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InDebate: Hat Meinungsfreiheit Grenzen?

Veröffentlicht am 2. November 2015

Breul, Foto neu

Martin Breul

Ein altes Phänomen ist in den letzten Jahren durch die sozialen Netzwerke und die digitalen Medien in einer potenzierten Neuauflage zu beobachten: Fremdenfeindliche Personen, die ja inzwischen nicht mehr eindeutig äußerlich durch Springerstiefel und Glatze zu erkennen sind, beleidigen, diffamieren und hetzen online oder auf einschlägigen Demos gegen Flüchtlinge, Muslime, Juden, Schwule, und alle anderen, die als Sündenböcke herhalten müssen. Dieses Phänomen ist nicht nur eine neue Qualität des Fremdenhasses als Massenerscheinung, sondern zugleich auch eine Art Testfall für liberale Demokratien: Die Facebook-Hetzer und Twitter-Rechten fühlen sich ja gerade deshalb gerechtfertigt, ihre Hassbotschaften ungefiltert in die (digitale) Welt hinauszuposaunen, weil sie sich auf das Menschenrecht der Meinungsfreiheit berufen. Dabei stellt sich automatisch die Frage: Hat Meinungsfreiheit eigentlich Grenzen? Ist jede noch so menschenverachtende Ideologie im Sinne der Meinungsfreiheit von allen anderen zu ertragen, oder können Leitplanken ersonnen werden, bei deren Überschreiten Meinungen nicht länger als legitimer Ausdruck bürgerlicher Freiheiten toleriert werden müssen?

Ich möchte mit den folgenden Gedanken ein Argument zur Diskussion stellen, aus dem folgt, dass Meinungsfreiheit Grenzen hat. Das Argument für diese These beruht auf der Annahme, dass man sich in einen Widerspruch verwickelt, wenn man sich einerseits auf das Recht auf Meinungsfreiheit beruft und dabei gleichzeitig die diesem Recht zugrundeliegende Voraussetzung der Freiheit und Gleichheit aller Personen in seinen Äußerungen negiert. Der Inhalt einer Meinung ist nicht losgelöst von der Handlung, sich auf Meinungsfreiheit zu berufen – sobald sich der Inhalt einer Äußerung und das im Vollzug dieser Äußerung implizit in Anspruch Genommene widersprechen, verstrickt sich der Sprecher in Inkonsistenzen. Ein philosophischer Fachausdruck für diese Idee, der ursprünglich von Karl-Otto Apel für eine analoge Gedankenfigur im Rahmen seiner Transzendentalpragmatik verwendet wurde, ist die „performativ-propositionale Doppelstruktur menschlicher Rede“: Die Gehalte unserer sprachlichen Äußerungen können nicht losgelöst von ihren Handlungskontexten betrachtet werden, sondern bedürfen einer Abstimmung aufeinander – wer durch sein Handeln eine bestimmte Norm in Anspruch nimmt und diese Norm zugleich durch sein Sprechen negiert, ist bereits im vielbeschworenen ‚performativen Widerspruch‘ gefangen. Meinungsfreiheit hat, wenn man dieses Argument nun überträgt, Grenzen: Diese beginnen, sobald eine Person die Freiheit und Gleichheit anderer angreift oder verneint, die sie zugleich aber immer schon durch die Berufung auf die allgemeine Freiheit zur eigenen Meinung voraussetzt.

Aus diesem Argument folgt keinesfalls, dass die Vielfalt der Äußerungen in politischen Fragen beschnitten werden kann oder gar sollte – im Gegenteil lebt die Demokratie von der Pluralität und Heterogenität ihrer Bürgerinnen und Bürger. Es folgt jedoch, dass Meinungsäußerungen, die klare Verletzungen von Grundrechten anderer Personen oder Anstiftungen zu Verbrechen darstellen, ihr Anrecht auf Schutz unter dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verlieren können. Darum gilt es, hate speech nicht unter einem falsch verstandenen, weil völlig beliebigen Konzept von Meinungsfreiheit zu dulden, sondern sich diskursiv mit Rassismus und Fremdenhass auseinanderzusetzen. Mit dem Frankfurter Philosophen Rainer Forst gesprochen „Einen Rassisten aufzufordern, tolerant zu sein, ist ein Fehler, geboten sind vielmehr die Zurückweisung seines Vorurteils und der Versuch, ihn von dessen Unbegründetheit zu überzeugen.“ (Forst, Toleranz im Konflikt, 33). Meinungen stehen also nicht per se unter ‚Artenschutz‘, nur weil sie Meinungen sind – sie bedürfen der Begründung in der politischen Auseinandersetzung, die in einer liberalen Demokratie nicht bloß die Aggregation der Präferenzen und subjektiven Einstellungen aller Bürgerinnen und Bürger darstellt, sondern vielmehr die Suche nach allgemein einleuchtenden Rechtfertigungen. Da Meinungsfreiheit eine wichtige kritische Instanz gegenüber der Staatsgewalt ist, folgt aus diesen Überlegungen übrigens ebenfalls nicht, jenseits der bereits bestehenden rechtlichen Einschränkungen weitere rechtliche Begrenzungen der Meinungsfreiheit zu fordern – vielmehr handelt es sich um einen ethischen Appell, die dem Konzept der Meinungsfreiheit inhärenten Grenzen anzuerkennen.

Um meinen kurzen Gedankengang zusammenzufassen: Die Verbreitung von Hassbotschaften, die mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit legitimiert wird, ist ein Widerspruch in sich selbst. Meinungsfreiheit hat Grenzen, da sie nur dann ein sinnvolles Konzept ist, wenn sie die Anerkennung bestimmter universaler Rechte, wie der Freiheit und Gleichheit aller Personen, einschließt. Andernfalls wird dieser Ausdruck zu einer leeren Hülle, mit der jede mögliche menschenverachtende Haltung verschleiert werden kann. Ein sinnvolles Konzept von Meinungsfreiheit trägt seine eigenen Grenzen demnach in sich selbst – sonst handelt es sich um ein nichtssagendes rhetorisches Mittel, welches keine internen Widerstände gegen seine politische Instrumentalisierung in sich trägt.

(c) Martin Breul

Dr. Martin Breul ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kath. Theologie, Lehrstuhl für Systematische Theologie, an der Universität zu Köln.

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2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Breul,

    ich finde den Impuls ihres Gedankengangs durchaus faszinierend, allerdings habe ich auch nach mehreren Malen Lesen ihres Beitrags ihn nicht so recht verstanden.

    Stimmen sie Folgendem zu?

    1) Wenn eine Isländerin die Aussage tätigt „Alle Grönländer sind doof“ – negiert die allgemeine Recht auf auf Meinungsfreiheit der Grönländer, weil sie die Grönländer per se vom Diskurs ausschließt.

    Für die weiteren Blogbeiträge: 95 % Alltagssprache, 5 % Fremdwörter!

    Liebe Grüße
    Valerie Lux

    • Liebe Frau Lux,

      herzlichen Dank für Ihr Feedback, auch was den Stil angeht. Zu Ihrer inhaltlichen Anfrage versuche ich den Kern des Textes nochmal in wenigen Sätzen zusammenzufassen: Mir geht es darum, Personen, die ihre Hassbotschaften rechtfertigen, indem sie auf die Meinungsfreiheit verweisen, moralisch zu kritisieren sind. Sicherlich kennen Sie auch einige dieser „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“-Leute. Ich würde diese Personen nicht nur deshalb kritisieren, weil sie Rassisten sind, sondern auch, weil sie nicht verstanden haben, das Meinungsfreiheit nicht nur ein einklagbares Recht ist, sondern auf bestimmten Voraussetzungen beruht. Wer diese Voraussetzungen implizit bestreitet, höhlt jeden sinnvollen Begriff von „Meinungsfreiheit“ aus. Dann ist dieser Begriff nur eine rhetorische Stilfigur und simuliert Rechtfertigung, liefert aber keine solche.
      Ich hoffe, meinen Punkt damit für Sie etwas klarer gemacht zu haben. Mit besten Grüßen,
      Martin Breul

Beitragsthemen: Demokratie | Rassismus

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