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Verstehen, was es heißt, kritisch zu fragen, was es gibt. (Kantische) Überlegungen zum ontologischen Fragen

Veröffentlicht am 20. Februar 2023

Von Benedikt Wissing

Eine mögliche Auffassung von Philosophie lässt sich wie folgt wiedergeben: Philosophie untersucht die Grundstrukturen der Wirklichkeit, also das, was es letztlich wirklich gibt. Sie tut dies, indem sie Fragen danach stellt, was existiert. Spätestens seit der deutschen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts, ist es üblich, Fragen nach dem Seienden im Allgemeinen, einer philosophischen Teildisziplin mit dem Namen „Ontologie“ (metaphysica generalis) zuzurechnen. Beschreibt man aber das ontologische Fragen als ein Fragen danach, was existiert, dann hat man bereits eine Entscheidung über die Art des Fragens getroffen. Eine solche Entscheidung kann der Rückfrage ausgesetzt werden, ob sie selbst schon unkritische Voraussetzungen enthält. Sollte dies bejaht werden und problematisch sein, lässt sich weiterführend fragen, welche Art des ontologischen Fragens „kritisch“[i] genannt werden könnte. Beide Fragen sollen im Folgenden skizzenhaft behandelt werden, um nachzuvollziehen, wie man die kantische These verstehen könnte, dass „der stolze Name einer Ontologie […] dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen [muß]“ (KrV, A 247/B 303).

Zwei Arten des Fragens

Zunächst ist es weitgehend ein Gemeinplatz, dass eine Frage selbst schon eine Entscheidung darüber beinhaltet, welche Antwort auf sie für sinnvoll gehalten wird. So könnte man beispielsweise einerseits fragen, ob das Geistige mit dem Physischen zusammenhängt und andererseits fragen, wie verstanden werden kann, dass das Geistige mit dem Physischen zusammenhängt.[ii] Im ersten Fall wird der Zusammenhang selbst als fraglich gefasst, wohingegen er im zweiten Fall schon ausgemacht zu sein scheint. Jemand, der eine Antwort auf die zweite Frage gibt, muss stets schon die erste Frage bejaht haben, sonst würde seine Antwort wenig sinnvoll sein. Schließlich setzen Antworten darauf, wie der Zusammenhang von etwas gedacht wird, voraus, dass dieser Zusammenhang besteht.

Ausgehend von dieser Beobachtung, lassen sich nun genereller zwei Arten philosophischer Fragen unterscheiden: Einerseits lässt sich fragen, ob etwas existiert; andererseits, wie wir verstehen können, dass etwas existiert. So würde eine Frage wie „Gibt es freie Akteure?“ der ersten Art angehören, wohingegen die Frage „Wie können wir verstehen, dass es freie Akteure gibt?“ der zweiten Art zuzurechnen ist. Zur klareren Zuordnung werden in der Folge Fragen der ersten Art als „Existenz-Fragen“ bezeichnet und Fragen der zweiten Art als „Verstehens-Fragen“.

Nun scheint es, als wären Existenz-Fragen „kritischere“ Fragen als Verstehens-Fragen. Denn während bei Fragen nach der Existenz bestimmte Gegenstände zur Disposition gestellt werden, wirkt es, als würden Verstehens-Fragen deren Existenz unkritisch voraussetzen und nur danach fragen, wie wir uns ihre Existenz verständlich machen können. Meint man, Philosophie müsse sich immer auch kritisch zu ihren eigenen Voraussetzungen verhalten und daher möglichst wenig als gegeben annehmen, dann ist man scheinbar geradezu genötigt, nur Existenz-Fragen für philosophische Fragen im Vollsinne zu halten; schließlich stellen sie die harte Frage danach, was es denn überhaupt gibt.

Argumentationsziele des Beitrags

In Entgegensetzung zu dieser Plausibilisierung, soll im Folgenden die These vertreten werden, dass die eigentlich philosophischen Fragen Verstehens-Fragen sind. Dies erfolgt im Anschluss an Theoriestücke der theoretischen Philosophie Immanuel Kants. Dadurch soll der Beitrag Kants zu der Teildisziplin der Philosophie, die sich mit den grundlegenden Arten oder Gegenständen der Wirklichkeit beschäftigt, nämlich der Ontologie, angedeutet werden. Dies geschieht nicht in kant-exegetischer Absicht, sondern in Auseinandersetzung mit einem Sachproblem unter kantischen Rationalitätsstandards.[iii] Hierfür werde ich für folgende Thesen argumentieren: (1.) Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verstehen und Begriffen; hierfür werden Begriffe von Wörtern unterschieden und ihr kognitiver Gehalt als Merkmale gefasst. (2.) Begriffe werden dann als die eigentlichen Gegenstände des Verstehens gefasst. (3.) Um einen Begriff zu verstehen, muss man sich auf seine Einzelfälle beziehenkönnen. (4.) Begriffe können nur auf Einzelfälle bezogen werden, indem durch grundlegendere Begriffe (sog. Meta-Begriffe) ihr Bezug und ihre Ordnung im Urteil geregelt wird. (5.) So soll sich zeigen, dass nur dann kritisch danach gefragt werden kann, was es gibt, wenn klar ist, ob und wie die in der Frage verwendeten Begriffe auf Gegenstände bezogen werden können.

1. Was hat Verstehen mit Begriffen zu tun?

Gebrauchsweisen des Ausdrucks „verstehen“

Den Ausdruck „verstehen“ gebrauchen wir auf vielfache Weise. So lassen sich beispielsweise folgende Verwendungsweisen unterscheiden. Wir sagen: (1) „Ich verstehe Dich“, (2) „Ich verstehe das Problem“ oder (3) „Ich verstehe, was ein Stuhl ist“. Der erste Fall scheint besonders auf ein intersubjektives Verstehen zu zielen. So könnte der Satz in einer Situation fallen, wo sich ein Freund einer Freundin anvertraut und von seinem Kummer berichtet. Der zweite Fall hingegen zielt nicht auf eine Person, sondern auf einen Sachverhalt, der sich als problematisch darstellt. Zum Beispiel kann man verstehen, dass es ein Problem für die betreffende Person ist, wenn alles, was sie anfasst, zu Gold wird. Dieser zweite Fall bewegt sich damit aber schon nahe am dritten Fall, der ganz explizit das Verstehen von Gegenständen oder von Relationen zwischen Gegenständen betrifft. Es ist dieser dritte Fall, der in ontologischen Zusammenhängen von besonderem Interesse ist. Daher ist nachfolgend, wenn vom „Verstehen“ die Rede ist, stets nur der dritte Fall gemeint.

Verstehens-Kriterium1

Jedoch ist die Formulierung, es gehe um das Verstehen von Gegenständen, bereits unpräzise, denn was sollte es beispielsweise bedeuten, wenn man behaupten würde, dass man den konkreten Stuhl an seinem Schreibtisch verstehe, aber gleichzeitig behauptete, dass man nichts von den Stühlen in seiner Küche verstehe? Ein solches Szenario wäre zumindest denkbar, wenn man meint, man würde einen Gegenstand verstehen. Jedoch führt Satz (3) nicht in diese Richtung. Stattdessen legt schon die grammatische Form nahe, dass, wer versteht, was ein Stuhl ist, etwas Allgemeines versteht; schließlich handelt es sich um einen generellen Term und beispielsweise nicht um einen singulären Term oder Eigennamen. Man behauptet also nicht nur etwas von diesem Stuhl zu verstehen, sondern von allen Stühlen. Andersherum würden wir uns wundern, wenn jemand meint, zu wissen, was ein Stuhl ist, aber keine entsprechenden Einzelfälle identifizieren kann. Daher möchte ich, ausgehend von diesen zunächst alltäglichen Plausibilisierungen, zur ersten Annäherung folgendes Kriterium vorschlagen, das eine gewisse Spannung zwischen Allgemeinem und Einzelnem vorstellig macht:

[Verstehens-Kriterium1]: Ich verstehe etwas dann, wenn ich mich auf Einzelnes als Fall von Allgemeinem beziehen kann.

Zur Unterscheidung von Wörtern und Begriffen

Nun werden nach Kant Begriffe als „allgemein“ bezeichnet.[iv] Sie sind allgemein, weil sie es erlauben, verschiedene Einzelfälle unter sich zu vereinen. Auf diese Einzelfälle beziehen sich Begriffe durch Merkmale.[v] Dabei unterscheidet sich ein Begriff grundlegend von einem Wort. Während nämlich Wörter aus bestimmten Laut- oder Schriftzeichen bestehen, gilt dies für Begriffe nicht. Vielmehr werden Begriffe lediglich durch Wörter bezeichnet. Da Begriffe aus Merkmalen bestehen, haben sie in Abgrenzung zu Wörtern einen kognitiven Gehalt.

Beispielhaft kann man sich das Verhältnis von Wort und Begriff, wie folgt klarmachen: Während das Wort <Kausalität> aus den Buchstaben <K>, <a> und <u> und so weiter besteht, wird der Begriff ‚Kausalität‘ zwar durch das Wort <Kausalität> bezeichnet, enthält aber bestimmte, selbstverständlich stets umstrittene, Merkmale. So könnte man zum Beispiel sagen, dass eine Konstellation von Ereignissen dann ein Fall von ‚Kausalität‘ ist, wenn in regelmäßiger zeitlicher Folge Ereignisse des Typs B auf Ereignisse des Typs A folgen.[vi] Damit enthielte der Begriff ‚Kausalität‘ das Merkmal der zeitlichen Sukzession von Ereignissen. Die meisten Begriffe enthalten dabei mehr als ein Merkmal und es ist gerade die Angabe von notwendigen und zugleich hinreichenden Merkmalen eines Begriffs, die die Philosophie in vielen ihrer Diskussionen beschäftigt.

Dass man zur Bezeichnung des Begriffs ‚Kausalität‘ nun das Wort <Kausalität> verwendet, hat zunächst keinen tieferen Grund, ist aber pragmatisch angemessen. Wäre über die Terminologie Klarheit geschaffen, so könnte man ebenso statt <Kausalität> das Wort <Stuhl> verwenden, um sich auf den Begriff ‚Kausalität‘ zu beziehen. Man könnte dann also sagen, dass, wenn in regelmäßiger Folge Ereignis B auf Ereignis A folgt, es sich um einen Fall von <Stuhl> (denn <Stuhl> bezeichnet ‚Kausalität‘) handelt. Es fällt jedoch schwer, sich Fälle auszudenken, in denen ein solches Vorgehen sinnvoll sein könnte und schon das Beispiel zeigt, dass ein solcher Austausch nur unnötige Konfusion stiftet.[vii]

Der Begriff als Einheit von Merkmalen

Begriffe vereinen also bestimmte Merkmale. An der Allgemeinheit dieser Merkmale zeigt sich auch die Allgemeinheit von Begriffen. Denn während der Stuhl, auf dem ich sitze, einzeln ist, ist der Begriff ‚Stuhl‘, mit dem ich mich auf ihn beziehe, allgemein. Ebenso wie bei meinem Schreibtischstuhl, handelt es sich nämlich auch bei einigen Gegenständen in meiner Küche um Stühle. Sowohl die Stühle in meiner Küche als auch mein Schreibtischstuhl fallen also unter denselben Begriff. So ließe sich zum Beispiel in Bezug auf den Begriff ‚Stuhl‘ sagen, dass er die Merkmale ‚hat vier Beine‘, ‚hat eine Sitzfläche‘ und ‚hat eine Lehne‘ enthält. Da diese Merkmale für alle Stühle in meiner Wohnung gelten, fallen sie auch alle unter den Begriff ‚Stuhl‘. Das Beispiel führt jedoch auch gleich vor Augen, weshalb um Begriffe häufig gestritten wird: Denn würden wir sagen, dass ein dreibeiniger Stuhl kein Stuhl mehr ist? Wenn nicht, können die genannten Merkmale keine notwendigen sein.

Verstehens-Kriterium2

Unabhängig davon, welche Merkmale nun einem Begriff berechtigterweise zukommen oder nicht, lassen diese knappen Überlegungen erkennen, dass der Begriff ‚Stuhl‘ allgemein ist und es generell zum Wesen von Begriffen gehört, allgemein zu sein, weil sie sich durch ihre Merkmale auf Einzelfälle beziehen. Ausgehend von diesen Spezifizierungen, kann nun das Verstehens-Kriterium präzisiert werden:

[Verstehens-Kriterium2]: Ich verstehe etwas dann, wenn ich mich auf die Einzelfälle eines Begriffs beziehen kann.

Damit, dass ich „etwas“ verstehe, wenn ich mich auf die Einzelfälle eines Begriffs beziehe, ist aber noch keinesfalls ausgemacht, was der Gegenstand der Verstehens ist. Daher tut eine Spezifizierung des Ausdrucks „etwas“ im Zusammenhang des Verstehens-Kriteriums not.

2. Was verstehen wir, wenn wir etwas verstehen?

Mögliche Gegenstände des Verstehens

Zunächst bieten sich gemäß des Verstehens-Kriterium zwei Kandidaten an: Entweder (a) ich verstehe einen Einzelfall oder (b) ich verstehe einen Begriff. Fall (a) entpuppt sich jedoch schnell als problematisch, denn etwas ist präzise dann ein Einzelfall, wenn es der Einzelfall von etwas Allgemeinen ist. Es ist aber zunächst unverständlich, was Einzelfälle sein sollen, die keine Einzelfälle von etwas sind. Einzelfälle, denen alle allgemeinen Züge abgehen, kennen wir gar nicht. So sind beispielsweise alle Stühle in meiner Wohnung hinsichtlich des Aspekts ‚haben vier Beine‘ identisch, wobei es sich dabei gleichzeitig um ein Merkmal des Begriffs ‚Stuhl‘ handelt. Also sind alle Stühle in meiner Wohnung unter anderem deshalb Stühle, weil sie in einer Hinsicht gerade nicht einzeln sind, sondern sogar identisch hinsichtlich des Merkmals der Vierbeinigkeit. Somit scheint es Einzelnes nur geben zu können, wenn es in Bezug auf bestimmte Aspekte mit anderem übereinstimmt und insofern Züge des Allgemeinen aufweist. Mit den vorangegangenen Überlegungen im Hinterkopf, können wir kürzer sagen: Einzelnes hat einen Bezug auf Begriffe.

Verstehens-Kriterium3

Das führt auf die zweite Option: Wenn (b) ich etwas verstehe, dann verstehe ich einen Begriff. Ein Begriff besteht, wie bereits ausgeführt, aus Merkmalen mittels derer er sich auf Einzelfälle bezieht. Es ist nun naheliegend, dass man etwas dann versteht, wenn man sagen kann, woraus es besteht bzw. was es konstituiert. Wenn ich also einen Begriff verstehe, dann kann ich sagen, woraus er besteht. Da ein Begriff aus Merkmalen besteht, verstehe ich ihn, wenn ich seine Merkmale angeben kann. Jedoch ist diese Bedingung keinesfalls hinreichend, um zu sagen, dass man einen Begriff versteht. Denn die Merkmale eines Begriffs dürfen sich nicht widersprechen, sonst könnte ich den Begriff abermals nicht verstehen. Würde ich meinen, einen Begriff zu verstehen, der aus den Merkmalen ‚hat vier Beine‘, ‚hat eine Sitzfläche‘ und ‚hat eine Lehne‘ sowie ‚hat nicht vier Beine‘, ‚hat keine Sitzfläche‘ und ‚hat keine Lehne‘ besteht, so ist völlig unklar, wie ein Einzelfall eines solchen Begriffs aussehen sollte. Folglich widerspräche der Begriff der Anforderung seines Bezugs auf Einzelfälle. Kann ich aber Merkmale eines Begriffs angeben, die sich nicht widersprechen und bin ich in der Lage Einzelfälle des Begriffs anzugeben, dann habe ich einen Begriff verstanden. Dieses Ergebnis möchte ich in folgender Formulierung des Verstehens-Kriteriums festhalten:

[Verstehens-Kriterium3]: Ich verstehe einen Begriff,

  1. wenn ich seine Merkmale angeben kann,
  2. wenn sich seine Merkmale nicht widersprechen und
  3. wenn ich mich auf seine Einzelfälle beziehen kann.

Einzelnes und Allgemeines

Es zeigt sich also: Wenn ich „etwas“ verstehe, dann verstehe ich einen Begriff. Damit sei jedoch nicht behauptet, dass man nur Begriffe verstehen kann. Verstehe ich nämlich einen Begriff, dann verstehe ich gleichzeitig immer auch etwas von einem Einzelfall. Schließlich muss ich wissen, dass es sich bei dem Einzelfall, den ich als Einzelfall des Begriffs angebe, um etwas handelt, dem die entsprechenden Merkmale des Begriffs zukommen. Damit verstehe ich, dass es sich um einen Einzelfall handelt, dem bestimmte Merkmale zukommen. Wenn ich aber verstehe, dass etwas ein Einzelnes ist, dem bestimmte Merkmale zukommen, dann habe ich zumindest auch etwas über diesen Einzelfall verstanden.

Ich hoffe mit den bisherigen Ausführungen einige Indizien dafür geliefert zu haben, dass wir zuvorderst Begriffe verstehen und abgeleitet davon auch etwas über Einzelfälle. Nun gilt es noch, den bisher unspezifizierten Begriff ‚beziehen‘ zu klären sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu explizieren. Dann komme ich zurück auf meine einleitende Unterscheidung von Existenz-Fragen und Verstehens-Fragen.

3. Was heißt es, sich auf etwas zu beziehen?

Subjekt und Bezug

Jeder Bezug ist ein Bezug von etwas auf etwas anderes. Insofern handelt es sich bei ‚…bezieht sich auf …‘ um einen zweistelliges Begriffsschema. Charakteristisch zeigt sich diese Zweistelligkeit im alltäglichen Gebrauch, der auf eine transitive Verwendungsweise festgelegt ist. Man sagt zum Beispiel „Ich beziehe mich auf Ihre Frage“ oder „Er bezieht sich auf Ihren Brief“. Das Verb „beziehen“ fordert also neben einem Satzsubjekt stets auch ein Satzobjekt. Von besonderem philosophischen Interesse ist dabei, dass die beiden Begriffsstellen nicht von derselben Art sind. Wenn ich beispielsweise sage „Ich beziehe mich auf ihre Frage“, so muss an der ersten Stelle stets ein Personalpronomen oder ein Name für eine Person stehen. An der zweiten Stelle hingegen kann sowohl eine Person als auch ein Gegenstand stehen. In diesem Sinne ist es also jedem Bezug auf etwas wesentlich, dass er in Relation zu einem Subjekt steht. Generell ist jedes ‚sich auf etwas beziehen‘ die Tätigkeit oder Handlung eines Subjekts.

So kann man zwar sagen: „Der Brief bezieht sich auf das Treffen“, aber meint damit nicht, dass dies eine Handlung des Briefes ist. Ebenso bezieht sich mein Herz nicht auf meine Lunge. In beiden Fällen müsste man präziser sagen, dass der Brief auf das Treffen bezogen ist und mein Herz auf die Lunge bezogen ist. Beziehungsweise besser: Dass ich diese Gegenstände als aufeinander bezogen verstehe beziehungsweise denke. In diesem Sinne möchte ich sagen, dass es sich bei ‚…bezieht sich auf…‘ nicht nur um eine Relation handelt, sondern um eine subjektabhängige Relation.

Bedingungen der Möglichkeit des Bezugs

Wenn nun gemäß der dritten Bedingung des Verstehens-Kriteriums gilt, dass verstehbaren Begriffen der Bezug auf ihre Einzelfälle wesentlich ist, dann handelt es sich beim Verstehen, abgeleitet vom Begriff des ‚…sich beziehen auf…‘, ebenso notwendig um eine subjektabhängige Relation. Das mag zunächst eine triviale Feststellung sein, denn wer würde schon bestreiten wollen, dass es Subjekte sind, die etwas verstehen. Führt man sich jedoch eine Konsequenz aus diesem Zusammenhang vor Augen, stellt sich die Bedingung als komplexer dar, als zunächst angenommen. Denn wenn es eine notwendige Voraussetzung des Verstehens ist, dass sich ein Subjekt auf die Einzelfälle eines Begriffs beziehen kann, dann muss dieser Bezug auch möglich sein. Nun liegt aber einem Begriff wie ‚Stuhl‘ kein Merkmal inne, das angibt, wie er auf seine Einzelfälle bezogen werden kann. Zwar gelingt es uns, uns mit Hilfe dieses Begriffs auf Einzelfälle zu beziehen, aber es wird keinesfalls von solchen Begriffen aus transparent, wie es möglich ist, dass wir uns auf ihre Einzelfälle beziehen. Bei Begriffen, deren Anwendungsbedingungen opaker sind, wie dem der ‚Freiheit‘, der ‚Seele‘ oder ‚Gott‘, wird diese Intransparenz besonders deutlich, da unklar ist, ob es überhaupt Einzelfälle gibt, von denen wir behaupten, dass es möglich ist, uns auf sie zu beziehen.

Will man nun verstehen, wie es möglich ist, dass sich Begriffe auf ihre Einzelfälle beziehen, so braucht man wiederum Begriffe, die den Bezug von Begriffen auf ihre Einzelfälle verstehbar machen. Es muss sich hierbei um Begriffe handeln, da es darum geht, zu verstehen, wie ein Bezug auf die Einzelfälle von Begriffen möglich ist. Schließlich hat die Diskussion des Verstehens-Kriteriums ergeben, dass wir Begriffe verstehen, wenn wir etwas verstehen. Begriffe, die erlauben zu verstehen, wie sich Begriffe auf ihre Einzelfälle beziehen, seien als Meta-Begriffe bezeichnet. Technischer seien Meta-Begriffe wie folgt bestimmt:

[Meta-Begriffe]: Begriffe, deren Merkmale angeben, wie der Bezug von Begriffen auf ihre Einzelfälle möglich ist.

4. Was sind Meta-Begriffe?

Der Gegenstandsbezug von Begriffen

Für einen Meta-Begriff[viii] gilt nun insbesondere eine für unsere Überlegungen entscheidende Bedingung: Es handelt sich nicht um einen Begriff, der zuvorderst etwas über einzelne empirische Gegenstände verrät, sondern vielmehr darüber, wie Begriffe auf Einzelfälle bezogen werden können. Beziehe ich mich beispielsweise auf einen Stuhl, indem ich über ihn das Urteil „Der Stuhl ist braun“ fälle, so habe ich vordergründig von dem Stuhl nur den Begriff ‚Stuhl‘. Das Urteil macht jedoch eine Voraussetzung, die in der Anwendung des Begriffs aktualisiert, jedoch nicht explizit gemacht wird. Denn neben dem Begriff ‚Stuhl‘, braucht man ebenso einen Begriff davon, dass es sich bei einem Stuhl um einen Gegenstand handelt, auf den man sich mit kategorischen Urteilen, also Urteilen der Form „S ist P“, beziehen kann.[ix] Klassischerweise würde man sagen, dass es sich hierbei um ein Verhältnis von Substanz und Akzidenz handelt, das im Urteil durch die Form von Subjekt und Prädikat widergespiegelt wird. Schließlich beharrt der Stuhl als Gegenstand, während sich seine Eigenschaften ändern können. Wenn man also ein Urteil über einen Stuhl fällt, dann verfügt man über den Begriff ‚Stuhl‘ sowie über den Begriff, durch den ich verstehe, dass es sich bei einem Stuhl um einen Gegenstand handelt, auf den man das Urteilsschema von Subjekt und Prädikat anwenden kann.

Damit ist nicht gesagt, dass jeder Urteilende, der sich auf Stühle bezieht, den Begriff versteht, durch den er sich auf solche Gegenstände wie Stühle beziehen kann. Denn hierfür müsste man die Merkmale dieses Begriffs angeben können.

Ein Beispiel: ‚Substantialität‘

Für das gegebene Beispiel des Stuhl und seiner Farbe, würde beispielsweise gelten, dass man spätestens seit der Neuzeit das Begriffsschema von Substanz und Akzidenz als <Substantialität> bezeichnet, sodass man abgeleitet vom Begriff ‚Substantialität‘ davon sprechen kann, dass es sich bei einem Stuhl um eine Substanz handelt; also um einen Gegenstand, der die Merkmale von Beharrlichkeit (Subjekt) und Wandelbarkeit (Prädikate) aufweist.[x] Würde man dies also für die Merkmale des Begriffs ‚Substantialität‘ halten, dann hätte man einen ersten Schritt hin zum Verstehen des Meta-Begriffs gemacht, denn die Merkmale müssen sich nun noch sowohl als widerspruchsfrei als auch als kompatibel mit den Einzelfällen erweisen. An dieser Stelle setzt sich also das philosophische Geschäft der Begriffsarbeit fort, das mit der Angabe bestimmter Merkmale allererst begonnen hat.

Noch ein Beispiel: ‚Kausalität‘

Einen ähnlichen Fall stellt der Meta-Begriff ‚Kausalität‘ dar, den ich zu Beginn meiner Ausführungen bereits erwähnte. Wenn ich feststelle, dass ein blaues Auto mit einem roten Auto verunfallte und das rote Auto beim blauen Auto einen Blechschaden verursachte, dann setze ich nicht nur voraus, dass ich einen Begriff von einem blauen Auto, einem roten Auto, von Blech und von Schäden habe, sondern ebenso, dass ich das Verhältnis der beiden Autos als ein solches beschreiben kann, in dem diese kausal aufeinander einwirken. Klassischerweise bezeichnet man daher das Verursachen eines Schadens bei einem Autounfall auch als einen Fall von Kausalität, der durch einen hypothetischen Satz wiedergegeben wird. Schließlich möchte man sagen, dass beispielsweise das Verunfallen des roten Autos mit dem blauen Auto ursächlich für den Schaden des blauen Autos ist. Um zu sagen, dass sich zwei Gegenstände in einem Kausalverhältnis befinden, muss man nun den Begriff der ‚Kausalität‘ so spezifizieren, dass man am Ende hinreichende Merkmale hat, um Fälle von Kausalität identifizieren und adäquat in Urteilen abbilden zu können. Oben wurde hier das Merkmal der zeitlichen Sukzession genannt. Es geht mir hier aber nicht darum, Anstrengungen für einen angemessenen Kausalitätsbegriff anzustellen, sondern vielmehr um einen generellen Punkt über die Möglichkeit ontologischer Fragen.

Meta-Begriffe als grundlegende Begriffe rationalen Gegenstandsbezugs

Für die Möglichkeit ontologischer Fragen zeigte sich durch die Analyse von Meta-Begriffen ein wichtiger Umstand: Meta-Begriffe sind Begriffe, die das Verhältnis von Begriffen wie ‚Auto‘ oder ‚Stuhl‘ in Bezug auf Gegenstände klären, indem sie Merkmale enthalten, die die Anwendung von Begriffen regeln. Damit sind sie Begriffe, die das Verhältnis von Begriffen untereinander, so zum Beispiel in einem Urteil, klären sowie die Berechtigung des Urteils in Bezug auf eine durch die Sinne präsentierte Szenario (Kant würde sagen: Eine Anschauung). Da sowohl das Verhältnis von Begriffen untereinander als auch von Begriffen in Bezug auf sinnliche Szenarien, grundlegend für alle Begriffsverwendungen ist, sind Meta-Begriffe grundlegender als Begriffe wie ‚Auto‘ und ‚Stuhl‘. Sie sind insbesondere deswegen grundlegender, weil die Anwendung von Begriffen nur dann möglich ist, wenn es entsprechende Meta-Begriffe gibt, die ihre Anwendung regeln – sowohl untereinander als auch in Bezug auf sinnliche Szenarien. In diesem Verständnis haben Meta-Begriffe zwar einen Bezug auf Einzelfälle, aber nur hinsichtlich allgemeinster Züge wie der Beharrlichkeit bestimmter Objekte oder deren sukzessiven Verhältnissen. Damit liefern Meta-Begriffe eine Antwort auf die Frage, wie es möglich ist, dass sich bestimmte Begriffe auf ihre Einzelfälle beziehen.

5. Verstehen, was es heißt, kritisch zu fragen, was es gibt

Klarheit über die Merkmale eines Begriffs gewinnen

Anhand des Verstehens-Kriteriums zeigte sich, dass es möglich sein muss, sich mit einem Begriff auf seine Einzelfälle zu beziehen, da nur dann gesagt werden kann, dass man den betreffenden Begriff versteht. Die Analyse der Zweistelligkeit des Begriffs ‚Bezug‘ führte auf die Frage, wie es möglich ist, dass sich ein Begriff auf seinen Einzelfall bezieht. Eine Antwort wurde denkbar, indem sich Meta-Begriffe als aussichtsreiche Kandidaten entpuppten, um das Verhältnis von Begriff und Einzelfall sowie von Begriffen untereinander zu bestimmen.

Wenn nun die Frage „Gibt es freie Akteure?“ eine Existenz-Frage ist, indem sie die Frage stellt, ob der Begriff ‚freie Akteure‘ Einzelfälle hat, dann macht diese Frage die Voraussetzung, dass es möglich ist, sich mit den verwendeten Begriffen auf Einzelfälle zu beziehen. So wäre es denkbar, dass es freie Akteure gibt, es aber nicht möglich ist, einen Bezug des Begriffs ‚freie Akteure‘ auf die betreffenden Einzelfälle herzustellen. Zum Beispiel weil man sich nicht im Klaren darüber ist, welche Merkmale notwendigerweise im Begriff des freien Akteurs enthalten sein müssen und in welchem Verhältnis diese zu entsprechenden Gegenständen in der Erfahrung stehen. In diesem Sinne scheinen Existenz-Fragen eine eigentümlich unkritische Implikation zu haben: Sie setzten bereits die Erfüllbarkeit der in der Frage verwendeten Begriffe voraus, ohne sich eigens Rechenschaft darüber abzulegen, ob und wie die mit diesen Begriffen verbundenen Geltungsansprüche eingelöst werden können. Denn auch wenn Begriffe in einer Frage verwendet werden, setzen sie voraus, dass es Fälle gibt, auf die sich beziehen können.

Klarheit über die Möglichkeit des Bezugs auf Gegenstände gewinnen

Nach meinem Dafürhalten lässt sich hierdurch der Vorzug von Verstehens-Fragen gegenüber Existenz-Fragen erkennen. Wenn wir nämlich fragen, wie wir verstehen können, dass es freie Akteure gibt, dann fragen wir zuvorderst nach (1) den Merkmalen eines Begriffs, (2) deren Widerspruchsfreiheit sowie (3) den entsprechenden Einzelfällen des Begriffs. Wenn wir aber nach den Einzelfällen eines Begriffs fragen, dann müssen wir, wenn wir auch verstehen wollen, wie es möglich ist, den Begriff auf seine Einzelfälle anzuwenden, nach Meta-Begriffen fragen. Somit fragen wir mit einer Verstehens-Frageauch nach Meta-Begriffen, die aller Anwendung von Begriffen logisch vorausgehen.

Und eben in diesem Sinne halte ich Verstehens-Fragen für kritischer als Existenz-Fragen. Setzt nämlich jede Frage voraus, dass es möglich ist, sie zu beantworten, weil eine Frage, die aus prinzipiellen Gründen unbeantwortbar ist, keine Frage ist, dann machen Existenz-Fragen eine unreflektierte oder dogmatische Voraussetzung, die erst Verstehens-Fragen ins Bewusstsein rücken: Existenz-Fragen setzen voraus, dass es möglich ist, sich auf ihre Einzelfälle zu beziehen, ohne sich über die Bedingungen dieser Möglichkeit Klarheit zu verschaffen. Klarheit über diese Möglichkeit gewinnt man aber nur durch die Analyse von Meta-Begriffen, anhand derer sich zeigt, welche Konstellationen von Gegenständen überhaupt möglich sind. Diejenigen Aspekte von Gegenstandskonstellationen, die dabei untersucht werden, betreffen dabei insbesondere die Merkmale und deren Widerspruchsfreiheit im Meta-Begriff.

Gegenstände und ihre vortheoretische Vertrautheit

Vorgängig zu jeder Existenz-Frage, stellt sich somit die Frage nach der Möglichkeit des Bezugs auf das Erfragte. Die erfragten Gegenstände können dann aber nicht aus dem ontologischen Fragen danach, was es überhaupt gibt, kommen. Denn dies würde abermals bedeuten, die Frage nach der Möglichkeit des Bezugs auf sie zu überspringen. Vielmehr muss alle ontologische Spekulation bei denjenigen Gegenständen ansetzen, die uns vortheoretisch und völlig unbefangen bekannt sind. Hierzu zählen insbesondere alle Gegenstände unserer praktischen Vollzüge, da wir uns auf diese nicht erst im ontologischen Fragen aktiv beziehen, sondern bereits auf sie bezogen sind, wenn wir anfangen ontologische Fragen zu stellen. So weiß ich zunächst nicht diskursiv, dass sich die Farbe vom Buch löst, wenn ich Wasser auf es schütte und es sich hierbei um einen Fall von Kausalität handelt. Vielmehr bin ich nur praktisch mit dem Umstand vertraut, dass sich Farbe von Büchern löst, wenn man Wasser auf sie schüttet. In diesem Sinne erhalte ich einen Meta-Begriff der Konstellation von Gegenständen, auf die ich bereits praktisch völlig unproblematisch bezogen bin, indem ich mir klar mache, was ich in dieser Praxis voraussetzte. Ausgehend davon, dass sich potentiell alle meine praktischen Vollzüge unter Beschreibungen bringen lassen, die bestimmte Verhältnisse zwischen Gegenständen voraussetzen, kann ich dann fragen, wie ich die Geltung empirischer Urteile über solche Gegenstandskonstellationen rechtfertigen kann. Hierfür ist es dann aber notwendig, anzugeben, wie ich mich auf die entsprechenden Gegenstände beziehen kann.

Existenz oder Verstehbarkeit?

Wenn aber geklärt ist, wie ich einen Gegenstand oder Sachverhalt verstehen kann, dann wird die Frage danach, ob es einen solchen Gegenstand oder Sachverhalt gibt, eigentümlich schal. Denn was sollte ein Gegenstand sein, mit dem ich vortheoretisch völlig unbefangen vertraut bin und der sich dann auch noch als verstehbar erweist, aber nicht existiert? Vielmehr scheint mir hier eine bestimmte Grenze philosophischer Reflexion erreicht zu sein: Eine Praxis, die sich als verstehbar erweist und an der ich völlig unbefangen teilhaben kann, ist nichts, wovon noch sinnvoll gefragt werden kann, ob es sie auch wirklich gibt. Ebenso steht es dann um die Gegenstände, die konstitutiv für diese Praxis sind.

Kritisch fragen, was es gibt

Kann man also begreifen, wie es zu verstehen ist, dass es Vollzüge gibt, in denen man sich als freier Akteur begreift, dann ist die Existenz freier Akteuregar keine unkritische Voraussetzung mehr, sondern nur noch das Faktum, von dem ausgehend man sich dieses Faktum selbst verständlich gemacht hat. Also setzt eine Verstehens-Frage nicht die Existenz bestimmter Gegenstände (diskursiv) voraus, sondern nimmt Ausgang von denjenigen Gegenständen, auf die wir ohnehin bezogen sind, indem sie an derselben Stelle ansetzt, auf die sie am Ende zielt: Bei den Gegenständen, auf die wir bereits vortheoretisch bezogen sind. Die Existenz dieser Gegenstände steht und fällt mit der Möglichkeit des urteilenden Bezugs auf sie, also der Möglichkeit sie sich verständlich zu machen.[xi] Denn ein unverständlicher Gegenstand befindet sich sogleich in einem ontologischen Prekariat: Wenn man seinen Begriff nicht verstehen kann, hat man es dann überhaupt mit dem Gegenstand zu tun, von dem man meint, auf ihn bezogen zu sein?

Wer also kritisch danach fragt, was es gibt, der stellt keine Frage danach, was es letztlich oder ultimativ wirklich gibt. Denn das hängt von der Möglichkeit unseres begrifflichen Bezugs auf es ab.Eine kritische Frage nimmt vielmehr Ausgang bei unserer Praxis und fragt, wie wir diese verstehen können. Und das bedeutet zunächst, die Begriffe zu verstehen, mit denen Urteile in Bezug auf bestimmte Gegenstände möglich sind. Die Existenz dieser Gegenstände wird nicht vorausgesetzt, sondern wir sind bereits in unseren Praxen auf sie bezogen. Daher gilt für die Ontologie, wie es Kant am Ende der Kritik der reinen Vernunft herausstellt, dass sie, „nur den Verstand, und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und Grundsätze [betrachtet], die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die gegeben wären“ (KrV, A 845/B 873).

© Benedikt Wissing


Die Kritik der reinen Vernunft (KrV) wird nach der Originalpaginierung der ersten (A) und zweiten (B) Ausgabe zitiert.

[i] Und unter „kritisch“ sei hier zu verstehen: Ein Fragen, das sich seine Leistungsfähigkeit und seine Grenzen klar gemacht hat.
[ii] Dasselbe gilt für ganz alltägliche Situationen: Die Frage „Was hast Du eingekauft?“ macht die Voraussetzung, dass eingekauft wurde, wohingegen die Frage „Hast Du eingekauft?“ diese Voraussetzung nicht macht.
[iii] Somit wird nicht beansprucht, einzelne Textbestände Kants adäquat auszulegen, sondern lediglich, dass kantische Einsichten allgemeinverständlich zur Darstellung gebracht werden.
[iv] Denn, wie Kant schreibt, eine begriffliche Vorstellung ist allgemein, weil sie „mehreren Dingen gemein sein kann“ (KrV, A 320/B 377).
[v] Die Auffassung, dass sich Begriffe mit Merkmalen auf ihre Einzelfälle bzw. auf Anschauungen beziehen, lässt sich bei Kant gut nachweisen. So zum Beispiel: „Jene [die Anschauung] bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln; dieser [der Begriff] mittelbar, vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann“ (KrV, A 320/ B 377; meine Einfügungen in eckigen Klammern).
[vi] Überlegungen Kants im Schematismuskapitel scheinen einen solchen Zusammenhang nahezulegen, denn hier fasst Kant die Sukzession als zeitliche Bestimmung des reinen Verstandesbegriffs ‚Kausalität‘ (vgl. KrV, A 144f/B 183f).
[vii] Die Unterscheidung von Wörtern beziehungsweise empirischen Begriffen und Begriffen lässt sich bei Kant zum Beispiel im Anhang zur transzendentalen Dialektik andeutungsweise erkennen, wo er in Bezug auf den analytischen Gehalt von Wasser anmerkt: „Und wozu sollte es auch dienen, einen solchen Begriff [einen empirischen Begriff] zu definieren, da, wenn z. B. von dem Wasser und dessen Eigenschaften die Rede ist, man sich bei dem nicht aufhalten wird, was man bei dem Worte Wasser denkt, sondern zu Versuchen schreitet, und das Wort, mit den wenigen Merkmalen, die ihm anhängen, nur eine Bezeichnung und nicht ein Begriff der Sache ausmachen soll, mithin die angebliche Definition nichts anders als Wortbestimmung ist“ (KrV, A 728/B 756).
[viii] Was ich hier als „Meta-Begriff“ bezeichne, kennt die Kant-Kennerin natürlich unter dem Namen „reiner Verstandesbegriff“ oder „Kategorie“; ich möchte hier aber schon durch die Benennung eine Kontinuität zu den gewöhnlichen Begriffen unseres Alltags herausstellen.[ix]Anselmo Aportone hat in seiner innovativen Studie Gestalten der transzendentalen Einheit. Bedingungen der Synthesis bei Kant (Berlin/New York 2009; vgl. insb. S. 228-235) diesen Zusammenhang deutlich herausgearbeitet. Der Bezug von Urteilen auf Gegenstände steht dabei natürlich im Zentrum aller Diskussionen um die Transzendentale Analytik.
[x] Kant schreibt: „Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere wechselt“ (KrV, A 144/ B 183).
[xi] Das hat im Übrigen nicht nur einen konservativen Zug, sondern potentiell ebenso einen transformativen: Zwar erkenne ich den Gegenstand aus meiner Praxis im Lichte des (verstandenen) Begriffs von ihm wieder, aber er kann im Vollzug dieses Verstehens eine Wandlung vollzogen haben. So kann es sich z.B. zeigen, dass ich mich nur als freier Akteur begreifen kann, wenn ich gleichzeitig auch Teil einer kausal geschlossenen Welt bin.

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