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Sozial und ökologisch – geht das?

Veröffentlicht am 21. Januar 2021

Wenn wir die globale Erwärmung sicher auf die international verbindlich vereinbarten 1,5 bis 1,8 Grad begrenzen wollen, müssen wir innerhalb der kommenden zwanzig Jahre alle Emissionen weltweit auf null senken – und zwar in allen Sektoren. Das bedeutet null fossile Brennstoffe und eine stark reduzierte Tierhaltung. Davon sind derzeit praktisch alle Länder weit entfernt. Um uns zu entwöhnen, wäre es am wirksamsten, die fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle und die Nutztierhaltung deutlich teurer zu machen, im Falle Europas am besten auf EU-Ebene. Doch die Debatte darüber wird hitzig geführt: Ist drastischer Klimaschutz nicht unzumutbar für weniger Wohlhabende?

Die Antwort lautet nein, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen. Macht man die fossilen Brennstoffe teurer, drängt man sie aus dem Markt, und sie werden durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz ersetzt. Das ist im Fall von Strom und Wärme kein großes soziales Problem, denn spätestens mittelfristig sind erneuerbare Energien ebenso günstig oder sogar billiger als die Fossilen. Zudem ist es möglich, den Energieverbrauch durch Effizienz deutlich zu senken – für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist das finanziell eher ein Gewinn. Überdies schaffen Erneuerbare und Effizienz mehr Arbeitsplätze neu, als bei Kohle, Gas und Öl verloren gehen – man bedenke allein, wie viel Arbeitsleistung für eine umfassende Energiesanierung des Gebäudebestands nötig wäre. Der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und eine reduzierte Tierhaltung vermeiden außerdem massive gesellschaftliche Kosten, etwa im Gesundheitssystem für diverse Folgeerkrankungen beispielsweise aufgrund von Luftschadstoffen. Der Klimawandel hingegen wird vor allem die Armen treffen – in Europa und noch mehr weltweit. Allein schon deshalb ist Klimaschutz sozial.

Sozial sinnvoll ist es außerdem, den Klimaschutz auf EU-Ebene voranzutreiben und weniger mit nationalen Steuern. Ein rein nationales Vorgehen würde entweder ökologisch unambitioniert ausfallen, oder es wäre ambitioniert, brächte dann aber das Risiko mit sich, Unternehmen und damit auch Arbeitsplätze in Länder mit niedrigeren Standards zu vertreiben. Dem Klima wäre damit nicht geholfen. Deutschland sollte, anstelle sich in der gerade heiß laufenden Debatte über eine CO2-Steuer zu verlieren, auf EU-Ebene massiven Druck machen für einen radikal verbesserten Emissionshandel. Nationale Lösungen taugen wenn, dann nur als Einstieg, um der EU-Debatte einen Schub zu geben.

Was erreicht man, wenn man endlich neben Bereichen wie Strom, Zement- und Kunststoffindustrie auch Wärme, Verkehr und Agrarsektor vollständig in dieses EU-Mengenbegrenzungssystem für Klimagase integriert und die Grenze schrittweise so weit senkt, dass in zwei Jahrzehnten gar keine fossilen Brennstoffe mehr verbraucht und deutlich weniger Nutztiere gehalten werden? Zunächst wird das Schädliche durch Verknappung teurer – und in 20 Jahren ist es nicht mehr im Markt, und zwar für niemanden mehr, auch nicht für die Reichen. Rein technisch sind null fossile Brennstoffe in Landwirtschaft, Verkehr und Kunststoffen allerdings nicht machbar. Wir alle müssten außerdem genügsamer werden, um das in zwei Dekaden zu schaffen. Und es stimmt: Die verbleibenden tierischen Nahrungsmittel oder auch Flüge mit erneuerbaren Energien wären teurer als heute, und Wohlhabende könnten sich davon mehr leisten als andere.

Aber ist dies das soziale Problem des Klimaschutzes? Auch ohne eine effektive Klimapolitik kann sich bereits heute nicht jeder den Flug nach Malaysia leisten. Niemand fordert totale soziale Gleichheit ein – warum wird das Soziale nun ausgerechnet in der Umweltpolitik so betont? Zu Verteilungsfragen sind ganz unterschiedliche Positionen gut begründbar. Wenn, dann ist die eigentliche soziale Ungerechtigkeit doch unser üppiger Lebensstandard selbst. Flüge und viel Fleisch etwa stehen weltweit nur sehr wenigen Menschen zur Verfügung. Und können wir es ernsthaft vor unseren Kindern rechtfertigen, oder vor den Menschen im vom Klimawandel besonders betroffenen globalen Süden, die zur Erderwärmung pro Kopf viel weniger als wir beigetragen haben, wenn wir ihre Existenzgrundlage zerstören?

Das größere soziale Problem der Klimawende ist ein anderes: Es sind die Grenzen des Wachstums. Wenn neben technischen Wandel, also smarte Produktion und smarten Konsum, auch weniger Konsum treten muss, verlassen wir unfreiwillig die Wachstumsgesellschaft – und wie das funktionieren soll, darauf hat bisher niemand eine bequeme Antwort. Fast alle, sogar die meisten Umweltverbände, weichen einer Debatte darüber aus.

Bislang nämlich hängen vom Wachstum zentrale gesellschaftliche Institutionen ab, etwa der Arbeitsmarkt, das Rentensystem, die Banken und das System der Staatsverschuldung. Der Trend zur Künstlichen Intelligenz, der Arbeitsplätze gefährdet, vergrößert den Problemdruck. Wie könnte eine Gesellschaft funktionieren, die auch ohne Wachstum allen ihren Mitgliedern ein Auskommen sichert? Hier fehlen nicht nur umfassende Lösungsansätze; genauer entwickelt werden müssen auch Ideen dafür, wie man die schwierige Übergangsphase dorthin gestalten könnte – und zwar ohne größere Brüche und soziale Unruhen, wie wir sie in den Eurokrisen-Staaten während der dortigen Wachstumskrise erlebt haben.

Bisher stabilisieren Staaten beispielsweise den Arbeitsmarkt trotz technischer Rationalisierungen durch Wachstum. Wir schaffen Nachfrage und damit Arbeitsplätze, indem alle ein bisschen mehr kaufen. Will man die Arbeitsmarktfrage einer Postwachstumswelt einfach durch Umverteilung oder die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens lösen, dürfte dafür das Geld fehlen – einmal abgesehen davon, dass eine solche Umverteilung erneut Widerstände auslösen würde. Ist die fossile Industrie erst einmal abgewickelt, können auch deren Überschüsse nicht mehr umverteilt werden; und ob man die virtuellen Summen, die Großkonzerne in ihren Büchern halten, oder die am Aktienmarkt verbucht werden, in realwirtschaftliches Einkommen für Millionen und Milliarden von Menschen verwandeln kann, ist ebenfalls offen.

Hoffnung macht zunächst: Ein Ausstieg aus der Wachstumslogik bedeutet keineswegs Armut. Ich bin zum Beispiel Jahrgang 1972. Heute sind wir in Deutschland statistisch fünfmal so wohlhabend wie damals – und ich habe auch in meiner Kindheit schon prima gelebt, obwohl meine Eltern nicht auffällig wohlhabend waren. Außerdem behauptet niemand auch nur ansatzweise, wir müssten zum damaligen Lebensstandard zurückkehren, um das Klima wirksam zu schützen. Und aus der Glücksforschung wissen wir: Obwohl die deutsche Wirtschaft seither praktisch ständig weitergewachsen ist – die Menschen sind dadurch nicht glücklicher geworden. Das Zufriedenheitsniveau in Deutschland ist seit langem fast unverändert.

Dennoch sind konkrete Schritte nötig, um ohne Wachstum klarzukommen, etwa am Arbeitsmarkt. Auf keinen Fall darf ein Wachstumsrückgang in eine endlose Abwärtsspirale aus zusammenbrechenden Unternehmen, Arbeitslosen, sinkendem Konsum und deshalb immer mehr zusammenbrechenden Unternehmen münden – und die Gefahr besteht durchaus. Deshalb müssen die Folgen ökologisch erzwungener Wachstumsgrenzen endlich klar benannt, erforscht und breit diskutiert werden. Im Moment sind dazu nur erste Ideen benennbar, beispielsweise eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, die parallel zu einer besseren Klimapolitik angeschoben werden sollte. Dass nicht allein die Berufsarbeit den Tag von Menschen strukturieren und Sinn vermitteln kann, müsste schon in der Schule vermittelt und eingeübt werden. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre, das Gesellschaftsrecht so zu verändern, dass unserer Wirtschaft der Übergang zu weniger wachstumsabhängigen Unternehmensformen wie Genossenschaften gelingt, weg von der Dominanz der Aktiengesellschaften.

Zentral ist zudem ein möglichst gleitender Übergang, also nicht in abrupten Brüchen wie während der Eurokrise, damit Unternehmen und Menschen langfristig planen und sich gut auf den Wandel einstellen können. Den Deckel des Emissionshandels innerhalb von zwanzig Jahren schrittweise und verlässlich auf null zu senken, eröffnet genau jenen Weg. Wichtiger noch: Der Emissionshandel überlässt es Unternehmen und Bürgern, selbst zu entscheiden, wie sie die Emissionen reduzieren wollen, anders als es Verbote tun. Damit fördert er technische Innovationen – und ermöglicht so, dass möglichst viele Emissionen durch bessere Technik eingespart werden statt durch Genügsamkeit.

Sobald die Nullemissionen einmal erreicht sind, wäre Wachstum auch wieder vorstellbar: Emissionsfreie Technologien könnten über längere Zeiträume hinweg immer neue technische Optionen eröffnen, die heute nicht kurzfristig verfügbar sind.

Dennoch: Wirtschaften ohne Wachstum, und sei es auch nur zeitweise, bleibt eine riesige Herausforderung. Keine Lösung ist es aber, das Problem einfach weiter auszublenden. Denn billiger und machbarer als eine Welt der Klimakriege ist moderate Genügsamkeit allemal. Und man kann es nicht oft genug sagen: Es geht darum, dass die Erde überhaupt ein bewohnbarer und einigermaßen friedlicher Ort bleibt.

Bei alledem muss ein international gemeinsames Vorgehen gesucht werden, um eine Verlagerung der Unternehmen und der Umweltprobleme aus Deutschland in andere Länder zu verhindern. Länder des globalen Südens werden bei einer globalen Strategie aber nur mitmachen, wenn man globale Nullemissionen mit finanzieller Unterstützung verbindet, mit der sie Windräder und Solarpanels bauen und die Armutsbekämpfung fortsetzen können. Das Geld kann man durch den Emissionshandel generieren.

Armutsbekämpfung im Süden wäre ein Schlüssel zur Stabilisierung der Weltbevölkerung. Zugleich würde der dort steigende Lebensstandard mitsamt höheren Löhnen und Sozialversicherung den Druck auf Länder wie Deutschland senken, immer billiger produzieren zu müssen. Auch das käme vor allem den finanziell schlechter Gestellten zugute. Schüttete man stattdessen die Einnahmen einer CO2-Bepreisung wieder an die deutsche oder die EU-Bevölkerung aus, würde das Geld für den globalen Süden fehlen – und mehr Geld hierzulande würde wohl wieder zu mehr Emissionen führen. Klimapolitisch wäre das nur kontraproduktiv.

© Felix Ekardt

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