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Der Philosophenkönig Peter Sloterdijk. Zum aktuellen Philosophenstreit

Veröffentlicht am 14. März 2016

Der Philosoph Peter Sloterdijk sieht seine Zeit gekommen. Der Denker in dürftiger Zeit schaltet sich in die große Politik ein und fordert nichts weniger als eine Revolution. Schon seit geraumer Zeit hält er Ausschau nach einer „neue(n) Generation von Politikern“, die sich mit visionären Antrieben aufladen, um „große Politik“ zu machen. Mit der Alternative für Deutschland (AfD) scheint der Kairos da zu sein. „Große Politik“ basiere auf dem Gespür für die Macht des Schicksals. Sloterdijk, der Seher, experimentiert damit, Stifter oder Medium einer gegenreligiösen Weltanschauung zu sein. Und nicht nur das: Er versteht seine Philosophie als einen Beitrag zu einer „Loskettungspraxis“, und derjenige, der Ketten löse, sei der Erlöser.

Mit seinem jüngst veröffentlichen Beitrag im Cicero (2/2016) schließt Sloterdijk an sein „bürgerliches Manifest“ aus dem Jahre 2009 an (Cicero 11/2009). Sloterdijk will nicht nur Philosophie treiben, nicht nur die Zeit in Gedanken fassen, sondern der Zeit seinen Stempel aufdrücken. Einen ersten Anlauf dazu unternahm er bereits vor über 25 Jahren: „1989“ – dieses Jahr der Auflösung wurde ihm zu einem schicksalhaften Geschick. Der kommunitarische Existentialist gerierte sich als Sprachrohr der so genannten „Berliner Generation“. Die Konfliktlage skizzierte er damals in groben Umrissen als einen Kulturkampf zwischen Athen und Jerusalem, wobei „Athen“ ihm als Chiffre für die „Berliner“ und „Jerusalem“ als Chiffre für die „Bonner Republik“ diente. Der Topos „Bonner Republik“ stand für „schlechtes Gewissen“ und „Hypermoral“, die sich aus der jüdisch-christlichen Tradition speisten, während „Berliner Republik“ das radikal Neue markierte. Noch lebten wir zwar in der Ära des Altmenschen, der von Christentum und Humanismus geprägt sei. Daneben existiere aber bereits der Neumensch, der Technikfreund. Der Altmensch erscheine im Vergleich mit dem Neumenschen als ausgebrannt, als unfähig, Geschichte zu gestalten. Dieser Altmensch habe somit bereits seine Geschichte hinter sich, während der Neumensch gerade aufgrund seiner Ungeduld die Vermutung aufkommen lasse, dass die volle Entfaltung des Menschen noch ausstehe.

Zur Wahrnehmung des Neuen, so forderte Sloterdijk, bedürfe es einer prophetischen Wissenschaft vom Vergessenen: „Ich prophezeie der Philosophie eine andere Vergangenheit, indem ich behaupte, es ist eine Ideenhistorie in Sicht, die adäquater sein wird als die Philosophiegeschichte, die wir bisher zu lesen bekamen.“ Sloterdijk beansprucht in seinen Arbeiten auch nichts Geringeres, als einen umfassenden Entwurf vom Weltganzen zu konstruieren. Die darin entwickelten prophetisch-anthropologischen Perspektiven sind Ausdruck eines Kampfes gegen eine Politik der Freundschaft. Bereits damals wusste er, was auch Thilo Sarrazin zu wissen meint, dass eine Politik der Freundschaft, welche auf einer Solidarität mit dem Fremden beruhe, in den Abgrund führe. Eine Politik der Freundschaft sei die „Provokation einer Solidarität zwischen Unähnlichen“. Und so sah Sloterdijk schon vor über 25 Jahren die Notwendigkeit, „die Grundlagen für das Zusammenhängen- und Füreinander-Einstehen-Können von Menschen in einem gemeinsamen Wert- und Empfindungsraum neu zu durchdenken“. Er fühle sich, so konnte man lesen, von einer therapeutischen Sorge getrieben, die ihn dazu nötige, zum Immunologen der Kultur zu werden. Die Erkenntnis der jüngeren Biologie, dass Leben das wundersame Drama der gelungenen Abgrenzung von Organismen gegen invasive Umwelten sei, müsse psychodynamisch und mental interpretiert werden. Es sei als eine „Leistung organismischer Vitalität beim Menschen anzusehen, dass dieser, als Einzelner wie als Gruppenwesen, zu einer spontanen und energischen Bevorzugung seiner eigenen Lebensweise, seiner Wertschätzungen, seiner Überzeugungen und seiner weltauslegenden Geschichten fähig ist“. Kraftvolle Narzissmen seien „Anzeichen für eine geglückte affektive und kognitive Integration des Menschen in sich selbst, in sein moralisches Kollektiv und seine Kultur“. Sloterdijk entwickelte mehr und mehr ein ausgeprägtes Gespür für die Gefährdung menschlicher Großverbände. In dieser Situation, so prophezeite er, würden wir immer mehr zu Zeugen eines quasi bürgerkriegsähnlichen Prozesses, in dem es den Anschein habe, dass fast jeder der Mörder des Anderen werden könnte. Ursache für die Gewalteruptionen seien „Verstimmungen in den Ethno-Klangkörpern“. Der Kultur falle deshalb die Aufgabe zu, für die Erhaltung des „ethnischen Kontinuums“ Sorge zu tragen. So verwundert es nicht, dass er sich auf Mythen, auf große Bilder, bezieht, die die Menschen beseelen und einen Umsturz bewirken sollen. Seine Philosophie ist Arbeit an einer Mythomotorik für eine Gesellschaft im Fall. Unter Rekurs auf gnostische, östlich-buddhistische und matriarchal verstandene Traditionen, die eigenwillig synthetisiert werden, will er das Fundament für eine posthumane, extropianische Vision einer Gesellschaft entwickeln, in der der Mensch an sich selbst und mit sich selbst experimentieren kann.

Sloterdijk tritt auf mit dem Gestus des Nonkonformistischen. Dabei betreibt er eine Kritik an der Kritik, genauer: eine Kritik an gesellschaftstheoretisch fundierter Kritik. Aus vielen Leiderfahrungen hervorgegangene ethische Prinzipien, allen voran das Prinzip der Gerechtigkeit als Gleichheit, werden bei Sloterdijk substituiert durch das thymotische Element des Stolzes. „Thymos“ bezeichnet eine Seelenkraft, die auf Überlegenheit zielt. Es geht nicht um bloße Selbsterhaltung. Es geht um Selbststeigerung, die im Extremfall in Selbstaufgabe, im Opfer, münden, aber auch Verfeindungsenergien freisetzen kann. Sloterdijk setzt auf eine gebändigte thymotische Energie. Kein Wunder, dass sein Schüler Marc Jongen diese für die AfD nutzbar machen möchte. Diese thymotische Energie soll der Motor einen neuen Gesellschaft werden, die aus den Trümmern des modernen Sozialstaats hervorgehen wird. Dazu bedarf es Sloterdjik zufolge der „Revolution der gebenden Hand“ (FAZ 10.06.09). Sloterdijk betreibt eine kulturelle Revolution. Gegen eine Kultur der Toleranz und Anerkennung setzt er eine Kultur des Stolzes und der Ehre, eine Kultur mit veränderten Vorzeichen: In ihr ist dann auch nicht mehr der Ausländerfeind der Hetzer, sondern derjenige, der Ausländerfeindlichkeit anprangert.

Sloterdijk kämpft gegen die Idee der Gleichheit an. Gleichheit ist nicht, wie er suggeriert, Gleichmacherei, Demokratie nicht Mediokratie. Demokratie ist nicht nur eine Regierungsform, sondern auch eine Lebensform, die für den Ausschluss von Ausschlüssen kämpft. Der Ausgangspunkt der Beziehung des Menschen zum anderen Menschen ist weder die Ordnung noch die Feindschaft, nicht die Gleichmacherei, aber auch nicht das aus thymotischen Energien hervorgehende asymmetrische Verhältnis, sondern vielmehr „die Nicht-Mög­lichkeit der Gleichgültigkeit“ (Emmanuel Lévinas). Das Politische ist von dieser vorpolitischen Erfahrung der Nicht-Indifferenz aus zu denken. In diesem Sinne lautet das Axiom, welches das Politische grundiert: Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Politik. Sloterdijks Weltanschauung steht im radikalen Widerspruch dazu. Sie besitzt eine anti-demokratische Tendenz, weil sie (a) zwischen Demokratie und Nihilismus eine tiefe Allianz wittert, (b) sich nicht zivilgesellschaftlich konstitutiert, da sie einer Expertokratie das Wort redet, die auf einem elitären Wissen beruht, und (c) durch eine Kultur des Stolzes und der Ehre eine Kultur des Sozialen zu ersetzen beabsichtigt.

© Jürgen Manemann

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