us. It’s a sort of a compare and contrast. But in some sense, the antichrist as an idea is something that really comes into being in the world after Christ. And there’s a lot of things about it that are mysterious. In some ways, the antichrist copies Christ. The antichrist pretends to be greater than Christ. Hyper-Christian, ultra-Christian, and then maybe only ultimately, deeply, deeply anti-Christian.“[11]
Und er fährt fort: „So the antichrist probably presents as a great humanitarian, as a great redistributive figure, as an extremely great philanthropist, as an effective altruist – all of those kinds of things. And these things are not simply anti-Christian, but it is always when they get overly combined with state power that something is very wrong. There are ways Christ wants to unify the world.“ Und er fährt fort: „But if you force everyone to be a good Samaritan and you force a borderless world, that’s somehow adjacent. Somehow it’s an intensification, but it’s somehow also very much the opposite.“[12]
Thiel geriert sich zwar als der große Ideologe, als Anti-Antichrist, doch letztlich schimmert bei ihm immer wieder auch der bloße Stratege in eigener Sache durch:
„I have sort of more prosaic intuitions where I wonder what would be the marginal tax rates in one world state where people couldn’t move. I suspect they would be quite high. It sort of would be like East Germany with no escape. You couldn’t move to Texas or Florida and get to zero income tax. And then I think California would push them higher and the US would push them higher. And the limit of that seems quite bad.“[13]
Der Katechon
Thiel sucht nach einer Alternative, einem Pfad zwischen Harmagedon und dem Anti-Christen: „And the Christian intuition I have is, I don’t want Antichrist. I don’t want Armageddon. I would like to find some narrow path between these two where we can avoid both.“[14] Und genau hier kommt der Katechon ins Spiel, eine, wie er sie nennt, „mysteriöse Idee“, immer schillernd, ja sogar ambivalent. Thiel besitzt durchaus ein Bewusstsein davon, dass letztlich auch der Katechon, verursacht durch einen mimetischen Impuls[15], zum Antichrist avancieren kann.[16] Des Weiteren könne jemand auch auf die Idee kommen, Greta Thunberg für den Katechon zu halten, stehe sie doch dafür ein, das Schlimmste zu verhindern. Aber solchen Applikationen, so Thiel, sollte nicht viel Bedeutung beigemessen werden.[17]
Für Thiel sind die USA der Katechon. In gewisser Weise sieht er eine Parallele zwischen dem Römischen Empire und den USA. Seine Vorstellung vom Christentum ist ein konstantinisches Christentum: „I think Mother Teresa was a greater saint than Constantine, but there’s still a part of me that has a preference for the Christianity of Constantine. We still need something like that.“[18] Der Römische Katholizismus – eine Option? Thiel verneint mit „zwei Worten“: „Pope Francis“.[19]
Der Stichwortgeber für Thiels Überlegungen ist Carl Schmitt. Thiel bezieht sich nicht nur auf den Begriff des Politischen, die Unterscheidung von Freund und Feind[20], fasziniert ist er von Schmitts Realismus und dessen anti-utopischer Stoßrichtung. Nicht über die politisch-theologischen Fragen nachzudenken, die ja von Schmitt angestoßen wurden, hält er für gefährlich.[21] Sein besonderes Interesse gilt der Lehre des Katechon. Dieser steht für das Aufhalten des Chaos. Er ist für ihn die Gegenmacht des Antichrist und somit die Antwort auf die Gegenwartskrisen, die der Liberalismus nicht zu lösen imstande sei. In ihm sieht Thiel die alleinige Rettung. Nun lässt sich aber gerade an Carl Schmitt aufzeigen, dass es der Katechon ist, der letztlich selbst zum Antichristen mutiert. Zudem sitzt Thiel dem falschen Glauben auf, der Katechon ließe sich mit dem Katholizismus verbinden. Schmitt sollte weder als katholischer Christ noch als „Apokalyptiker von oben“ (Taubes)[22] verstanden werden, sondern vielmehr als Vertreter einer kupierten Gnosis.[23]
Die Katechontik Carl Schmitts
Zum Stellenwert des Katechon
Beginnen möchte ich mit einem Bekenntnis von Carl Schmitt, das dieser 1950 formulierte: „Ich glaube nicht, daß für einen ursprünglich christlichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das des Kat-echon überhaupt möglich ist.“[24]
Schmitts Begriff des Politischen ist fundiert in einem politischen „Realismus“. Durch den Rekurs auf Deutungen der Erbsündenlehre traditionalistischer Katholiken der Gegenaufklärung proklamiert er die Sündhaftigkeit der Geschichte im Ganzen. Diese Deutung kombiniert er mit einer Prädestinationslehre. Das Politische wird ihm dadurch, und darauf hat Heinrich Meier dezidiert hingewiesen, zum „Geschick“.[25] Sein Begriff des Politischen geht zudem einher mit einer politischen Christologie, die jeglichen Utopieverzicht fordert; denn die Menschen sollten jeden Wunsch nach Erlösung über die hinaus, die mit Jesus in die Welt kam, aufgeben. Das jüdische „Nein“ zu Jesus gilt ihm als die ordnungsfeindliche und utopieträchtige Haltung schlechthin.[26] Hier nun tritt das Katechontische seiner politischen Theologie hervor.
Die Lehre vom Katechon[27] ist für Schmitts politische Theologie fundamental, obwohl das Wort in der gleichnamigen Schrift nicht auftaucht. Ein letztes Mal findet es in der Politischen Theologie II Anwendung. Hier rekurriert Schmitt aber lediglich auf die Position Erik Petersons, für den nach Schmitt das Katechon – hier benutzt er das Neutrum[28] – der Unglaube der Juden gewesen sei und fragt sich, wie wohl Eusebius sich zu der Meinung vom Römischen Imperium als dem Aufhalter des Antichrist, dem Katechon des Paulus-Briefes gestellt habe.[29] Eigenen Angaben zufolge entwarf Schmitt aber bereits 1932 eine „théorie du katecwn“: „Vous connaissez ma théorie du katecwn, elle date de 1932.“[30] – also noch vor der zweiten Ausgabe der Politischen Theologie, vor dem Ende der Weimarer Republik und kurz vor dem Eintritt in die NSDAP. Diese Theorie begann er jedoch erst zehn Jahre später auszuformulieren. Hier scheint die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten die Angst, die sich in der Theorie des Katechon ausdrückt, in den Hintergrund gedrängt zu haben.[31] Insbesondere in den Tagebuchnotizen ist eine Retheologisierung des Begriffs zu verzeichnen, wird er doch zu einem wesentlichen Bestandteil: „(…) ich glaube an den Katechon; er ist für mich die einzige Möglichkeit, als Christ Geschichte zu verstehen und sinnvoll zu finden. (…) Die Theologen von heute wissen es nicht mehr und wollen es im Grunde auch nicht wissen.“[32]
Es ist schwierig, genau zu definieren, was Schmitt unter dem Katechon versteht – dass dieser jedoch einem theologisch-eschatologischen Hintergrund entstammt, dürfte klar sein. Grob lassen sich die verschiedenen Verwendungsweisen „in eine auf das ‚eschaton‘, das ‚Äußerste‘ und ‚Letzte‘ (…) ausgerichtete Sicht der Geschichte einfügen.“[33] Dabei können folgende Typen aufgelistet werden[34]:
Lokale Aufhalter: Masaryk, Pilsudsky, Kaiser Franz Joseph, Rudolf II., Byzanz und als Nicht-Katechon Toynbee. Diese lokalen Aufhalter nehmen ihre Funktion nur innerhalb eines bestimmten Raumes wahr.
Universale Katechonten:
Geschichtsimmanente Typen: das britische Empire, Savigny, Hegel und der fehlende Katechon bei Tocqueville. Sie halten eine allgemeine Entwicklung auf.
Geschichtstranszendente Typen: der fehlende Katechon bei Cortés, die Jesuiten, die römische Kirche, der mittelalterliche Kaiser. Diese Katechonten halten das Ende der Welt auf, sind also eine geschichtstheologische Notwendigkeit.
Nicht zuletzt hat Carl Schmitt sich selbst in der Rolle des Katechon gesehen: „Ich bin jetzt mehr als Thomas Masaryk.“[35] Auch wenn es sich hier lediglich um einen indirekten Verweis auf die eigene katechontische Funktion handelt, „ist der Gedanke, Schmitt selbst als eine der Erscheinungsformen des Katechon zu nehmen, nicht von der Hand zu weisen.“[36] Ferner ist festzustellen, daß Schmitt während des Krieges vom Katechon nur im lokalen und im universellen, geschichtsimmanenten Sinne spricht. Erst nach dem Krieg gewinnt der universelle, geschichtstranszendente Katechon immer mehr an Bedeutung und der Typus des lokalen Aufhalters verschwindet fast völlig.[37] Insgesamt gilt jedoch, daß Schmitts Lehre vom Katechon vielseitig anwendbar ist[38] und zur Worthülse zu werden droht.[39] Aus diesem Grund liegt es auch nahe, ihn als eine Metapher[40] zu verstehen, mit der Schmitt „den heißen Boden betrat, von dem die Theologen abgetreten waren“[41].
Katechontik: Herrschaft in Permanenz
Vor allem die universellen, geschichtstranszendenten Katechonten übernehmen die Funktion, das Weltende aufzuhalten. Schmitt reiht sich mit dieser Idee des Katechon nicht nur in bestimmte christliche Strömungen ein, sondern nimmt direkt auf die Entschärfung der Apokalyptik durch die Katechontik im Neuen Testament Bezug.[42] Hatte Paulus im oben zitierten 1.Thessalonicherbrief noch formuliert:
„Über die Zeiten und Fristen brauche ich euch, Brüder, nicht zu schreiben. Denn ihr wißt selbst genau: Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wenn die Leute sagen: ‘Frieden, Sicherheit!’[43], dann wird plötzlich das Verderben über sie kommen wie die Wehen über eine schwangere Frau. Da wird es kein Entrinnen geben! Ihr aber, Brüder, seid nicht im Dunkeln, so daß euch der Tag wie ein Dieb überraschen könnte.“ (1 Thess 5,1-5)
– so lautet die Entschärfung im 2. Thessalonicherbrief, der wohl nicht von Paulus stammt und als „Stiftungsurkunde des Katechon“[44] bezeichnet werden kann:
„Was aber nun das Kommen unseres Herrn Jesus Christus und unsere Vereinigung mit ihm angeht, so bitten wir euch, Brüder: Laßt euch nicht so schnell von der Besonnenheit abbringen und euch Angst einjagen, weder durch einen Prophetengeist noch durch ein angeblich von uns kommendes Wort oder einen Brief, als stehe der Tag des Herrn unmittelbar bevor. Keiner soll euch auf irgendeine Weise betrügen! (Der Tag des Herrn wird nicht kommen), bevor nicht der große Abfall gekommen ist und der Frevelmensch sich offenbart hat, der Sohn des Verderbers, der Feind, der sich gegen alles erhebt, was Gott und Gottesverehrung heißt, und der zuletzt sogar im Tempel Gottes Platz nimmt, indem er vorgibt, er sei Gott. Erinnert ihr euch denn nicht daran, daß ich euch dies gelehrt habe, als ich bei euch war? Und jetzt wißt ihr auch, was (das Kommen dieses Tages) jetzt noch aufhält, damit er sich erst zu seiner Zeit offenbaren kann. Denn das Geheimnis des Frevels ist schon jetzt wirksam, nur muß zuvor der, der es noch aufhält, beseitigt werden. Doch dann wird er hervortreten, der Frevler, und der Herr Jesus wird ihn durch den Hauch seines Mundes töten und durch sein Erscheinen vernichten, wenn er kommt.“ (2 Thess 2,1-8)
Trotz aller Entschärfung spiegelt 2 Thess 2,1-8 Grundgedanken der frühjüdischen Apokalyptik wider, so beispielsweise in der Vorstellung, dass die Herrschaft des Bösen auf ihrem Höhepunkt durch das direkte Eingreifen Gottes zernichtet wird.[45] Auch werden die Parusie und der Gedanke des baldigen Endes nicht nivelliert, wohl aber derjenige des unmittelbar bevorstehenden Endes. Ekklesiologisch ist diese Änderung von großer Bedeutung, denn: „Kirche gibt es nur unter der Voraussetzung, daß das Kommen Christi nicht unmittelbar bevorsteht.“[46] Schmitt allerdings betrachtet das Ausbleiben der Parusie mit viel Sympathie. Dementsprechend zieht er in seiner strikt anti-apokalyptischen Interpretation einen „garstig breiten Graben“ zwischen den beiden Briefen, während Thiel beide als Einheit betrachtet. Aus diesem Grund vermag Thiel auch gar nicht wirklich die Ambivalenz des katechontischen Gedankens erkennen, denn: Der Katechon ist ja nicht nur der Aufhalter der Schreckensherrschaft des Teufels, sondern auch der Parusie. So gilt es für Schmitt zu entscheiden: Apokalyptik oder Katechontik? Apokalyptik bedeutet: Zerrissenheit in Permanenz[47] – Katechontik: Herrschaft des Vorletzten, der permanenten Realität. Schmitt favorisiert letzteres, um das Chaos zu bändigen. Der Katechon war für ihn das Credo des Christen:
„Wer ist heute der Katechon? (…) Man muß für jede Epoche der letzten 1948 Jahre den Katechon nennen können. Der Platz war niemals unbesetzt, sonst wären wir nicht mehr vorhanden. Jeder große Kaiser des christlichen Mittelalters hat sich mit vollem Glauben und Bewußtsein für den Katechon gehalten, und er war es auch. (…) Es gibt zeitweise, vorübergehende, splitterhaft fragmentarische Inhaber dieser Aufgabe. Ich bin sicher, daß wir uns sogar über viele konkrete Namen bis auf den heutigen Tag verständigen können, sobald nur einmal der Begriff klar genug ist.“[48]
Die gnostische Dimension der Schmittschen Katechontik
Warum ist diese Katechontik aber als politische Gnosis zu verstehen? Ist seine Politische Theologie I nicht gerade – im Kontrast zum christologischen Dualismus in der Politischen Theologie II – als anti-gnostisch zu charakterisieren, weil sie keinen expliziten Dualismus zwischen Schöpfer- und Erlösergott kennt? Eher kommt es in ihr zur Gleichsetzung von Schöpfung und Erlösung. Und Thiel? Er führt zwar eine strikte Unterscheidung zwischen dem Alten Testament und dem Neuen Testament durch. Das NT sei progessiver, so seine Formulierung. An anderer Stelle spricht er davon, dass das NT das AT abglöst habe, schränkt diese Aussage aber auch im selben Gespräch leicht ein. Er weiß um die Gefahr der Überdehnung der Unterscheidung, dann nämlich lande man, so Thiel, bei Marcion und Marx.
Thiel warnt also vor dem Gnostiker Marcion, aber er sieht nicht, dass dem „heroischen Realismus“[49], wie er bei Schmitt zum Tragen kommt, im letzten eine gnostische Weltsicht zugrundeliegt; denn:
„Am Ende vom Lied bringt noch die tiefste Verzweiflung mehr Weltbejahung auf als die abgerungene Einsicht ins Unvermeidliche. Der heroische Realismus eines Carl Schmitt drückt nichts anderes als den Haß auf diese Welt und ihre Möglichkeiten aus und sehnt sich – wie die antiken Gnostiker – nach einer Erlösung durch Erkenntnis, eine Erlösung, die ausnahmslos dem eigenen Ich dient. (…) Am Anfang und am Ende steht nur noch ein sündiges, kontingentes Ich, mit dem der Verzweifelte alleine gelassen ist.“[50]
Diese Grundstimmung, die sich in Schmitts politischer Theologie ausdrückt[51], ist durchaus kompatibel mit der manichäischen Mentalität und ihrem Hass auf die ganze Welt.[52] Wenn es sich bei Schmitts politischer Theologie um Gnosis handelt, dann aber um eine säkularisierte Gnosis, der das „ganz Andere“ kupiert wurde. Auf ihrer Basis schließt sich endgültig das „stählerne Gehäuse“ (M. Weber). Und so fährt er in seinen Tagebuchaufzeichnungen – gegen den Offenbarungspositivismus eines Karl Barth ankämpfend[53] – fort: „Gott ist das ganz Andere? Das verkünden die Theologen. Na ja, Theologen christlicher Kirchen. Staatsbeamtete Opfer des Faschismus, Überprivilegierte und potentielle Nobelpreisträger. Gott das ganz Andere? Gott ist das ganz Identische; Gott ist Ich.“[54]
Im Gegensatz zum gnostischen Denken wird Gott im normativen Judentum, im Islam, in seinen sunnitischen und shiitischen Ausformungen, im Christentum, sei es römisch-katholisch, östlich orthodox oder im üblichen Sinne protestantisch als nicht identisch mit dem Selbst bestimmt. Selbstverständlich gab und gibt es mystische Traditionen, die, vom Selbst ausgehend, Gott bestimmen, aber sie tun es doch meist in dem Willen, diese Vorstellung mit dem der Institution zu korrelieren. Eine radikale Alternative ist und war die Gnosis, „an acquaintance with, or knowledge of, the God within, that has been condemned es heretical by the institutional faiths.“[55] Erkenntnistheoretisch gewendet ergeht an die Gnostiker*innen die Aufforderung, sich nicht außerhalb seines Selbst zu suchen, da das Selbst nur im Selbst auffindbar ist.[56] Die darin grundgelegte Aufhebung der Differenz zwischen Gott und Mensch steht in der Gefahr, den Antichrist zu gebären, denn hatte es nicht im o.g. Text aus 2 Thess 2,1-8 geheißen, daß der Frevelmensch, der „Mensch der Gesetzlosigkeit“[57], derjenige sei, „der sich gegen alles erhebt, was Gott und Gottesverehrung heißt, und der zuletzt sogar im Tempel Gottes Platz nimmt, indem er vorgibt, er sei Gott (…)“?[58] Um das Politische als das Totale zu erkennen, greift Schmitt auf gnostische Motive zurück, die er jedoch wiederum derart umbesetzt, dass sie in einen radikalen Immanentismus münden.[59] Schlussendlich schlüpft Schmitt in genau die Rolle jenes Antichrist, den er doch angeblich stets bekämpfte.[60]
Wenn Schmitts politische Theologie hier als kupierte Gnosis charakterisiert wird, dann ist darauf hinzuweisen, daß er die Gnosis in die Sphäre des Politischen transformiert. Innerhalb dieser Sphäre, wie Schmitt sie definiert hat, ist Veränderung illegitim, da über die von Jesus in die Welt gebrachte Erlösung keine andere gedacht werden darf. Ferner deckt sich Schmitts „Bereitschaft zum Nichts“[61] mit dem gnostischen Motiv der Weltverneinung. Eine Welt der „katholischen Verschärfung“, wie Schmitt sie antizipiert, ist eine manichäische Welt[62], deren Dualismus sich in der Freund-Feind-Unterscheidung realisiert.[63] Insbesondere im Anti-Ethischen dieser Differenz, die ja jenseits von Gut und Böse angesiedelt ist, wird der gnostische Grundzug evident.[64] Ganz deutlich im Grundmotiv: Es herrscht Krieg![65] – aber auch die Leibfeindlichkeit seiner politischen Theologie wäre hier zu nennen.[66] Nicht von ungefähr rekurriert Schmitt in der Politischen Theologie II explizit wieder auf die gnostische Unterscheidung, die für sein Denken essentiell ist:
„Ein Theologe hört auf, Theologe zu sein, wenn er die Menschen nicht mehr für sündhaft oder erlösungsbedürftig hält und Erlöste von Nicht-Erlösten, Auserwählte von Nicht-Auserwählten nicht mehr unterscheidet, während der Moralist eine Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse voraussetzt.“[67]
Gnostisch ist die Radikalität der hier explizierten Prädestination zu nennen.[68] Übrigens machte ja schon Hans Blumenberg Augustinus hinsichtlich seiner Prädestinationslehre den Vorwurf, gnostische Elemente in die Theologie transportiert zu haben.[69] An dieser Stelle zeigt sich auch, daß der Deutung von Johann Baptist Metz zu widersprechen ist, der Universalismus der Erbsündenlehre sei der eigentlich neuralgische Punkt in Schmitts politischer Theologie.[70] Es ist gerade Schmitts Aufkündigung dieses Universalismus durch die Prädestinationslehre.[71]
Obwohl Jacob Taubes Schmitt als „Apokalyptiker der Gegenrevolution“[72] titulierte, war es wiederum Taubes, der die apokalyptische Grundhaltung in Absetzung von Schmitt wie folgt auf den Punkt gebracht hat:
„Es ist eines, Theologe zu sein, ein zweites Philosoph, und es ist ein Drittes, Jurist zu sein. Das – hab ich im Leben erfahren – ist eine ganz andere Weise, die Welt zu begreifen. Der Jurist muß die Welt, wie sie ist, legitimieren. Das liegt in der ganzen Ausbildung, in der ganzen Vorstellung des Amtes des Juristen. Er ist ein Clerk, und er versteht seine Aufgabe nicht darin, Recht zu setzen, sondern Recht zu interpretieren. Das Interesse von Schmitt war nur eines: daß die Partei, daß das Chaos nicht nach oben kommt, daß Staat bleibt. Um welchen Preis auch immer. Das ist für Theologen und Philosophen schwer nachzuvollziehen; für den Juristen aber gilt: solange auch nur eine juristische Form gefunden werden kann, mit welcher Spitzfindigkeit auch immer, ist es unbedingt zu tun, denn sonst regiert das Chaos. Das ist das, was er später das Kat-echon nennt: Der Aufhalter, der das Chaos, das von unten drängt, niederhält. Das ist nicht meine Weltanschauung, das ist nicht meine Erfahrung. Ich kann mir vorstellen als Apokalyptiker: soll sie zugrunde gehen. I have no spiritual investment in the world as it is. Aber ich verstehe, daß ein anderer in diese Welt investiert und in der Apokalypse, in welcher Form auch immer, die Gegnerschaft sieht und alles tut, um das unterjocht und unterdrückt zu halten.“[73]
Schmitt unterscheidet mit dem Begriff des Katechon Jurisprudenz und Katholizismus, denn „trotz all dieser Verwandtschaft im Formalen“[74] liegt hier eine die Jurisprudenz transzendierende Vorstellung zugrunde. Die heilsgeschichtliche Funktion dieser mit dem Begriff des Katechon bezeichneten Ordnungsmacht liegt darin, „als äußerlich-weltliche Macht im Dienste einer inneren Idee der Geschichte zu stehen: nämlich die Gegenkraft zur utopischen Verweltlichung der eschatologischen Verheißung des Christentums zu sein.“[75] Dagegen wäre theologisch zunächst einmal nichts einzuwenden.[76] Auch Thiel vetritt eine anti-utopische Perspektive. Wie Schmitt sich aber nun konkret die Hypostasierung der Idee und des Begriffs zur Realität vorstellt, was er unter der Struktur eines solchen Handlungsmodells versteht, exemplifiziert er an Adolf Hitler:
„Die Idee bemächtigt sich eines Individuums und tritt dadurch immer als fremder Gast in die Erscheinung. Der fremde Gast war Adolf. Er war fremd bis zur Karikatur. Fremd gerade durch die aseptisch-leere Reinheit seiner Ideen von Führer, Charisma, Genie und Rasse. Er war ein voraussetzungsloser Vollstrecker.“[77]
Die Unterscheidung von Freund und Feind wird in der Politischen Theologie II ein weiteres Mal theologisch begründet, dieses Mal durch direkten Rekurs auf den gnostischen Mythos, und zwar im Kontext der Auseinandersetzung mit Blumenberg. Schmitt definiert in diesem Zusammenhang die christliche Trinitätslehre als Stasiologie. Gerade der gnostische Dualismus ist nun für ihn radikaler Ausdruck dieser Stasiologie:
„Der gnostische Dualismus setzt einen Gott der Liebe, einen welt-fremden Gott, als den Erlöser-Gott gegen den gerechten Gott, den Herrn und Schöpfer dieser bösen Welt. Beide verhalten sich, wenn nicht in beiderseitig aktiv kämpfender Feindschaft, so doch in unüberbrückbarer Fremdheit, einer Art gefährlichen Kalten Krieges, dessen Feindschaft intensiver sein kann als eine Feindschaft, die sich in der Naivität einer offenen Feldschlacht bekundet und betätigt. Die Zähigkeit und Schwer-Widerlegbarkeit des gnostischen Dualismus beruht weniger auf der Evidenz alter mythischer und metaphorischer Bilder von Licht und Finsternis; sie besteht vielmehr darin, daß ein allmächtiger, allwissender und allgütiger Schöpfergott für die von ihm geschaffene Welt nicht mit einem Erlösergott identisch sein kann.“[78]
Der gerechte Gott ist hier nicht derjenige, der Gerechtigkeit verbürgt, sondern derjenige, den man deshalb „gerecht“ nennt, weil alles, was er verfügt, wegen der Sündhaftigkeit der Menschen immer schon gerecht sein muß.[79] Daß sein Begriff des Politischen mit der Vorstellung von einem Gott der Liebe inkommensurabel ist, ist evident. Und so kommt Schmitt dann auch zu folgender Conclusio:
„Das strukturelle Kernproblem des gnostischen Dualismus von Schöpfergott und Erlösergott beherrscht aber nicht nur jede Heils- und Erlösungsreligion. Es ist in jeder änderungs- und erneuerungsbedürftigen Welt unentrinnbar und unausrottbar gegeben. (…) Der Herr einer zu ändernden, d.h. verfehlten Welt (dem die Änderungsbedürftigkeit zugerechnet wird, weil er sich der Änderung nicht fügen will, sondern sich ihr widersetzt) und der Befreier, der Bewirker einer veränderten, neuen Welt können nicht gut Freunde sein. Sie sind sozusagen von selbst Feinde.“[80]
Schmitt versucht also, die Freund-Feind-Konstellation metaphyisch abzusichern, indem er in ihr bereits einen „Vor-Fall“ im Himmel sieht. In einer solchen Vorverlagerung liegt auch die Trennung zwischen Gnosis und Christentum begründet. Denn für die Gnosis beginnt der „Fall“ schon im Himmel, während im Christentum der Fall mit Adam beginnt.[81] Um aber nicht in den Verdacht der Häresie zu gelangen, formuliert er den gnostischen Dualismus von Schöpfer- und Erlösergott christologisch: „Die Lehre von der Trinität umhüllt die Identität von Schöpfergott und Erlösergott in der Einheit von Vater und Sohn, die beide nicht absolut identisch, aber dennoch ‘Eins’ sind, wobei ein Dualismus von zwei Naturen, Gott-Mensch, in der zweiten Person zur Einheit wird.“[82] In dieser christologisch-„gegenstrebigen Fügung“[83] kulminiert die eigentliche Schmittsche complexio oppositorum[84], die jedoch von Schmitt gnostisch entwickelt wird[85]: hier der Erlöser – dort der gehorsame Sohn; hier der Prometheus-Christus – dort der Epimetheus-Christus; hier Theozentrismus – dort Anthropozentrismus.[86] Für ihn ist der Prometheus-Christus die Essenz der Selbstermächtigung der Moderne. Nach Schmitt stellt sogar die Selbstermächtigung des Menschen einen Akt theologischer Rebellion dar, einen Akt überdies, „durch den der Mensch zum Erben der politisch-theologischen Feindschaft wird, die dem Begriff des in sich entzweiten Gottes als substantielles Moment innewohnt.“[87]
Vorausgesetzt, die von Schmitt vorgeschlagene theologische Kernspaltung wäre christologisch entwickelbar, so hieße das, dass es letztlich keine eindeutige Interpretation der Offenbarung geben würde, sondern daß man zu wählen hätte zwischen dem Prometheus-Christus und dem Epimetheus-Christus.[88] Aus einer solchen Deutung ergäbe sich dann in der Konsequenz ein häretischer Imperativ und das Eingeständnis, dass Schmitt – aufgrund des Rückgriffs auf den gnostischen Gedanken, durch den die Basis des Begriffs des Politischen vor den Angriffen Petersons und Blumenbergs gerettet werden sollte – der Neuen Politischen Theologie (dem Judenchristentum) als dem feindlichen Bruder der alten politischen Theologie (dem Heidenchristentum) Orthodoxie zugestehen müßte.[89] Dem widerspricht jedoch, dass für Schmitt die Eckpfeiler der politischen Theologie mit ihren Leitbegriffen (Souveränität, Entscheidung, Ausnahmezustand), seine negative Anthropologie und seine Geschichtstheologie dazu dienen sollen, „die Wirkung Christi im sozialen und politischen Bereich unschädlich [zu] machen; das Christentum [zu, J.M.] ent-anarchisieren, ihm aber im Hintergrund eine gewisse legitimierende Wirkung zu belassen und jedenfalls nicht darauf zu verzichten.“[90] Das sich aus der Schmittschen politischen Theologie ergebende Christusbild ist deshalb nicht der Erlöser, mit dem das Reich Gottes anbricht, sondern der gehorsame Sohn, nicht der Prometheus-Christus, sondern der Epimetheus-Christus. Beide stehen sich in seiner politischen Theologie nicht gleichrangig gegenüber, da Schmitt sich bereits für letzteren entschieden hat. Diese fundamentale Entscheidung in der Unterscheidung ist primär nicht grundgelegt in einer Verschränkung von Totalitarismus und Monotheismus, wie Peterson meinte, sondern in einem politischen Anti-Monotheismus als Ausfluß einer kupierten Gnosis. Im Gegensatz etwa zur Marcionitischen Gnosis optiert die kupierte Gnosis für die Welt des Demiurgen, für den Status quo. Jesus Christus ist für Schmitt nur in dem Sinne eine Ordnungsmacht, als er das Bekenntnis zu ihm nur zu dem einen Zweck bemüht, „als luftdichter Korken eine brodelnde, gefährliche Gesellschaft unter Verschluß zu halten“[91]. Was Schmitt am Christentum faszinierte, das war die ihm inhärente gnostische Dauerversuchung; sie wiederum bildete das Scharnier zwischen seiner politischen Theologie und dem Nationalsozialismus.[92]
Blumenberg hat gegen Schmitt die stasiologische Deutung der Trinität zurückgewiesen, dennoch konzedierte auch er:
„Die Abwendung aller Doketismen verlangt zudem, daß der Sohn Mensch in alle Ewigkeit bleibt – etwas Unverzeihliches für einen Gott und daher immer mit dem Rest an Schwierigkeiten behaftet, der noch im spekulativen Versuch, eine ewige Prädestination zur Menschwerdung scholastisch auszudenken, greifbar geblieben ist. Da zeigt sich, daß bei aller Beschwörung von Liebe und Einheit in der Trinität Spuren der alten dualistischen Versuchungen unverwischbar geblieben sind. Zumal in der Rollenverteilung: der Schöpfergott an den Vater und der Erlösung an den Sohn sowie der nach-eschatologischen, sogar gegeneschatologischen Institutionalisierung des Gnadenschatzes an den Geist – den Geist der Enttäuschung.“[93]
Aber:
„Unter der christologischen Prämisse kann ein Gott gegen Gott nur die Delegation der Sache der Menschheit gegenüber dem Vater an den Sohn als Versöhner bezeichnen. Das schließt den metaphysischen Dualismus gnostischer wie neuplatonischer Deszendenz aus.“[94]
Bei Schmitts christologischen Bezügen handelt es sich um eine politische Gnosis, d.h. um eine kupierte Gnosis, eine Gnosis ohne die Euphorie der Erlösung.[95] Politische Gnosis ist Gnosis im Zeitalter ihrer Säkularisierung. Einer solchen Gnosis wird der Raum zum Paradies und die Zeit zur Hölle.[96] Der anti-apokalyptische Affekt verwandelt sich bei Schmitt durch die gnostische Verschärfung zum anti-jüdischen Affekt, der bereits grundgelegt war in seiner anti-jüdischen Antithetik von Gesetz und Nomos, die sich schon in seiner Schrift Gesetz und Urteil (1912) andeutet.[97] Von hier aus wird auch deutlich, daß Schmitts eigene Begriffe nicht nur im analytischen Sinn – bezogen auf historische Abhängigkeiten und Strukturidentitäten – „säkularisierte theologische Begriffe“[98] sind, sondern daß sie auch imprägniert sind von einem bestimmten geschichtsphilosophischen Verständnis des Judentums, das gerade in einen antithetisch-antijüdischen Anti-Nomismus kulminierte und dadurch seine Nähe zum gnostischen Denken signalisiert. Von seinen Überlegungen von 1912 ausgehend entwickelte Schmitt demgegenüber einen dem Boden verhafteten Nomismus, der Ordnung und Ortung als gleichursprünglich versteht.[99] Sein Antisemitismus radikalisierte sich derart, daß er auch das Christentum als „Judentum fürs Volk“[100] treffen mußte.
Die hier entwickelten Plausibilitätssuggestionen zeigen, daß die Charakterisierung Schmitts als „Apokalyptiker von oben“ (J. Taubes) nicht stimmig ist, da apokalyptisches Denken aus „dem Zustand der Unterdrückten“ [101] sich entwickelt.[102] Schmitts politische Gnosis besitzt dagegen Affinitäten zur Theologie des Großinquisitors, die den Wunsch, daß die Welt doch anders sein möge, unter’s Verdikt fallen läßt. So endet Schmitts Tagebuch mit der Passage:
„Mit jedem neugeborenen Kind wird eine neue Welt geboren. Um Gottes Willen, dann ist ja jedes neugeborene Kind ein Aggressor! Ist es auch, und darum haben die Herodesse Recht und organisieren den Frieden. Und so schließt denn dieses Buch mit dem schönen Worte: Frieden!“[103]
Dieses Zitat signalisiert wiederum eine Nähe zur Gnosis, deren Züge teils in den etablierten Religionen, teils im Untergrund weiterlebten und immer noch weiterleben und nicht zuletzt im Mythos der Nationalsozialisten wiederkehrten.[104] Der Haß auf das Kind ist Ausdruck des Hasses auf eine Neuschöpfung. Dieser Haß artikulierte sich in antiken gnostischen Sekten durch aktives Abortieren ungeborener Kinder.[105] Schmitts Rede gegen die Neugeborenen ist symbolischer Ausdruck des Hasses auf eine Welt, die die Abscheidung von Freund und Feind unterminieren könnte. Kein geringerer als Hans Jonas hat gegen das gnostische Denken Das Prinzip Verantwortung[106] gesetzt.[107] Gegen dualistische Denkweisen, insbesondere auch gegen den Gegensatz von Sein und Sollen verweist Jonas auf das Neugeborene, von ihm nimmt Ethik ihren Ausgang, da in seinem Anblick beide Momente, Sein und Sollen, zusammenfallen:
„Denn auf die Aufforderung: Zeigt uns einen einzigen Fall – ein einziger genügt, um das ontologische Dogma zu brechen! -, wo jener Zusammenprall stattfindet, so kann man auf das Allervertrauteste hinzeigen: das Neugeborene, dessen bloßes Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich: sich seiner anzunehmen. Sieh hin und du weißt.“[108]
Schmitt ging es um die Konservierung einer Herrschaft in Permanenz, nicht um die Einlösung einer gefährlichen Erinnerung. Ein „Sprung-bewußtsein“ im Zeichen des „fremden Gottes“, wie Ernst Bloch es beispielsweise bei Marcion fand, war für Schmitt deshalb unmöglich.[109] Der „Großinquisitor“ Schmitt ist einerseits Amoralist in seiner leidenschaftslosen Haltung zur Wirklichkeit.[110] Er ist Spiegelbild einer Wirklichkeit, die ihn zum Realisten, zum Pragmatiker macht. Andererseits gründet die Radikalität dieser Amoralität in einer gnostisch zu nennenden Hypermoralität: Zu guter Letzt fühlt er sich doch als das Gute selbst, denn die Einsicht in die Notwendigkeit der Herrschaft einzelner über die vielen und die Übernahme der Herrschaft stellen für ihn eine Art Selbstopfer dar.[111] Er allein scheint fähig zum Realismus, d.h. die Welt und die Menschen so zu nehmen, wie sie sind.[112] Dieser Elitismus ist kennzeichnend für eine gnostische Gestimmtheit, die eben nicht auf pistis, sondern auf gnosis beruht.[113]
Die Hypostasierung des Begriffs und der Idee zur Realität – darauf drängt Schmitt:
„Die Idee bemächtigt sich eines Individuums und tritt dadurch immer als fremder Gast in die Erscheinung. Der fremde Gast war Adolf. Er war fremd bis zur Karikatur. Fremd gerade durch die aseptisch-leere Reinheit seiner Ideen von Führer, Charisma, Genie und Rasse. Er war ein voraussetzungsloser Vollstrecker. Die Masse der Gebildeten war ungebildet. Die wenigen Gebildeten standen noch bei Goethe und Carus. Sie hatten die Krisis von 1848 noch nicht erfahren. Bruno Bauer und Max Stirner galten als komische Knulche. Adolf dagegen, der als Geistiger weniger war als Max, galt bei Gebildeten wie Popitz als ein Genie. So trat er denn in Erscheinung.“[114]
Der fremde Gast
Der Topos „fremder Gast“ taucht bei Schmitt bereits in seiner Habilitationsschrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen auf. Dort rezitiert er einen Satz von Goethe, den er bei Adolf von Harnack gefunden hat: „ ‚Sie [die Idee] tritt immer als ein fremder Gast in Erscheinung‘ (Goethe), und wenn sie sich verwirklicht, geht es nie ohne einen Widerspruch ab.“[115] Hitler war für Schmitt solch ein „fremder Gast“. Der „fremde Mann“ spielt eine zentrale Rolle im gnostischen Denken. Dabei verweist das Adjektiv „fremd“ auf die
„Arten des Empfangs, der ihm hier unten zuteil wird: das Entgegenjauchzen derer, die sich hier selbst fremd und verbannt fühlen (…), das überraschte Entsetzen der kosmischen Mächte, die nicht begreifen, was in ihrer Mitte vorgeht (…) und schließlich das feindselige Zusammenschließen der Söhne des Hauses gegen den Eindringling.“[116]
Dieser Fremde kommt mit dem Befehl, den der Vater erteilt.[117] „Der Kommende aber ist letztlich mit demjenigen, zu dem er kommt, identisch – das erlösende Leben mit dem zu erlösenden.“[118] Schmitt dürften diese Zusammenhänge bekannt gewesen sein, hat er sich doch schon sehr früh von Marcion – wenn auch zunächst kritisch[119] – und Adolf von Harnacks Buch über Marcion inspirieren lassen. Letzteres hat Taubes „als Zeugnis einer neuen Religiosität am Ende des liberal-protestantischen Zeitalters“[120] charakterisiert. Harnack schrieb in seinem Buch über Marcion:
„Der Mensch, mitten in der Welt stehend und durch Leib und Seele ihr zugehörig, besitzt in seinem Geiste einen Funken von dem Sein und Leben des unbekannten Gotts. Diese Ausstattung verbindet ihn so enge mit ihm, daß dieser Gott dem Geiste überhaupt kein Fremder und nur relativ ein Unbekannter ist: der Unbekannte braucht dem verdunkelten und geschwächten Geiste nur zu erscheinen und alsbald erkennt und erfaßt er ihn. Also ist in dieser raumzeitlichen und sinnlichen Welt doch etwas Göttliches vorhanden, und diese Erkenntnis konnte nicht ohne Folgen für die Betrachtung der Welt selbst bleiben: es steckt in diesem Kosmos irgendwie etwas Überirdisches und Wertvolles.“[121]
Nach Marcion war Jesus Christus „ein fremder Gast“[122].
Die Welt in ihrer konstitutiven Zuständlichkeit wurde von den Gnostikern als schlecht beurteilt. Deswegen wandten sie sich dezidiert gegen die Schöpfungsgeschichte des Ersten Testaments.[123] Nach Harnack stellte Marcion[124] sowohl dem Ersten Testament in seiner Vieldeutigkeit als auch dem Christentum als einer complexio oppositorum eine „eindeutige religiöse Botschaft“ entgegen.[125] Schmitt wurde auch über Bruno Bauer und Franz Blei mit der Gnosis bekannt gemacht. Er las nicht nur Bauers antijudaistischen Aufsatz Das Judentum in der Fremde, auf den er sich wiederholt lobend bezieht[126], sondern auch dessen Buch Christus und die Cäsaren[127]. Bereits 1918 kritisierte Franz Blei Schmitts einseitige konservativ-scholastische Erwägung Die Sichtbarkeit der Kirche durch die Betonung des gnostisch-revolutionären Pols des Christentums und den damit verbundenen Dualismus von Gott und Welt.[128] Ebenso kannte Schmitt Hugo Balls Versuche, gnostisch-häretische Religiosität mit den Formen der Amtskirche zu vermitteln.[129]
Für Michele Nicoletti, der die Ursprünge von Schmitts Politischer Theologie auf den Dualismus zurückführt, offenbart die Rezitation des o.g. Goetheschen Verses die dualistische Struktur des Schmittschen Denkens. Die Wirklichkeit verweist auf die Idee als ihren Sinn und Grund, aber die Idee emanzipiert sich bei ihrer Verwirklichung zunehmend von den Gesetzen des Realen.[130] Bereits Schmitts Jugendschriften stehen Nicoletti zufolge im Zeichen des Dualismus.[131] So schrieb Schmitt bereits in Theodor Däublers ‚Nordlicht‘: „Wer die moralische Bedeutung der Zeit ahnte und gleichzeitig sich als Kind der Zeit wußte, konnte nur Dualist werden.“[132] Tritt nun ein unüberbrückbarer Bruch zwischen dem Konkretum und dem Abstraktum ein, dann – so sieht es jedenfalls Nicoletti – „ist die Entscheidung die einzige Brücke, die ein Vermittlungsverhältnis gewährleistet, das die beiden Ränder des Abgrundes, sonst zu sinnloser Verlassenheit verurteilt, mit Sinn füllt.“[133] Einem solchen Wirklichkeitverständnis ist der Ausnahmefall derart immanent, das er kein reiner Grenzfall mehr ist.[134] Die Entscheidung kann aber bei Schmitt keine Brückenfunktion übernehmen, wenn politische Theologie als Begriffssoziologie einen dezidierten Begriffsrealismus intendiert, der nicht mehr an einer Vermittlung der beiden Pole Idee und Realität interessiert ist.[135] Von der politischen Theologie aus gesehen, dient die Entscheidung nicht der Kompensation des Dualismus, sondern verschärft ihn, indem sie die Idee gegen die Realität realisieren will. Darin zeigt sich ein gnostisierenden Grundzug, denn der gnostische Dualismus ist ebenfalls nicht auf Komplettierung angelegt, sondern auf Kontradiktion.[136] Durch den Vorgang der Säkularisierung, wie die politische Theologie ihn begreift, soll die Idee Fleisch werden. Nicht die Aufgabe der Transzendenz ist angestrebt, sondern deren reale Gegenwart, die wiederum die in der Immanenz liegende Transzendenz endgültig zerstören soll. Insofern bedeutet die Verwirklichung der Transzendenz die Offenbarung einer Seinsordnung, also nicht die Sprengung der Immanenz, sondern deren Verpflichtung auf diese Sichtweise von Welt. Transzendenz und Herrschaft schießen derart zusammen, daß Transzendenz zur conditio sine qua non einer zirkulären Souveränitätsdefinition wird und Souveränität zur politischen Transzendenz avanciert.[137] Schmitt will durch dieses Verfahren seinen Ideen eine ontologische Dignität zusprechen.[138] Die Wirklichkeit vermag die Idee letztlich nicht zu tangieren, da diese ihr gegenüber präexistent ist.[139] Dennoch sieht Schmitt sich durch die Entwicklung genötigt, den Dualismus immer mehr abzusichern, schließlich durch den Entwurf einer „gegenstrebigen“ Christologie, die nicht mehr auf Mediatisierung abzielt, wie in Die Sichtbarkeit der Kirche, sondern auf Trennung. Die Dissoziation hat demnach weiterhin bestand, denn intendiert ist nicht der Friede, sondern der Kampf, da seine Ideen und Begriffe eine dissoziative Funktion haben.[140] Jede Ordnung beruht auf einer Entscheidung und der Gott der Gnosis hat sich für den Dualismus entscheiden. Der der Idee bzw. Gott Gehorchende ist das Werkzeug derselben. Die Vorausetzung, Werkzeug sein zu können, ist der Besitz einer Gnosis, eines „integren Wissens“[141]. Werkzeugsein heißt in diesem Sinne Anerkennung der Zweiteilung der Welt, bedeutet Im-Kampfe-Sein. Die Welt verwirklichen heißt ihre Kämpfe anzuerkennen. So kann Schmitt auch schreiben: „Oboedentia fecit hunc imperantem. Der Imperans ist nur ein Vollstrecker, der Diktator diktierte nur ihm gegebene Dikta.“[142] Folglich besteht für Schmitt das Verbrechen des Diktators auch nicht in der Vernichtung, sondern im Verrat an der Idee:
„Der reine Täter ist das Unreinste, was man sich denken kann. Denn die Tat ist schon als Tat eine Verunreinigung des Gedankens. Der Täter ist schon als Täter auf eine geheimnisvolle Weise schuldig und unrein. Wird er nur nichts als Tat, reine Tat, so wird er um so unreiner, je reiner der Täter ist.“[143]
Der exkulpatorische Gehalt dieser Aussagen ist evident:
„So gesehen war der Holocaust Verrat an der ‘reinen’ Idee des Antijudaismus. Wer von dieser ‘reinen’ Idee ergriffen ist und sich, ‘empirisch unverbindlich’, freihalten kann von den Niederungen der Tat, den kann kein Vorwurf treffen! Eine solche Konstruktion schließt die Möglichkeit geistiger Täterschaft von vornherein aus.“[144]
Schmitt verschleiert hier den Zusammenhang von Ideen und deren Geschichtsmächtigkeit.[145]
Gegenüber dem Vorwurf der eigenen geistigen Täterschaft konterte Schmitt in Nürnberg mit der Aussage: „Christianity also resulted in the murder of millions of people.“[146] Auf den Punkt gebracht heißt das, wer ihn schuldig spricht, muß auch das Christentum schuldig sprechen – Schmitt geht natürlich davon, daß dies unmöglich ist.[147]
Der Motor der „eigentlich katholischen Verschärfung“ war ein gnostischer Dualismus.[148] Die politische Gnosis Carl Schmitts erwies sich letzten Endes als anti-katechontisch, da sie in einen Aktivismus umschlug und für den Nationalsozialismus Partei ergriff, wodurch sich zeigt, daß sie als kupierte nicht Hinnahme der Heillosigkeit der Welt ist, sondern „Arbeit an der Heillosigkeit der Welt“ (R. Groh). Schmitt selbst fragte sich im Glossarium: „Die Freude an der Beschleunigung, Beschleuniger der Beschleuniger wider Willen; war es das, was mich trieb und trog?“[149] Der politische Theologe Schmitt war also letzten Endes kein Aufhalter, sondern Beschleuniger[150], aber nicht „wider Willen“[151]; denn: „Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, daß sie bleibt.“ (E. Fried)
Schmitt und auch Thiel sind als Katechontiker Antiapokalyptiker.[152] Beide sehen sich als Vertreter einer den „Antichrist“ aufhaltenden Geschichtstheologie.[153] „Wer ist denn dieser Gott, der den angstgequälten Menschen Frieden und Sicherheit bringt (…)?“[154] – so fragt Schmitt in seinem Leviathan. Dieser Gott ist für Schmitt der Antichrist, derjenige, der versucht, die Menschen davon zu überzeugen, daß die Verheißungen von Frieden und Sicherheit bereits real geworden seien.[155] Thiel greift diesen Gedanken auf. Der Liberalismus ist für Schmitt eine Erscheinung des Antichrist. In dem Antichrist „bekämpft er die Anerkennung von Grundrechten, die humanen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, ferner Individualismus und Subjektivismus sowie die ‘jüdisch-protestantische’ Auffassung des Christentums als Gewissensreligion.“[156] Thiel kritisiert diese Ideale, aber zertrümmert sie (noch?) nicht. Und für Schmitt wäre das wohl ein Graus: Thiel bleibt ein Libertärer, genauer: ein geängstigter Libertärer. Daß der Katechontiker Schmitt letztlich jedoch nicht trotz, sondern wegen seiner Katechontik selbst in die Rolle des Antichristen schlüpft, sollte Thiel zu denken geben .
Wer hat Angst vor der Apokalypse?
In seiner Katechontik manifestiert sich Schmitts manipulativer Charakter. Er will „wahnhafte Realpolitik betreiben. Er denkt oder wünscht nicht eine Sekunde lang die Welt anders, als sie ist, besessen vom Willen of doing things, Dinge zu tun, gleichgültig gegen den Inhalt solchen Tuns.“[157] Um die schicksalhafte Geschlossenheit des historischen Prozesses in der politischen Theologie von Schmitt zu entzaubern, ist apokalyptisches Denken unabdingbar.[158] Thiel hat ein interessegeleitetes Verständnis von Apokalypse, reduziert dieses auf die Ansage der Katastrophe. Wer jedoch ein echtes Interesse daran hat, die Apokalypse zu verstehen, muss sie in den frühjüdischen Kontext der Apokalyptik einordnen. Es geht um ein Gottdenken im Horizont befristeter Zeit. Es geht darum, „Gott zu sagen, unter den schrecklich erschwerten Bedingungen dieser Zeit“ und ihm „die ganze Totalität vorzubehalten“[159].Nur wenn die Theologie apokalyptisch angeschärft bleibt, widersteht sie der gnostischen Versuchung, das Stigma der Zeit zu tilgen.
Apokalyptisches Denken ist nicht katastrophenverliebt, sondern katastrophensensibel. Günther Anders warnte vor einer Apokalypseblindheit, die die Menschen zu Voyeuren ihres eigenen Untergangs werden läßt.[160] Apokalyptik ist nicht nur Ausdruck der Befristung der Zeit, denn das Wort apokalyptein bedeutet „enthüllen“, „aufdecken“.[161] Dabei rückt es die Erinnerung ins Zentrum. Apokalypse ist „die Erinnerung an die früheren Geschlechter, die im Augenblick der größten Gefahr, ohne sie zu verdrängen oder zu verschleiern, in der Enthüllung der Logik der Herrschenden Mut und Hoffnung faßten.“[162]
Von hier aus rückt auch die gerade heute dringliche Frage in den Mittelpunkt: „Wer hat Angst vor der Apokalypse?“[163] Peter Thiel, seine Milliarden wären nicht mehr zu retten.
© Jürgen Manemann
[1] Die Passagen zu Carl Schmitt stammen aus: J. Manemann, Carl Schmitt und die Politische Theologie. Politischer Anti-Monotheimsus, Münster 2002, v.a.168-209.
[2] Vgl. J. Körber/ F. Espenlaub, K. Uhrig, C. Schiffer, Die Peter Thiel Story. Willkommen im Thielverse (Deutschlandfunk 2025), in: https://www.deutschlandfunk.de/die-peter-thiel-story-1-6-willkommen-im-thielverse-100.html.
[3] H. Ball, Carl Schmitts politische Theologie, in: J. Taubes (Hg.), Religionstheorie und Politische Theologie. Bd. 1: Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München/Paderborn/Wien/Zürich 21983, 100-115, 100.
[4] Ebd.
[5] Ebd., 112. Ball verkennt jedoch, daß Schmitt seine politische Theologie im Zeichen der Säkularisierung entwirft. Ferner ist die „katholische“ Verortung in der substantiellen Weise nicht aufrechtzuerhalten, wie Dahlheimer aufzeigt (vgl. M. Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888-1936, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998, 215).
[6] Transcript of Part II: Apocalypse Now? Peter Thiel on Ancient Prophecies and Modern Tech
(10.03. 2025), in: https://singjupost.com/transcript-of-part-ii-apocalypse-now-peter-thiel-on-ancient-prophecies-and-modern-tech/ (abgerufen am 01.07.25).
[7] M. Leutzsch, Prophetie und Politik im Urchristentum, in: R. Faber (Hg.), Politische Religion – religiöse Politik, Würzburg 1997, 93-106, 101.
[8] Apocalypse Now? Peter Thiel on Ancient Prophecies and Modern Tech (7.12.24) in: https://singjupost.com/transcript-apocalypse-now-peter-thiel-on-ancient-prophecies-and-modern-tech/ (abgerufen am 01.07.25).
[9] Transcript of Part II: Apocalypse Now?, a.a.O.
[10] Ebd.
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Ebd.
[14] Apocalypse Now? Peter Thiel on Ancient Prophecies and Modern Tech (7.12.24) in: https://singjupost.com/transcript-apocalypse-now-peter-thiel-on-ancient-prophecies-and-modern-tech/
[15] Hier bezieht sich Thiel, ohne den Namen zu nennen, auf den französischen Theologen René Girard. Zu diesem Zusammenhang: T. Assheuer, Peter Thiels trojanisches Pferd, in: https://www.zeit.de/kultur/2025-06/peter-thiel-investor-maga-rene-girard/komplettansicht (abgerufen am 01.07.25); K. Mertes, Opfermythen im Silican Valley. René Girard und Pter Thiel, , in: Stimmen der Zeit 6/2025, 427-434.
[16] Peter Thiel on Political Theology. Unveiling the dangers of just trying ot muddle through, in: Conversation with Tyler (21.02.24): https://conversationswithtyler.com/episodes/peter-thiel-political-theology/ (abgerufen am 01.07.25).
[17] Ebd.
[18] Transcript of Part II: Apocalypse Now?, a.a.O.
[19] Peter Thiel on Political Theology, a.a.O.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Auch Barbara Nichtweiß vetritt die Auffassung, daß Schmitt ein Apokalyptiker ist (vgl. dazu: B. Nichtweiß, Apokalyptische Verfassungslehren. Carl Schmitt im Horizont der Theologie Erik Petersons, in: B. Wacker (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung, a.a.0., 37-64, 43).
[23] Den Begriff „kupierte Gnosis“ verwende ich analog dem Begriff „kupierte Apokalyptik“ bei Vondung (vgl. dazu: K. Vondung, Die Absurdität des apokalyptischen Heilsversprechens, in: N. Bolz/W. v. Reijen (Hg.), Heilsversprechen, München 1998, 25-34, 30/31). Der Gnosis-Vorwurf wird auch von Micha Brumlik erhoben: M. Brumlik, Die Gnostiker. Der Traum von der Selbsterlösung des Menschen, Frankfurt 1992, 370-387. Weiter: Ders., Carl Schmitts theologisch-politischer Antijudaismus, in: Wacker, B. (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung … Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, München 1994, 247-256.
[24] C. Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950, 29.
[25] Vgl. H. Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden. Erweiterte Neuausgabe, Stuttgart 1998, 89. Breuer sieht darin jedoch, ein Moment grundgelegt, daß Schmitt von der „Konservativen Revolution“ unterscheidet (vgl. S. Breuer, Dialog unter Fundamentalisten. Carl Schmitt und Leo Strauss, in: Neue Züricher Zeitung v. 30.06.1998).
[26] Vgl. C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Stuttgart 21995, 20/21 u. 20 Anmerk. 1. Ferner dazu: M. Brumlik, Die Gnostiker, a.a.O., 376/377.
[27] Karlfried Gründer vermutete, Schmitt habe den Begriff des katechon von Peterson üernommen (Vgl. K. Gründer, in: H. Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988, 230.
[28] Paulus benutzt in 2 Thess 2, 1-8 auch beide Genera: V. 6 to katecon u. V. 7: o katecwn.
[29] C. Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin 31990, 81. Ferner: F. Grossheutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, Berlin 1996, 59.
[30] C. Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951, Berlin 1991, 80.
[31] Vgl. F. Grossheutschi, a.a.0., 117.
[32] Glossarium, a.a.O., 63.
[33] F. Grossheutschi, a.a.O., 103.
[34] Vgl. dazu: ebd., 103-107. Siehe zu den Stellen auch: W. Schuller, Dennoch die Schwerter halten. Der katecwn Carl Schmitts, in: H. Cancik (Hg.), Geschichte – Tradition – Reflexion. FS M. Hengel, Bd. II: Griechische und Römische Religion, Tübingen 1996, 389-408, 392-398.
[35] Glossarium, a.a.O., 118.
[36] W. Schuller, a.a.O., 400.
[37] F. Grossheutschi, a.a.O., 106.
[38] Einzugehen wäre auch noch auf die Frage, inwiefern Max Stirners „Eigner“ der Anti-Christ sein könnte, gegen den ein Schmittscher Katechon anzugehen hätte: vgl. dazu: B. A. Laska, „Katechon“ und „Anarch“. Carl Schmitts und Ernst Jüngers Reaktionen auf Max Stirner, Nürnberg 1997. Weiter: ders., Dissident geblieben. Wie Marx und Nietzsche ihren Kollegen Max Stirner verdrängten und warum er sie geistig überlebt hat. Ein Versuch über philosophische Konsequenzen in der Aufklärung, in: Die Zeit v. 27.01.2000.
[39] Vgl. G. Meuter, Der Katechon. Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, Berlin 1994, 269.
[40] Vgl. W. Schuller, a.a.O., 401.
[41] J. Taubes, Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung, Berlin 1987, 7.
[42] Vgl. dazu: J. Ebach, Apokalypse. Zum Ursprung einer Stimmung, in: Einwürfe 2 (1985), 5-61, 40/41.
[43] Die Vertreter dieser Parole werden von Paulus als Falschpropheten kritisiert. „Die politische Brisanz der paulinischen Wendung tritt besonders deutlich hervor, wenn man beachtet, daß ‘Frieden und Sicherheit’ zugleich die auf Münzen und Inschriften, in öffentlicher Rede, Belletristik und Geschichtsschreibung belegte politische Propaganda der Pax Romana – pax et securitas – aufnimmt.“ (M. Leutzsch, Prophetie und Politik im Urchristentum, in: R. Faber (Hg.), Politische Religion – religiöse Politik, Würzburg 1997, 93-106, 101).
[44] G. Meuter, Der Katechon, a.a.O., 213 Anmerk. 7.
[45] Vgl. dazu auch: J. Schmid, Der Antichrist und die hemmende Macht (2 Thess 2, 1-12), in: Theologische Quartalschrift 1949, 323-343, 326.
[46] E. Peterson, Die Kirche, in: ders., Theologische Traktate, München 195, 411- 429, 412/413.
[47] Vgl. J. Ebach, Apokalypse, a.a.O., 40/41.
[48] Glossarium, a.a.O., 63.
[49] M. Brumlik, Die Gnostiker, a.a.O., 383.
[50] Ebd.
[51] Übrigens formuliert Waldemar Gurian in einem Brief an Erik Peterson 1933, daß Langeweile und „morose Verzweiflung“ (zit. n.: B. Nichtweiß, Erik Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk, Freiburg/Basel/Wien 1992, 729 Anmerk. 63), das einzige gewesen seien, was Schmitts Seele gefüllt habe.
[52] Vgl. dazu: H. Strohm, Gnosis und der Nationalsozialismus, Frankfurt 1997, 155.
[53] In Schmitts Glossarium sind die heftigsten Invektiven gegen Barth gerichtet. Im Vorwort zur zweiten Auflage der Politischen Theologie schrieb Schmitt: „Von protestantischen Theologen haben besonders Heinrich Frosthoff und Friedrich Gogarten gezeigt, daß ohne den Begriff einer Säkularisierung ein Verständnis der letzten Jahrhunderte unserer Geschichte überhaupt nicht möglich ist. Freilich stellt in der protestantischen Theologie eine andere, angeblich unpolitische Lehre Gott in derselben Weise als das ‚Ganz Andere‘ hin (…).“ (7)
[54] Glossarium, a.a.O., 307. Dazu auch: M. Brumlik, Die Gnostiker, a.a.O., 383.
[55] H. Bloom, Omens of Millenium. The Gnosis of Angels, Dreams, and Resurrection, New York 1996, 1/2.
[56] Vgl. ebd., 13. Wobei betont werden muß, daß beispielsweise Bloom den von ihm geforderten „mere Gnosticism“ nicht in einem banalen Sinne versteht, daß mit dem Selbst dann nur sein Selbst anbetet, sondern das sein tieferes Selbst findet (vgl. ebd., 18. 20). Hier ist also eine transzendentale Dimension angestrebt, die jedoch gekappt wird, wenn die gnostische Idee säkularisiert wird.
[57] So in der Übersetzung von J. Schmid, a.a.O.
[58] Paulus spricht nicht vom Antichrist, eine Bezeichnung, die an promienter Stelle im NT in 1 Joh 2,18 auftaucht (vgl. dazu auch: Ebd., 327/328). Dieser Befund steht aber einer Interpretation nicht im Wege, die eine Übereinstimmung sieht.
[59] Der gnostische Gott war ja bekanntlich der ganz Verschiedene, der Andere, der Unbekannte (vgl. dazu: H. Jonas, Gnosis. Die Botschaft des fremden Gottes, Frankfurt/Leipzig 1999, 323).
[60] Vgl. M. Brumlik, Die Gnostiker, a.a.O., 384.
[61] H. Fiala (alias K. Löwith), Politischer Dezisionismus, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts 1935, 101-123, 110.
[62] Nicht von ungefähr rekurriert Schmitt jedoch in der Politischen Theologie II explizit wieder auf den gnostischen Mythos, der durch radikale Dualismen gekennzeichnet ist, die für Schmitts Denken essentiell sind:
Satan | Gott |
Antichrist | Christus |
jüdischer Messias | Christus |
antichristlicher Prometheus | christlicher Epimetheus |
Heilsbringer (irdisch) | Unheilsbringer (irdisch) |
Juden | Christen |
Judenchristen/prometheisches Christentum | Heidenchristen/epimetheisches Christentum |
Liberale | Antiliberale |
Feinde der Feindschaft | Freunde der Feindschaft |
Beschleuniger | Aufhalter |
(in Anlehnung an: R. Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt. Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, Frankfurt 1998, 128)
[63] Vgl. dazu auch: M. Meyer, Ende der Geschichte?, München/Wien 1993, 139.
[64] Wohl wissend, daß – nach Heidegger – die Anekdote der Feind des Gedankens ist, möchte ich an dieser Stelle auf eine verweisen. Nach Noack berichtete Seewald über Schmitt folgendes: „Ihn verführte sein abstrakter Geist. Selten sah ich einen lebendigeren, schärferen und – unmenschlich – nur auf die Phänomene gerichteten. (…) Niemals werde ich unseren Spaziergang die Ludwigstraße hinunter vergessen, auf dem er mir mit Enthusiasmus von Markion erzählte (…)!“ (aus: P. Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin/Frankfurt 1993, 40) Der Maler Richard Seewald gehörte zu einem Kreis junger Intellektueller, der während des 1.Weltkriegs von Theodor Haecker ins Leben gerufen wurde. Ab 1915 gehörte auch Schmitt diesem Kreis an (vgl. M. Dahlheimer, a.a.O., 539/540). Bereits in der Politischen Romantik schrieb Schmitt in gnostischer Terminologie: „Überall sind die beiden neuen Demiurgen – die Menschheit und die Geschichte – wieder tätig.“ (C. Schmitt, Politische Romantik, Berlin 61991, 90). Auch Nicolaus Sombart charakterisiert den Denktypus Schmitt wie folgt: „Wenn er auch nicht gerade von ‚Dämonen‘ und ‚Wesenheiten‘ sprach, so war doch so etwas im Spiel, wenn er die Mächte beschwor, die die Geschichte bewegten. Mit der griechischen und asiatischen Mythologie hatte er nichts im Sinn. Er bevorzugte die Gedankenfiguren der christlichen Theologie und Gnosis bis hin zu ihren hegelianischen Spätformen.“ (N. Sombart, Spaziergänge mit Carl Schmitt, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 38. Jg. (1984), 191-201, 197).
[65] Vgl. dazu: H. Strohm, Gnosis und der Nationalsozialismus, Frankfurt 1997, 114.
[66] N. Sombart, Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, Frankfurt 1997, 96. Ferner Glossarium, a.a.O., 251: „Das Körper- und Geistgefühl des Gnostikers: Kristallinische Reinheit; der Schmutz des Blutes überwunden in reiner Strahlung; Unfruchtbarkeit, malthusianisch=pazifistisch.“
[67] C. Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 31991, 63. Dabei räumt Schmitt durchaus ein, daß „auf den verschiedenen Gebieten menschlichen Daseins die ‚anthropologischen‘ Voraussetzungen verschieden sind.“ (Ebd., 63) Aus diesem Grund geht es ihm ja auch „nur“ um ein „Bekenntnis“ (vgl. dazu: F. Balke, Zur politischen Anthropologie Carl Schmitts, in: H.-G. Flickinger (Hg.), Die Autonomie des Politischen. Carl Schmitts Kampf um einen beschädigten Begriff, Weinheim 1990, 37-66, 37). Hier zeigt sich noch einmal der Zeitindex seines Denkens, denn Bekenntnisse sind bedroht und müssen verteidigt werden!
[68] Und das gilt auch, wenn Schmitt sich an dieser Stelle auf Irenäus von Lyon und dessen Schrift Contra haereses bezieht (vgl. Der Begriff des Politischen, a.a.O., 63 Anmerk. 24).
[69] Vgl. H. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, Frankfurt 1996, 148.
[70] Vgl. J.B. Metz, Monotheismus und Demokratie. Über Religion und Politik auf dem Boden der Moderne, in: Manemann, J. (Hg.), Jahrbuch Politische Theologie 1/1996: Demokratiefähigkeit, Hamburg/Münster 1995, 39-52, 49.
[71] Dazu: Vgl. W. Palaver, Die mythischen Quellen des Politischen. Carl Schmitts Freund-Feind-Theorie, Stuttgart/Berlin/Köln 1998, 56-59. Nicht der Gedanke der Erbsünde ist für Schmitt ausschlaggebend, „denn dieser würde gerade einen Universalismus und damit auch einen ‘durchgängigen Menschheitsbegriff’ mit sich bringen, sondern der Prädestinationsgedanke (steht, J.M.) im Zentrum (…), der es ihm ermöglicht, in der Unterscheidung von Erlösten und Nicht-Erlösten (…) eine Analogie zur Freund-Feind-Unterscheidung zu finden. Nur mittels des Prädestinationsgedankens läßt sich also die Erbsündenlehre als theologische Entsprechung zur Freund-Feind-Unterscheidung behaupten.“ (57/58)
[72] J. Taubes, Ad Carl Schmitt, a.a.O., 7.
[73] Ebd., 72/73.
[74] C. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Stuttgart 1984, 50.
[75] G. Meuter, Der Katechon, a.a.O., 212. Festzuhalten ist ferner, daß Schmitt sich mit seinem metaphysisch aufgeladenen Ordnungsdenken nicht von seinem occasionellen Dezisionismus verabschiedet; dieser ist einem Ordnungsdenken, das um jeden Preis das Chaos bändigen will, immanent. Es handelt sich aber um einen Dezisionismus, „der im Drüben fischt“ (ebd., 214). Dies könnte anhand des Souveränitätsbegriffs entwickelt werden, der letztlich eine „politische Formulierung der Transzendenz“ ist (K.D. Scheer, Die aufgeschobene Theokratie. Zur politischen Theologie Carl Schmitts, in: D. Kamper/ C. Wulf (Hg.), Das Heilige. Seine Spur in der Moderne, Frankfurt 1987, 441-449, 445; ferner: G. Meuter, Der Katechon, a.a.O., 214-216). Diese Ordnungsmacht ist teleologisch auf Jesus Christus ausgerichtet. Der lutherische Theologe Wilhelm Stapel hat dies wie folgt ausgeführt: „So haben wir gezeigt, daß der Staat sowohl die von Gott verordnete Herrschaft verwirklicht als auch in der Setzung von Freund und Feind den Sündenfall wiederholen muß als auch, in den verschiedenen Lebensgesetzen, die Erfüllbarkeit der Sehnsucht nach Rechtfertigung bewahrt. So spannt sich der Staat zwischen Sündenfall und Erlösung. Aber er selbst vermag nichts zur Erlösung, sondern muß durch das Gericht hindurch. Der Staat kann die Plerosis, die Erfüllung des Nomos nicht herbeiführen – es sei denn durch Tötung des Gottessohnes. Die Erfüllung bringt nur der menschgeborene und menschgestorbene Gott. Der Staat ist nur ein dämmerndes Zwischengebilde zwischen Himmel und Hölle und harrt mit der ganzen Schöpfung dem Gericht entgegen. Ihm ist zwar eine Vis conservandi, eine Kraft der Erhaltung gegeben, aber keine Vis salutis, keine Kraft der Erlösung. Es gibt kein Sakrament des Staates. Es gibt keinen ‘christlichen Staat’. Es gibt Staat nur als eine zwar verderbte, aber nicht aus Gottes Geduld entglittene metaphysische Institution.“[75] (aus: W. Stapel, Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus, Hamburg 1932, 185).
[76] Vgl. G. Meuter, Der Katechon, a.a.O., 212/213.
[77] Glossarium, a.a.O., 151.
[78] Politische Theologie II, a.a.O., 119/120.
[79] Vgl. dazu: R. Groh, a.a.0., 234.
[80] Politische Theologie II, a.a.O., 121.
[81] Vgl. P. Sloterdijk, Die wahre Irrrlehre. Über die Weltreligion der Weltlosigkeit, in: ders./ Macho, T. (Hg.), Weltrevolution der Seele. Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis von der Spätantike bis zur Gegenwart. Erster Band, Gütersloh 1991, 17-54, 39.
[82] Politische Theologie II 120.
[83] J. Taubes, Ad Carl Schmitt, a.a.0., 79/80. So der Untertitel des kleinen Bandes. Diese Applikation findet sich bei: R. Groh, a.a.O., 163.
[84] Vgl. R. Groh, a.a.O., 237.
[85] Thomas Ruster entgeht dieser Zusammenhang in seiner Schmitt-Interpretation, in der er den anti-gnostischen Zug von Schmitts Denken herauszuarbeiten beansprucht (vgl. T. Ruster, Der verwechselbare Gott. Theologie nach der Entflechtung von Christentum und Religion, Freiburg/ Basel/ Wien 2000. 120).
[86] Wobei zu bedenken ist, daß Schmitt den Gedanken Marcions abmildert, denn der Gott der Liebe und der Gott der Macht sind einander nicht untergeordnet, sondern stehen sich auf gleicher Stufe gegenüber (vgl dazu auch: ebd., 235). Wenn man sich jedoch an die Redeweise von der complexio oppositorum in Römischer Katholizismus und politische Form erinnert, weiß man, daß diese durch die Notwendigkeit der Entscheidung zugunsten einer Seite aufgelöst werden muß.
[87] R. Groh, a.a.O., 168.
[88] Vgl. dazu auch: ebd., 177.
[89] Vgl. ebd., 177/178.
[90] Glossarium, 243.
[91] M. Brumlik, Die Gnostiker, a.a.0., 384
[92] Vgl. dazu: J. Manemann, Carl Schmitt und die Politische Theologie, a.a.O., 82-86.
[93] H. Blumenberg, Arbeit am Mythos, a.a.0., 600. Lediglich, was den Lenz-Fund angeht, stimmt er Schmitt zu: „Das führt auf den Punkt zurück, an welchem Carl Schmitt mit seinem Lenz-Fund recht behalten wird: Es ist hier wie dort nicht von dem einen Gott und seiner möglichen Selbstentzweiung die Rede, sondern von zwei Göttern, von dem in der christlichen Dogmengeschichte nur mühsam verhinderten Dualismus des Schöpfers und des Erlösers, des Demiurgen und des Menschengottes, des bindenden Vaters und des frei machenden Sohnes.“ (aus: H. Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt 41993, 580/581)
[94] Ebd., 599.
[95] In Anlehnung an Vondungs Deutung der Apokalyptik.
[96] Vgl. Glossarium, a.a.O., 171.
[97] Vgl. C. Schmitt, Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis, München 21969. Das Problem, das Schmitt hier behandelt lautet: „Wann ist eine richterliche Entscheidung richtig?“ (ebd., 1). Durch die Trennung zwischen Gesetz und Urteil macht Schmitt deutlich, daß „Gesetzmäßigkeit“ nicht mehr Kriterium der Richtigkeit einer Entscheidung sei (vgl. ebd., 103). Die Richtigkeit der richterlichen Entscheidung basiert auf außerhalb der richterlichen Subjektivität gelegenen, objektiven Kriterien. Der Richter ist kein Gesetzgeber, erschafft kein Recht, sondern beruft sich auf das Recht (vgl. ebd., 103). „Auch wenn er die Rechtsbestimmtheit selbst erst mit seiner Entscheidung begründen hilft (vielleicht mehrere Entscheidungen gleich gut begründet werden können), tut er es nicht als Gesetzgeber oder als autonome Instanz, sondern als einzelner, der an einem Werke mitarbeitet, dessen Fortgang und Kraft von ihm unabhängig sind.“ (Ebd., 103/104). Das Urteil wird vom Gesetz abgehoben, derart, daß es nicht vorweggenommen werden kann. Seine Aversionen gegen das abstrakte, reine Gesetz werden in Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen fortgeführt. Dort ist die Rede vom „bodenlosen“ Negieren. Raphel Gross macht darauf aufmerksam, daß sich diese Invektive später fortsetzt in dem Begriff des „bodenlosen Rationalismus“ jüdischer Rechtsgelehrter (vgl. R. Gross, Carl Schmitts „Nomos“ und die „Juden“, a.a.0., 413/414). Hobbes versus Locke lautet dann die weiterführende Verschärfung in der Politischen Theologie: „Autoritas, non veritas facit legem.“ (PT 55) Schmitt entwickelt explizit seine geschichtsphilosophischen Grundlagen für seinen Kampf gegen das „jüdische“ Gesetz in seinen Schriften Über drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934) und in Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (1938). Dazu: R. Gross, Carl Schmitts „Nomos“ und die „Juden“, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 5 (1993), 410-420, 416-418. Die Rede von der jüdischen Nomosverkennung bleibt konstitutiv bis in die Spätschriften hinein (vgl. ebd., 418-420). Hier weist Gross auf die Formulierung im Glossarium: „Der kategorische Imperativ ist in der Tat das Gesetz um des Gesetzes willen. Judentum post Christ. n.“ (siehe: R. Gross, Carl Schmitts „Nomos“ und die „Juden“, a.a.O., 420) Gross weist nach, daß für Schmitt die Emanzipation der Juden gleichbedeutend ist mit der Zerstörung des christlich-theologischen Staates (dazu auch: ders., Jesus oder Christus? Überlegungen zur „Judenfrage“ in der politischen Theologie Carl Schmitts, in: Göbel, A./ Laak, D.v./ Villinger, I., (Hg.), Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren, Berlin 1995, 75-94.). Dieses Nomosverständnis spiegelt sich auch in Land und Meer wieder (vgl. C. Schmitt, Land und Meer.Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Köln-Lövenich 1981, 71). Der Einfluß von Benjamin Disraeli (vgl. dazu: ebd., 94/94, G 142; ders., Widmung an Jünger v. 26.12.1941, in: H. Kiesel (Hg.), Ernst Jünger – Carl Schmitt. Briefe 1930-1983, Stuttgart 1999, 578) wird von Nicolaus Sombart überschätzt und in seiner exkulpatorischen Dimension unterschätzt (vgl. N. Sombart, Spaziergänge mit Carl Schmitt, a.a.0., 18-201; ders., Die deutschen Männer und ihre Feinde, a.a.0., 280-294). Sombart macht selbst darauf aufmerksam, daß Hitler in seiner letzten Rede vor dem deutschen Reichstag 1942 Disraeli quasi zum Gründungsvater der nationalsozialistischen Weltanschauung stilisierte (vgl. ebd., 284). Warum macht Schmitt dezidiert erst 1942 in seinem Buch Land und Meer von seinem Disraeli-Mythos Gebrauch? Erst in dieser Zeit soll ein Portrait Disraelis über seinem Schreibtisch gehangen haben (vgl. ebd., 287). Nichtsdestotrotz gebührt Sombart das Verdienst, auf Disraeli im Kontext von Schmitts politischer Theologie hingewiesen zu haben. Zum Antijudaismus weiter: M. Brumlik, Carl Schmitts theologisch-politischer Antijudaismus, a.a.0.
[98] Politische Theologie, a.a.O., 43.
[99] Man könnte hier natürlich auch gerade einen anti-gnostischen Akzent grundgelegt sehen. Zum Antinomismus oder Anomismus der Gnosis: H. Jonas, Gnosis, a.a.0., 323. 390; wobei hier auf eine Differenz aufmerksam zu machen ist, daß die Gnosis das Gesetz als ein Mittel verstand, den Menschen an die Welt zu binden (vgl. ebd., 324).
[100] Glossarium, a.a.O., 268. Diese Bezeichnung hat Schmitt von Disraeli übernommen.
[101] J. B. Metz, in: Politische Theologie – Ein produktives Mißverständnis? Gespräch mit Johann Baptist Metz, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 1/1998, 201-206, 203.
[102] Dies gilt auch für die Interpretation von Barbara Nichtweiß (vgl. B. Nichtweiß, Apokalyptische Verfassungslehren, Nichtweiß, B., Apokalyptische Verfassungslehren. Carl Schmitt im Horizont der Theologie Erik Petersons, in: Wacker, B. (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung … Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, München 1994, 37-64).
[103] Glossarium, a.a.O., 320. Wobei zu betonen ist, daß dieses Zitat im metaphorischen Sinne zu verstehen ist. Schmitt, so hat es wenigstens den Anschein, hat sein einziges Kind, seine Tochter Anima geliebt (vgl. P. Noack, a.a.0., 228; vgl. auch: N. Sombart, Spaziergänge mit Carl Schmitt, a.a.0., 194; ferner die für Anima geschriebene Erzählung Land und Meer). Man könnte aber versucht sein zu spekulieren, warum der „Katholik“ Schmitt nur ein Kind hatte.
[104] Vgl. dazu: H. Strohm, a.a.O.
[105] Vgl. ebd., 163.
[106] H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt 1984.
[107] Es ist übrigens seinen Kindern gewidmet.
[108] Ebd., 235.
[109] E. Bloch, Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs, Frankfurt 1985. 242. Gerade der Begriff des „Fremden“ erhielt in der marcionitischen Lehre eine völlig neue Wendung verglichen mit anderen gnostischen Schriften. Marcion kommt eine Sonderstellung im gnostischen Denken zu (vgl. dazu: H. Jonas, Gnosis, a.a.0., 171/172). Schmitts gnostische Dimension weist – insgesamt betrachtet – eher Parallelen zum Manichäismus auf. Dennoch kann man ihn nicht – wie etwa Thomas Ruster – als „reinsten Anti-Marcion“ (T. Ruster, Der verwechselbare Gott, a.a.O., 104) charkterisieren.
[110] Vgl. zum Großinquisitor: P. Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft. Bd. 1, Frankfurt 1983, 344-369.
[111] Erinnert sei an dieser Stelle an seine Exkulpationsversuche durch die Selbstilisierung zum Opfer nach dem Zweiten Weltkrieg.
[112] Vgl. auf den Großinquisitor bezogen: P. Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft. Bd. 1, a.a.0., 352.
[113] Gnosis will als absolute Wahrheit verstanden werden. „Wer sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt, kann andere, ihr widersprechende oder sie relativierende Wahrheiten nicht tolerieren. Rechthaberei statt Lernbereitschaft, Arroganz statt Austausch, Fanatismus statt Versöhnlichkeit sind die Konsequenzen solcher Vermessenheit.“ (H. Strohm, a.a.0., 173)
[114] Glossarium, a.a.O., 151.
[115] C. Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 21917, 74. Dazu auch: A. v. Harnack, Urchristentum und Katholizismus, in: ders., Entstehung und Entwicklung der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts in den zwei ersten Jahrhunderten – Urchristentum und Katholizismus, Darmstadt 1978, 121-186, 136/137 Anmerk. 2. Dazu auch: R. Groh, a.a.0., 114.
[116] H. Jonas, Gnosis, a.a.O., 104/105.
[117] Vgl. ebd., 106.
[118] Ebd., 107. „Der Fremde von außerhalb kommt zu dem, der fremd ist in der Welt, und in auffallender Weise können Bestimmungsmerkmale des einen und des anderen abwechselnd bei ihnen auftauchen. Sowohl im Leiden als auch im Triumph läßt sich oft nicht unterscheiden, wer von beiden spricht oder auf wen sich eine Aussage bezieht.“ (Ebd., 107/108) Der Erlöser wandelt in wechselnden Gestalten durch die Geschichte (vgl. ebd., 108).
[119] Vgl. etwa: C. Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes, Berlin 1919, 31. 63.
[120] J. Taubes, Vom Kult zur Kultur. Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft. Gesammelte Aufsätze zur Religions- und Geistesgeschichte, hg. von Assmann, A./ Assmann, J./Hartwich, W.-D./ Mennighaus, W., München 1996, 176. Ruster betont in seinem Rekurs entschieden, daß das Buch am Zeitkern entlang geschrieben wurde (vgl. T. Ruster, Der verwechselbare Gott, a.a.0., 94).
[121] A. Harnack, Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott. Eine Monographie zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche, Leipzig21924, 3. Auch dürfte ihm der Mandäerstreit in den 20er Jahren bekannt gewesen sein. Schmitts Freund Peterson hat sich sehr intensiv mit der Gnosis befaßt, besonders mit dem Zusammenhang zwischen Gnosis und Judentum (vgl. B. Nichtweiß, Erik Petersoon, a.a.0., 319-339).
[122] A. Harnack, Marcion, a.a.O., 4. Harnack wiederholt das Goethe-Zitat noch einmal in seinem Buch über Marcion (vgl. ebd., 5 Anmerk. 1) Übrigens taucht in seinem Marcion-Buch erneut die Definition der katholischen Kirche als eine complexio oppositorum auf (vgl. ebd., 9).
[123] Vgl. ebd., 16.
[124] Marcion ist Harnack zufolge aber nicht zu den Gnostikern zu zählen.
[125] Vgl. A. Harnack, Marcion, a.a.0., 18. „Simplifikation, Einheitlichkeit und Eindeutigkeit“ – das sei sein Programm gewesen (ebd.).
[126] Vgl. Carl Schmitt an Ernst Jünger v. 26.04.39, in: H. Kiesel (Hg.), a.a.O., 84.
[127] Vgl. B. Bauer, Christus und die Cäsaren. Der Ursprung des Christentums aus dem römischen Griechenthum, Berlin 1877. Hier ist nicht nur auf die Wahlverwandtschaft aufmerksam zu machen, die Bauer zwischen Christus und den Cäsaren aufweist, letztere bezeichnet er als Christi feindliche Brüder (vgl. ebd., 2), sondern auch auf die Gewichtung des gnostischen Einflusses auf das Neue Testament, im besonderen auf die Paulusbriefe (371-380). Dessen Band qualifiziert Schmitt jedoch etwas abwertend als „Alterwerk“ (C. Schmitt an Ernst Jünger v. 26.04.99, in: H. Kiesel (Hg.), a.a.0., 84; ferner zitiert er aus diesem Werk in: Glossarium, a.a.O., 97) im Vergleich zur Schrift über die Juden von Bauer etwas ab. Erneut bezieht er sich Mitte Juli 1939 in einem Brief Jüngers auf Bauer, hier im Kontext der Rezitierung von Lk 10.19: „Ecce dedi vobis, potestatem calcandi supra serpentes et scopiones et super omnem virtutem inimici, et nihil vobis nocebit.“ : „Bauer nimmt an, daß der Satz aus einer letzten Rede Jesu entnommen ist, mit der er von den Jüngern Abschied nimmt (…).“ (Ebd., 85) Zu Bauer ferner: „Die Religion der Wartenden: auf den noch nicht gekommenen Messias, auf den gekommenen, aber doch noch einmal wiederkommenden Messias, auf den Tröster und den Heiligen Geist, auf die klassenlose Gesellschaft und das ewige Reich. Die Trinität als Ausdruck dieses Wartens. Was Bruno Bauer die Verjudung nennt, ist die Etablierung des Wartezustandes, der für unabsehbare Dauer eingerichtete, immer komfortabler werdende Wartesaal. Sic exspectatur iudicium.“ (Glossarium, a.a.O., 37; weiter: vgl. 22, 140, 150. 175 178) Auf die Stellen in seinem Buch Donoso Cortes und die gesamteuropäische Interpretation wird später eingegangen werden.
[128] Vgl. W.-D. Hartwich, Häretiker der Moderne. Katholizismus als Politische Theologie bei Franz Blei, Hugo Ball und Carl Schmitt, in: D. Harth (Hg.), Franz Blei – Mittler der Literaturen, Hamburg 1997, 82-105, 92.
[129] Vgl. ebd., 96/97.
[130] Anders sieht es: M. Nicoletti, Die Ursprünge von Carl Schmitts „Politischer Theologie“, in: Quaritsch, H. (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988, 109-128, 118.
[131] Vgl. ebd.
[132] Nordlicht, a.a.O., 63.
[133] M. Nicoletti, Die Ursprünge von Carl Schmitts „Politischer Theologie“, a.a.O., 20.
[134] Vgl. ebd., 121.
[135] In der Tat gibt es, wie Nicoletti aufweist, ein Interesse an Vermittlung der beiden Welten in Schmitts Frühschriften (vgl. ebd., 117). Nicoletti verkennt jedoch, daß diese zunehmend in den Hintergrund gedrängt und der Dualismus radikalisert wird.
[136] Vgl. H. Jonas, Gnosis, a.a.0., 384.
[137] Mit diesem Vorwurf befindet sich die hier explizierte Argumentation in gefährlicher Nähe zu Eric Voegelin, für den Gnosis wesentlich Immanentisierung der Transzendenz war (vgl. E. Voegelin, Die Neue Wissenschaft der Politik. Eine Einführung, München 41991, 175. 246). Dabei ist jedoch die Differenz zu vermerken, denn für Voegelin sind Gnosis und Eschatologie Synonyme, während „Immanentisierung“ bezogen auf Schmitts politische Theologie Enteschatologisierung meint. Schmitts politische Theologie wurde deshalb auch als kupierte Gnosis charakterisert, da die von ihm vollzogene Immanentiserung keine Re-Divinisation anstrebt (anders bei Voegelins Gnosisvorstellung: vgl. ebd., 181), die im Gegensatz zur Eschatologie auf Katechontik setzt, die anders als in der Gnosis-Definition von Voegelin, „realitäts“-fixiert ist (vgl. zu Voegelins Darlegung des Gnostizismus als Ziviltheologie: ebd., 244). Die auf Schmitt applizierte Gnosisvorstellung ließe sich auch auf Voegelin und seine katechontische Eschatologie anwenden (vgl. F. Faber, Eric Voegelin. Gnosis-Verdacht als polit(olog)isches Strategem, in: J. Taubes (Hg.), Religionstheorie und Politische Theologie. Bd. 2: Gnosis und Politik, München/Paderborn/Wien/Zürich 1984, 230-248, 245). Schmitts Immanentismus drängt nicht auf ein irdisches Paradies, „auf die Aufhebung der Selbstentfremdung und der Selbstentäußerung in einer problemlosen Leibhaftigkeit.“ (ECS 82; vgl auch PT 68)
[138] Vgl. R. Groh, a.a.0., 84.
[139] Vgl. Römischer Katholizismus, a.a.O., 45.
[140] Vgl. R. Groh, a.a.0., 269.
[141] C. Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: ders., Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 31991, 79-95, 95.
[142] Glossarium, a.a.O., 99. Vgl. dazu auch: R. Groh, a.a.O., 111/112.
[143] Glossarium, a.a.O., 239. Vgl. auch zu diesem Zusammenhang: R. Groh, 112.
[144] R. Groh, a.a.O., 124.
[145] Vgl. ebd.
[146] C. Schmitt, in: Telos 72 (1987), 97-107, 104.
[147] Vgl. dazu: R. Groh, a.a.O., 125.
[148] Vgl. R. Groh, a.a.0., 238. 294. Faber nennt Schmitt einen „gnostischen Antignostiker“ (R. Faber, Politische Theologie oder: Was heißt Theokratie?, in: ders. (Hg.), Politische Religion – religiöse Politik, Würzburg 1997, 19-41, 32). M.E. entschärft aber Faber mit dieser bewußten contradictio in adjecto den Sachverhalt.
[149] Glossarium, a.a.O., 31.
[150] Mit seinem Ordnungsdenken wollte er die Beschleunigung noch bremsen: „Bringen die Beschleuniger das Ende der Geschichte nahe, so versucht der hartnäckige Rückgriff auf die Erde, der durch die Raumrevolution überaus fragwürdig geworden ist, die letzten Bremsklötze anzulegen.“ (A. Adam, Die Zeit der Entscheidung. Carl Schmitt und die Politische Apokalyptik, in: G. C. Tholen/ M. O. Scholl (Hg.), Zeit-Zeichen. Aufschübe und Interferenzen zwischen Endzeit und Echtzeit, Weinheim 1990, 97-107, 107)
[151] Dazu: C. Schmitt, Beschleuniger wider Willen oder: Die Problematik der westlichen Hemisphäre, in: ders., Staat, Großraum, Nomos, a.a.O., 431-440, 436. Ferner: G 31.
[152] Anders sieht es Enno Rudolph. Er interpretiert Schmitts politische Theologie als apokalyptische Politik. Insbesondere im Begriff der Souveränität sieht er eine apokalyptische Topik grundegelegt (vgl. E. Rudolph, Die Aufklärung überlebt. Politische Apokalyptik – apokalyptische Politik, in: M. N. Ebertz/ R. Zwick (Hg.), Jüngste Tage. Die Gegenwart der Apokalyptik, Freiburg/ Basel/ Wien 1999, 287-304, 300-304).
[153] R. Faber, Politische Theologie oder: Was heißt Theokratie?, in: ders. (Hg.), a.a.O., 19-41, 33.
[154] Leviathan, a.a.O., 48. Daß Schmitt Hobbes hier bewußt falsch liest, hat R. Groh nachgewiesen (vgl. R. Groh, a.a.O., 37).
[155] Vgl. H. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, a.a.O., 46. Dazu: L 13 Anmerk. 1. Dieser Konnex hat eine lange Tradition (vgl. etwa das mittelalterliche Ludus de Antichristo) und wird auf Paulus 1 Thess 3 zurückgeführt (vgl. H. Meier, Die Lehre Carl Schmitts, a.a.0., 46 Anmerk. 67). Seine Interpretation von 2 Thess., in der er den Antichristen als Beschleuniger deutet, besitzt ebenso eine lange Tradition und geht in ihrer staatstheologischen Deutung auf Tertullian zurück (vgl. R. Groh, a.a.O., 38 Anmerk. 65).
[156] Vgl. R. Groh, a.a.0., 39.
[157] T. W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz, in: ders., Stichworte. Kritische Modelle 2, Frankfurt 31970, 85-101, 94.
[158] Bereits im 19. Jahrhundert kam es aufgrund von Krisen- und Umbruchserfahrungen zu einer Wiederentdeckung des apokalyptischen Denkens, die eine Reaktion auf die Aporien der Moderne war. Genannt seien hier nur Franz Overbeck und Albert Schweitzer. Aber erst durch die Erfahrungen des I. Weltkriegs wurde der Stellenwert apokalyptischen Denkens radikaler erkannt. Franz Rosenzweig, Ernst Bloch und Karl Barth wären hier zu nennen (vgl. T.R. Peters, Biblische Apokalyptik und Politische Theologie, in: J. Manemann (Hg.), Jahrbuch Politische Theologie 3/1999: Befristete Zeit, Münster 1999, 60-70). Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb eine solche Konzentration aus. Jacob Taubes war es, der als Reaktion auf die Katastrophe 1947 seine Abendländische Eschatologie (J. Taubes, Abendländische Eschatologie, a.a.O.) veröffentliche, in der er zentral auf die Apokalyptik rekurrierte (vgl. dazu: J. Reipen, Galgenfrist und Gegenzeit. Aspekte der Apokalyptikrezeption bei Jacob Taubes, in: J. Manemann (Hg.), Jahrbuch Politische Theologie Bd.3, a.a.O., 94-107). Im Anschluß an Käsemann machte Johann Baptist Metz das Fristdenken der Apokalyptik für die Theologie im allgemeinen und für die Fundamentaltheologie im besonderen fruchtbar (vgl. J. B. Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie. Mainz 41984, 149-160; weiterentwickelt hat er seine Überlegungen zu „Gott und Zeit“ mit Hilfe der Unterscheidung von „Zeit ohne Finale“ und „Zeit mit Finale“ in: ders., Theologie gegen Mythologie. Kleine Apologie des biblischen Monotheismus, in: Herder Korrespondenz 4 (1988), 187-193.; ders., „Gott. Wider den Mythos von der Ewigkeit der Zeit, in: Peters, T.R./ Urban, C. (Hg.), Ende der Zeit? Die Provokation der Rede von Gott. Dokumentation einer Tagung mit Joseph Kardinal Ratzinger, Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann und Eveline Goodman-Thau in Ahaus, Mainz 199, 32-49; ders., „Verzeitlichung von Ontologie und Metaphysik, in: ders., Zum Begriff der Neuen Politischen Theologie 1967-1997, Mainz 1997, 160-162).
[159] T.R. Peter, Johann Baptist Metz. Theologie des vermißten Gottes, Mainz 1998, 17/18.
[160] Vgl. G. Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Bd.1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 51980. 267.
[161] Allgemein zur Apokalyptik: K. Müller, Studien zur frühjüdischen Apokalyptik, Stuttgart 1991.
[162] J. Ebach, Apokalypse, a.a.O., 11.
[163] Ebd.
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