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InDebate: Zum Potential der Debatte um „das Politische“ für ein demokratisches politisches Subjekt

Veröffentlicht am 22. Januar 2018

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Anastasiya Kasko

Etablierte Konzeptionen des demos stehen zunehmend im Zentrum politischer Kontroversen. Die ohnehin bestehende Problematik der Unterschiede an sozialer, politischer und wirtschaftlicher Teilhabe wird durch jüngere Entwicklungen noch verschärft: internationale Migration nimmt zu, transnational agierende Konzerne erweitern ihre Einflussbereiche, Probleme im Bereich der Ökologie und des Umweltschutzes verschärfen sich. Diese Entwicklungen stellen die etablierten Konzeptionen des demos bzw. des politischen Subjekts vor Schwierigkeiten, die diese nicht adäquat bearbeiten können. Stattdessen werden Menschen aufgrund des ihnen von Institutionen zugeschriebenen Status (als Geflüchtete, Asylsuchende oder anders definierte Nicht-Bürger_innen) ausgegrenzt und marginalisiert. Als Gegenvorschlag, der dieser Problematik entgegentritt, will ich eine machttheoretisch basierte Theorie des demokratisch verfassten politischen Handlungssubjekts formulieren, die das politische Zusammenleben und die Teilnahme am Alltag der Zivilgesellschaft grundlegend für die Entstehung politischer Subjektivität betrachtet. Dabei bediene ich mich des Vokabulars und der Denkweise des „Politischen“. Das Vokabular des Politischen, so werde ich zeigen, gibt uns einen Begriffsapparat an die Hand, der helfen kann, über die Herausforderungen politischer Zugehörigkeit am Beginn des 21. Jahrhundert nachzudenken.

Theoretiker_innen des Politischen erachten das Offen- und Umstrittenhalten der Frage nach dem Wer des politischen Handelns als zentral aus dem Grund, weil es, mit Spinoza und Martin Saar gesprochen, das Wesen der Demokratie ausmacht.[1] Étienne Balibar bezeichnet die Gemeinschaft der Bürger_innen in der Tradition von Jacques Derrida als eine „kommende Gemeinschaft, die es zu erfinden und durchzusetzen gilt“.[2] Somit ist die politische Gemeinschaft weder als homogene Einheit der Mitglieder zu realisieren, noch ist sie als ihre vollendete Gesamtheit darzustellen. Vielmehr ist die innere Konflikthaftigkeit, Zerstrittenheit und Offenheit für Eingriffe für die Konstitution einer politischen Gemeinschaft unabdingbar. Gerade diese Eigenschaften verkörpern ihr schöpferisches Moment – ihre absolute Unbestimmtheit verleiht der politischen Gemeinschaft erst ihre emanzipatorische Kraft.

Im Anschluss an Benedict Anderson und Michael Wildt verstehe ich das demokratisch verfasste politische Subjekt als imagined community, „dessen Definition durchaus fluid, umkämpft und nicht von vornherein gegeben ist“[3]. Weil die Subjektivität sich außerdem auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft bezieht, ist sie notwendigerweise reflexiv: „ein […] nicht-zentriertes und nicht-transzendentales Bild vom Subjekt [bildet] den Ausgangspunkt für eine komplexe Beschreibung menschlicher Interaktionen, in denen sich Subjektivität in wert- und sinnhaften Praktiken allererst bildet, formiert und in denen sie verändert wird.“[4] Das politische Subjekt ist somit immer ein Kollektiv- und Handlungssubjekt. Das Wort „politisch“ wird hier als eine Äußerung des gemeinsamen Agierens verstanden und deutet darauf hin, dass das Individuum, das sich in einer Situation der Konfrontation befindet, zwischen zwei Polen (Politik als ständiger Kampf und Politik als Organisation und Verwaltung) hin und her manövriert.

Jacques Rancière benutzt den Begriff des Demos als einen „generischen Namen“ der politischen Subjekte. Er sieht die schöpferische Kraft der politischen Subjekte in ihrer Fähigkeit, den Dissens zu inszenieren – „[den] Streit darüber, was gegeben ist, und über den Rahmen, in dem wir etwas als gegeben wahrnehmen“[5]. Der Dissens führt zu einer Irritation der Vorstellung über den Stand der Dinge in seinem weitest möglichen Verständnis und stellt die Trennungslinie und -logik zwischen der politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und jeder anderen denkbaren Art des Einschlusses und Ausschlusses infrage.

Die Radikalität des Rancière’schen Denkens besteht in seiner Auffassung der Demokratie. Unter Demokratie versteht er die Herrschaft derer, die weder einen besonderen Anspruch auf ihre Ausübung noch eine spezifische Eignung dafür besitzen. Diese Idee hat weitreichende Konsequenzen, denn sie holt die Gleichheit vom Sockel eines zu erreichenden Ziels und stellt sie an den Anfang jeder politischen Aktion bzw. Zusammensetzung – somit formuliert Rancière die Gleichheit als die Voraussetzung für das politische Handeln überhaupt. Die kritische Funktion der Demokratie entspringt ihrem radikal egalitären Selbstverständnis: Demokratie setzt eine Gleichheit voraus, gegenüber der sich alle Arten von Staatsformen rechtfertigen müssen.[6]

In einem im Jahr 2011 verfassten und erst vor einem halben Jahr auf Deutsch erschienen Aufsatz zum Thema „Der unauffindbare Populismus“ problematisiert Rancière wieder die Identitätszuschreibung seitens des Staates. Er sagt, „’das Volk‘ existiert nicht. Es gibt nur unterschiedliche, ja widerstreitende Gestalten des Volkes, Gestalten, die konstruiert werden, indem bestimmte Versammlungsweisen, gewisse Unterscheidungsmerkmale, gewisse Fähigkeiten oder Unfähigkeiten bevorzugt werden“[7]. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Identifizierung aufseiten der Machtapparate und der Subjektivierung aufseiten der politischen Subjekte, das sich in der Differenz des Volkes zu sich selbst äußert. Mit anderen Worten: die Identitäten werden hegemonial von der hegemonialen Ordnung bestimmt und den Subjekten zugeschieben, was zu einer Kluft führt – das Subjekt ist nicht identisch mit der polizeilichen Identifikation des Subjekts (es entsteht die Differenz des Volkes zu sich selbst). Die Subjektivierung geht gegen Entwicklungen dieser Art vor, indem sie die Zuschreibungen hinterfragt bzw. in eine Streiterfahrung umformt: „Unter Subjektivierung wird man eine Reihe von Handlungen verstehen, die eine Instanz und eine Fähigkeit zur Aussage erzeugen, die nicht in einem gegebenen Erfahrungsfeld identifizierbar waren, deren Identifizierung also mit der Neuordnung des Erfahrungsfeldes einhergeht.“[8]

Die Subjektivierung treibt somit die Emanzipation voran. Im Rancière’schen Modell des politischen Handelns ist die Emanzipation nicht nur möglich, sondern ist sein notwendiger Bestandteil. Der Dissens, der Streit um die gemeinsam wahrgenommene und gelebte Welt und der Ausweis der Kontingenz der Gründe für die bestehende Aufteilung des sinnlich Wahrnehmbaren führen zum Bruch mit und zur Emanzipation von der hegemonialen Ordnung. Die Teilnahme an einer politischen Gemeinschaft und am Alltag der Zivilgesellschaft fußt auf menschlicher Pluralität und artikuliert sich über gemeinsames Sprechen, Handeln und Leben heterogener Individuen. Obwohl das Sein des politischen Subjekts in einer gegebenen Situation gezwungenermaßen begrenzt ist, kann diese Grenze angefochten und neu definiert werden und zwar durch das gemeinsame Handeln derjenigen, die sich ausgeschlossen fühlen.

Ein pluralistisch verfasstes demokratisches Handlungssubjekt wird uns erlauben, die Konzeption des demos auf die bisher aus ihr aus systemischen Gründen Ausgeschlossenen zu erweitern und das politische Geschehen adäquater zu analysieren. Subjektwerdung ist ein inklusiver und inkludierender Prozess des gemeinsamen Handelns aller Individuen unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung. Sie richtet sich auf eine kontinuierliche Aufhebung der Grenzen durch die politische Aktion, um allen ihre Teilnahme am Gemeinsamen zu gewährleisten. Nur so ist die Rekonfiguration des Raums des politisch Möglichen realisierbar.

© Anastasiya Kasko

Anastasiya Kasko M.A. hat Politikwissenschaft, Betriebswirtschaftslehre und Politische Theorie in Frankfurt, Darmstadt und Bern studiert. Sie promoviert bei Martin Saar zum Thema „Die Machttheorie und das politische Subjekt“. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Politische Subjektivität/Geschichte und Begriff subjektiver Rechte, Neuere französische Philosophie/Politische Theorie des Poststrukturalismus, Demokratie- und Staatstheorien und Dystopie.

[1] Saar, Martin: Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza, Berlin 2013, S. 376.
[2] Balibar, Étienne: Gleichfreiheit. Politische Essays, Frankfurt am Main 2012, S. 249.
[3] Wildt, Michael: Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburg 2017, S. 12.
[4] Saar, Martin: Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault, Frankfurt/New York 2007, S. 99.
[5] Rancière, Jacques: Wer ist das Subjekt der Menschenrechte?, in: Menke, Christoph/ Raimondi, Francesca (Hg.): Die Revolution der Menschenrechte. Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen, Berlin 2011, S. 483 f.
[6] Rancière, Jacques: Demokratien gegen die Demokratie, in: Agamben, Giorgio/ Badiou, Alain/ Bensaïd, Daniel/ Brown, Wendy/ Nancy, Jean-Luc/ Rancière, Jacques/ Ross, Kristin/ Žižek, Slavoj: Demokratie? Eine Debatte, Berlin 2012, S. 90 ff.
[7] Rancière, Jacques: Der unauffindbare Populismus, in: Badiou, Alain/ Bourdieu, Pierre/ Butler, Judith/ Didi-Huberman, Georges/ Khiari, Sadri/ Rancière, Jacques: Was ist ein Volk? Hamburg 2017, S. 98.
[8] Rancière, Jacques: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie (1995), Frankfurt am Main 2002, S. 47.

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Beitragsthemen: Demokratie | Identität

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