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InDebate: Ist es klüger, pessimistisch zu sein?

Veröffentlicht am 5. August 2013

Liebe Blogger-Freundinnen und -Freunde, dies ist die letzte Woche unseres Experiments. Wir möchten herausfinden, welches philosophische Potenzial in der kollektiven Intelligenz (Schwarmintelligenz) steckt. Wie die Wochen zuvor wird es auch diese Woche eine Frage geben. Bitte schreibt zu dieser Frage ein eigenes Statement und versucht, dieses Statement mit anderen Statements zu verbinden, zu korrigieren, zu überarbeiten, weiterzuschreiben etc. Vielleicht entsteht am Ende ein einziges Statement, verfasst von einem AutorInnen-Kollektiv. Die Frage für diese Woche lautet:

Ist es klüger, pessimistisch zu sein?

 

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8 Kommentare

  1. Der gelernte Pessimist Arthur Schopenhauer hat den Optimismus eine „ruchlose Denkungsart“ genannt, die das Leiden der Menschheit verkenne. Der Pessimismus erscheint mir aber nicht weniger ruchlos, da er die Freuden der Menschheit verkennt. Beide, Optimismus wie Pessimismus, gehen von der falschen Voraussetzung aus, zu wissen, wie die Welt objektiv beschaffen sei. Daran messen sie ihre Erwartungen und bekommen genau die Enttäuschungen, die sie für ihre Weltanschauung brauchen. Daher halte ich es für klug, weder optimistisch noch perssimistisch zu sein, sondern die Welt so zu nehmen, wie sie einem begegnet, und das Beste daraus zu machen. Das Beste ist nicht immer gut, aber auch nicht immer schlecht. Einer hat Glück, ein anderer Pech. Als pragmatisch denkender Mensch halte ich es mit der Weltweisheit: Leben und leben lassen. Alles andere führt in die Abgründe der Utopie oder der Apokalypse.

    • Lieber in den Abgrund springen, als pragmatisch sein! Auf in die Abgründe von Utopie oder Apokalypse – weg aus dem Schlamm des Pragmatismus, der öden Mittelmäßigkeit! Da die Welt besser nicht ist, als so zu sein, wie sie ist.
      „Flöße uns dein Gift ein, dass es uns stärke! Wir wollen, so sehr sengt dieses Feuer uns das Hirn, zur Tiefe des Abgrunds tauchen, Hölle oder Himmel, gleichviel! Zur Tiefe des Unbekannten, etwas Neues zu erfahren!“ (Baudelaire)
      Raus aus dem alltäglichen Pragmatismus, auf in den Kampf für Genuss und Freiheit, für den freien Genuss!
      „Lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben.“ (Zapata)

      Dass es überhaupt einen einzigen Tropfen Leid im Ozean der Welt gibt und tatsächlich nicht bloß ein Tropfen, sondern unendlich viele, egal wie die Welt im übrigen „objektiv beschaffen“ sein mag, begründet schon den Pessimismus.

      Und wäre es nicht überdies eine Enttäuschung, dass wir nicht wissen, wie die Welt objektiv beschaffen ist? Aber ich glaube, wir können durchaus wissen, wie sie beschaffen ist.

      Im übrigen braucht man nicht in der Scheiße wühlen, um zu wissen, dass sie stinkt – so viel zu der für den Pessimismus angeblich konstitutiven Notwendigkeit einer objektiven Erkenntnis der Welt.
      Entgegen der objektiven Erkenntnis sind auch gerade Zerrisenheit und Zweifel wunderbare Argumente für den Pessimismus: Alles, an dem man sich festklammert, um nicht in die Tiefe zu stürzen, ist ein Irrtum. Die Illusion ist die einzige Wirklichkeit, die uns noch bleibt.
      Wir können erkenntnisskeptizistisch sein – aber diese prinzipielle Skepsis verdeckt nicht das Dasein der Illusion. Und wenn das ganze auch nur eine Illusion ist, wir aber nicht in Kontakt mit der „objektiven Realität“ kommen könnten, so ist diese Illusion eben einerseits aufgrund ihres illusionären Charakters, andererseits aufgrund ihres Inhalts mit dem Pessimismus nicht nur vereinbar, sondern macht ihn geradezu notwendig.

      Es geht bei Pessimismus und Optimismus nicht so sehr um die Frage nach der Erkennbarkeit der Welt, sondern um das Leiden, das Fühlen. Und in der Welt, in der wir leben, halte ich Unzufriedenheit und Widerstand oder Resignation und Verzweiflung oder gar Wahnsinn für völlig berechtigt.

      Dass so viele heute „pragmatische Menschen“ sind – das ist doch schon einer der besten Beweise für den Pessimismus.

      Nun, die Welt begegnet uns irgendwie – aber sie so zu nehmen wie sie ist? Niemals! Dazu fehlt mir die Gedankenlosigkeit, Skrupellosigkeit und Ruchlosigkeit. Schade, dass es doch so viele tun. „Das Beste daraus machen“ – das ist lediglich eine Umschreibung für: sich in der Scheiße wohlfühlen.
      Sich dieser Welt anzupassen, ist Zeitverschwendung – vor allem weil es überflüssig ist, weil ich dann einer dieser Viel-zu-vielen bin.
      Dieses Sich-Entpersönlichen, diese Selbstentäußerung!
      Dieser routinierte Pragmatismus den heute alle nachbeten – widerlich ist das!

      „Ihr lacht über mich, weil ich anders bin. Ich lache über euch, weil ihr alle gleich seid!“ (Kurt Cobain)
      „Es ist besser, für den gehasst zu werden, der man ist, als für die Person geliebt zu werden, die man nicht ist.“ (Kurt Cobain)

    • Zitat M.H.Lieber in den Abgrund springen, als pragmatisch sein! Auf in die Abgründe von Utopie oder Apokalypse – weg aus dem Schlamm des Pragmatismus, der öden Mittelmäßigkeit! Da die Welt besser nicht ist, als so zu sein, wie sie ist.
      “Flöße uns dein Gift ein, dass es uns stärke! Wir wollen, so sehr sengt dieses Feuer uns das Hirn, zur Tiefe des Abgrunds tauchen, Hölle oder Himmel, gleichviel! Zur Tiefe des Unbekannten, etwas Neues zu erfahren!” (Baudelaire)
      Raus aus dem alltäglichen Pragmatismus, auf in den Kampf für Genuss und Freiheit, für den freien Genuss!
      “Lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben.” (Zapata)
      Zitatende

      Auweia. Der Pessimist in mir ordnet solche Aussagen einem Jugendlcihen zu, der noch bei seinen Eltern wohnt und Philosophie zur Kompensation benutzt. Bitte dringend eine Freundin anschaffen und alles neu eichen! Dann echauffiert man sich nicht an boulevardesken Fragen.

      Zitat von F. F.
      Daher halte ich es für klug, weder optimistisch noch perssimistisch zu sein, sondern die Welt so zu nehmen, wie sie einem begegnet, und das Beste daraus zu machen. – See more at: https://philosophie-indebate.de/829/indebate-ist-es-kluger-pessimistisch-zu-sein/#comments
      Zitatende

      Na ja, dieses Statement setzt bereits eine bestimmte „Verarbeitungstaktik“ dessen voraus, was an äußeren Eindrücken auf uns einwirkt. Auch „leben und leben lassen“ kann als Motto nur Bestand haben, wenn äußere Geschehnisse den Bereich des Akzeptablen nicht verlassen. Der zu Unrecht Verfolgte oder Verfemte hat sicher andere Leitmotive.

      Die eingangs gestellte Frage nach dem “ was ist klüger“, muss man doch fast humoristisch auffassen, so oberflächlich ist sie. „Klüger“ ist ja in diesem Kontext nicht gleichbedeutend mit “ was führt zu richtigerer Prognose“. Klug ist ja zunächst derjenige, der Wichtigkeit und Brisanz aus der Fragestellung zu ermitteln vermag. Entscheidend ist dabei, welcher Aufwand an Differenzierung dem Fragesteller unterstellt werden kann. Hier ist die Frage offensichtlich ohne Aufwand gestellt, wahrscheinlich in der Erwartung, niemand werde sich länger als 10 min damit beschäftigen.

      Optimismus und Pessimismus treten als Ausdruck psychologischer Verarbeitung in Erscheinung, gewissermaßen als Abgleichung der äußeren Tatsachenwelt mit einer inneren. Dabei durchlaufen äußere Reize diverse Filter.
      Ein besonders wichtiger Filter jenseits von Optimismus und Pessimismus ist jener im Menschen, der den äußeren „Dingen“ ihre passende Wichtigkeit beimisst. D.h. alles was nicht wichtig ist, wird klugerweise sofort vergessen oder nach Maßgabe einer „gesunden“ Oberflächlichkeit verarbeitet. Damit Platz für Wichtiges vorhanden ist!!
      Wenn nun eine nicht einmal ernst gemeinte Frage mit „ganzer Inbrunst“ beantwortet wird, spricht dies nicht so sehr für die Klugheit des Antwortenden, sondern dafür, dass besagter Filter defekt ist. Grüße.

      • „Filter jenseits von Optimismus und Pessimismus“, damit bin ich einverstanden. Ob das Motto „leben und leben lassen“ ausreicht, da habe auch ich meine Zweifel. Sicherlich kann man nicht alle so leben lassen, wie sie wollen. Einem Verbrecher muss man entgegentreten, aber einen Raucher sollte man in Ruhe lassen. Ich würde also das Motto so erläutern bzw. modifizieren: Klugheit besteht darin, im Rahmen der Normalität leben und leben lassen. So lautet die Botschaft meiner Philosophie der Lebenskunst.

      • „Im Kampf mit der Dummheit werden die billigsten und sanftesten Menschen zuletzt brutal. Sie sind damit vielleicht auf dem rechten Wege der Verteidigung, denn an die dumme Stirn gehört, als Argument, von Rechts wegen die geballte Faust. Aber weil, wie gesagt, ihr Charakter sanft und billig ist, so leiden sie durch diese Mittel der Notwehr mehr, als sie Leid zufügen.“ (Nietzsche)

        Auweia, mit welchen Leuten habe ich mich da jetzt wieder eingelassen. Da bekommt man ja richtig eins auf den Deckel (und ja, natürlich bin ich auch ein verwöhnter kleiner Jugendlicher, der den ganzen Tag träge vorm Fernseher hängt, vor Weltschmerz nur so trieft, und darüber hinaus auch noch in Selbstmitleid versinkt, und auch noch total stolz darauf ist usw. – und wenn es so wäre? was macht das bitte schön? Wurden sie etwa von ihren Eltern hart rangenommen und streng erzogen und wollen sich jetzt an all den Verweichlichten und Verwöhnten rächen, so wie mich all diese Pragmatisten in der Welt aufregen und ankotzen? Oder sind sie vielmehr der ganz ruhige und vernünftige Typ, der wohlbekannte Dritte, der immer den Streit schlichtet und auf den Kompromiss aus ist, der hier gerade nur mal einem Ausrutscher anheim gefallen ist? Wahrscheinlich eher letzteres!); und man bekommt eine Kostprobe vom Selbstverteidigungsreflex angepasster Menschen; etwa eine Tragödie oder eine Komödie sondergleichen? Arme Seele! Und da sagst du mir, ich soll nicht pessimistisch sein – dabei ist doch so ein Kommentar der beste Grund dafür.

        „Ich habe gesehen, ich habe gewusst, ich habe begriffen – hier ist der Marktplatz, die Laterne des Bordells, die Waage der Gerechtigkeit – ich kann nicht mehr.“ (Artaud)

        Zitat von Aaron: „Auweia. Der Pessimist in mir ordnet solche Aussagen einem Jugendlcihen zu, der noch bei seinen Eltern wohnt und Philosophie zur Kompensation benutzt. Bitte dringend eine Freundin anschaffen und alles neu eichen! Dann echauffiert man sich nicht an boulevardesken Fragen. […] alles was nicht wichtig ist, wird klugerweise sofort vergessen oder nach Maßgabe einer “gesunden” Oberflächlichkeit verarbeitet. Damit Platz für Wichtiges vorhanden ist! Wenn nun eine nicht einmal ernst gemeinte Frage mit “ganzer Inbrunst” beantwortet wird, spricht dies nicht so sehr für die Klugheit des Antwortenden, sondern dafür, dass besagter Filter defekt ist.“ Zitatende

        Oh, ich habe die Ehre! Und sie sind vielleicht ein Erwachsener, der nicht mehr bei seinen Eltern wohnt, sondern sich von ihnen emanzipiert hat und ein sehr gutes Verhältnis zu ihnen hat, und der Philosophie nicht als Kompensation verwendet, sondern – wozu? Suchen sie sich etwas aus. Sie leben vielleicht in einer schönen Partnerschaft usw. usw.
        Na und? Was sagt mir das jetzt? Dass sie besser sind? Dass sie damit beeindrucken können? Etwa, weil sie Karriere machen und fest im Leben stehen? Dass es ihnen besser geht als mir? Dass sie damit mir einen reingewürgt hätten? Dass sie irgendetwas Kluges mit so einem Kommentar ausgedrückt hätten? Dass der Pessimismus unklug ist und nur einem Muttersöhnchen als richtige Philosophie erscheint, das damit seine psychischen Komplexe bewältigen will? Auweia! Bullshit! Sie raten vielleicht richtig: es sagt überhaupt nichts. Ja vielleicht spricht es sogar noch gegen das „fest im Leben Stehen“, weil es so verächtlich ist.

        Was kommt da nur hervor? Das alltägliche psychologisch-pragmatische Schweizer Taschenmesser kommt zum Einsatz, um sich selbst in seinem Alltagstrott zu rechtfertigen, das Mittelmäßig-Alltägliche zum Richter werden zu lassen.

        Oh ja, ich halte Baudelaire und Zapata – und viele weitere große Freiheitskämpfer oder Philosophen und Schriftsteller – für Jugendliche, die bei den Eltern … Ach, bitte, was für ein Unfug. So kommen wir nicht weiter.

        boulevardesk – da haben wir es schon wieder! Die ganzen Alltagsmenschen nehmen alles, was ihnen begegnet als schlechtes und billiges mediales Gepränge, weil sie gar nicht mehr fähig sind, etwas als mehr als einen bloßen Unterhaltungswert zu nehmen – schon so dermaßen ideologisch verseucht. Solche philosophischen Fragen als boulevardesk zu behandeln und nicht als ernstgemeinte Frage – ganz gleich, welcher intendierte Sinn hier (auf dieser Website) dahinter stecken mag -, ist das beste Kennzeichen eines Alltagsfanatikers oder eines Medienkrüppels oder eines unterwürfigen Anhängsels der öffentlichen Meinung, der/das sich nicht auf tiefe und ernste Fragen einlassen kann. Wer in philosophischen Fragestellungen nur noch medial aufbereiteten Klatsch und Tratsch sieht – für den man keine 10 Minuten verschwenden sollte -, ist ein ziemlich geistloser und folglich unkluger Mensch.
        „Philosophie ist etwas Notwendiges, und heutzutage täte sie allerorten not, vornehmlich die praktisch angewandte, aber sie wird nicht genügend beachtet.“ (Dostojewski)

        Wenn sie alles, was tatsächlich wichtig ist, vergessen würden, dann würde – nach dem so eben erhaltenen Eindruck vermittels des obigen Kommentars – scheinbar nur der eingeimpfte Alltagschrott übrig bleiben; ja, sie würden daher wohlmöglich gar nichts vergessen. Wichtig sind nämlich keineswegs die ideologischen Meinungen und Muster oder das Alltägliche – wichtig ist vielmehr das freie Leben, innere geistige Freiheit und Unabhängigkeit vom pragmatischen Schwachsinn, der freie Genuss, die Ekstase, die heitere Einsamkeit, der Widerstand gegen das heute bestehende, widerwärtige System, das Leid, der Tod, solche Dinge sind vielleicht wichtig bzw. wichtiger (vorausgesetzt, dass überhaupt irgendetwas wichtig ist, denn wäre nichts wichtig, so bestünde eben ihr Irrtum darin, so viele Vorurteile für wichtig zu halten, anstatt die objektive Einsicht in die Unwichtigkeit von allem zu genießen – ich schwanke da zwischen der objektiven Sinnlosigkeit von allem und der bloßen Verächtlichkeit des pragmatischen Alltagslebens bei Beibehaltung des Wichtigeren/Höheren etwa in Kunst, Philosophie, Ekstase usw.), aber keinesfalls so ein Blödsinn wie Arbeit/Karriere und der ganze einem aufgehalste Alltagsmüll. Man merkt schon, wie sie sich in der pragmatischen Ideologie und in dieser ätzenden und bescheuerten Welt eingerichtet haben, dass sie kaum noch das wirklich Wichtige erkennen – nehmen sie sich mal wieder frei und finden sie ein bisschen Zeit zur Besinnung, denke sie mal – ohne all die ideologischen Verschleierungen – über ihr Leben nach; sie werden ein Nichts sehen, eine unbedeutende Kleinigkeit, ja nicht mal das, einen völlig unwichtigen Staubkorn im Universum.
        Dabei ist ja nicht das Sehen, sondern das Weinen die Aufgabe der Augen; um wirklich zu sehen, müssen wir sie schließen: das ist die Vorbedingung der Ekstase, der einzigen enthüllenden Schau. (Cioran)

        „Ich sehe tote Menschen!“ – hier wird es deutlicher: Ich sehe/höre/rieche angepasste Zombies („Menschen“ wäre hier vielleicht nicht mehr das richtige Wort).
        „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ (Nietzsche)

        Wer die Fragen nicht ernstnimmt, der braucht es auch gar nicht erst zu versuchen, sie zu beantworten. Von den Leuten, die diesen pragmatischen Müll nachplappern, haben wir da draußen schon genug! Das schlimme ist auch noch, dass sie sich vermehren wie die Pest – die „giftigen Fliegen des Marktes“ (Nietzsche).

        Es geht in der Philosophie nicht um Kompensation – vielleicht u.a., aber weder ausschließlich noch hauptsächlich, Nietzsche hat einmal gesagt „Philosophie ist eine Art Rache an der Wirklichkeit“ -, sondern … ja worum eigentlich? Aber das ist selbst schon wieder eine philosophische Frage.
        Ich finde es ehrlich gesagt sehr schwach, wenn man, sobald man hier mit einer anderen Position als dem Mainstream-Pragmatismus ankommt, so blöde Kommentare lesen muss, die mich nicht nur aufregen, sondern auch ganz einfach nur noch langweilen – und natürlich belustigen, sonst würde ich nicht mehr zurückschreiben. Was nutzt eine philosophische Debatte aus lauter gleichen Kommentaren oder unwesentlichen Unterschieden, da kann man sich gleich wieder seiner Arbeit zuwenden und die Philosophie Philosophie sein lassen, wenn dabei ohnehin nicht mehr herauskommt als die Wiederholung der öffentlichen Klischees und Vorurteile. Aus jeder Ecke hört man das gleiche Gezwitscher.
        „Erziehung ist im wesentlichen das Mittel, die Ausnahme zu ruinieren zugunsten der Regel.“ (Nietzsche)
        „Mündig sind die Jungen dann, wenn sie zwitschern wie die Alten.“ (Stirner)
        Was kannst du den Menschen sein, was können sie dir sein, wenn es sich in eurem Verkehr nicht darum handelt, Verständnis zu erzielen, sondern eben nur seine Meinung unverändert zu behalten? (Wagner)
        Und ein radikal Anderer – anders kann es sich der Mainstream-Schund nicht erklären – ist krank, zurückgeblieben, ein Jugendlicher, der noch bei Mami und Papi wohnt. Und selbst wenn – was wäre dabei? Kommt dann die ganze Küche der Vorurteile ins Rollen? Mach es doch am besten noch dramatischer, damit es nicht so aufgesetzt und künstlich wirkt! Hol z.B. den Ödipuskomplex gleich mit hervor oder eine Neurose oder was auch immer, eine Depression vielleicht – oder vielleicht Familenzwist, eine nicht überwundene Trennung der Eltern, innere Komplexe, wahnhafte Vorstellungen, krankhafte Ideen – das letzte Hilfsmittel des Mainstreams, um einen Unliebsamen, der eine radikal andere Position vertritt, von der Diskussion auszuschließen und zu disqualifizieren, ist es, denjenigen als „krank“, bösartig, verrückt, unwissend, naiv u.dgl. zu bezeichnen, d.h. einmal in den psychologischen Zauberkasten hineinzugreifen – alles Kategorien, die der Mainstream dazu verwendet, um sich unliebsame Gegner vom Halse zu schaffen; zumal auch noch relativ unreflektierte Kategorien. Was ist z.B. genau Krankheit/Gesundheit – und ist der Krankheitsbegriff nicht auch schon wieder ideologisch besetzt? So eine Schematisierung, wie Sie sie ihr abliefern, Aaron, finde ich ehrlich gesagt … naja, Sie können es sich bestimmt vorstellen.
        Die eigentliche Krankheit liegt aber im Pragmatismus und im heutigen Mainstream selbst.
        Erich Fromm: über den angepassten Menschen – „Die Normalsten sind die Kränkesten und die Kränkesten sind die Gesündesten. […] Der Mensch, der krank ist, der zeigt, dass bei ihm gewisse menschliche Dinge noch nicht so unterdrückt sind; dass sie in Konflikt kommen mit den Mustern der Kultur und dass sie dadurch Symptome erzeugen. Das Symptom ist ja wie der Schmerz nur ein Anzeigen, dass etwas nicht stimmt. Glücklich der, der ein Symptom hat. Wie glücklich der, der einen Schmerz hat, wenn ihm etwas fehlt. Wenn der Mensch keine Schmerzen empfinden würde, wäre er in einer sehr gefährlichen Lage. Aber sehr viele Menschen, d.h. die Normalen sind so angepasst, die haben so alles, was ihr eigen ist, verlassen, die sind so entfremdet, so Instrumente, so roboterhaft geworden, dass sie schon gar keinen Konflikt mehr empfinden. D.h., ihr wirkliches Gefühl, ihre Liebe und ihr Hass, das ist schon so verdrängt oder sogar so verkümmert, dass sie das Bild einer chronischen leichten Schizophrenie bilden.
        […] Dieser Mensch wird beeinflusst von seiner Umgebung, und zwar […] durch die Struktur der Gesellschaft, in der er lebt, die eine Tendenz hat, nämlich seine psychischen Energien so zu gestalten, dass der Mensch das gerne tut, was er tun muss, damit diese Gesellschaft in ihrer speziellen Form existieren kann.“
        „Wenn aber eine ganze Gesellschaft dieselben Sünden begeht, so verzeiht sie sich diese auch gern.“ (Sade)

        Ein Filter, der defekt ist? So, so. Der Alltagsmensch, der nicht mehr gegen das System opponieren kann (oder sogar will), dem der Widerstand zu unbequemlich ist, der in seinem erbärmlichen Behagen gefangen bleibt, weil er keine feinen Genüsse mehr kennt, der einfältige und eingebildete Alltagmensch also – wie viele Filter sind da kaputt – oder sogar hinzugekommen?! Wieviel Genussfähigkeit ist da verloren!

        Oberflächlichkeit ist nicht gesund, sie ist die Krankheit, an der so viele leiden – aber leider nicht die Kranken selbst -, welche die Welt so beschissen macht. Ich halte den nicht für klug, der etwas von einer „gesunden Oberflächlichkeit“ daher faselt. Und der es nötig hat, sein psychologisches Schweizer Taschenmesser herauszuholen, um mit solchen billigen Tricks zu glänzen.

        Einmal in den psychologischen Zauberkasten gegriffen – und was kam bei heraus? Jemand der so etwas „pessimistisches“ (oder was man hier auch immer einsetzen will) schreibt, der kann keine Freundin haben, der muss geistig zurückgeblieben sein, der ist nicht klug – anstatt sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen [was sie teilweise durchaus können und zeigen] und nicht bloß die öffentliche Meinung zu unterstützen und nachzuquaken, immer nur alltägliche Phrasen, leidenschaftslose Gleichgültigkeit und geistige Erblindung. Ja, ja, das Ganze auf die Person schieben, um sie bloß aus der Diskussion disqualifizieren oder herausekeln zu können – mach ruhig weiter, vielleicht schaffst du es ja (aber nein, ich gebe nicht nach, es kommt immer anders als man denkt: der „Klügere“ gibt nach – und das bist in unserem Falle ja ganz klar du; und ob ich das jetzt ehrlich meine, wer weiß, dich braucht es ja nicht zu kümmern, du glaubst es wahrscheinlich sowieso, da brauche ich dir nicht noch unter die Arme zu greifen). Aber echt, wer keine Kritik vertragen kann, sondern gleich so einen gehässigen Kommentar über die Gestalt eines Muttersöhnches schreibt, ohne darüber nachzudenken, was daran tatsächlich schlimm wäre oder in Bezug auf die Frage „Ist es klüger, pessimistisch zu sein?“ überhaupt von Relevanz ist. Es spielt nämlich überhaupt gar keine Rolle in Bezug auf diese Frage, ob ich, irgendein nichtiges, zufälliges, in den Schlamm seines Daseins geworfenes Individuum, ein Jugendlicher bin, der noch bei Mami und Papi wohnt, oder ob ich es nicht bin. Ich finde ihre Reaktion nicht sehr schön, ästhetisch langweilig, fad und öde – als ob man so etwas nicht von irgendwelchen Dummköpfen jeden Tag an den Kopf geworfen bekommen könnte, wenn man es nur will. Das in seinem Dogmatismus verletzte Kleinkind sehe ich ehrlich gesagt eher in ihnen, wo sie es doch nötig haben, sich auf so billige Weise rechtfertigen zu müssen. Aber hören sie, spielt das, ob sie ein dogmatischer Erwachsener sind (oder was auch immer), vielleicht ein ganz normaler Mensch mit einem glücklichen Leben, einer Frau, Kindern, einem guten Job, bestem sozialen Ruf usw. – spielt das irgendeine Rolle für die Diskussion um eine philosophische Frage wie diese, hat eine solche Person etwa prinzipiell mehr Recht, oder was? Das halte ich ehrlich gesagt für ein Vorurteil und letztlich sogar für ein ziemlich rassistisches Klischee in unserer Gesellschaft, alle Abweichler gleich für Spinner zu halten. Also frage ich sie, was sollte dieser blöde Kommentar bitteschön?

        Es ist ziemlich stumpfsinnig und – als Zeichen unserer kümmerlichen und verkümmernden Epoche – absolut unheimlich, wie ich finde, mit Menschen zu diskutieren, die in Diskussionen nichts anderes zustande bringen als die abgedroschenen Standardsprüche der Mainstream“kultur“ rauf und runter zu reihern. Macht euch selbst Gedanken, Leute! Faselt nicht diesen dreckigen Schund nach, den ihr in billigen Magazinen besser formuliert bekommt, in den dämlichen Glücksberaterbüchern usw. Diese von Plattheit und Verdrängung verseuchte Kultur! Natürlich, ich hasse unser heutiges sogenanntes „Leben“ und unsere Gesellschaft. Ein Leben, das so die Freiheit und Gemeinschaftlichkeit, Exzess und Ekstase, und teilweise auch die Liebe zur Einsamkeit, kurz die innere Lebendigkeit in all ihren Facetten verloren hat, und so voller Heuchelei und Zwang ist, wie dasjenige in der heutigen weltweiten und stumpfen Barbarei (denn von wirklicher Kultur kann gar nicht die Rede sein, wenn man sich die Menschen mal anschaut – immer dieses oberflächliche alltägliche Herumdümpeln und Treiben.) Gefährlich leben – Nietzsche hat einmal davon gesprochen; was gibt es heute selteneres! Vielleicht noch „gefährlich schreiben“.
        „Zivilisierter Mensch: Ein Ungeheuer, bei dem sich die Fähigkeit, Gedanken aus unseren Handlungen abzuleiten, statt beide miteinander zu identifizieren, bis ins Absurde gesteigert hat.“ (Artaud)
        Oder man ist schon so oberflächlich, dass auch keine Differenz mehr besteht, sondern Identifikation des alltäglichen Lebens mit dem, was man denkt, weil man eigentlich gar nicht mehr denkt; oder eine feinere Angst eines feineren Gemütes steckt dahinter – gleichsam durch die feinen Genüsse der Kultur hervorgebracht. Eine Vereinigung von Wort und Tat, des Höheren und Niederen, also:
        „Das Tiefe, das der Geist von innen heraus, aber nur bis in sein vorstellendes Bewußtsein treibt und es in diesem stehen läßt, – und die Unwissenheit dieses Bewußtseins, was das ist, was es sagt, ist dieselbe Verknüpfung des Hohen und Niedrigen, welche an dem Lebendigen die Natur in der Verknüpfung des Organs seiner höchsten Vollendung, des Organs der Zeugung, – und des Organs des Pissens naiv ausdrückt. – Das unendliche Urteil als unendliches wäre die Vollendung des sich selbst erfassenden Lebens, das in der Vorstellung bleibende Bewußtsein desselben aber verhält sich als Pissen.“ (Hegel)
        Dieses Mainstream-Gebrabbel hat nichts mehr mit kritischer Philosophie oder mit Selbstdenken zu tun. Wenn es schon so weit gekommen ist, dann können sie sich auch gleich die Philosophie sparen und diesem Mainstream-Blödsinn weiterhin anhängen. Aber bitte versuchen sie doch das nächste Mal es nicht dermaßen zu vergeigen, wie jetzt – und setzen sie sich mit anderen Positionen auseinander, statt sie durch direkten persönlichen Angriff herunterzumachen versuchen. Das ist beim besten Willen keine sachliche und gute Gesprächsbasis mehr – und ich würde bestimmt aufhören, weil ich es kaum für wert erachte, weiter mit ihnen zu reden, wo sie sich scheinbar doch eh in ihrem Pragmatismus verhärtet haben (ja, ja und ich mich natürlich zugestandenermaßen in meinem Pessimismus verhärtet habe) – wenn es mir denn nicht so einen wahnsinnigen Spaß machen würde, die lächerlichen Reaktionen der Alltagsmenschen auf stark abweichende Positionen zu beobachten und zu erfahren. Das ist sehr belustigend – ein paar Strategien, sich einen Glücksmoment zu verschaffen, gibt es auch für einen radikalen Pessimisten. Man muss nur das „verächtlichste“ und „verworfenste“ (und was der Mainstream noch darüber sagen mag) Glück entdecken. Geistige Unabhängigkeit und Freiheit, geistige Spannung und Opposition, kurz geistiger – und daraus auch resultierender körperlicher – Widerstand gegen die Welt – das sind die entscheidenden Werkzeuge für die Leichtigkeit des Seins, die so auch ein guter Pessimist erfahren kann.

        Immer nur Mittelmäßigkeit, Oberflächlichkeit und Dummheit, die einem überall ins Auge sticht. Mag sein, dass es so etwas, wie eine „gesunde Oberflächlichkeit“, sofern sie vorübergehend ist, quasi als kurze Erholung, gibt, aber sie ist beim besten Willen nicht mehr „gesund“, wenn sie zu einem der obersten Prinzipien der Kultur selbst und zur Dienerin der Verdrängung geworden ist. Und vor allem dann nicht, wenn diese Oberflächlichkeit alles andere, was in die Tiefe will, wieder zurück auf den flachen Boden der Tatsachen stellen will – ja, wenn diese Oberflächlichkeit alles, was stark und lebendig ist, herunterdrückt, im inneren Elend versinken lässt, in die innere Emigration treibt und wie ein Alpdruck auf allen lastet und alle ermattet und im alltäglichen, gedankenlosen und geschäftigen Leben ein Glück erblicken lässt. Das einzige Glück, wozu der Alltagspragmatist heute noch fähig ist! So ein innerlich verkrüppeltes und verarmtes Leben will ich nicht führen.
        „Es gibt keine größere Lüge als die, daß die Arbeit den Menschen erfülle! Heute nicht! Solange Arbeit Pflicht ist, nicht!“ (Wilhelm Reich)

        „Wer eine gute, verständige und schöne Frau sucht, sucht nicht eine, sondern drei.“ (Wilde)
        „Es ist besser für den gehasst zu werden, der man ist, als für die Person geliebt zu werden, die man nicht ist.“ (Kurt Cobain)
        Zur Sache mit der Freundin oder der Liebe als solcher: „Bitte dringend eine Freundin anschaffen und alles neu eichen!“ (Zitat Aaron) – ein noch dümmerer Ratschlag geht wohl kaum und ist ihnen bisher noch nicht eingefallen – oder fällt ihnen noch einer von den meinigen ein, den sie gleich anbringen können? Bestimmt. Ich hoffe doch. Los, dann können sie mir noch mehr vorwerfen, was ich sei!
        Weder muss oder wird man sich oft neu eichen, wenn man sich eine Freundin „anschafft“, noch wäre das gut – wer dies tut, wäre innerlich ziemlich schwach. So ein Blödsinn, als wäre eine Freundin ein Allheilmittel oder überhaupt jemand, der einen großartig verändern sollte. Es geht in der Liebe darum, den Menschen, den man liebt, so zu nehmen, wie er ist, und nicht darum, dass er sich „neu eicht“, dass er sich verstellt, schauspielert – außer vielleicht, es ist seine beste und liebste Rolle. Und man schafft sich auch nicht einfach eine Freundin an, das tun nur irgendwelche Macho-Hohlbirnen, denen die Weiber hinterherlaufen – letztlich gilt: es ergibt sich oder eben nicht. Und ob man eine Freundin hat oder nicht, hat auch nichts damit zu tun, ob man pessimistisch ist oder nicht. Vielleicht drängt es einen auch gar nicht danach. Häufig ist eine Freundin auch eine Last, eher das Problem als die Lösung, eine Begrenzung der eigenen Freiheit, sofern die Beziehung einem Ketten anlegt. Und auch ich wäre eine Last für eine Freundin, sofern sie einen nicht abgöttisch liebt oder den Geist verehrt oder naiv genug ist, mich zu lieben; ich glaube daher nicht, dass ich einer potentiellen Freundin gut täte, daher lasse ich es einfach, solange sich nichts Besonderes ergibt. Glück und Liebe – und natürlich oft oder sogar viel öfter Glück und Freiheit – schließen nicht selten genug einander aus.
        „Wen man am meisten liebt, den kränkt man am ehesten.“ (Dostojewski)
        Ich würde zudem keine Freundin wollen, die mich neu eicht, die mir an solch einem Lebensgefühl, wie es heute üblich ist, wieder etwas Schönes erblicken lässt und es mir schmackhaft machen würde, die mich dazu drängen würde, in den ideologischen und pragmatischen Bullshit mit einzustimmen – das wäre keine Freundin, eher eine Feindin, vielleicht noch – mit einer gewissen Feinheit – eine Hassliebe, aber keine echte Liebe, wenn es denn so etwas wie wahre Liebe überhaupt gibt – ich halte dies sowieso eher für ein Vorurteil; vielleicht gibt es ja nur den Willen zur Macht, oder vielleicht steckt hinter jedem sich als platonisch aufblasenden Liebeswunsch nur das Geheimnis des körperlichen Triebes.
        „Ich sah, wie ihre schönen Wangen von jener Flamme der Wollust gefärbt wurden, die jedesmal sichtbar wird, wenn man die Schranken des Gewöhnlichen durchbricht.“ (Sade)
        „I stopped looking for a Dream Girl, I just wanted one that wasn’t a nightmare.“ (Bukowski)
        „Of course it’s possible to love a human being if you don’t know them too well.“ (Bukowski)
        Liebe halte ich oft auch einfach für den Wille zum Besitz einer Person – und das ließe sich deutlich besser bewerkstelligen als durch Liebe. Liebe ist das Besitzergreifenwollen von einer Person, der Zwang, sich ihn auf abgöttische Weise gefügig zu machen – freilich nicht in einer oberflächlich-pragmatischen Liebe, dort ist es bloße Langeweile und Flucht vor der Einsamkeit – oder gar der Drang, dazugehören zu wollen, oder die Coolness, die darin liegen soll, eine Freundin zu haben. Aber auch der habsüchtige Geist der Liebe ist noch eine verächtliche Stufe derselben – und sie taucht auch in vielen Facetten schon beim pragmatisch-alltäglichen Individuum auf [letztlich sogar hauptsächlich], allerdings meist verdeckt, noch nicht in voller Offenheit – nur bei jemandem, der es sich offenbar leisten kann, einem Großkapitalisten in der Liebe, oder einem verwzeifelten Gipfelstürmer, einem Macho, einem stark verbitterten Besitzlosen der Liebe [der auch gerade nur deswegen verbittert ist] etc.; man sehe sich nur mal die christlichen Ideale an, die unsere Kultur prägen, namentlich die Treue, die Ausschließlichkeit u.dgl. Das ist die Vermischung von Liebe, Religion [wegen der Verklärung über den Grund der Liebe] und Kapitalismus [wegen des Besitzstrebens]. Auch wenn dieser Besitzdrang, ob man es nun zugeben möchte oder nicht, in einem stark sein mag – ich selbst versuche mich da an die freie Liebe und/oder die Unabhängigkeit eines Diogenes zu halten.
        „Am deutlichsten aber verrät sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach Eigentum: der Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der[ von ihm ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht über ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sein und als das Höchste und Begehrenswerteste in der andern Seele wohnen und herrschen. Erwägt man, daß dies nichts anderes heißt, als alle Welt von einem kostbaren Gute, Glücke und Genusse ausschließen: erwägt man, daß der Liebende auf die Verarmung und Entbehrung aller anderen Mitbewerber ausgeht und zum Drachen seines goldenen Hortes werden möchte, als der rücksichtsloseste und selbstsüchtigste aller »Eroberer« und Ausbeuter: erwägt man endlich, daß dem Liebenden selber die ganze andere Welt gleichgültig, blaß, wertlos erscheint und er jedes Opfer zu bringen, jede Ordnung zu stören, jedes Interesse hintennach zu setzen bereit ist: so wundert man sich in der Tat, daß diese wilde Habsucht und Ungerechtigkeit der Geschlechtsliebe dermaßen verherrlicht und vergöttlicht worden ist, wie zu allen Zeiten geschehen, ja daß man aus dieser Liebe den Begriff Liebe als den Gegensatz des Egoismus hergenommen hat, während sie vielleicht gerade der unbefangenste Ausdruck des Egoismus ist.“ (Nietzsche)
        Und da ich nicht in den Chorus der Engel, die das Bestehende predigen, mich einreihen will, so sehe ich auch keinen Sinn darin, mich derartigen formellen und pragmatischen, ideologisch verschleierten bzw. das reale Begehren verdrängenden und unterdrückenden Beziehungsphänomenen zu unterwerfen – hier schaffe ich mir lieber eine andere Art und Weise der Liebe. Eine halbherzige pragmatische Romantik ist völlig öde und ästhetisch gesehen in keiner Weise irgendwie ansprechend, es müsste eine völlige Hingabe sein (oder man liebt auch mal die Einsamkeit und gibt sich ihr hin – oder man spielt das Spiel der Verführungen, wenn man es beherrscht, oder lebt im freien Genuss der freien Liebe), jedenfalls eine souveräne Liebe, welche den unwürdigen Alltagsgott vergisst und ein für allemal hinter sich lässt, eine Weise der Beziehung, die mit der pragmatisch-kapitalistischen und religiös-exklusivistischen Ideologie bricht, sie zerbricht und in tausend Stücke zerreißt, eine wahnsinnige, surreale Liebe vielleicht, eine gefährliche, aber keine alltäglich-pragmatische. Die Liebe darf sich auf keinen Fall in den Dienst des Pragmatismus oder der heute bestehenden Ideologie stellen, das wäre fatal für sie; das wäre eine Knechtschaft der Liebe. Aber die Liebe muss wieder subversiv werden, gegen den Alltag und den Pragmatismus aufbegehren und ihn überwinden; oder, wenn man den Pragmatismus [in sich oder im allgemeinen] nicht zu überwinden vermag, dann gehe man wenigstens ehrlich an der tragischen Liebe zugrunde. Man nehme sich ein Vorbild an den literarischen und oftmals tragischen Liebesbeziehungen, z.B. in Sophokles Antigone (d.h. Antigones Entscheidung gegen das königliche Gesetz vermutlich aus Liebe zu ihrem Bruder [verdeckt im Namen eines höheren, göttlichen Gesetzes]), in den Dramen von Shakespeare, in Kleists Penthesilea, Mozarts Don Giovanni (als ästhetisches Phänomen der Verführung, im Sinne Kierkegaards), Wagners Tristan und Isolde (Isoldes Verklärung/Liebestod) u.ä.
        „Wille zur Liebe: das ist, willig auch sein zum Tode.“ (Nietzsche)

        Sie sollten sich vielleicht von ihrer Freundin lossagen, sofern sie eine haben. Damit sie noch mal Zeit haben, sich darauf zu besinnen, was im Leben wirklich wichtig ist, statt so sehr an irgendwelchen sozialen Kontakten zu kleben und sich daran festzuklammern wie ein kleines, verängstigtes Kind – und was sie in ihrem gescheiterten oder von irgendwelchen (öffentlich gepredigten) Scheinwerten zugestopftem Leben alles falsch gemacht haben. Oder sind sie etwa so dermaßen abhängig von sozialen Kontakten, dass sie sich im Dunkeln fürchten und in der Einsamkeit sofort langweilen – und nicht die innere Freiheit des Geistes genießen können, geschweige denn überhaupt innerliche, geistige Freiheit besitzen, denn sie plappern ja nur das öffentliche Gewäsch nach – das zeugt nicht nur nicht von Klugheit, sondern es zeugt geradezu von strotzender Dummheit, wenn man diesen pragmatischen Alltagsquatsch überhaupt mitmacht oder sogar noch gutheißt. Ich möchte jedenfalls nicht mein Leben mit dem ihrigen tauschen – für alles Geld der Welt nicht, für irgendeine Karriere nicht, und auch nicht für irgendeinen netten Menschen, eine Freundin vielleicht. Sie haben mir da nichts, aber auch überhaupt gar nichts voraus – aber mag ja sein, dass sie sich dies einbilden – und hätten sie diese Illusion nicht, so würden sie vielleicht zugrunde gehen, wer weiß – und dass sie sich auf ihr Leben irgendetwas einbilden – aber ich lache nur darüber und ich gebe nicht viel, nein, ich gebe gar nichts auf ihr sogenanntes „Glück“, und so lachen wir uns vielleicht gegenseitig aus oder ignorieren einander, oder was auch immer.
        „Nichts verdient rückgängig gemacht zu werden, weil gewiss nichts verdient getan zu werden.“ (Cioran)
        „Fort denn mit jeder Sache, die nicht ganz und gar Meine Sache ist! Ihr meint, Meine Sache müsse wenigstens die »gute Sache« sein? Was gut, was böse! Ich bin ja selber Meine Sache, und Ich bin weder gut noch böse. Beides hat für Mich keinen Sinn.“ (Stirner) [Sade hat das vielleicht noch weiter oder zumindest in eine etwas andere Richtung gedacht, nicht bloß der Ichzwang, das Beharren auf dem Eigenen, sondern die Umkehrung Platons, die Idee des Bösen, den nackten Geist der Negation. Wir können auch Hegel mit seiner konkreten Negation hinzuziehen, oder Kant mit seiner Kritik am Selbsteigentum auf Grundlage der Autonomie selbst.]

        „Und wer mit dem Bewusstsein eines Idioten in diese Welt gesetzt wird; doch mit gerade soviel Bewusstsein, als er braucht, um lieben zu können, im Zustand einer unbedingten Loslösung, eines wunderbaren, spontanen Aufschwunges; wem alles, was die Welt darstellt, entgeht, wer von der Liebe nur die Flamme kennt, die Flamme ohne Ausstrahlung, ohne die Vielheit des Herdes, wird weniger haben als jener andere neben ihm, dessen Hirn wieder zur Schöpfung als Ganzem zurückkehrt und für den die Liebe eine gründliche, grauenhafte Ablösung ist. Er wird ein begrenztes Glück genießen, aber auch ihm wird es das Gefühl der Unendlichkeit schenken, erfüllt es doch, was er fassen kann. Bis zu dem Tage, da dieser Arme im Geiste wie alle anderen Dinge hinweggefegt wird. Da wird ihm seine Unendlichkeit genommen. Da werden wir verschmolzen zum kosmischen Einen, an dessen Stelle bald die unendliche Null Gottes rücken wird.“ (Artaud)

        „Zusammen rannten sie durch die Straßen und fuhren auf alles ab, auf die Art, wie sie das damals drauf hatten und die später so viel trauriger wurde, vorsichtig und inhaltsleer. Aber Damals tanzten sie durch die Straßen wie Kobolde, und ich stolperte hinterher, wie ich mein Leben lang hinter Leuten her gestolpert bin, die mich interessieren, denn die einzigen Menschen sind für mich die Verrückten, die verrückt sind aufs Leben, verrückt aufs Reden, verrückt auf Erlösung, voll Gier auf alles zugleich, die Leute, die niemals gähnen oder alltägliche Dinge sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie phantastische gelbe funkensprühende Feuerwerksvulkane und wie Feuerräder unter den Sternen explodieren, und aus der Mitte sieht man den blauen Lichtkern knallen und alle rufen: Aaah!“ (Kerouac)

        Was gibt mir denn der pragmatische Alltagsschrott, was ich nicht schon genau kenne und im Augenblick des Sinnentaumels mit Füßen treten würde? Etwa Sicherheit, weil ich Angst hätte?
        Wahrheit ganz bestimmt nicht.
        „Das Wahre ist so der bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und weil jedes, in dem es sich absondert, ebenso unmittelbar sich auflöst, – ist er ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe. “ (Hegel)
        Und echte Freude schon gar nicht, geschweige denn die Tiefe des Leids und der Ekstase, die man sich ersehnt. Eher wohl Unterdrückung, Langeweile, Geist- und Instinkt-Abtötung jeglicher Art, ein schmähliches Glück. Was ist euer/dieses Glück mehr als Schmutz und ein erbärmliches Behagen?
        „Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? Was ist der Affe für en Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch Wurm. […] Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu werden. […] Was ist das Grösste, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der grossen Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Glück zum Ekel wird und ebenso eure Vernunft und eure Tugend. Die Stunde, wo ihr sagt: »Was liegt an meinem Glücke! Es ist Armuth und Schmutz, und ein erbärmliches Behagen. Aber mein Glück sollte das Dasein selber rechtfertigen!«“ (Nietzsche)

        “If you’re going to try, go all the way. Otherwise, don’t even start. This could mean losing girlfriends, wives, relatives and maybe even your mind. It could mean not eating for three or four days. It could mean freezing on a park bench. It could mean jail. It could mean derision. It could mean mockery–isolation. Isolation is the gift. All the others are a test of your endurance, of how much you really want to do it. And, you’ll do it, despite rejection and the worst odds. And it will be better than anything else you can imagine. If you’re going to try, go all the way. There is no other feeling like that. You will be alone with the gods, and the nights will flame with fire. You will ride life straight to perfect laughter. It’s the only good fight there is.” (Bukowski)

        Die „Nacht der Welt“, wie Hegel es nennt, erlöst sie mich nicht vom Schauder der Furcht vor dem Abgrund der Freiheit, vor einer erlösten Welt im Abgrund selbst?
        „´Retten´ macht den Abgrund nicht zunichte, sondern hat in ihm statt.“ (Nancy)
        „Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun, damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen; sondern er ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt.“ (Hegel)

        Die Aufhebung dieser elenden Welt – sie muss jedem ehrlichen und rechtschaffenen Menschen zur Pflicht gedeihen, zur unmöglichen Pflicht, zur Pflicht zum Unmöglichen, zur Pflicht des Scheiterns in einer solchen Welt, ja zum innersten und reinsten Willen selbst, das verzweifelte und schauerliche Wagnis des Schreis gegen die Welt zu entfachen, als geistig glühende Flamme am Horizont unterzugehen.
        „Sich hinsterben lassen bezeugt Schwäche, sich selbst zu vernichten ist Zeichen von Kraft.“ (Cioran)
        „Alles existiert nur als Funktion und alle Funktionen laufen auf eine hinaus: sie laufen für mich, wenn ich den Geist aufgebe, auf mein Bedauern hinaus, gelebt zu haben.“ (Artaud)

        Zum Verbrechen: Der einzelne Verbrecher ist nichts, aber auch gar nichts gegen das verbrecherische System; wie Sade sagen würde: das „kalte Gesetz“ steht gegen die Leidenschaften, das Begehren. Es geht daher in erster Linie nicht darum, dem vom „kalten Gesetz“ verfolgten, sogenannten „Verbrecher“ entgegenzutreten, sondern das Gesetz zu lockern und milde zu machen.
        „Misstraue allen, in denen der Trieb zu strafen mächtig ist.“ (Nietzsche)
        Alle vom sogenannten „Common Sense“ deklarierten Verbrechen machen einen gewissen Verlauf durch: erst sind sie Sünde, dann das Böse und Vernunftwidrige, Unmoralische, Anstößige, das Gesetz verletzende, Schadhafte, schließlich das Träge und Unnütze oder Kranke, usw. – bis man es schließlich erlaubt. Das fängt an mit „Sex vor der Ehe“, „Homosexualität“, geht über „antiautoritäre Erziehung“, „Esskultur“ und „Aufhebung des Privateigentums“, „Enteignung der Enteigner“ bis hin zu „sexueller Differenz“, „Arbeitsverweigerung bzw. Recht auf Faulheit“, „Tyrannenmord“, „Selbstmord“, „Wahnsinn“ usw.
        Das Problem was man hier häufig hat, ist die Uneindeutigkeit und Vermischung vieler zufälliger Einflüsse miteinander, denn auf der anderen Seite stehen natürlich so manche Zeichen der heutigen Ordnung, ebenfalls auf schlechtem Grund und befinden sich vor allem in schlechtem Ruf – aber nicht der Ruf, der vorauseilt, ist entscheidend, sondern Weg und Ergebnis der Analyse der jeweiligen Phänomene.
        Der „Rahmen der Normalität“ oder „die bürgerliche Ordnung“ ist gerade das Negativ zu dieser Verbrechens-Klassifikation des „Common Sense“ – und damit ist es, auf einer Gewalt und der Kälte des bürgerlichen Gesetzes gründend, selbst inhärent verbrecherisch. Es ist daher gerade klug, dieser erstarrten Festung von Langeweile, ängstlichem Sicherheitsdrang und Vorurteil das sich nicht einfügen wollende Element, das Ausgeschlossene, Heterogene, den „verfemten Teil“ (Bataille) gegenüberzustellen.
        „In Zeiten der Stagnation, seien sie durch Trägheit oder durch Gewaltherrschaft entstanden, kann kein Leben entstehen. Leben ist Unruhe, die durch exzentrische Einzelpersonen ausgelöst wird. Um diesem Leben zu entsprechen, muss die Gesellschaft Risiken eingehen, ja sogar ein gewisses Maß an Regelverstößen akzeptieren. Wenn die Gesellschaft leben will, dann muss sie gefährlich leben.“ (Herbert Read)
        „Es ist unglaublich, in welchem Grade der Mensch, der ohnehin in allen seinen Vergnügungen so beengt ist, die Grenzen seines Daseins noch durch unwürdige Vorurteile zu verengern sucht.“ (Sade)
        „People don’t deserve the restraint we show by not going into delirium in front of them.“ (Celine)
        Das Verbrechen gehört unter den Begriff: ‘Aufstand wider die Gesellschaftliche Ordnung’. Man ‘bestraft’ einen Aufständischen nicht: man unterdrückt ihn. Ein Aufständischer kann ein erbärmlicher und verächtlicher Mensch sein; an sich ist an einem Aufstande nichts zu verachten, und in Hinsicht auf unsere Art Gesellschaft aufständisch zu sein, erniedrigt an sich noch nicht den Werth eines Menschen. Es giebt Fälle, wo man einen solchen Aufständischen darum selbst zu ehren hätte, weil er an unsrer Gesellschaft Etwas empfindet, gegen das der Krieg noth thut: wo er uns aus dem Schlummer weckt. (Nietzsche)

        „Was ist die gemeinsame Sorge um die sogenannte „bürgerliche Zukunft“ gegen das Bewußtsein, in seiner edelsten Tätigkeit nicht despotisiert zu sein! Wie wenige Menschen haben sich selbst wirklich lieber als ihren Magen!“ (Wagner)

        Im übrigen – hier bin ich ausnahmsweise mal sehr, wie ihnen das entgegenkommen sollte, alltäglich/pragmatisch – ist es mir völlig gleichgültig, was sie – weil ich sie nicht kenne und sie es darüber hinaus mit so einem scheiß Kommentar ohnehin verscherzt haben – über meine mangelnde Klugheit denken mögen – und das beruht vermutlich auf Gegenseitigkeit, und wenn nicht, ist das auch egal.

        Oft wollen die Menschen einfach nur ihre Meinung kundtun; sobald es aber Kritik gibt zur eigenen bzw. üblichen Auffassung verwandelt sich das Interesse dahin, dass man abfällige Bemerkungen macht, um Unbequemlichkeiten und Konflikte zu vermeiden. Viele wollen einfach nur ihre Meinung übermitteln, aber stellen diese nicht in einen fairen Diskurs, sondern in eine ideologischen Legitimationsapparat.
        Oder vielmehr, man sieht, dass dem ursprünglichen Interesse der Teilnahme an einer Diskussion eben oft nur jene Masche zugrunde liegt, Bestätigung zu erlangen, das Verlangen nach sozialer Akzeptanz – deshalb werden auch immer die ganzen Alltagsschwindel bis zum Erbrechen wiederholt. Da könnten wir uns dann auch über das Wetter unterhalten, statt über eine philosophische Frage!

        „Um zu begreifen, muss man Herz haben!“ (Dostojewski)
        Mag sein, dass ich sehr polemisch geschrieben habe und mit „ganzer Inbrunst“. Aber wer keine Inbrunst mehr hat und sich nicht über den dermaßen riesigen Bullshit, der auf der Welt so vonstatten geht, aufregt und beinah rasend wird, ob so einer … ach, ich find kein Wort mehr dafür – der ist ein innerlich toter, verkrüppelter ans sogenannte „Leben“ angepasster Erwachsener, der sich viel auf sein tolles Leben einbildet, oder einfach ein Langweiler. Pragmatismus ist Furcht. Hier ist kein Filter defekt, sondern hier ist der Antwortende einer immensen, vermutlich durch verdrängte Angst erzeugten Zensur durch Filter und klischeehafte, oberflächliche Muster etc. unterworfen, die ihn alle dazu drängen, dem Gott des pragmatischen Schwachsinns zu dienen und zu huldigen. Aber vielleicht gehört ja den Mutigen die Zukunft. Diese Alltagspragmatismus jedenfalls ist eine Versagung aller Extreme, eine unterdrückende Askese, ein Zurückschrecken vor dem Abgrund und dem Exzess, eine fürchterliche Angst, die sich darin manifesiert. Was zeigt dies für eine emotionale Verkrüppelung und Verkehrtheit in dieser Welt, in diesem gesellschaftlichen Zustand, weil die Anpassung an das Oberflächlich-Geistlose, Pervers-Alltägliche, Pragmatisch-Normgerechte/“Normale“ den Menschen dazu zwingt.
        „Ihr lacht über mich, weil ich anders bin, ich lache über euch, weil ihr alle gleich seid.“ (Kurt Cobain)
        „Niemals kroch ich im Leben vor Mächtigen; und log ich je, so log ich aus Liebe.“ (Nietzsche)

        „Moloch! Einsamkeit! Dreck! Hässlichkeit!“
        „Moloch – das unbegreifliche Gefängnis (…) der Kongress der Ängste.“
        „dessen Bewusstsein eine reine Maschine ist“
        „dessen Augen tausend blinde Fenster sind“
        „dessen Liebe ein Ozean von Öl und Stein ist“
        „dessen Seele Elektrizität ist und Banken“
        „dessen Armut das Gespenst des Genies ist“
        „dessen Schicksal eine Wolke geschlechtslosen Wasserstoffs ist“
        „in dem ich einsam sitze (…) Engel erträume“
        „in dem ich ein Bewusstsein bin ohne Körper“
        „der mich aus meiner natürlichen Ekstase schreckte“
        (Ginsberg)

        Ich bin bei dir …
        „wo du in der Zwangsjacke schreist, dass du das alles entscheidende Pingpong-Spiel mit dem Abgrund verlierst“
        „…wo du deine Ärzte des Wahnsinns bezichtigst“
        „…wo wir elektrisiert aus dem Koma erwachen“
        „Imaginäre Wände fallen – Oh, knochige Legionen, rennt ins Freie!“
        (Ginsberg)

        „Erfolg bedeutet für uns den Tod von Intellekt und Phantasie. Wir sind immer der verlorenen Sache treu gewesen.“ (Joyce)

        Es hat sich in mir durchaus eine tiefe, wie ich glaube völlig berechtigte, Aversion, ja ein Ekel gegen den Mainstream-Pragmatismus herausgebildet und angestaut, das hört man ja. Ich bin sehr vorsichtig und skeptisch, was die sogenannten „Alltagsweisheiten“ betrifft; ist doch klar, dass ich dann dagegen polemisiere, vor allem, wenn man überall nur den gleichen Mist liest, aber Alternativen müssen ja – der Mainstream-Verstand (oder wie man des öfteren unter den Vertreter liest „Common sense“, „gesunder Menschenverstand“, und solcherlei lächerliche Konstrukte und Vorurteile) lässt scheinbar nichts anderes zu oder gelten – gleich von einem vereinsamten Jugendlichen kommen. Ich denke, diese Skepsis – und vor allem die Unzufriedenheit mit den vorgegebenen pragmatischen Klischees und ideologischen Maßstäben und überhaupt der ganzen Scheiße, in der wir uns befinden – ist eine sehr gute, kritische Einstellung, die in der Philosophie heute vielleicht nötiger ist denn je – wer weiß? Da ich unter Pessimismus eine fundamentale Unzufriedenheit verstehe, denke ich, dass er durchaus sehr klug und berechtigt ist. Auch eine Demokratie lebt ja von ihren Kritikern. Offen für Neues sein, für den Exzess, das Unheimliche usw. – anstatt den veralteten, verosteten und fragwürdigen pragmatischen Dogmen anzuhängen. Der Fall in den Abgrund – das Ungewöhnliche, das lebendige, sich innerlich bewegende Element oder auch die Verzweiflung halte ich für sehr wichtig in einer Epoche wie heute, welche die ökonomische und ignorante Starrheit zu ihrem Prinzip gemacht hat. Die Verzweiflung und auch der Zorn und Hass auf die heutige Gesellschaft zeigt einem, dass man noch lebt, dass man noch nicht innerlich gestorben ist und bis oben angefüllt mit der öffentlichen Meinung und der liberalen Doktrin. Kritik – und in einem gewissen Sinne daher auch Polemik – ist absolut wichtig, damit wir nicht in einer totalitären Gesellschaft, wie heute, erstarren. Provokation ist die/eine Waffe der Unterdrückten. Geistige Abweichung, Freigeisterei ist ein Zeichen von Mut und eine notwendige Bedingung, um den Alltagstrott aufzurütteln – oder zumindest ihn zu nerven und zu stören, sodass dem Alltagspragmatisten nichts besseres mehr einfällt, als eine – für ihn scheinbar desaströse – psychologische Diagnose zu stellen. Das scheint mir geglückt zu sein, endlich und ausnahmsweise mal was positives, ob dieser schlechten Welt – oder der schlechtesten aller möglichen Welten, vielleicht. Nietzsche hat immer von gefährlichen Vielleichts in der Philosophie gesprochen – die Gefahr merke ich und nehme sie zur Kenntnis, aber die Sicherheit in einem solchen Zustand des „Lebens“, in dem wir heute vor uns hinvegetieren, ist mir nichts wert, weil mir die gegenwärtige Epoche nichts wert ist, im Gegenteil, sie ekelt mich an – darum stelle ich mich gerne weiter ihren Angriffen und psychologischen Demotivierungs- oder Abwertungsstrategien zur Verfügung. Hier nehme ich es mit Humor und einer gewissen Bequemlichkeit:
        „Die Erniedrigung ist eine sehr bequeme Wollust, man braucht sich nur sagen zu lassen, was man wirklich ist.“ (Sade)

        „Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden. Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst der Übermenschen werde. Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen will, damit einst der Übermensch lebe. Und so will er seinen Untergang. (…) Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu seinem Glücke fällt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler? – denn er will zu Grunde gehen. (…) Ich liebe Den, dessen Seele übervoll ist, so dass er sich selber vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein Untergang. Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum Untergang.“ (Nietzsche)

  2. Weil viele Menschen nicht klug sind, ist es nicht klug, sie dafür zu halten; also ist es klug, pessimistisch zu sein.

    Ich halte es für äußerst unklug, ja geradezu dumm und unterwürfig, für eine fixe Idee, sich mit Begebenheiten seines Lebens, die man selbst für schlecht hält oder die man naiv und unreflektiert oder von seiner eigenen Ohnmacht überwältigt einfach hinnimmt, zu arrangieren oder auch noch einen Kompromiss mit diesen Begebenheiten suchen zu wollen.
    „Toleranz ist der Beweis des Misstrauens gegen ein eigenes Ideal.“ (Nietzsche)
    Die Wahrheit liegt so gut wie nie im Kompromiss. Es gibt kaum etwas schlimmeres als dieses ewige Komrpomisslertum: „Ja, ich versteh beides. Ach, mach es dir doch nicht so schwer. Am besten treffen wir uns einfach in der goldenen Mitte.“ Diese ewige Mittelmäßigkeit! Diese Heuchelei des Verständnisses! Diese ätzende, nervtötende, opportunistische und unterwürfige Bequemlichkeit! Diese sich selbst nicht sehen wollende Angst, das Zurückschrecken vor dem Unheimlichen, vor dem Exzess, vor dem Widerstand, vor dem Kampf gegen die erdrückende Last! Stattdessen bloß das schwächliche Nachgeben, das „bloß nicht Widerstand leisten“ gegen das System, wegen der allgemeinen Furcht vor Strafe oder auch nur Unbequemlichkeiten, sondern die sich selbst aufopfernde und aushölende Dienstbarkeit für das System, das sich Entblößen und nackt Ausziehen für die herrschende Ordnung – und noch nicht einmal seine Nacktheit bemerken, solange man nicht vom „Baume der Erkenntnis“ isst, sondern dabei an seinen „Vorteil“ denken, der eigentlich ein Nachteil ist, und der nur darum als Vorteil gehandelt wird, weil die Ordnung alles andere mit noch größeren Lasten belegt und auf ein noch niedrigeres Niveau hinunterdrückt, nur damit das von der Ordnung Gewünschte überhaupt einmal als „Vorteil“ erscheinen kann – sei´s der Kompromiss, die Disziplinierung, die Abstumpfung, der Alltagsbetrieb; da haben wir unser modernes „Paradies“; man stellt dabei die ängstliche und oberflächliche Sympathie über die Subversion der Liebe, der Liebe, die den Widerstand gegen das falsche, unterdrückte Leben, gegen den inneren Tod des Subjekts darstellt – die Liebe zum Leben, zur überschwänglichen Lebendigkeit, zu Rausch und Ekstase, sie wird überwältigt durch die heuchlerische Sympathie. Diese scheinheilige Sympathie, den faulen Kompromiss – und in gewissem Sinne sind alle Kompromisse faul – verwechselt man mit der Liebe oder mit Gerechtigkeit oder gar mit Wahrheit. Die Liebe zum Leben wird heute regelrecht zum Pessimismus gezwungen und in ihn hinein gedrängt, weil es gar kein Leben mehr gibt, weil das, was alle heute „Leben“ nennen die größte Scheiße ist, eigentlich nur Totes ist, ja der Tod selbst sogar noch lebendiger ist als unser heutiges „Leben“.
    „Nicht der Tod, sondern das Leben ist das große Unbekannte.“ (Cioran)
    Wer es nie gewagt hat, sich seiner Unterwürfigkeit unter die Begebenheiten und unter scheinheilige, faule Kompromisse zu entledigen, der bleibt befangen im Gefängnis der Bessesenheit und verschreibt sich einer fixen Idee, einem Heiligen, ja ist selbst ein Besessener.
    „Was Mir heilig ist, das ist Mir nicht eigen.“ (Stirner)
    „Weniger der, wer allein gegen die Gesellschaft kämpft, muss sich darauf gefasst machen, erdrückt zu werden, sondern viel eher der, welcher sich seinem Elend und der Vernachlässigung der Menschen überlässt.“ (Sade)
    „Die wahre Anmaßung ist daher das genaue Gegenteil der Akzeptanz der hybris der Subjektivität: Sie liegt in der falschen Bescheidenheit, und diese tritt dann in Erscheinung, wenn das Subjekt den Anspruch erhebt, für die globale kosmische Ordnung zu sprechen, in ihrem Namen zu handeln, und dabei als ihr demütiges Instrument posiert.“ (Zizek)

    Ich glaube der Pessimismus hat es gerade nicht auf den Tod als das negative Moment abgesehen, sondern allgemeiner darauf, dass das Nicht-Sein der Welt ihrem Sein vorzuziehen wäre, oder dass „nie geboren werden“ der beste Zustand ist, oder auch dass das fortwährende Leiden im Leben gerade das größte Übel ist. Der Tod wäre da u.U. ein Ausweg und kein Übel. Dann bin ich pessimistisch, wenn ich das Überwiegende im „Leben“, all das, was hässlich, langweilig, ekelhaft, dumm, elend, lächerlich, schwach, unterdrückend, krank usw. ist, nicht als positiv erkennen kann und will. Man kann jedoch auch in umgekehrte Richtung pessimistisch sein, je nach dem, was man als das Negative bewertet, z.B. könnte man auch sagen, dass unsere Welt immer noch viel zu moralisch ist, sich viel zu sehr von moralischen Vorurteilen lenken lässt etc. (dies wäre ein Pessimismus a la Nietzsche, Stirner, Sade). Optimistisch bin ich dann, wenn ich sehr viel Gutes, Schönes in der Welt erblicke, ja wenn ich sogar Tod und Zerstörung noch irgendwie schönrede oder es gar ignoriere, wenn ich das Leben ganz naiv für schön und gut befinde und ich mich mit dem Bestehenden, weil es so toll ist, anfreunde und mich einfach unterordne und anpasse, ohne mir weitere Gedanken darüber zu machen – und wenn, dann natürlich nur schönredende, phantastische, pragmatische, d.h. ideologische Gedanken. Weil mein Denken dann ideologisch, oder wenn man es lieber hört „positiv“ besetzt ist – oder auch überhaupt nicht besetzt ist, sondern bloße Naivität, die Geistlosigkeit der Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität. Als ob das Leben so wäre – ein Ponyhof!
    Wie könnte ein Arzt helfen, der Krankheiten übersieht, nur um Optimismus verbreiten zu können? Und was, wenn die meisten gar nicht helfen wollen? Oder wenn die Allgemeinheit zugestopft ist mit irgendwelchen Vorurteilen?
    Die Welt ist schlecht, also warum nicht pessimstisch sein?
    „Der Optimismus ist ein bitterer Hohn auf die Leiden der Menschheit.“ (Schopenhauer)
    „Optimismus ist die Torheit, zu behaupten, dass alles gut sei, wenn es schlecht ist.“ (Voltaire)

    „Ja schelte nur und fluche fort,
    Es wird sich Bessres nie ergeben
    Denn Trost ist ein absurdes Wort.
    Wer nicht verzweifeln kann, der muss nicht leben.“ (Goethe)

    Positives Denken ist Selbstbetrug. In der Nüchternheit des negativen Denkens bieten wir der Welt die Stirn. Wir sin dazu da, der Welt die Stirn zu bieten, um uns vor den Kopf stoßen zu lassen. Was ist unsere Fähigkeit, zu denken, anderes als Opposition gegen die Welt?

    Es geht nicht darum, dass man einen guten Ruf hat, wenn man pessimistisch ist, oder dass man hört, es sei toll, pessimistisch zu sein – dass etwas toll ist oder den guten Ruf befördert, das ist kein Kennzeichen der Klugheit. Klugheit bedarf einer Unabhängigkeit von der Meinung anderer. Der Wunsch vieler Menschen, einen guten Ruf haben zu wollen, von anderen hören zu wollen, wie toll man sei, diese Eitelkeit – das ist schon ein weiterer Grund für den Pessimismus.
    Es geht auch nicht darum, in schlimmen Momenten seinen Platz in der Gesellschaft zu besetzen.
    „Man ist umso verächtlicher, je fester man im Leben steht.“ (Cioran)
    „Das wirkliche Leben ist für alle Feiglinge da, die nicht stark genug sind für die Theorie.“ (Zizek)

    Pessimismus und Optimismus sind Lebenseinstellungen und entzünden sich nicht an so banalen Fragen wie „Ist das Glas halbvoll/halbleer?“ Viel eher: Warum soviel Leid auf der Welt? etc.
    Ein Pessimist würde sich über die Sache mit dem Glas eher belustigen, weil es einem zeigt, wie einfältig die Menschen sind, dass sie sich um solche Kleinigkeiten scheren, anstatt auf die wahren Probleme zu schauen – und davon gibt es bei weitem genug. Oder vielleicht auch: Das Glas ist halbvoll mit Gift, dass ich noch zu trinken gezwungen bin, bevor endlich mal etwas Positives – ach, nein, etwas noch Katastrophaleres passiert. Oder die Erlösung dadurch, dass der Schierlingsbecher noch gefüllt ist und man freudig, wie Sokrates, dem Tod entgegen sieht. Es ist also keinesfalls optimistisch, wenn man meint, das Glas sei noch halbvoll. Dies ist bloß eine lächerliche Alltagsweisheit – und solche „Weisheiten“ mögen sein was sie wollen, aber eines sind sie garantiert nicht: weise.

    Ist man ein Klugscheißer, wenn man den ganzen Müll, dem das Leben einem aufhalst, einfach nicht mitmacht? Wenn man auf die eigene Unzufriedenheit und die anderer aufmerksam macht? Wenn man sich gegen das Negative wehrt, oder ob der überwältigenden Macht des Schreckens und der Langeweile resigniert? Nun gut, wenn dem wirklich so wäre, dann wäre ich nichts lieber als ein „Klugscheißer“!
    „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein, als ein zufriedenes Schwein.“ (Mill)

    Das Leben pendelt zwischen Schmerz und Langeweile. Glück ist nur ein episodisches Phänomen. Wir haben also besten Grund, pessimistisch zu sein. Doch immer muss der alltägliche, lächerliche und ätzende Pragmatismus, der all unsere Hirne infiziert hat, – wieder ein Grund mehr, um pessimistisch zu sein – das Maul aufreißen und sagen: „Mach dir keine Sorgen! Die Leute wissen schon was sie tun.“ Aber sie wissen es nicht. Die Menschen sind dumm. Oder: „Pass dich gefälligst an!“ Und die meisten tun dies leider, anstatt Widerstand zu leisten gegen den ganzen Mist, gegen all den Bullshit der sich über uns auftürmt. Der Alltagspragmatist ist ein Feigling und ein angepasster, einfältiger Langweiler. Immer dieser ätzende Opportunismus! Dass der den Menschen nicht selbst schon zum Halse heraushängt, das ist zum Kotzen. Da heißt es immer: „Mag sein, das es schlecht ist, aber ich pass mich lieber an, bevor ich einen auf den Deckel kriege.“ Da schreien Angst und Dummheit aus den Mündern der gewöhnlichen, langweiligen Leute. Denen fehlt ja gerade Mut und Klugheit, sich aufzulehnen. Oder sie richten sich heimisch in der Scheiße ein – und halten sie für Gold. Und da soll man kein Pessimist sein?! Hat man da, bei voller kluger Einsicht, wenn man sich nicht dem Offensichtlichen verschließt, überhaupt noch eine Wahl?
    „Diese Welt hat derart an Vulgarität zugenommen, dass die Verachtung des geistigen Menschen die Gewalt einer Leidenschaft gewinnt.“ (Baudelaire)

    Pessimismus bedeutet für mich zunächst einmal eine fundamentale Unzufriedenheit und zumeist die damit verbundene Aufgabe der Hoffnung darauf, die allgemeinen Ursachen dafür beseitigen zu können, weil sie fest in die Weltordnung eingeschrieben seien. Man kann aufgrund dieser Anschauung verzweifelt resignieren, einem blinden Hedonismus fröhnen, in eine Aristokratie der feinen Genüsse flüchten, oder sich einem Nihilismus und Amoralismus hingeben, oder in ein bloß formales bis hin zum terroristischen oder totalitären „Weltverbesserertum“ und strengstem Moralismus (entweder rigorose Forderungen wie im Kantianismus, oder Utopismus oder Askese wie im Buddhismus oder bei Schopenhauer) verfallen. Man kann dies aber ebenso mit einer existenzialistischen Einstellung verbinden, wobei sich die permanente Revolte des Subjekts, die sich selbst als (kontingentes oder notwendiges) Scheitern und als ebenso absurd interpretiert, wie das, wogegen sie ankämpft, dennoch um des bloßen Ausdrucks der Unzufriedenheit oder des rebellischen Aktes willen als ein Widerstand leistendes Trotzdem fungiert, wodurch sich gerade das Subjekt selbst eine Art Ereignis erschafft – die Überbietung der alltäglichen Katastrophe. In der Logik des Desasters kann man nur gewinnen, wenn man eine noch größere Katastrophe simuliert – eben der absurde, in sich selbst gründende Widerstand gegen die absurde Welt. Wenn es die Welt einem schon so schwer macht, warum soll man dann nicht auch mit allen Mitteln versuchen, es der Welt selbst so schwer wie möglich zu machen, sie also in Konflikte mit einem selbst verwickeln, ja selbst dann, wenn man es sich damit noch schwerer macht? Dies ist gewissermaßen eine Sache der Genugtuung gegenüber der Welt, die einen nicht in Ruhe lässt, die einen ständig hin- und herstößt und gegen den eigenen Willen völlig entmachtet und zum selbstverräterischen Opportunismus und zur allgemeinen Heuchelei zwingt: Ich akzeptiere deine Macht über mich nicht, darum kämpfe ich gegen dich, auch wenn (oder vielleicht gerade weil) ich mich deswegen selbst verwerfen muss. Denn wenn ich selbst untergehe, verschwindet letztlich auch die unerträgliche Macht über mich. Oder man versteigt sich in das eigentümliche Glück des Wahnsinns und der Realitätsflucht, in die Abtrennung der Verbindungen von der Welt, die einem schadet oder einfach nur langweilt und lästig ist wie eine Stubenfliege, die man nicht erwischen und zerdrücken kann, und in die Erschaffung eines neuen Universums im Subjekt selbst, den reinen Selbstgenuss. Ja, aufgrund einer solchen Welt, in der wir leben, halte ich sogar den rebellierenden und tobenden Wahnsinn für klüger als das geschäftige, alltägliche Treiben und den pragmatischen Realismus, als die Besessenheit von fixen Ideen oder einer (sich zumeist gar nicht als solche wissende) Unterwürfigkeit unter das System.

    Den existenziellen oder absurden Pessimismus halte ich überdies für eine sehr kluge Lebenseinstellung. Das beredsame Leiden oder die ausgedrückte Unzufriedenheit im Ringen mit der Welt bei gleichzeitiger Gewissheit des eigenen Scheiterns bezeugt nicht nur tragischen Mut, etwas, das es heute vielleicht mehr denn je zu beleben gilt in einer Welt voller Langeweile, Dummheit und Oberflächlichkeit, Angst, Mut- und Hoffnungslosigkeit gegenüber der herrschenden Ordnung (die sich zumeist in pragmatischen Realismus oder eine Apologie des Bestehenden oder auch in ein völliges Desinteresse verwandeln und manifestieren – denn pragmatischer Realismus ist letztlich nichts weiter als Angst vor der Peitsche der bestehenden Ordnung), sondern auch Klugheit.
    Klugheit ist vor allem auf die richtige Mittelwahl bezogen, aber nicht ausschließlich. Weisheit dagegen ist eher die richtige Einsicht in Bezug auf die Ziele – vor allem in Bezug auf das gute Leben und auf das Eigene im Gegensatz zum Heiligen oder zur fixen Idee, die über der freien Individualität, dem freien (Selbst-)Genuss thront. Es geht bei der Weisheit um die Achtsamkeit auf das eigene Innere, die eigene Tiefe und Kraft gegenüber dem oberflächlichen Gewimmel und Gefasel der Welt und gegenüber dem Sich-Anpassen und Sich-Unterordnen unter die Verhältnisse; gegen die Unterordnung steht eben das sich nicht in die dumpfe Weltordnung einfügende Subjekt, aber nicht einfach der bloße unreflektierte und lächerliche Widerstand des Subjektivismus oder des Hochmuts etc. – welcher die herrschende Ordnung eher repräsentiert, als sie im Subjekt aufzuheben – , sondern vielmehr der Kampf für die vollständige Versöhnung mit sich selbst, entgegen aller fixen Ideen; in etwa der philosophische Widerstand solcher großen Menschen wie Diogenes, Sade, Stirner, Nietzsche, Camus, Cioran.
    Ich bin absolut dagegen, Klugheit einfach als instrumentelle Vernunft zu begreifen, oder auch als eine Art Opportunismus. Zweck-Mittel-Beziehungen führt am besten die Technik aus, und die Technik ist nicht klug. Der Opportunismus, d.h. die Anpassung an eine höhere Ordnung bzw. an das System mag bequemlich sein, aber auch er ist nicht klug. In gewissem Sinne würde ich Klugheit als praktische, angewandte Weisheit definieren, d.h. die Wahl der richtigen Mittel für einen bestimmten Raum bzw. Radius von Zielen, d.h. nicht beliebigen Zielen, sondern nur solchen, welche die freie Individualität und nicht die fixen Ideen betreffen. Denn Klugheit ist gerade nicht Dienstbarkeit gegenüber den fixen Ideen. Dabei geht es nicht um ein essentialistisches Verständnis freier Individualität, sondern diese wird abgegrenzt von den fixen Ideen, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass sie irgendein Wesen oder etwas Höheres als das Subjekt postulieren, dem sich dieses unterzuordnen hätte.

    In diesem Licht erscheint die Frage „Ist Pessimismus klug?“ als die Frage nach dem Verhältnis zwischen Unzufriedenheit und freier Individualität, konkret als die Frage „Ist die freie Individualität mit den (bestehenden) Verhältnissen unzufrieden?“, oder allgemein: „Stehen die (bestehenden) Verhältnisse eher auf Seiten der fixen Ideen oder auf Seiten der freien Individualität, d.h. auch der Klugheit?“ Wenn die Klugheit folglich unterrepräsentiert ist, wie das wohl der Fall sein mag, so ist es eben aufgrund der sich nicht-anpassenden Haltung des pessimistischen, sowie des klugen Individuums sehr klug, pessimistisch, d.h. unzufrieden zu sein.

    „Ich sage mir, dass die Erde erloschen ist, obgleich ich sie nie brennen sah. Es geht von selbst. Wenn ich falle, werde ich weinen – vor Glück.“ (Beckett)

  3. Ist das also jetzt hier die Debatte: Glas halbvoll oder halbleer?

    M.E. ist klug, wer sich mit den Begebenheiten in seinem Leben arrangiert und demzufolge Kompromissen nicht abgeneigt ist. „Begebenheiten“ ist durchaus ein schwammiger Begriff, den einige nicht mal als realistisch realisieren mögen.
    Pessimistisch bin ich, wenn ich dauernd den Super-Gau, neudeutsch Worst Case vermute. Im Grunde ist das der Tod.
    Meine Theorie ist es, dass wir Menschen programmiert sind, wie Computer. Bei uns ist das Parameter nicht die Null und die Eins. Die menschliche Programmiersprache ist aufgebaut auf Leben und Tod. Wenn ich pessimistisch bin, gehe ich davon aus, dass das Todmoment in meinem Leben (wenn ich Tod als negativ in diesem Zahlenspiel erachte), überwiegt. Dann bin ich pessimistisch, indem ich jedes Leben, alles Schöne, das Bewegende, das Erneuern nicht als positiv erkennen kann, weil der Tod, das Zerstörerische, in irgendeiner Art und Weise die Macht über mein Denken und Leben erlangt hat. Ich erwarte das Schlimme, weil mein Denken negativ besetzt ist.
    Die Frage, ob es klüger ist, pessimistisch zu sein, lässt kaum Raum für Optimismus. Diese Frage ist so negativ, dass man in diesem Kontext inhaltlich von dieser Frage eigentlich erschlagen wird – um sich dann womöglich aufzubäumen um sich nur noch gegen Negatives zu wehren……DAS ist aber dann auch kein Optimismus!
    Ich habe es noch nie erlebt, dass mir jemand gesagt hat: Hey, du bist ja toll, weil du so pessimistisch bist! Hätte sowas jemals jemand erwähnt, ich hätte denjenigen nicht als klug bewertet. Warum?
    Weil ich doch weiß, wie hilfreich für Zyniker und Menschen mit schweren Schicksalen Pessimismus sein kann, um sich zu rechtfertigen, um seinen Platz im Leben und in der Gesellschaft in einem ganz schlimmen Moment zu besetzen, einfach nur um da zu sein, um sich fühlen zu dürfen/können. Pessimismus ist kein statischer Begriff – Optimismus auch nicht. Das sind zwei Begriffe um für Menschen eine Richtung anzuzeigen, theoretisch könnte man diese Begriffe aus dem Wortschatz streichen – also für meinen Geschmack! Das Glas, halb gefüllt, ist. IST. Da gibt es nichts zu deuten. Klar kann der Philosoph interpretieren. Der kann auch gerne nachfragen und dann wird der vom Pragmatiker die Antwort bekommen: 150ml………Und das ist ne Hausnummer, damit kann man was anfangen und womöglich sogar spekulieren. Was kann ich mit 150 ml anfangen? Zumindest einen Brand in einem Aschenbecher löschen! Pessimisten würden aber anmerken, dass das ganze Haus ja hätte abbrennnen können und die Versicherung, etc……Und jetzt macht das Kategorisieren Sinn, denn die Optimisten machen Feierabend und relaxen – und die Pessimisten inszenieren dasselbe Drama im Voraus, im Kopf. Klug ist da nur die Feuerwehr, weil die sind ausgebildet und wissen, ab wann man sich keine Sorgen mehr machen kann. Also ist der Pessimist ein ausgemachter Klugscheißer, der keine Autoritären anerkennt und sich darum sein Leben sehr schwer macht! Was war noch die Frage: Ist Pessimismus klug? Nein!

  4. Klüger in Bezug auf was? Der Spannungsbogen recht da von „richtiger Prognose und Einschätzung von Realitäten“ bis „Erhaltung der eigenen guten Laune“.

    Wenn ich eine Prognose für zukünftige oder noch andauernde, nicht abgeschlossene gesellschaftliche Vorgänge abgebe und dabei ein pessimistisches Menschenbild habe, könnte ich wesentlich mehr Treffer haben, als bei einem optimistischen.
    Da man aber als Mensch keine Maschine zwecks Erkenntnisgewinn und Ableitung wahrscheinlicher Folgen ist, sondern ein soziales Wesen, lebt man dumm eindeutig klüger. Grüße

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