NFT. An diesen drei Buchstaben kommt man zurzeit nicht vorbei. NFTs – Non-fungible Tokens, das sind nicht-austauschbare Token, die einen bestimmten Gegenstand in einer Blockchain repräsentieren. Ähnlich zu Kryptowährungen wie Bitcoin. Nur im Unterschied zu diesen sind NFTs einmalig und nicht teilbar. Das bedeutet, dass sie nur einmalig erworben werden können und auch nur ein einziges Mal existieren. Sie werden nicht nur für Millionen bei dem Auktionshaus Christie’s versteigert, sondern seit kurzem auch für den kleineren Geldbeutel auf einem eigenen Marktplatz, wie etwa des Videospielhändlers Gamestop angeboten. Das Missachten der Auktionsbedingungen seiner NFT-Kunst stellt in der Causa Fynn Kliemann den jüngsten Vorwurf gegen diesen dar. Und nicht zuletzt: NFT wurde zum Wort des Jahres 2021 des vielbeachteten Collins Dictionary gewählt. Wie gesagt: NFTs sind überall.
Doch viele Expert*innen des Kunstbetriebs gehen bereits einen Schritt weiter. Sie sehen in der Hochzeit zwischen NFT und Künstlicher Intelligenz (KI) jenen entscheidenden Schritt, der KI künstlerische Individualität zu verleihen vermag: Die digitale Signatur wird zum unverwechselbaren Pinselstrich des künstlichen Kunstschaffenden. Ist dieser Optimismus berechtigt?
Inhaltsverzeichnis
KI und die Aufklärung
Spätestens seit der Versteigerung des KI-generierten Kunstwerks Portrait of Edmond De Belamy im Jahr 2018 stellt sich die Frage, ob KI grundsätzlich in der Lage ist, eigenständig Kunst zu schaffen. Wer könnte uns hier kundigere Antwort geben als Immanuel Kant, der Aufklärer schlechthin. Denn im Zuge des zunehmenden Einsatzes von KI gewinnen Kant und die Aufklärung neue Relevanz insofern, als KI von einigen Wissenschaftler*innen durch die Verantwortungsabgabe und Automatisierung als Element der Gegenaufklärung angesehen wird. Und schließlich hat der Philosoph der Aufklärung einen nicht unerheblichen Teil seines Werkes der Ästhetik gewidmet. Also: Herr Kant, kann KI Kunst?
Auch wenn der Königsberger Philosoph uns diese Frage nicht mehr persönlich zu beantworten vermag, wäre seine Antwort auf diese Frage avant la lettre formuliert klar: „Nein!“
Kants Wurzeln in der griechischen Antike
Um diese Antwort Immanuel Kants zu verstehen, müssen wir – wenig überraschend, wie bei den meisten Problemstellungen der Philosophie – zu den Wurzeln unseres zeitgenössischen Kunstbegriffs und in die griechische Antike zurückgehen. Bei aller Unterscheidung en détail, waren sich die griechischen Philosophen spätestens seit den Vorsokratikern darin einig, was als unabdingbare Voraussetzung von Kunst zu gelten habe, nämlich téchne und episteme. In der Welt der Hellenen verstand man unter dem Begriff der „téchne“ das dem jeweiligen Kunstwerk zukommende praktische Vermögen. Im Bereich der Malerei bezeichnet dies also den handwerklich gekonnten Umgang mit Farbe und Pinsel oder im Bereich der Bildhauerei den kunstgerechten Einsatz von Hammer und Meißel. Allerdings waren sich die antiken Kunsttheoretiker einig, dass jedes Kunstwerk über diese handwerkliche Ebene hinaus auf einer theoretischen Ebene, als Ausfluss geistiger Intention, eine künstlerische Aussage aufweisen musste, die dem Bereich der episteme als dem Bereich des erkennenden Wissens entstammt. Dabei wiesen sowohl téchne als auch episteme einen Kanon jeweils fixierter Regeln auf, deren Manifestation im Werk selbiges über profane Zufälligkeit hinaus zum eigentlichen Kunstwerk erhob.
Kunst in der Renaissance
Im Mittelalter war diese künstlerische Meisterschaft als Ausdruck sich im Menschen offenbarender göttlicher Schöpfungskraft bewundert worden: Meister ihres Faches wie Tilman Riemenschneider oder Matthias Grünewald waren qua göttlicher Gnade mit der Begabung versehen, ihre Meisterwerke zum Lobe Gottes zu gestalten – téchne und episteme vereinigten sich im göttlichen Auftrag.
Mit dem Aufkommen der Renaissance gelangte das Künstlerische aus göttlichen Sphären auf die Erde danieder, der künstlerische Mensch wurde in seiner individuellen Genialität zum Ursprung des Schöpferischen, téchne und episteme christlichsäkularisiert. Durch diesen Schritt waren geniale Renaissance-Künstler*innen wie Leonardo da Vinci oder Gian Lorenzo Bernini kunsttheoretisch dort angelangt, wo alles seinen Ausgang genommen hatte: in der griechischen Antike.
Aufklärung und Ästhetik
Eine tatsächliche Neuerung im Bereich der Kunsttheorie erbrachte erst einige Jahrhunderte später die Aufklärung, genauer: die aufkommende Ästhetik. In dem Maße, in dem politische, soziale und philosophische Theoreme auf ihren Vernunftgrund befragt wurden, gelangte auch die Frage nach der Kunst respektive dem Schönen in den Blick der Denker. In ihren Werken zur Ästhetik erweiterten Alexander Gottlieb Baumgarten und Immanuel Kant die Prämissen des Kunstbegriffs um einen zentralen Aspekt – den der Genialität und der sie implizierenden Freiheit. Damit resultierte Kunst aus dem Zusammenwirken der Trias téchne, episteme und Genialität. Erst diese Dreiheit rechtfertigte es, den schöpferischen Akt als Ursprung jedes Kunstwerks zu postulieren. In seinen Schriften zur Ästhetik weist Kant auf das dialektische Grundprinzip der Kunst hin, die er in der Regelhaftigkeit und zugleich dem Regelbruch des Kunstwerks verortet: téchne und episteme schaffen in ihrer Regelhaftigkeit einen Zwang, dem sich das Genie in seiner künstlerischen Freiheit dadurch enthebt, dass es einen Regelbruch begeht, der zugleich für nachfolgende Künstlergenerationen regelsetzend sein wird.
So sieht Kant einen Künstler wie seinen Porträtisten Johann Heinrich Lips deshalb als genialen Kupferstecher an, weil Lips es unter der Befolgung der schulgerechten Regeln des Kupferstechens schafft, die Dargestellten so zu porträtieren, dass zwar die Regeln des schulmäßigen Kupferstechens berücksichtigt werden, sein genialer Impetus jedoch über diese Regelhaftigkeit hinaus jedem Porträt in genialer Erfassung des Dargestellten eine Individualität zu verleihen vermag, die Bewunderung abnötigt.
Kants Urteil über KI-Kunst
Würde Kant diese Bewunderung auch dem Porträt Edmond de Belamy entgegenbringen? Dieses von Künstlicher Intelligenz geschaffene Werk wurde für den stolzen Preis von knapp einer halben Million US-Dollar versteigert – weil Kunstwerk. Dieser Zuschreibung würde Kant vehement widersprechen, da sie seinem Kunstbegriff zweifach entgegensteht. Das Porträt Edmond de Belamy ist als bunte Mixtur unterschiedlicher Malstile und Epochen ein zufälliges Extrakt aus über tausend einprogrammierten Porträts entstanden. Damit erfüllt es – wohlwollend betrachtet – bestenfalls die Anforderungen, die die téchne an ein Kunstwerk stellt. Es gebricht ihm allerdings sowohl an dem epistemischem als auch dem genialen Momentum. Selbst wenn dieses Porträt das Ergebnis eines komplexen Rechenvorgangs darstellt, so ist es doch meilenweit von jenen Anforderungen entfernt, die das Denken als episteme an das Kunstwerk stellt, da jeder Rechner per se rechnet, ohne zu denken – Rechnen reicht methodisch nicht über formales Wissen hinaus, die materiale Dimension menschlichen Denkens bleibt ihm verschlossen. Daher würde Kant KI bestenfalls die Fähigkeit zur Imitation von Kunst zusprechen.
Um mehr zu sein als ein Imitat, müsste das Kunstwerk einem genialen Schöpfungsprozess entsprungen sein. In seiner Definition dessen, was unter „Genialität“ zu verstehen ist, verweist Kant auf die Freiheit als deren notwendige Implikation. Dabei sieht der Königsberger Philosoph die Genialität zwischen zwei Polen angesiedelt: Auf der einen Seite steht die Regelhaftigkeit, deren strikte Befolgung die Freiheit des Künstlers ausschließt, auf der anderen Seite die Regellosigkeit, die künstlerische Freiheit in Chaos umschlagen lässt. Erst die dialektische Überwindung der Regel durch die Genialität des Künstlers ist für Kant die Freiheit, die jene Kunst entstehen lässt, die dieser Bezeichnung zu genügen vermag. Es liegt auf der Hand, dass eine eindeutige Positionierung der Kunstfreiheit zwischen den Gegenpolen Regelhaftigkeit und absoluter Freiheit insofern kaum möglich ist, als eine letzte Nuancierung mit guten Gründen stets auch anders getroffen werden kann.
Beuys in Kants Tradition
Dass diese theoretische Festlegung durchaus auch in der zeitgenössischen Kunst ihre Entsprechung findet, belegt die Forderung des Aktionskünstlers Joseph Beuys, der in seiner Vorstellung des „erweiterten Kunstbegriffs“ auf das Vermögen des Menschen rekurriert, Kunst zu schaffen, in dem er in einem „plastischen Vorgang“ durch sein Denken „bestimmte Formen zu erzeugen“ vermag, wobei auch Beuys die Freiheit des Kunstschaffenden als immanente Voraussetzung dieses Vorgangs einfordert. So hat Beuys darauf verwiesen, dass eine Kartoffel schälende Frau künstlerisch einem Bildhauer gleich tätig wäre, sofern sie sich der künstlerischen Dimension ihres Schaffens bewusst sei – im Grunde wäre die geschälte Kartoffel eine Kleinplastik, weil sie ihre Entstehung einem schöpferischen Prozess verdankt, der téchne, episteme und Genialität in sich vereint: letztlich wäre es demnach die künstlerische Freiheit der Kartoffelschälerin, die die geschälte Kartoffel zum Kunstwerk transferiert.
Was bedeutet das für das Verhältnis von KI und Kunstschaffen? Legt man den von der Antike bis Beuys reichenden traditionellen Kunstbegriff zugrunde, lässt sich leicht erkennen, dass KI weder die Voraussetzung einer gegebenen episteme-Fähigkeit noch über geniale Freiheit verfügt: KI ist – epistemisch betrachtet – „dumm“ und unfrei. Damit werden auch die Versuche all jener hinfällig, die – oftmals über recht krause theoretische Konstrukte – die künstlerische Fähigkeit von KI behaupten. Es wäre daher empfehlenswert, sich bei der Beurteilung dessen, was als „Kunst“ anzusehen ist, nicht ohne Not wider den fundierten, aufgeklärten kantischen Kunstbegriff zu stellen und – nicht zuletzt aus monetären Erwägungen – dort einen Kunstanspruch zu erheben, wo er im kantischen Sinne jeder vernünftigen Grundlegung entbehrt.
Für die Hochzeit zwischen NFTs und KI wäre Kants Urteil eindeutig: Egal, mit wem sich KI vermählt, das Ergebnis dieser Liaison ist keine Kunst. Genauso eindeutig lässt sich jedoch vorhersagen: Ob nach kantischem Begriff nun Kunstwerk oder nicht, das Porträt Edmond de Belamy hat dem Künstler*innen-Kollektiv, das es geschaffen hat, einen schönen Batzen Geld eingebracht – und würde es als NFT vielleicht noch mehr.
© Dorothea Winter M.A.
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