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Lasst tausend Bärte sprießen! Gegen die Ästhetik des Glatten

Veröffentlicht am 5. November 2019

1. Rousseau oder die Einführung des Bartes in die Philosophie

In seinen Bekenntnissen berichtet Rousseau, wie er anlässlich der Premiere einer seiner Opern an den Hof des Königs geladen wurde. Die meisten würden diesen Anlass als Chance betrachten, einen guten Eindruck zu hinterlassen und penibel darauf achten, in ihrer Kleidung gegen keine der gängigen Konventionen zu verstoßen. Nicht so der geistige Unruhestifter aus Genf. Ganz bewusst verweigert er sich dieser symbolischen Unterwerfungsgeste und kleidet sich so, wie er es jeden Tag tut: „mit starkem Bart und ziemlich schlecht gekämmter Perücke“[1]. Er rechtfertigt sein, wie er selbst zugibt, unanständiges Verhalten sich selbst gegenüber:

„[W]enn ich wieder beginne, mich der öffentlichen Meinung in irgendeiner Art unterzuordnen, dann bin ich ihr bald wieder in allem untertan. Um stets ich selbst zu bleiben, darf ich nirgends, wo es auch sei, darüber erröten, nach dem von mir gewählten Stande gekleidet zu sein. Mein Äußeres ist einfach und nachlässig, aber nicht schmutzig und unsauber. Der Bart ist es an sich nicht, da die Natur selbst ihn uns gibt und er, je nach Zeit und Mode, manchmal sogar ein Schmuck ist. Man wird mich lächerlich, unverschämt finden, nun, was tut es! Ich muß Spott und Tadel ertragen lernen, wenn sie nur nicht verdient sind.“[2]

Wenige Jahre später fegten die Schüler des Autoren dieser Zeilen das Regime, das er selbst nur durch solche Gesten und seine Schriften zu subvertieren vermochte, auch tätlich hinweg. Rousseaus Symbol hielten sie die Treue: Der Bart avancierte in der Folge zum Erkennungszeichen all jener, die für einen radikalen Umbau der Gesellschaft im Sinne der Ideen der Aufklärung standen. Man denke an Figuren wie Feuerbach, Marx und Engels. Am Vorabend der Revolution hatte Jacques-Antoine Dulaure, selbstverständlich Rousseau zitierend, noch eine umfangreiche Abhandlung mit dem Titel Pogonologie, ou histoire philosophique de la barbe[3] veröffentlicht, das erste umfangreiche philosophische Plädoyer für das Sprießenlassen der männlichen Gesichtsbehaarung – nur wenige Jahre später war er jakobinischer Abgeordneter im Nationalkonvent. Womöglich ist er sogar der Verfasser eines anonymen Pamphlets, das während des Sturms auf die Bastille kursierte und dazu aufrief, nun wieder einen Bart zu tragen.[4]

Bis heute ist der Bart ein Politikum – und mithin ein Philosophikum. Während der Bart vor Rousseau nur ausnahmsweise zum Thema der Philosophie wurde, hat sich nahezu jeder der bedeutenden Denker nach ihm, und sei es in Randbemerkungen, zum Problem des Bartes geäußert oder, sofern es sich bei ihnen meistens um Denker handelt, zumindest ein diesbezügliches optisches Statement gesetzt. Die Fronten sind dabei weniger klar als noch im 18. Jahrhundert: In der zweiten Hälfte des 19. avancierte der Bart in der gesamten westlichen Welt binnen kürzester Zeit zu einem Zeichen respektabler Bürgerlichkeit und verlor im Zuge dieser Domestizierung seinen subversiven Charme fast völlig. Es ist daher wenig verwunderlich, dass zwei komplette Generationen kritischer Intellektueller von Sartre über Adorno und Horkheimer bis hin zu Deleuze und Derrida ihm sehr kritisch bis ablehnend gegenüberstanden und auch privat ein glattes Gesicht präferierten. Der Bart war ihnen das Symbol der Spießigkeit ihrer Väter und des Faschismus. Dass es in der Nachkriegszeit zu einer Renaissance des Bartes als eines revolutionären Symboles kam, musste sie notwendig überraschen und sogar irritieren. Sie fassten ihn als Ausdruck einer letztendlich reaktionären Pseudorebellion auf.

Heute bietet sich ein nicht weniger komplexes Bild dar: Während der Bart bis in die 1990er Jahre hinein in bürgerlichen Kreisen noch immer als verpönt galt, scheint es nun zu einer Renaissance der respektablen Bärte der Viktorianer zu kommen. Der Bart ist längst wieder en vogue und seine Pflege Ausdruck einer neuen modebewussten Männlichkeit. Zugleich bleibt er aber auch, vor allem in seiner ungepflegten Variante – man denke nur an Žižeks ikonischen Vollbart –, ein Zeichen des linken Widerstands gegen dasjenige, was man heutzutage als ‚Neoliberalismus‘ bezeichnet; ein Zeichen, dessen sich freilich längst auch antimodernistische Reaktionäre wie die Salafisten bemächtigt haben. Und wir haben es schließlich mit der ganz neuen Variante des queeren Bartes zu tun, der bewusst eingesetzt wird, um Männlichkeit nicht zu stabilisieren, sondern zu irritieren.

Bereits dieser erste grobe Überblick zeigt: Eine umfassende Philosophiegeschichte des Bartes zu schreiben ist keine Sache von Aufsätzen, sondern von Monographien.[5] Sie kann zumal nicht als reine Philosophiegeschichte geschrieben werden: Die Geschichte der Philosophie des Bartes ist zugleich eine Kulturgeschichte der Moderne. Der vorliegende Aufsatz will sich daher damit begnügen, einige grundlegende große Linien zu skizzieren: Er will verständlich machen, was es eigentlich ist, wogegen Rousseau und seine Nachfolger rebellieren, im Namen welchen Ideals sie eigentlich sprechen und was von diesem Ideal zu halten ist. Am Ende wird sich daraus ein philosophisches Plädoyer für den Bart in der Tradition Dulaures ergeben – und eine Art philosophische Physiognomie des Gesichtes unserer Epoche.

2. Das Glatte gegen das Gekerbte

Etymologisch ist das Wort ‚Bart‘ mit dem Adjektiv ‚borstig‘ verwandt.[6] Er ist etwas Widerspenstiges, Spitzes, Stacheliges, nur mühsam zu Kontrollierendes. Wenn Rousseau dafür eintritt, ihn tragen zu dürfen, dann nicht nur, weil er als moderner Intellektueller gegen rigide Bekleidungsregeln im Allgemeinen rebelliert. Es geht ihm sichtlich darum, das Tragen eines Bartes gegen den Vorwurf des Unreinlichen und Unsauberen zu verteidigen. Gegen was er und seine geistigen Erben antreten, ist eine bestimmte Vorstellung von einem gepflegten Äußeren, die sich im 18. Jahrhundert, dem bartlosesten von allen[7], entwickelte und fortan zu der ästhetischen Leitidee der Moderne avancierte: dem Ideal des Glatten, des Coolen, des Rasierten. So, wie die Welt von Versailles aus in einen Hort der Ordnung verwandelt werden sollte, sollte auch jeder Einzelne für sich das innere und äußere Chaos besänftigen und das Tierische in sich zähmen. Selbst ein dezenter Bartwuchs ist mit diesem Ansinnen nur schwer zu vereinbaren.

Die vielleicht umfangreichste Bestimmung des Ideals des Glatten – und mithin seines Gegenideals, des Gekerbten – geben Deleuze und Guattari in ihrem Werk Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie.[8] Während sie das Ideal des Glatten mit grenzenlosen Räumen wie der Wüste oder der Steppe assoziieren oder auch dem offenen Meer, handelt es sich bei den gekerbten um die sicheren Häfen der Agrikultur und der Zivilisation. Bewegungen der Glättung sind gleichermaßen der Faschismus wie der globale Kapitalismus, mit ihnen gehen jedoch stets Gegenbewegungen der Kerbung einher.[9] Auch wenn sie nicht über Bärte schreiben, ist eines ihrer zentralen Themen das Gesicht: Das individuelle Gesicht sei von vorneherein ein westliches Phänomen; dasjenige des weißen Mannes, in das sich die Spuren der Zivilisation eingeschrieben haben. Die Rebellion gegen die Herrschaft des weißen Mannes sei mithin nicht zuletzt ein Kampf gegen das Gesicht.[10] Der Bart ist eines der zentralen Mittel des europäischen Mannes, um seinem Gesicht individuelle Konturen zu verleihen, ihm eine Geschichte zu geben. Franst der Bart aus oder wird er abgeschnitten, wird sein Gesicht darum vernichtet. Der Kampf gegen die westliche Zivilisation, so dürfte man Deleuze und Guattari fortspinnen, ist also nicht zuletzt ein Kampf gegen den Bart – und sie stellen sich dezidiert hinter diesen Kampf.[11] Man sieht hier schon, welche eigenartige Frontlinien sich ergeben, wenn man den Bart als politisches Thema behandelt: Eine ganz große Querfront von Naziskins, Steppenbarbaren, Bankern, Queer-‚Aktivist*innen‘ und No border-Linken, die sich gegen den gepflegten Bart des klassischen europäischen Mannes verschworen hat? Und Deleuze und Guattari als Philosophen dieser Bewegung?

Doch bereits in den 1920er Jahren entwirft der George-Schüler Ernst Kantorowicz eine ganz analoge Dichotomie am Ende seines Buches über Friedrich II., den kosmopolitanen Antichristen, dessen alchemistische Regierungskunst darin besteht, anarchische Kräfte der Zersetzung und Verschmutzung zu entfesseln, um sie in solche der Ordnung und Reinheit umzuwidmen:

„Zweihundertsiebenundsechzig Jahre sollte nach alten Verheißungen Friedrich II. leben und so viele Jahre waren nach seinem Tode vergangen, als in Deutschland die Reformation anbrach. Zwei Jahre später – im Volksbuch von 1519 – ward Friedrich II. erstmals verwechselt mit seinem Ahn Barbarossa. […] Aus Friedrich II. ward allmählich der bärtige Ahn Barbarossa, aus dem Ewigjungen der Greis. Der Traum Deutschlands begann sich zu wandeln […]. Der Heutigen hat der eisgraue Schläfer, dessen Bart den Tisch durchwachsen, nichts mehr zu sagen: er ist in der Tat schon erlöst, der Greis von dem Greise und von des Reiches größtem Vasallen. Doch der müde Herr des Endes hatte bei seiner Erlösung nichts mehr gemein mit jenem feurigen Herrn des Anfangs, dem Verführer, Berücker, dem Strahlenden, Heiteren, dem Ewig-jungen, dem strengen kraftvollen Richter, dem Gelehrten und Weisen, dem im Helm den Musenreigen führenden Krieger, der nicht schläft, sondern sinnt, wie er ‚das Reich‘ erneue.“[12]

Es sind das Bismarckreich und seine Vollbärte, die dem Salonfaschisten Kantorowicz ebenso zuwider sind wie seinen modernistischen Zeitgenossen: das androgyne Antlitz des Staufers gegen die patriarchalen Bärte der Hohenzollern. Freigeist, Nazi? Am Gesicht nicht mehr zu erkennen. Nazi-Freigeist, Anarchotechnofaschist.

In der Philosophie ist es einer der wichtigsten Vertreter der analytischen Tradition, Willard Van Orman Quine, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine Ästhetik des logischen Positivismus proklamiert und dafür Ockhams Rasiermesser mit überraschend bilderreicher Rhetorik gegen „Platons Bart“ in Anschlag bringt, jenen traditionellen Hang der Philosophen, nicht-seienden Entitäten Sein zuzuschreiben. Er schreibt über seinen fiktiven Gegner Wyman, einen Anhänger einer ‚unsauberen‘ Ontologie traditionellen Typs:

„Wyman’s overpopulated universe is in many ways unlovely. It offends the aesthetic sense of us who have a taste for desert landscapes, but this is not the worst of it. Wyman’s slum of possibles is a breeding ground for disorderly elements.“[13]

Der Kommentator Elliott Sober spinnt das fort: Quine „could just as easily have said that the principle evokes the austere beauty of a frozen summit“[14].

Moderne und Postmoderne scheinen sich gleichermaßen, quer durch alle politischen Lager hindurch, durch eine grundlegende Vorliebe für das Glatte auszuzeichnen, die sich in einer Ablehnung des Bartes zum Ausdruck bringt. Ist das Ideal des Gekerbten dagegen hoffnungslos antimodern und reaktionär?

3. Das Ideal des Gekerbten: Der Traum von einer anderen Moderne[15]

Wir haben die Frage bereits eingangs negativ beantwortet. Gegen was sich Rousseau in seiner Zeit richtet, ist zweierlei: die Vormoderne als Zeitalter stabiler Kleiderordnungen und des Kollektivismus; zugleich aber auch der bereits jene Epoche prägende Geschmack des Modernismus, die Welt der gepuderten Hofschranzen. In letzterem Modernismus erblickte er als moderner Mensch eine Gefahr der Moderne, die zur Errichtung einer neuen kollektivistischen Ordnung führen könne, die noch viel repressiver sei als diejenige des Mittelalters, insofern sie auf eine völlige Entdifferenzierung des Sozialen, mithin Nivellierung und Entindividualisierung, hinausliefe.

Rousseaus Vision einer anderen Moderne ist dagegen radikal egalitär, will jedoch zugleich die klassische Vorstellung von einer Versöhnung zwischen Mensch und Natur, Seele und Leib, Vernunft und Sinnlichkeit in die neue Zeit hinüberretten im Namen von Idealen wie Individualität und Authentizität. Das Landschaftsideal der Aufklärungszeit war der sauber organisierte Hofgarten, im späteren Modernismus wird es die Nicht-Landschaft sein, die Wüste und/oder die Eiswelt; Rousseaus Ideal sind Wald und Garten als Stätten, an denen jene Versöhnung sich beheimaten kann. Bezüglich der Vorstellungen einer adäquaten männlichen Gesichtsbehaarung verhält es sich entsprechend: Der gepflegte Bart dient einerseits der Individuierung seines Trägers, ist andererseits Ausweis einer kultivierten Leiblichkeit.

Auf den Begriff brachte jene ästhetische Vision Schiller in seinem Aufsatz Über Anmut und Würde.[16] Am Ende jenes Textes unterscheidet er zwischen wahrer und falscher Würde.[17] Während die falsche eine bloße Maske sei, hinter der sich ihr Träger verstecke und seine leiblichen Impulse einfach nur unterdrücke, zeichne die wahre Würde aus, dass sie die leiblichen Impulse kontrolliere und sublimiere. Als Inbegriff der falschen Würde gilt auch Schiller das gepuderte Perückengesicht der Aufklärungszeit. Auch wenn er, selbst Zeit seines Lebens bartlos, von Bärten an jener Stelle schweigt, ist es nicht schwer, die entsprechende Analogie zu ziehen. Heute würde man wahrscheinlich wahre und falsche Coolness differenzieren: Es ist uncool, andauernd zu kichern, und pseudocool, zum Lachen in den Keller zu gehen; der wirklich Coole lacht genau dann, wenn es am Platze ist, er kontrolliert sein Lachen, jedoch nicht zwanghaft.

Die Strahlkraft jener Vision reicht bis ins 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart, wenn etwa Marcuse davon spricht, dass die Bärte der Hippies Ausdruck ihres Widerstands gegen ein falsches puritanisches Reinlichkeitsideal seien[18], ein anonymer Videoblogger meint, dass freedom der Inbegriff einer jeden beard philosophy sei und ihr Gegenteil fordistische Standardisierung,[19] und Conchita Wurst zur Ikone eines antiheteronormativen Kampfes um individuelle Selbstverwirklichung stilisiert wird.[20] Der Philosoph und mad pride-Aktivist Philip D. Kupferschmidt bringt es in einem Facebook-Post auf den Punkt: „Gay pride, yes. Mad pride, yes. Beard pride, yes.“[21]

Zentral ist hier der Begriff des Stolzes: Es geht in jenem Denken durchaus darum, die eigene Identität zu bejahen – sie jedoch nicht über die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv zu definieren, sondern individuell und als Ergebnis eigener Anstrengung. Insofern hier von einem ‚Kollektiv‘ die Rede sein kann, dann von einem selbstgewählten, vom Kollektiv der Antikollektivisten und Nonkonformisten. In demselben Post präsentiert Kupferschmidt seinen followers seinen monatelang mühselig kultivierten mächtigen Vollbart.

Auch wenn Rousseaus und Schillers klassische Argumentationen für das Ideal einer gepflegten Gesichtsbehaarung dezidiert weder naturalistisch noch maskulinistisch sind – und sich entsprechend auch feministisch und sogar queer-feministisch aneignen lassen –, geht es bei der Frage nach dem ‚philosophisch richtigen Bartwuchs‘ immer auch um die Frage nach einer ‚echten Männlichkeit‘. Dulaure etwa portraitiert die rasierte Aufklärungszeit als Ära der Effeminierung, einer schlechten Angleichung der Geschlechter. In diesem Sinne ist auch die gegenwärtige Bart-Renaissance immer wieder als Ausdruck eines neuen Maskulinismus interpretiert und kritisiert worden.

Doch was ist eigentlich gemeint, wenn Bartträger davon sprechen, wieder ‚echte Männer‘ sein zu wollen? Steckt dahinter nicht vielleicht ein anderes Begehren, das weniger mit dem partikularen Wert der Männlichkeit zu tun hat, sondern vielmehr universal ist? Es dürfte hierbei vor allem um ein Begehren nach Souveränität gehen: Der Bartträger lässt sich seine Gesichtsbehaarung von niemandem diktieren und ignoriert, wenn sie jemandem anstößig dünkt. Eben jene Selbstbestimmung, die den Menschen in der Periode des Neoliberalismus immer häufiger in ihrer realen Lebenspraxis verwehrt wird, will er sich wenigstens auf der symbolischen Ebene wieder aneignen. Selbst wenn er, trotz seiner literarischen Ambitionen, gezwungen ist, sein Geld mit dem Austragen von Päckchen zu verdienen und aufgrund der Unattraktivität seines Jobs keine Partnerin findet: Er kann sich zumindest einen geilen Bart wachsen lassen – und dann klappt’s mit der Freundin vielleicht am Ende sogar doch.

4. Der Bart als bloße Maske? Zur Problematik des Ideals des Gekerbten

Das eigentlich philosophische Kernargument gegen den Bart lautet, dass er seinem Anspruch, authentischer Ausdruck der eigenen Persönlichkeit zu sein und seinem Träger eine echte Würde zu verleihen, überhaupt nicht gerecht wird. Er sei vielmehr ein reiner Fetisch, ein Placebo, mit dem ich mir etwas aneigne, über das ich eigentlich nicht verfüge, oder mich als jemanden inszeniere, der ich überhaupt nicht bin. Ist es, kurz gesagt, nicht vollkommen lächerlich, einen Bart zu tragen und ihn sogar noch in irgendeiner Weise mit philosophischer Bedeutung aufzuplustern?

Einer der Ersten, der sich darüber lustig machte, einzelne Kleidungsstücke derart mit Bedeutung auszustaffieren, war niemand geringerer als Hegel. Er vertrat die Auffassung, dass sich die Philosophie mit derlei Firlefanz nicht einmal zu beschäftigen habe und sich, was die Kleidung angeht, ganz der allgemeinen Konvention und den natürlichen Erfordernissen überlassen solle.[22] Doch bereits in der Antike, wo es gewissermaßen die ‚Berufskleidung‘ eines Philosophen war, einen langen Bart, kombiniert mit einem Mantel, zu tragen, spottete man über diejenigen, die meinten, nur mit derlei wohlfeilen Attributen ihre eigene Weisheit beweisen zu können.[23]

Ausgerechnet Marx und Engels sind es, die über ihren Kontrahenten Gottfried Kinkel spotten, er habe sich einen Bart wachsen lassen, „ohne den kein Prophet etwas ist“[24]; Schopenhauer erklärt den Bart aufgrund seiner maskierenden Funktion gar zum Risiko für die öffentliche Sicherheit;[25] die frühe Feministin Marie le Jars de Gournay beklagt sich schon im 16. Jahrhundert darüber, dass Männer den größten Unsinn sagen können, wenn sie nur einen weisen Bart tragen;[26] Adorno polemisiert gegen die Existenzialisten, die sich mit ihren einheitlich langen Bärten unglaublich individuell und nonkonformistisch fühlen.[27] Und ausgerechnet Sartre als Gründungsvater des Existenzialismus bringt jene Kritik vielleicht am besten auf den Punkt:

„Der schöne Herr existiert Ehrenlegion [sic], existiert Schnurrbart [sic], das ist alles; wie froh muß man sein, nur eine Ehrenlegion und nur ein Schnurrbart zu sein, und den Rest sieht niemand, er sieht die beiden Spitzen seines Schnurrbartes zu beiden Seiten der Nase; ich denke nicht, also bin ich ein Schnurrbart.“[28]

Das Ideal der Glätte verbindet sich also mit dem Gestus aufklärerischer Demaskierung. Die Moderne soll ein Zeitalter ohne Masken sein, in dem jeder sein wahres Gesicht zeigt. Doch bereits Nietzsche wusste: „Die beste Maske, die wir tragen, ist unser eigenes Gesicht.“[29] Es gibt gar kein nacktes Antlitz, das hinter allen Masken verborgen ist. Die völlige Demaskierung, sie bedeutete die völlige Entpersönlichung[30], die Vernichtung aller Zivilisation. Ist das wirklich wünschenswert?

5. Der Bart als Praxis: Kierkegaard und Nietzsche als Philosophen des ironischen Bartes

In vormodernen Gesellschaften gab es einheitliche Masken, die einem von Geburt an zugeteilt wurden und in die man sich zu fügen hatte. In der Moderne hat jeder zu wählen, wer er ist. Sie ist die Gesellschaft des Theaters, des Spektakels, der fortwährenden Selbstinszenierung. Zur modernen Freiheit gehört es, jeden Tag ein anderer sein zu können – zumindest dem Ideal nach (dass es sich in der Realität in der Regel dann doch wieder anders verhält, steht auf einem anderen Blatt). Die Moderne ist darum auch erst die Gesellschaft der Mode.[31] Es ist klar, dass man in dieser Welt den Bart nicht mehr als ernsthaften Bart konzipieren kann. Der moderne Bart ist ein ironischer Bart, ein spielerischer Bart: Er weiß darum, dass er gemacht, dass er das Resultat einer Praxis ist.

In Wiederholung[32] erkennt Kierkegaard nicht nur die Unabschließbarkeit der Bemühungen um die eigene Selbstwerdung als zentrales Signum moderner Subjektivität, sondern entwirft auch eine entsprechende Ethik der Bejahung jener Wiederholung: Nur, wer sie bewusst auf sich nimmt, kann in der modernen Welt frei sein.[33] Als Metapher dient ihm dabei die Rasur, die jeden Morgen wiederholt werden muss:

„Übrigens tue ich alles, was in meiner Macht steht, um mich zu einem Ehemann auszubilden. Ich sitze da und beschneide mich selbst, nehme all das Inkommensurable weg, um kommensurabel zu werden. Jeden Morgen lege ich alle Ungeduld und alles unendliche Streben meiner Seele ab, es hilft nichts, im nächsten Augenblick ist es wieder da. Jeden Morgen nehme ich den Bart aller meiner Lächerlichkeiten ab, es hilft nichts, am nächsten Morgen ist mein Bart ebenso lang.“[34]

Gerade die modernistische Vorstellung, man könne die Rasur eines Tages abschließen und in einer völlig glatten Welt leben, erweist sich somit als zutiefst antimodern. Es ist mit dem Chaos der Welt wie mit den Borsten im Gesicht und dem Unkraut im Garten: Es vergeht nicht, es kehrt immer wieder zurück.

Kierkegaard beließ es dem Geschmack der Zeit entsprechend zwar bei Koteletten, doch entwickelte eine Kunst des pseudonymen, ironischen Schreibens, die als Laboratorium einer solchen modernen, ironischen Existenzweise gelten kann. Anders sein wichtigster Bruder im Geiste: Nietzsches Bart ist wohl derjenige, der wie kein anderer (abgesehen natürlich demjenigen von Marx) zur Metonymie für seine Person und sogar für seine Philosophie als ganze geworden ist.[35]

Nietzsche war sich der Wirkung seines pompösen Schnauzers wohl bewusst:

Seine „Einzelheit“ kennen. – Wir vergessen zu leicht, dass wir im Auge fremder Menschen, die uns zum ersten Male sehen, etwas ganz Anderes sind, als Das, wofür wir uns selber halten: meistens Nichts mehr, als eine in die Augen springende Einzelheit, welche den Eindruck bestimmt. So kann der sanftmüthigste und billigste Mensch, wenn er nur einen grossen Schnurrbart hat, gleichsam im Schatten desselben sitzen, und ruhig sitzen, – die gewöhnlichen Augen sehen in ihm den Zubehör zu einem grossen Schnurrbart, will sagen: einen militärischen, leicht aufbrausenden, unter Umständen gewaltsamen Charakter – und benehmen sich darnach vor ihm.“[36]

Der Bart ist eine Maske – eine Maske existiert jedoch nie im luftleeren Raum, sondern unterliegt stets einem Kontext der Interpretation, in dem sie eine ganz andere Wirkung haben kann, als vom Träger intendiert. Das fröhliche Maskenspiel ist also notwendig einerseits durch den historischen Rahmen beschränkt, in dem es stattfindet und der niemals völlig unbestimmt ist; andererseits auch, im Fall des Bartes ist das sehr evident, durch die nackte Körperlichkeit des Trägers. Es kann nicht jeder jeden Bart tragen. Auch das demonstriert eindrücklich Nietzsches Bart: Die Bilder nach seinem geistigen Zusammenbruch zeigen ihn mit einem völlig konturlosen Schnauzer, der nicht mehr Ausdruck der Souveränität, sondern im Gegenteil der Unsouveränität seines Trägers geworden ist. Wenn er schwach wird, holt die Natur den Maskenträger leicht ein und verweist ihn in die Grenzen seiner Leichtigkeit.

Es gibt bei Nietzsche keine explizite Überlegung zu einer Ästhetik des Bartes, doch einige Stellen wie diese, an denen er den Bart als Metapher einsetzt. Sein Held Zarathustra etwa streicht sich im Buch drei Mal beim Sprechen das Gesichtshaar.[37] Es handelt sich dabei jeweils um besonders bedeutungsvolle Stellen, an denen Zarathustra eine neue Erkenntnis kommt oder er sich in einem Streitgespräch behaupten muss. In einem Nachlassfragment, das einen Entwurf für den Anfang des vierten Teils darstellt, heißt es allerdings, dass Zarathustra über seinen weißen Bart lacht.[38] Wir dürfen dies als erstes Indiz für eine gewisse ironische Distanz von Zarathustra zu seinem Bart werten.

Verknüpft ist der Bart zugleich mit dem Dionysischen. In der Geburt der Tragödie ist zwei Mal vom Satyr als bärtiger Gestalt die Rede.[39] Dionysos selbst wird von Nietzsche meist als bartlose Figur imaginiert, zumindest an einer Stelle trägt er – möglicherweise – auch selbst einen Bart.[40] Diese Seltsamkeit verweist darauf, dass Dionysos auch in der Tradition mal mit, mal ohne Bart dargestellt wird; eine eindeutige Ikonographie wie beim ewig bartlosen Jüngling Apoll, den Kantorowicz mit Friedrich II. assoziiert, gibt es hier nicht.

Das mag daran liegen, dass Dionysos gar keine fixe Identität hat, auf die man ihn festlegen könnte. Ist Apoll gewissermaßen ein Identitätszersetzer ‚von oben‘, insofern der von aller Leiblichkeit, allem Schmutz gesäuberte Mensch kein Individuum mehr wäre, ist es Dionysos ‚von unten‘, insofern in dem von ihm angeführten Bacchantenchor alle Unterschiede zwischen den Menschen verschwinden und sich in einem großen Taumel der Einheit auflösen. Ihre alltäglichen Masken reißen die Menschen ab, ihre Identitäten werden überhaupt erst als solche erfahren. Die Zauber des Weingottes binden wieder, was die „freche Mode“[41] streng geteilt hat. Doch nicht nur die sozialen Grenzen diffundieren, auch diejenigen zwischen Mensch und Tier, Mensch und Natur.

Doch der Clou von Nietzsches Geburt der Tragödie besteht darin, dass er in beiden Formen der Demaskierung – die zum sokratischen Rationalismus zugespitzte des Apoll und die Dionysische – Gefahren erblickt, die es zu bändigen gilt, indem das Dionysische und das Apollinische im tragischen Kunstwerk eine Einheit bilden sollen. Die apollinische Einsicht von der Notwendigkeit des Scheins und der Maske wird im Kunstwerk kombiniert mit der unverstellten Einsicht in die dionysische Wirklichkeit, ja, Letztere wird durch Erstere überhaupt erst ermöglicht, insofern sie ohne den Schutzraum der Kunst überhaupt nicht ertragen werden könnte.

Dieser Einsicht folgend, entwickelt Nietzsche in seinem Werk eine komplexe Philosophie der Maske, die auf deren ambivalente Beurteilung hinausläuft: Als getreuer „Jünger des Dionysos“, als welcher er sich noch im Spätwerk mehrmals bezeichnet,[42] blickt er einerseits hinter die Maske und entlarvt Maskeraden, die einen falschen Ernst suggerieren – priesterliche Masken, die er oft mit Bärten assoziiert;[43] zugleich affirmiert er jedoch immer wieder die Maskerade, selbst diejenige des Priesters, als unverzichtbaren Bestandteil menschlicher Selbstschöpfung und Zivilisation: „Alles, was tief ist, liebt die Maske[.]“[44] Und tief ist bei Nietzsche Dionysos, nicht Apoll.[45] Spannt Nietzsche den dionysischen Bock vor den Karren des Apoll? Eher andersherum scheint Apoll eine Maske des Dionysos zu sein, die ihm als Alibi seiner Tiefe dient.[46] Das Leben verläuft letztendlich in einem tragischen Wechselspiel von Maskerade und Demaskierung, Verkleidung und Entblößung, in dem es darauf ankommt, das, wie prekär auch immer bestimmbare und nie als Dauerzustand zu haltende, Maß zwischen beiden Polen zu finden. Eine ironische Maskerade also, die weiß, dass sie Maske ist, und so die Erschaffung neuer Masken erlaubt.

Entsprechend drückt Nietzsche mit seinem mächtigen Schnauzer keine Identifikation mit einem Kollektiv aus, wie dies bei derartigen Bärten oft der Fall ist. Der Statementbart bringt grundsätzlich eine gewisse Ignoranz seines Trägers gegenüber der Meinung anderer zum Ausdruck. Er hat kein Problem damit, aufzufallen, selbst wenn es unangenehm ist. Eine eindeutige Bedeutung hat Nietzsche selbst seinem Bart nie verliehen, so dass man diesbezüglich auf Spekulationen angewiesen ist. Die Indizien legen jedoch nahe, dass sich die Bedeutung, die sein Schnorres für ihn hatte, während seines Lebens änderte: Zunächst als Bekenntnis zu Bismarck intendiert, erblickte er in ihm später ein Zeichen seines vermeintlichen Polentums.[47] Doch weder ‚Bismarck‘ noch ‚Polen‘ bedeuteten für Nietzsche das, was sie gemeinhin meinen. Bismarck war für ihn schon als junger Student ein mutiger Einzelkämpfer gegen seine Zeit, der individuelle Größe und Genie bewies; er zählt ihn wiederholt zu anderen ‚großen Männern‘ wie Beethoven, Napoleon und Goethe[48] und bezeichnet ihn als „von Grund aus nicht deutsch, undeutsch, antideutsch“[49]. Seine Bewertung schwankt und schlägt mitunter in heftige Abneigung um – die jedoch nicht Widerlegung, sondern vielmehr Beleg einer tieferliegenden Zuneigung ist. Wenn Nietzsche durch seinen Bart seine Zugehörigkeit zu einem Kollektiv ausdrücken will, dann zu jenem erlauchten Kollektiv der bedeutenden Nonkonformisten und Antikollektivisten.

Polen ist für den späten Nietzsche dementsprechend ein geradezu utopischer Sehnsuchtsort, der nicht zuletzt auch politisch aufgeladen ist:

„Die Polen galten mir als die begabtesten und ritterlichsten unter den slavischen Völkern; und die Begabung der Slaven schien mir höher als die der Deutschen, ja ich meinte wohl, die Deutschen seien erst durch eine starke Mischung mit slavischem Blute in die Reihe der begabten Nationen eingerückt. Es that mir wohl, an das Recht des polnischen Edelmanns zu denken, mit seinem einfachen Veto den Beschluß einer Versammlung umzuwerfen; und der Pole Copernikus schien mir von diesem Rechte gegen den Beschluß und den Augenschein aller andern Menschen eben nur den größten und würdigsten Gebrauch gemacht zu haben. Die politische Unbändigkeit und Schwäche der Polen, ebenso wie ihre Ausschweifung waren mir eher Zeugnisse für ihre Begabung als gegen dieselbe.“[50]

Nietzsche, der „polnischer Edelmann pur sang“[51], will dezidiert keine Konsensdemokratie, in der jedem jenes Recht zukommt. Doch es spricht nichts dagegen, in diesem Punkt mit Nietzsche über Nietzsche hinauszugehen.

6. Prophet wider Willen: Der eigenartige Bart des Martin Buber

Ein Philosoph des 20. Jahrhunderts, der Nietzsche in seiner Jugend intensiv studierte und genau das unternahm, ist Martin Buber. Nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte er, der 1938 nach Israel emigriert war, in der Bundesrepublik zu einem gefeierten Star, der mit den höchsten Orden dekoriert und von den höchsten Personen des öffentlichen Lebens empfangen wurde. In kaum einer Charakterisierung der unglaublichen auratischen Wirkung, die er als Person gehabt haben muss, fehlt der Hinweis auf seinen gewaltigen Vollbart, der ihn als leibhaftige Wiederkehr eines alttestamentarischen Propheten und somit legitimen Repräsentanten des ‚Volkes Israel‘ erscheinen ließ.[52] Ein Kult, der freilich damals schon skeptisch beäugt wurde: Buber erschien als eine patriarchale Autorität, die man nun wieder ersehnte. Der Verdacht liegt zudem nahe, dass man ihn benutzte, um seine moralische Läuterung zu demonstrieren, als ‚Alibijuden‘ gewissermaßen. Völlig unter den Tisch fielen und fallen dabei seine eigentliche Botschaft und seine inhaltlichen Positionen. Ihm ging es keineswegs nur um einen seicht-unverbindlichen Aufruf zu ‚mehr Dialog‘, zu dem seine Lehre oft für den Hausgebrauch verdünnisiert wurde. Der Freund des Anarchisten Gustav Landauer verstand sich vielmehr Zeit seines Lebens als Sozialisten und vertrat offensiv entsprechende Positionen.[53]

Doch Bubers Bart ist ursprünglich weder ein authentischer Prophetenbart noch ein jüdischer Bart oder ein Anarchisten- oder Sozialistenbart. Er bekennt in einem Interview selbst, dass er ursprünglich nur eine durch medizinische Komplikationen bei seiner Geburt verursachte leichte Entstellung seines Gesichts kaschieren sollte.[54] Erst später merkte Buber, dass sein zunächst also rein kosmetisch gemeinter Bart ihm ein ganz anderes öffentliches Image verlieh, und lernte, es zu seinen Gunsten zu nutzen. Bis zu seinem Lebensende pflegte er eine demonstrativ ironische Distanz zu ihm und dem Kult um ihn: Er bediente sich seiner, um für die Inhalte, die vertrat, zu werben, doch im Grunde fand er all das Getue um seine Person selbst lächerlich.

War Bubers Strategie erfolgreich? Das Risiko einer solchen Inszenierung besteht eben darin, dass die Leute nur noch auf den Bart starren und die Worte dabei vergessen. Sogar Habermas bekannte in einer in Jerusalem gehaltenen Rede, dass er sich dieser alles andere verdrängenden Wirkung des Bartes Bubers nicht entziehen konnte und ihm die einzige persönliche Begegnung mit Buber zwar in bleibender Erinnerung geblieben sei, er den Inhalt seiner damaligen Worte jedoch völlig vergessen habe.[55] Und oftmals bleibt es schlicht bei jenem platten ‚mehr Dialog wagen‘.[56]

Die Maske absorbiert so geradezu ihren Träger, sie erzeugt ein Bild von ihm, das mit seinem Selbstbild überhaupt nichts zu tun zu haben braucht. Um sich selbst davor zu schützen, diesem Bild selbst zum Opfer zu fallen – indem man entweder irgendwann selbst an es glaubt oder ein Leben lang dagegen ankämpft –, ist Ironie geradezu eine Notwendigkeit. Doch zugleich werden die anderen immer ein solches Bild von mir erzeugen und es wird niemals meinem Selbstbild haargenau entsprechen. Ich komme demnach, zumal als öffentliche Figur, überhaupt nicht darum herum, mir eine Maske zu geben. Ich sollte es vor allem bewusst tun. Jedenfalls erkennen wir, dass ‚Ironie‘ nichts mit Lächerlichkeit zu tun haben muss. Die Ironie, die wir bei Kierkegaard, Nietzsche und Buber erblicken, zeugt im Gegenteil gerade von einer besonders tiefen Ernsthaftigkeit, die jeden gewöhnlichen ‚Ernst‘ übersteigt. Und sie ist mit einem äußerst ernsthaften Engagement für religiöse, kulturelle oder politische Ideale vollkommen vereinbar, schafft für ein authentisches Engagement vielmehr erst die Grundlage.

7. Zurück zu Rousseau! – Der zweifache Januskopf der Gegenwart

Man sieht, dass sich das Ideal des Gekerbten, das Ideal des bärtigen Gesichts, durchaus verteidigen lässt, wenn man die Kerbe nicht so sehr als authentischen Ausdruck versteht, sondern als ironische Maskerade, die zu ihrem Träger in einer gewissen Distanz steht. Man erhält so eine Authentizität zweiter Potenz, die gerade in dieser Distanznahme besteht. Authentisch wäre dann derjenige, der seine Maske bewusst in großer Sensibilität für den biologisch und sozial definierten Kontext, in dem er sich bewegt, wählt. Bubers Entscheidung für seinen Bart wäre ein Beispiel für eine solche Wahl.

Zum Problem wird der Bart, sobald er zum ernsthaften Bart wird, sobald er nicht mehr als Maske erkannt und erkennbar wird. Der Salafistenbart etwa, den man nicht trägt, weil man darauf Lust hat, sondern weil es – angeblich – die Pflicht eines echten Moslems sei. Aber auch der Rebellenbart, durch dessen Tragen allein sich sein Träger bereits auf der moralisch sicheren Seite dünkt. Oder das meist glatte Gesicht der akademischen Philosophie, durch welches allein sie ihre ‚Seriosität‘ bereits hinreichend gesichert meint. Alle Bärte, die eine derartige stabile Identität garantieren zu können meinen, verfallen dem Urteil Sartres. Doch daraus im Gegenteil eine Ablehnung aller Bärtigkeit abzuleiten, wäre ebenso falsch: Es gilt, Identität als kontextgebundene Konstruktion und nicht als Essenz zu verstehen.

Der Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg brachte diese Haltung auf folgenden Punkt: „[M]an soll mit dem Licht der Wahrheit leuchten, ohne einem den Bart zu sengen.“[57] Das klingt erst einmal sehr antikritisch, insofern es dem heutigen Gebot zu entsprechen scheint, nur ja niemandes Gefühle anzugreifen oder gar seine Identität in Frage zu stellen. Eine sich selbst ernstnehmende Vernunft kann in einer Welt vollkommen irrationaler Identitätsentwürfe und ihrer entsprechenden emotionalen Aufladung diesem Gebot nicht nachkommen, sie muss den Leuten förmlich an den Bart gehen. Lichtenberg formuliert seinen Aphorismus dementsprechend an anderer Stelle nicht als Imperativ, sondern als Problem: „Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.“[58]

Selbst wenn eine gegen sich selbst gerichtete Vernunft erkennt, dass es im Grunde nicht wünschbar ist, alle Identitäten und alle Glaubenssysteme in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern sie im Gegenteil eine produktive Rolle in unserem Leben spielen, kommt sie zugleich nicht umhin, sie doch immer wieder anzugreifen – nicht zuletzt, weil sie meint, behaupten zu können, dass sich diejenigen, die sich derart identitär abschotten, damit nur selbst schaden. Ein Balanceakt, mit dem es zu spielen gilt.

Die objektive Bewegung, die allen Menschen den Bart sengt und Schlimmeres, ist derweil der postmoderne Kapitalismus. Mit der Fackel seiner ‚Wahrheit‘ bewaffnet dringt sein Feuer in jede Pore der Gesellschaft und kapitalisiert sie. Sein Gesicht ist ebenso glatt wie dasjenige seiner Funktionäre, die Fassaden seiner Gebäude und das Design der Produkte, mit denen er uns verführt und in Fallen lockt. Der Bart heute ist Ausdruck einer – wie unpolitisch auch immer artikulierten, wie sehr auch immer mit einer selbst neoliberalen Ideologie individueller Selbstverwirklichung vermengten – Opposition gegen diesen historisch einmaligen Schub in der Ökonomisierung des Sozialen, die man sehr ernst nehmen sollte. Für Deleuze und Guattari mag es noch plausibel gewesen sein, im globalisierten Kapitalismus auch eine Befreiungsbewegung zu erblicken, die sich gegen vormoderne Residuen richtete. Für uns ist diese Perspektive nahezu gänzlich unplausibel geworden, zumal diese Bewegung auch schon von Deleuze und Guattari selbst mit nicht nur emanzipatorischen, sondern zugleich auch faschistischen Kräften assoziiert wird.

Wie schon für Kantorowicz streckt uns die Gegenwart einen Januskopf entgegen, allerdings einen zweifachen. Einmal den Scheingegensatz, den die neoliberale Ideologie selbst suggeriert, und den sie einsetzt, um uns zu verwirren: denjenigen zwischen dem zivilisierten rasierten Antlitz des Managers – gebildet, kosmopolitan, freiheitsliebend, effizient – und dem bärtigen Antlitz des nomadischen Barbaren, der aus der Wüste kommt, um ‚unsere Freiheit‘ zu gefährden. ‚Unsere Freiheit‘, die vor allem die des erstgenannten ist, noch höhere Dividenden einsacken und noch besser Steuern hinterziehen zu können. Doch wir haben schon längst begriffen, dass dieser Scheingegensatz die wahre Affinität zwischen beiden Bewegungen verhüllt, die beide der Hass auf den Bart des ‚weißen Mannes‘ eint, denen beiden wirkliche Freiheit und wirkliche Individualität ein Graus ist. Die Salafisten sind Faschisten, die Anarchisten zum Verwechseln ähnlich sehen, es sind Marodeure des Neoliberalismus, entwurzelte Rumpfindividuen, die der digitalen Avantgarde ebenso angehören wie ihre technofaschistischen ‚Gegner‘ im Silicon Valley.[59]

Der wirkliche Gegensatz besteht mithin zwischen jenem anonymen ‚Man‘, das zugleich queer, neoliberal und islamistisch ist, und derjenigen Gegentendenz, für die sinnbildhaft Jean-Jacques Rousseau steht. Eine Gegentendenz, die im Augenblick noch darum ringt, zu einem klaren Selbstbewusstsein zu finden und zu definieren, inwieweit sie sich zu einer anderen Moderne bekennt oder der Versuchung des Antimodernismus erliegt, die jedoch bereits unterwegs ist und die niemand aufhalten wird. Es ist der Aufstand der stolzen Bartträger, die der fortwährenden Demütigung und Versengung überdrüssig sind. Das, nicht so sehr die letztendlich neoliberale Revolte nomadisierender Anonymer, ist der kommende Aufstand, der den Neoliberalismus zu Fall bringen und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und individuelle Freiheit auf globaler Ebene restitutieren, vertiefen und erweitern und die kommende ökologische Apokalypse abwenden könnte.[60] Als ‚Alternative‘ droht eine Aufteilung der Welt in technofaschistisch regulierte Zonen und in von Nomadenbanden beherrschte no go areas – glatte Räume diesseits und jenseits der Mauer.

Bleibt euren Gesichtern treu, liebt eure Masken.

© Paul Stephan


[1] Die Bekenntnisse. München 2012, S. 372.
[2] Ebd., S. 373.
[3] Paris 1786.
[4] Vgl. Christopher Oldstone-Moore: Von Männern und Bärten. Eine Geschichte der Gesichtsmode. Köln 2017, S. 227.
[5] Eine solche, vom Autoren dieses Aufsatzes verfasst, wird gerade zur Publikation vorbereitet und soll Ende 2019/Anfang 2020 im Parodos-Verlag Berlin erscheinen: Bedeutende Bärte. Eine Philosophie der Gesichtsbehaarung. Für alle Nachweise und Detaildiskussionen der in diesem Text oft nur kurz erwähnten Autoren bitte ich darum, dieses Buch zu konsultieren. Und für all die komischen, tragischen und grotesken gänzlich unerwähnten Bärte, die für den vorliegenden Text dem Rasiermesser zum Opfer fallen mussten (die Philosophie des Viktorianerbarts, Heideggers Hitlerbärtchen, Kants sexistischer Spott über bartlose Philosophinnen, schwule und sadomasochistische Bärte, Tartartenbärte, Sexgurubärte …).
[6] Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin / New York 1989, S. 62.
[7] Barbara Martin: Der bärtige Mann. Eine Skizze um ein erotisches Attribut. Berlin 2000, S. 110.
[8] Berlin 1992.
[9] Vgl. das Kapitel Das Glatte und das Gekerbte (ebd., S. 657-693).
[10] Ebd., S. 242.
[11] Es liegen gegen dieses Argument sofort zwei Einwände auf der Hand: Ist das Gesicht der Zivilisation doch nicht gerade das glatte Gesicht? Und: Und ist das glatte Gesicht nicht auch noch konturiert? Auf den ersten Einwand ist zu antworten, dass ‚die Zivilisation‘ natürlich viele Masken trägt. Sie ist ja wesentlich ein großes Theater. Insbesondere ist sie der ewige Kampf zwischen den Kräften der Glättung und denjenigen der Kerbung. Wirkliche Zivilisation ist dieser Widerspruch. Die ‚reine Kerbung‘ wäre genauso barbarisch wie die reine Glättung. Sie verleihen dem Gesicht erst seine Kontur. Doch mit Zivilisation geht immer auch ein Übermaß an Glättung einher, das ihre eigene Selbstauslöschung impliziert. Was das Gesicht angeht, so ist zu sagen, dass natürlich jedes Gesicht ‚von Natur aus‘ konturiert ist. Das gänzlich unkonturierte Gesicht ist der Alb der Zivilisation – und zugleich Wunschbild der glättenden Kräfte. Es gibt zudem natürlich stark gekerbte Männergesichter, in denen sich individuelle Erfahrung derart eingegraben hat, dass sie auch ohne Bart ‚bärtig‘ wirken. Und doch ist es – beim Mann – in der Regel der Bart, der dem Gesicht erst Form und Individualität verleiht, rasierte Gesichter wirken meist knabenhaft und unindividuell und sollen es auch. Bei Frauen spielt eine ähnliche Rolle die Schminke, die die natürlichen Konturen des Gesichts betonen soll. Natürlich schlägt auch hier die allgemeine Dialektik der Individualisierung durch: Paradoxerweise werde ich erst zum Individuum, indem ich meine unmittelbare Einzelheit aufgebe und mir etwas Überindividuelles, Allgemeines aneigne wie eben einen bestimmten Barttyp (der freilich stets untrennbar mit meiner individuellen Leiblichkeit verbunden bleibt) oder eine bestimmte Art, mich zu schminken. Individualisierung ist mithin stets auch Entindividualisierung und kann in diese umschlagen. Der Bart kann das Gesicht derart bestimmen, dass es gerade nicht mehr individuell wirkt. Das Ideal des ‚typischen westlichen‘ Zivilisationsbartes ist freilich gerade ein individueller Bart, der in irgendeiner Form authentisch ist. Ihn meinen wir, wenn wir ‚den Bart‘ und ‚das Gesicht‘ gegen unrasierten Nomadismus und rasierten Cyberfaschismus verteidigen, die beide eint, dass ihnen Individualität und Authentizität verhasst sind. (Daher auch ihr gemeinsamer Hass auf das Gesicht der Dame.)
[12] Kaiser Friedrich der Zweite. Düsseldorf/München 1963, S. 631 f.
[13] On What There Is. In: The Review of Metaphysics 2/5 (1948), S. 21-38; 23.
[14] Ockham’s Razors. A User’s Manual. Cambridge 2015, S. 5.
[15] Der Begriff einer ‚anderen Moderne‘ wurde jüngst von Michael Stahl besetzt, zuletzt in seiner Monographie Das Schöne und die Politik. Für eine andere Moderne (Dresden 2018). Wir halten sein dezidiert an die ‚konservative Revolution‘ anknüpfendes Programm einer „reaktionäre[n] Romantik“ (ebd., S. 14) für einen Etikettenschwindel, da hier nicht versucht wird, eine andere Moderne zu konzipieren, sondern zu einer vormodernen Ordnung zurückzukehren. Unser Vorschlag versteht sich demgegenüber als Gegenentwurf.
[16] In: Sämtliche Werke Bd. 5. München 1993, S. 433-488.
[17] Ebd., S. 487 f.
[18] Wolfgang Kraushaar (Hg.): Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946-1995. Bd. 2: Dokumente. Hamburg 2003, S. 380.
[19] Beard Philosophy. A Strong Facial Hair Paradigm. https://www.youtube.com/watch?v=zIUmRghLy88 (abgerufen am 11.09.2018).
[20] Vgl. etwa Simone Meier: Mit der „Frau mit Bart“ hält die Philosophie Einzug am ESC. https://www.watson.ch/tv/popul%C3%A4rkultur/346290820-mit-der-frau-mit-bart-haelt-die-philosophie-einzug-am-esc (abgerufen am 11.09.2018).
[21] https://www.facebook.com/damien.endymion/posts/10160935391315456:0 (abgerufen am 20.10.2018).
[22] Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I. Werke Bd. 18. Frankfurt a. M.  1986, S. 556 f.
[23] So kursierte etwas das Sprichwort: „Barba non facit philosophum, neque vile gerere pallium.“ („Ein Bart macht noch lange keinen Philosophen, auch nicht, einen billigen Mantel zu tragen.“) (Vgl. Aulus Gellius: Die attischen Nächte. Bd. 2. Darmstadt 1987, S. 3)
[24] Die großen Männer des Exils. In: Werke, Artikel, Entwürfe Juli 1851 bis Dezember 1852. MEGA Bd. I/11. Berlin 1985, S. 219-311; 250.
[25] Parerga und Paralipomena I. Sämtliche Werke Bd. 4. Leipzig 1979, S. 216.
[26] Grief des dames. In: Mario Schiff (Hg.): La Fille d’alliance de Montaigne. Marie de Gournay. Paris 1910, S. 89-99; 92.
[27] Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. In: Gesammelte Schriften Bd. 6. Frankfurt a. M. 1990, S. 7-412; 129.
[28] Der Ekel. Hamburg 1982, S. 117.
29] Nachgelassene Fragmente Juli 1882 bis Winter 1883-1884. Kritische Gesamtausgabe Bd. VII/1. Berlin / New York 1977, S. 468 (Nr. 1883 13[3]).
[30] Das Wort ‚Person‘ kommt schließlich vom lateinischen ‚persona‘, zu Deutsch: Maske. Nietzsche spielt darauf immer wieder an (vgl. etwa Nachgelassene Fragmente Herbst 1884 bis Herbst 1885. Kritische Gesamtausgabe Bd. VII/3. Berlin / New York 1974, S. 282 (Nr. 1885 36[17])).
[31] Für diese communis opinio aller ernstzunehmenden ‚Modephilosophie‘ vgl. insbesondere Georg Simmels klassischer Essay Die Philosophie der Mode (in: Gesamtausgabe Bd. 10. Frankfurt a. M. 1995, S. 7-37).
[32] Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Philosophie von Constantin Constantius. In: Der Begriff Angst. Philosophische Schriften 2. Frankfurt a. M. 2009, S. 105-173.
[33] „Wer […] die Wiederholung wählt, der lebt.“ (Ebd., S. 106)
[34] Ebd., S. 163 f.
[35] Man denke nur an die diversen Nietzsches Schnauzer gewidmeten Arbeiten des Künstlers Not Vital (vgl. Mathias Balzer: Künstler Not Vital zeigt Nietzsche. Mit Schnauz und Fuss. In: bz Basel, online: https://www.bzbasel.ch/kultur/buch-buehne-kunst/kuenstler-not-vital-zeigt-nietzsche-mit-schnauz-und-fuss-132212235 [abgerufen am 10.09.2018]).
[36] Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurtheile. In: Kritische Studienausgabe Bd. 3. München 2011, S. 247 f.; Aph. 381.
[37] Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen. Kritische Studienausgabe Bd. 4. München 2011, S. 295 (Das Honig-Opfer); S. 328 (Der hässlichste Mensch) und S. 407 (Das Zeichen).
[38] Nachgelassene Fragmente Herbst 1884 bis Herbst 1885, S. 54 (Nr. 1884 28[67]).
[39] Die Geburt der Tragödie. In: Kritische Studienausgabe Bd. 1. München; Berlin / New York 1988, S. 9-156, S. 32 (Abs. 2) & 58 (Abs. 8).
[40] Nachgelassene Fragmente Herbst 1885 bis Herbst 1887. Kritische Gesamtausgabe Bd. VIII/1. Berlin / New York 1974, S. 340 (Nr. 1887 8[3]).
[41] Geburt der Tragödie, S. 29. Nietzsche zitiert hier Schillers Ode an die Freude.
[42] Vgl. Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. In: Kritische Studienausgabe Bd. 5. München 1999, S. 9-243; 238 (Aph. 238); Geburt der Tragödie, 14 (Selbstkritik, Abs. 3) und Ecce homo. Wie man wird, was man ist. In: Kritische Studienausgabe Bd. 6. München / Berlin / New York 1988, S. 255-374; 258 (Vorwort, Abs. 2).
[43] Vgl. etwa Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern. In: Kritische Studienausgabe Bd. 1. München; Berlin / New York 1988, S. 753-792; 772 (Der griechische Staat); Also sprach Zarathustra, S. 230 (Von den Abtrünnigen, Abs. 2) und Nachgelassene Fragmente Herbst 1884 bis Herbst 1885, S. 39 (Nr. 1884 28[67]).
[44] Jenseits von Gut und Böse, S. 57 (Aph. 40).
[45] Vgl. Jenseits von Gut und Böse, S. 239 (Aph. 295).
[46] Im Grunde ist jeder Gott eine Maske des Dionysos (vgl. Geburt der Tragödie, S. 71-73 [Abs. 10]).
[47] Kernindiz für die Bismarckspur ist die verblüffende Ähnlichkeit zwischen beiderlei Bart sowie die zahlreichen positiven Äußerungen gerade des jungen Nietzsche zum ‚eisernen Kanzler‘ (vgl. hierzu die nach wie vor unübertroffene Überblicksdarstellung Nietzsche und Bismarck von Theodor Schieder [Krefeld 1963)]. Von Nietzsches Assoziation seines Bartes mit seinem ‚Polentum‘ berichtet seine Freundin Resa von Schirnhofer in ihrem äußerst aufschlussreichen Bericht Vom Menschen Nietzsche (in: Zeitschrift für philosophische Forschung 22 [1968], S. 250-260; 252). Sein Gesinnungswandel dürfte damit zusammenhängen, dass Nietzsches Distanz zu Deutschland und damit auch zu Bismarck in den 1870er Jahre immer größer wird, er zum anderen, wie er u. a. seiner Freundin nicht ohne Stolz berichtet, von Polen wiederholt für einen der ihren gehalten wurde. Erst dadurch dürfte Nietzsche, für den das Thema seiner polnischen Abkunft jahrelang anscheinend nicht die geringste Rolle gespielt hatte, wieder an die Familienlegende von der polnischen Genealogie der Nietzsches erinnert worden sein. Nietzsche war also durchaus bereit, auf die Resonanz anderer einzugehen, und sogar seinen Selbstentwurf durch sie beeinflussen zu lassen.
[48] Vgl. etwa Nachgelassene Fragmente Frühjahr-Herbst 1884. Kritische Gesamtausgabe Bd. VII/2. Berlin / New York 1974, S. 271 (Nr. 1884 26[462]).
[49] Nachgelassene Fragmente Anfang 1888 bis Anfang Januar 1889. Kritische Gesamtausgabe Bd. VIII/3. Berlin / New York 1872, S. 198 (Nr. 1888 15[6], Abs. 2).
[50] Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 bis Sommer 1882. In: Kritische Gesamtausgabe Bd. V/2. Berlin / New York 1973, S. 337-585; 580 (Nr. 1882 21[2]).
[51] Ecce homo, S. 268 (Warum ich so weise bin, 3).
[52] Vgl. etwa einen Bericht Habermas’ in: Noa Limone: Germany’s Most Important Living Philosopher Issues an Urgent Call to Restore Democracy. Online: https://www.haaretz.com/germany-s-most-important-philosopher-issues-an-urgent-call-for-democracy-1.5285348 (abgerufen am 14.11.2018).
[53] Vgl. zu einer solchen kritischen Stimme zum ‚Buber-Kult‘ in der Bundesrepublik Hans Fischer-Barnicol: Zur Räson gerufen. Vom Pathos des Kulturzionismus zur Klarheit des freien Sozialismus. Online: https://www.zeit.de/1973/20/zur-raeson-gerufen (abgerufen am 14.11.2018).
[54] Vgl. Maurice S. Friedman: Martin Buber’s Life and Work. Detroit 1988, S. 9 & Paul Mendes-Flohr: Buber’s Provocation. In: Sam Berrin Shonkoff (Hg.): Martin Buber. His Intellectual and Scholarly Legacy. Boston/Leiden 2018, S. 140-148; S. 140 f.
[55] Noa Limone: Germany’s Most Important Living Philosopher Issues an Urgent Call to Restore Democracy.
[56] Einen Tiefpunkt dieser offiziellen bundesdeutschen Buber-Rezeption dürfte die Rede Joachim Gaucks anlässlich seines 50. Geburtstags markieren (Festakt zum 50. Todestag von Martin Buber. Online: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/06/150623-Todestag-Martin-Buber.html [abgerufen am 14.11.2018]).
[57] Schriften und Briefe. Bd. 1. Sudelbücher. München 1968, S. 516; Heft F, 404.
[58] Schriften und Briefe. Bd. 2. Sudelbücher II. München 1971, S. 135; Heft G, 13.
[59] Damit soll nicht behauptet werden, dass die einen die anderen bezahlen würden oder dergleichen. Es geht uns hier nicht darum, eine derart krude Verschwörung zu suggerieren, sondern vielmehr eine objektive Tendenz zu skizzieren, die mit den vereinzelten Machenschaften einzelner Akteure nichts zu tun hat, nicht einmal mit ihrer subjektiven Intention.
[60] Man darf nicht vergessen, dass die erste bedeutende maskierte revolutionäre Bewegung der Ku-Klux-Klan war. In Das Prinzip Hoffnung analysiert Bloch die Masken des Klans als Prototyp der faschistischen Uniformen (vgl. Gesamtausgabe Bd. 5, Frankfurt a. M. 1985, S. 403-406).

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