InDepth – shortread: Feministische Neomaterialismen.

Die relationale Immanenz posthumanen Handelns

Anastassija Kostan

Die neuen feministischen Materialismen erlangen immer größere Bekanntheit seit der Jahrtausendwende.[1] Auch wenn man nicht von einheitlichen Denkschulen sprechen kann, ist den Beiträgen ein Fokus auf verschiedene Dinge, Objekte und Materialität gemeinsam. Deren ontologischer, politischer und gesellschaftlicher Status wird neu ausgelotet – jedoch im Unterschied zum empiristischen Materialismus unter der Prämisse eines ent-naturalisierten, hybridisierten und dynamischen Verständnisses von Materialität und Natur. Wichtig dabei ist eine Verschiebung von Handlungsfähigkeit weg vom Menschen, weg überhaupt von Einzeldingen und hin zu Gefügen und Verbindungen. Es sind nun plurale Netzwerke und heterogene Zusammenkünfte, die in ihren Beziehungen handeln, tätig und produktiv sind (Alaimo & Hekman 2008; Coole & Frost 2010; van der Tuin & Dolphijn 2012; Hoppe & Lemke 2021).

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InDepth – longread: Der befreite Prometheus von Chile. Akzelerationismus und Cybersyn

Michael Meyer

„Unsere Zuschauer müssen nicht nur hören, wie man den gefesselten Prometheus befreit, sondern sich auch in der Lust schulen ihn zu befreien.“

Bertold Brecht (1967: 774)

Stuck in a Hyperloop

Das auf Betreiben von Tesla– und SpaceX-Gründer Elon Musk entwickelte Transportsystem Hyperloop erhebt den Anspruch, vollständig klimaneutral sein zu wollen und „Ultra-Hochgeschwindigkeitsverkehr“ von Stadtzentrum zu Stadtzentrum zu ermöglichen (vgl. TUM Hyperloop o. D.). Die Passagiere sollen dabei in einer von Elektromagneten beschleunigten Kapsel transportiert werden, welche sich in einer Vakuumröhre bewegt, um Luftwiderstand zu vermeiden. Die Zielgeschwindigkeit der Hyperloop-Kapseln soll bei 1.000 Kilometern pro Stunde liegen, in der Realität erreichen unbemannte Kapseln auf den Teststrecken derzeit lediglich Geschwindigkeiten von bis zu 467 km/h, was unwesentlich mehr ist, als ähnlich schnelle Magnetschwebebahntechnologien, welche sich beispielsweise in Japan bereits in der Konstruktion befinden und Geschwindigkeiten von um die 420 km/h erreichen sollen. Im Gegensatz zu diesen bieten Hyperloop-Kapseln aber nur Raum für eine vergleichsweise kleine Anzahl von 28 Passagieren. Dadurch kommen sie auf eine Kapazität von gerade einmal 336 Passagieren pro Stunde pro Richtung, verglichen mit den 5.400-10.000, die eine reguläre Bahn transportieren kann (vgl. Von Eichhorn 2021). Weder ausgereift, noch unmittelbar besser als andere, bereits existierende Systeme, bleibt von dieser scheinbaren Verkehrsrevolution in erster Linie eins: sehr viel heiße Luft.

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InDepth – shortread: Das Böse – und die Polizei.

Kritische Anfragen aus philosophischer Perspektive

Prof. Dr. Jürgen Manemann

I. Angesichts des radikal Bösen[1]

Häufig verdrängen wir die Frage nach dem Bösen, spüren wir doch intuitiv die Irritationen, Infragestellungen, Unaussprechlichkeiten, die mit ihr einhergehen. Dennoch diabolisieren wir immer wieder unreflektiert, wenn wir mit dem radikal Bösen konfrontiert werden: Wir bezeichnen Täter*innen, die Massenmorde begehen, als „Monster“, „Unmenschen“, „Sadisten“, „Teufel“. Das „radikal Böse“ erschüttert uns, weil es einen theoretischen und praktischen „Angriff auf das gemeinsame Menschsein“[2] darstellt. Das radikal Böse steht also nicht nur für ein Handeln gegen Moral, sondern für einen Angriff auf Moral. Der Nazismus repräsentiert geradezu exemplarisch das radikal Böse.[3]

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InDepth – longread: Subjektivierung, Artikulation und Repräsentation. Identitätspolitik konstruktivistisch gedacht

Identitätspolitik wird heute in der politischen Öffentlichkeit und der politischen Theorie auf ähnliche Weise kritisiert.[1] Ein zentraler Topos dieser Kritik ist, dass Identitätspolitik essentialisierend sei: Sie schreibe Subjekte auf deren soziale Position fest und ergehe sich in einer Politik der Partikularität, die zu Spaltungen der nationalen Bürgerschaft und des demokratischen Diskurses sowie zu Spaltungen innerhalb gesellschaftskritischer Bewegungen führe. Entgegen dieser einseitigen Kritik schlagen wir mit dem Konzept der „konstruktivistischen Identitätspolitik“ eine andere Deutung vor: Wir zeigen, dass politische Identitäten nicht essentialistisch aufgefasst werden müssen, sondern aus sozialen und politischen Konstruktionsprozessen hervorgehen; dass sie aktiv durch politische (Sub-)Kulturen und Bewegungen hergestellt, erlernt und praktiziert werden.

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