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Pro und Contra: Müssen Ethiker moralisch sein?

Veröffentlicht am 12. August 2013

pro: Markus Wild

Ungesunde Ärzte und schlappe Fitnesstrainerinnen sollten es besser wissen. Doch der Gedanke ist hier nicht zwingend, dass professionelle Einsichten Einfluss auf die Lebensführung haben sollten.

Das trifft meines Erachtens auf Ethiker nicht zu. Sie sind Philosophen, und für diese gilt ein härterer Maßstab, und zwar deshalb, weil zur Idee der Philosophie eine Lebensführung gehört, die sich durch philosophische Einsichten bestimmen lässt. Hat die Philosophie eine Natur, wie Wasser oder Gold? Kaum. Ist sie eine besondere Praxis? Ihr Tun unterscheidet sich nicht von anderen Geisteswissenschaften. Hat sie einen besonderen Gegenstand? Sie hat Gegenstände wie andere Disziplinen auch, nur ist die Betrachtung abstrakter. Philosophie hat eher eine Geschichte als eine Natur. Um zu sehen, was Philosophie ist, kann man fragen, was sie war. Pierre Hadot hat gezeigt, dass die antike Philosophie eine besondere Lebensform ist, die den Bruch mit der vertrauten Lebensform fordert. Sokrates verkörpert wie kein Anderer diese Auffassung: „Wohin uns, gleichsam wie ein Wind, das Gespräch trägt, dahin müssen wir gehen.“ (Staat, 394d). Sokrates rät, tatsächlich dorthin zu gehen, wohin Argument, Gespräch, Vernunft führen, und das Leben durch solche Einsichten bestimmen zu lassen.

Wer Philosophie als Beruf wählt, wählt nicht nur die Akademie, sondern auch die Philosophie, zu deren Idee gehört, sein Leben durch philosophische Einsichten bestimmen zu lassen. Diese Idee ist nicht nur antik. Die Philosophie der Neuzeit ist untrennbar mit der Idee kritisch-wissenschaftlicher Tätigkeit verbunden. Ein philosophisches Leben besteht auch hier darin, dass es von philosophischer Reflexion bestimmt wird. Wenn an Ethiker härtere ethische Maßstäbe angelegt werden dürfen, dann nicht deshalb, weil sie als  akademische Profis agieren, sondern weil sie Philosophen sind. Entsprechend sollte sich die Ethikerin durch die in der philosophischen Arbeit gewonnenen Einsichten bestimmen lassen und in diesem Sinne moralisch sein. Das hat nichts mit Moralismus zu tun. Moralität fordert nicht nur das Fällen moralischer Urteile, sondern die Entwicklung moralischer Sensibilität, die Ausbildung emotionaler Fähigkeiten, die Einübung von Tugenden wie Mut, Redlichkeit, Wahrhaftigkeit, Beharrlichkeit, Sorgfalt, Besonnenheit. Das gehört zu einer philosophischen Lebensführung – auch für theoretische Philosophen.

Stellen wir uns vor: Die Ethiker hätten sich auf die Prinzipien des richtigen Tuns und Lassens geeinigt und ein zufriedenstellendes Verständnis der moralischen Prinzipien entwickelt, mit Hilfe derer wir moralische Fragen und Kontroversen entscheiden können. Der Sinn dieser Einigung kann doch nur darin bestehen, sein Tun und Lassen nach diesen Prinzipien zu führen. Oder soll der Ethiker zu sich sagen: „Mein Beitrag ist geleistet, und ich will was ganz Anderes machen.“? Damit würde der Ethiker sagen, dass seine Tätigkeit ihr Ziel verfehlt hat. Er hat gar keine Prinzipien für das richtige Tun und Lassen aufgestellt, wenn er seines nicht durch diese Prinzipien bestimmen lässt. Moralische Prinzipien müssen verallgemeinerbar sein, sie müssen deshalb auch auf diejenigen zutreffen, die diese Prinzipien aufstellen, und zwar im erhöhten Maße, da sie als Philosophen der Idee einer durch rationale Einsichten geführten Lebensführung verpflichtet sind.

Markus Wild ist SNF-Professor für Philosophie an der Universität Fribourg in der Schweiz.

contra: Konrad Paul Liessmann

Konrad Paul Liessmann

Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist es nicht. Intuitiv haben wir Vorbehalte gegen Menschen, die, wie das Sprichwort sagt, Wasser predigen und Wein trinken. Wer als Ethiker moralische Empfehlungen abgibt, müsste sich, so könnte man denken, auch selbst daran halten. Aber warum sollte das so sein?

Gegen die auf Anhieb so einleuchtende These, dass professionelle Ethiker auch selbst moralisch sein sollten, gibt es einige gewichtige Einwände. Seit sich die Ethik als eine philosophische Disziplin mit hohem Spezialisierungsgrad etabliert hat, kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Ethiker schon aus prinzipiellen Gründen erst gar nicht dazu kommen, ihre Überlegungen zur Grundlage ihres Handelns zu machen. Für analytische, metaethische und historische Arbeiten gilt dies notwendigerweise, aber auch in vielen Bereichen der angewandten Ethik werden Diskurse über die Normierung von Handlungen geführt, die der Ethiker selbst weder ausführen kann noch soll. Die philosophischen Mitglieder von Ethikbeiräten „euthanisieren“ in der Regel selbst weder Schwerkranke, noch selektieren sie Föten; auch die Frage, wann militärische Interventionen gerechtfertigt sind, führt selten dazu, dass sich Ethiker, die sich dafür aussprechen, in einen Kampfjet setzen.

Eine wirkliche Umsetzung einer Moralphilosophie in eine Praxis könnte deshalb ohnehin nur dort gefordert werden, wo die zeitgenössische Ethik sich eher zurückhält: wenn es um Maximen des täglichen Lebens geht, um Philosophie als Lebensweisheit und Glückslehre, also um die moralischen Fragen im Beziehungsleben, in der Erziehung, in der Ernährung und im Umgang mit Rauchern. Hier ist man in der Regel allerdings so liberal, dass es schwer wird, anzugeben, an welchen Maßstäben sich da jemand selbst messen lassen sollte.

Es sprechen aber auch systematische Überlegungen gegen die Forderung, dass Ethiker moralisch sein müssten. Denn diese Forderung kann auch im besten Fall nur ein Kriterium für die Beurteilung der Handlungsweise des Ethikers darstellen, kein Kriterium für die Beurteilung seiner Ethik. Wer eine richtige Maxime formuliert, diese selbst aber ignoriert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er seiner eigenen Maxime nicht folgen kann; das mag als Charakterschwäche ausgelegt werden, sagt aber nichts darüber aus, ob die Maxime richtig und für Andere befolgbar ist. Dies gilt übrigens auch für den umgekehrten Fall. Wer Kants Kategorischen Imperativ für nicht schlüssig hält, wird sich nicht davon beeindrucken lassen, dass sich Kant (angeblich) selbst sehr wohl daran orientiert hat. Persönliche Glaubwürdigkeit ist kein moralphilosophisches Argument.

Dass Ethiker nicht moralisch sein müssen, gründet letztlich in der alten Einsicht, dass uns auch die am besten argumentierten Gründe nicht zwingen können, etwas auch wirklich zu tun. Natürlich könnte man abstrakt fordern, dass Menschen, die sich professionell mit Fragen der Ethik beschäftigen, auch in ihrer Lebensführung höheren moralischen Standards entsprechen sollten. Abgesehen davon, dass diese Vorstellung der Realität kaum entspricht, wird auch hier ein unzulässiger Schluss gezogen: dass die Beschäftigung mit moralphilosophischen Fragen etwas wie einen „Hang zum Guten“ nach sich zieht. Die intensive Beschäftigung mit moralphilosophischen Fragen könnte aber genauso gut dazu führen, dass man moralischer Relativist, Moralkritiker, Vertreter einer aggressiven Herrenmoral oder ein Zyniker wird.

Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien.

Foto: Zsolnay Verlag / Heribert Corn, www.corn.at

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11 Kommentare

  1. Ich habe eine für mich wichtige Frage : Ich dachte immer, der Philosoph ist ein Wissenschaftler. Also einer wie Physiker, Mathematiker, Biologe, Soziologe………..Psychologe…..Also einer von denen, die etwas beweisen und manifestiert sehen möchten.
    Jetzt beunruhigt es mich, den Philosophen ethisch und moralisch (….berechenbar…)wohlmeinend in diesen Kategorien anzusiedeln. Der Philosoph diskutiert in allen Bereichen – will sich aber wegen der kreativen Freiheit nicht festlegen? Weil er dann nicht unabhängig denken darf? Ja, ich schreibe „darf“ – denn der Philosoph macht sich scheinbar auf einer persönlich geistigen Ebene von ETWAS unabhängig. Denn ohne Bezug hätte der Philosoph ja keine Fragen/Probleme. Na gut, das ist ja eh euer Thema in eurer Sprache der Verwirrung. Also ist Philosophie sowas wie Kunst? Mit künstlerischer Freiheit im Grundgesetz verankert ( aber Bähhhh!!! ihr seid nicht namentlich vermerkt!)

    Das ist ja Freiheit, so zu nix zugehörig zu sein! Vogelfrei, sozusagen.

    Boah, ihr Philosophen habt ja echt die Arschkarte in der Gesellschaft! Bevor ihr etwas beweist, oder manifestiert, müsst ihr erstmal beweisen, dass es euer freier Wille war, der euch geleitet hat. Also ihr müsst etwas beweisen, dass in eurer Wissenschaft noch umstritten ist……um philosophisch anerkannt zu sein. Puh – ihr habt also einen Job, der abhängig ist von Kreativität und gesellschaftlichen Umständen. Da könnt ihr mit genial anmutenden Aussagen punkten. Aber wenn ihr euch an eure Vordenker anklinkt, wir man euch dulden…..
    Voll der Scheißjob! Weil auch bei Philosophen ist nicht jeder genial! Und genau davon lebt ihr, wenn ihr erfolgreich sein wollt. Ist das übel, das Philosophendasein…………akademisch könnt ihr ja nix bewirken, auch mit IQ 160 ist da nichts zu machen, wenn ihr die Welt in eine Formel presst um die Essenz zu nutzen………….DAS funktioniert nämlich nicht! Essenz ist immer sowas wie Bodensatz. Biologisch oft auch Müll.
    Im Grunde ist Leben Mittelmaß. Mainstream. Und bis heute hat sich kein mir bekannter Philosoph aus dieser komplexen Welt abgesetzt. Alle haben sich orientiert. An Begriffen….

    • Geht es in der Philosophie nicht vielleicht auch um Wahrheit?
      Ist die Freiheit immer nur eine „Freiheit von“ und nicht auch eine „Freiheit zu“? Ist daher eine gemeinsame Freiheit, etwas zu tun, eine Zugehörigkeit zu etwas, die sich erfüllt mit der Gemeinschaft freier Individuen, nicht nur denkbar, sondern vielmehr das eigentliche Prinzip der Freiheit selbst?
      Warum müssen die Philosophen denn beweisen, dass es so etwas wie den „freien Willen“ tatsächlich gibt, vielleicht ist ja alles determiniert oder zufällig – wäre man mit so einer Behauptung etwa kein Philosoph mehr?
      Sind nicht alle Jobs abhängig von gesellschaftlichen Umständen?
      Warum hat denn der Philosoph im Vergleich zum einfachen Arbeiter die Arschkarte gezogen? Ist nicht vielmehr diese Gesellschaft selbst die Arschkarte?
      Ist Philosophie nicht ein geradezu erfüllender Beruf, wenn man sich mit den großen Themen, Wahrheit, Erkenntnis, Ethik, Ideologie usw. befassen kann, anstatt platt in seinem Alltagsleben herumzudümpeln und oberflächlichen Dingen nachzujagen, weil man überhaupt nichts begriffen hat, weil man sich gerade nicht an Begriffen orientiert hat, sondern bloß an der Ideologie des Bestehenden? Macht sich nicht viel mehr der Alltagsmensch, der sich in nahezu blinder Gläubigkeit und Frömmigkeit allein der Kraft des Bestehenden, dem Herumtreiben im Strom des Mainstreams, den Alltagsritualen usw. verschreibt, von allem anderen, zumindest in seinem subjektiven Meinen, vollständig unabhängig, von der Wahrheit, vom Wissen, von der Ethik, von der rauschaften Ekstase, die das Alltagsleben und das jämmerliche Glück desselben übersteigt und transzendiert, von der Philosophie usw.

      Ist Erfolg denn alles? Ist nicht, wie Joyce einmal gesagt hat, der Erfolg der „Tod von Intellekt und Phantasie“?
      Was wollen wir den mit einem Leben im Mittelmaß, im Mainstream?
      Woran sollen wir uns orientieren, wenn nicht an Begriffen und deren Referenz und Relevanz, d.h. am Leben selbst, nicht an der Ideologie, sondern an ihren inneren Spannungen, an der Wahrheit dessen, was ist, an der begrifflichen Wahrheit der Verhältnisse?
      Bezieht sich Philosophie nicht gerade auf die Probleme des Lebens, und allgemeiner noch auf die Wahrheit? Und wenn sie dies nicht tut, dann ist sie schlechte Philosophie. Aber was ist Leben und was ist Wahrheit? Was ist der Mainstream, die Normalität, und warum ist dies oder das Mainstream? Welche Machtverhältnisse stecken dahinter und lassen uns das Bestehende naturalisieren? Haben die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert und gilt es vielmehr, sie zu verändern?
      Und wie verändern wir die Welt, wenn wir uns nicht orientieren?

      Oder gilt es einzig und allein, die Welt so zu lassen, wie sie ist, sich mit dem Bestehenden anzufreunden, und sowohl jegliche Veränderbarkeit als auch Interpretation der Wirklichkeit zu leugnen, und im langweiligen Geplapper und Herumdümpeln in der Alltagswelt zu „leben“, sie zu ertragen – oder gar darin, aufgrund seiner inneren Schwäche und Inhaltslosigkeit, in der Leere, die wie ein Schwamm sich mit den symbolischen Verhältnissen und der Mittelmäßigkeit aufsaugt, auch noch ein Glück zu entdecken.

      „Was gibt ihnen das Recht, Ihre Voraussetzungen und Ausgangsprinzipien, die nicht gerechtfertigt oder weiterentwickelt werden müssen, für unzweifelhaft und unsere Voraussetzungen und Ausgangsprinzipien für offenkundig unsinnig und schon auf ewig widerlegt zu halten? Denn wir wissen allzu gut, dass ihre einzige Festung der common sense und Ihr einziger Beweis der fanatische Glaube an die Souveränität, Endgültigkeit und Göttlichkeit des commoan sense ist. Und ich rufe sie im Namen der Vernunft und ihrer tausendjährigen Tradition zur Überprüfung der Kompetenz des common sense, zur kritischen Ausmerzung seiner überzogenen und frechen Anmaßungen auf. Meine Herren, Sie haben die Vernunft, die große, objektive Vernunft mit dem common sense, dem kleinen, subjektiven Verstand, dem menschlichen Teufelchen, vermischt, und deshalb sind Sie so selbstzufrieden, deshalb zweifeln sie an nichts, deshalb verachten sie alles, was sie nicht verstehen. Die Vernunft hat ihre heilige Schrift, ihre großen Bücher und großen Namen. Aber wo ist die heilige Schrift des common sense, wo sind die großen Bücher, die diese Festung errichtet haben, wo sind die Genies des common sense? Sie erwecken immerzu den Anschein, dass hinter Ihnen eine heilige Schrift stehe, dass Titanen Sie auf ihren Schultern tragen und deshalb erachten Sie sich von jeder wirklichen Begründung oder Widerlegung entbunden. Aber hinter Ihnen steht nur eine einzige Kraft – die Hypothese der Alltäglichkeit, die sinnlose Faktizität, ein Konglomerat alltäglicher, kleiner Eindrücke, eine Pausbäckigkeit, die das Nächste, das Nächstliegende anschaut und vom Gesehenen so überwältigt ist, dass sie blind für das Fernere und Tiefere bleibt.“
      (Nikolaj Berdjajew)

  2. So als „Verbraucher“ verstehe ich diese ganze Diskussion nicht. Soll ich womöglich auch nicht verstehen? Diese „Geheimsprache“ der Philosophen ist mir sowieso suspekt. Ich hab ja von nix wirklich akademische Ahnung, aber die Philosphie kommt mir immer vor, wie eine Abteilung der Spieltheorie – allerdings mit unendlichen Faktoren – und somit verbraucherfreundlich irgendwie untauglich…..

    Wenn man etwas beweisen will, hat man als Astrophysiker in diesen Randbereichen von wenig aufommenden Vorkommnissen vielleicht noch eine Lobby, aber diese Diskutiererei um Begriffe versus Logik macht echt keinen Spaß!

    Daraus soll sich echt herauskristallisieren, was Schwarmintelligenz betrifft? Die Psychologen haben doch schon lange mehr oder weniger gut erkannt, dass das Aussergewöhnliche dem Psychopathen zuzuschreiben ist. Wollt ihr jetzt wirklich wissen, was Schwarmintelligenz bewirkt (alter Hut?!) – oder wollt ihr wissen, wie viele Psycho(Sozio)pathen demnächst in der Lage sein werden, die Menschheit evolutionsmäßig einen schnellen Schritt (wohin auch immer) verändern können?

    Bis ihr das ausgewertet habt, ist die Wahl in Deutschland sowieso vorbei! Und dann müsst ihr irgendwelchen neuen Lobbyisten wieder Geld rausleiern, um weiter unbeobachtet und unbehelligt zu forschen……Ihr habt also absolut kein Ziel und verfolgt auch keine sozial lohnenswerten Perspektiven.
    Das finde ich persönlich nicht nur doof – sogar auch langweilig. Aber vermutlich werdet ihr mit dem Arbeitstitel „Schwarmintelligenz“ manipulative Macht- und Geldleute weiterhin faszinieren. Und ich dachte immer, Philosph zu sein ist irgendwie individuell und spannend…..

    • Bemühe dich vielleicht einfach mal ein bisschen mehr, etwas zu verstehen, als selbstgefällig über das, was du nicht verstehst, herzuziehen. Etwas zu verstehen, erfordert eine gewisse tiefgehende Beschäftigung mit dem Thema – doch immer kommt die Halbbildung oder Oberflächlichkeit und plustert sich mit ihrer Unverständnis auch noch auf. Eigenlob stinkt ja bekanntlich.
      Es handelt sich nicht um eine „Geheimsprache“, sondern um komplizierte Dinge. Und um dies zu verstehen, muss man sich damit befassen, darüber nachdenken, mit anderen interpretieren und darüber diskutieren usw. usw. Genauso wie nicht jeder z.B. Mathematik versteht – aber deswegen ist sie nicht untauglich oder suspekt o.ä.
      „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buche?“ (Lichtenberg)

      Es handelt sich auch nicht um einen bloßen Streit um Begriffe, sondern um Fragen nach realen Problemen. Aus der wahrscheinlichen Endlosigkeit und Unbeantwortbarkeit philosophischer Fragen zieht der Common Sense immer die Konsequenz, das dies alles bloße Wortklauberei sei. Dem ist aber nicht so, es handelt sich bloß um einen offenen Diskurs, in dem selbst noch die Frage der Endlosigkeit des philosophischen Gesprächs und die Unbeantwortbarkeit philosophischer Fragen mit in den Diskurs aufgenommen wird, der somit immer wieder seine eigenen Voraussetzungen hinterfragt und dadurch überhaupt am Leben bleiben kann; diese Diskussion ist eben ein offenes und wohlmöglich unentscheidbares Gebiet, aber darum befasst sie sich nicht mit bloßem Streit um Worte, sondern mit existenziellen Fragen und realen und ewigen Problemen.
      Vielleicht macht es dir keinen Spaß, weil du keine Argumente hast, die du in diese Diskussion mit einbringen kannst oder du dich nicht mal bemühst, sie zu verstehen, sondern dich gleich damit begnügst, darüber herzuziehen.

      Die Identifikation der Außergewöhnlichkeit mit dem Psychopathen ist eine geradezu beispielhafte Rechtfertigung der bestehenden Ideologie und deren Formung des „Gewöhnlichen“.
      Wenn es tatsächlich so wäre, das Exzentrizität oder Außergewöhnlichkeit nur um den Preis zu haben wäre, dass man ein Psycho-/Soziopath wäre, selbst dann wäre ich dennoch lieber exzentrisch als ein angepasstes, ideologisch überformtes, seiner eigentlichen Individualität beraubtes, und völlig unkritsch dem Man vefallendes Subjekt. Letztlich sind aber die Normalen kränker und gestörter als die Wahnsinnigen. Der Wahnsinn und das Delirium wären die letzte Rettung aus dieser braunen Soße der Alltäglichkeit.

      Eine „sozial lohnenswerte Perspektive“ – was meint das? Ein erfolgreiches, karrieregeiles Leben in der Scheiße oder vielmehr eine radikale Gesellschaftskritik und Engagement für eine gerechtere Gesellschaft?
      Ihr Alltagsfaschisten könnt auch echt nicht über den Tellerand schauen!

      Warum aber sollten manipulative Machtmenschen von der Schwarmintelligenz fasziniert sein; wenn der Schwarm tatsächlich intelligent ist, dann würde das doch gerade die manipulativen Machtmenschen vertreiben.

      Philosophie kann (und soll) auch individuell und spannend sein.

      Letztlich aber: Es geht in diesem Beitrag nicht um Schwarmintelligenz, sondern, man lese die Überschrift, „Müssen Ethiker moralisch sein?“ Warum also deine abfälligen Äußerungen über Schwarmintelligenz, über Philosophie usw.?
      Warum regst du dich so sehr über die Philosophen auf, was haben sie dir getan? Und was hast du ihnen getan?
      Warum verfasst du hier keinen Beitrag zum Thema?

  3. Im Grunde ist ja schon alles gesagt. So rein philosophisch.
    Ich definiere mal kurz den Ethiker und den Moralisten: der Ethiker meint, etwas sei schmutzig – und der Moralist entscheidet, dass man den Dreck wegmachen sollte….

    Also hat der Ethiker so wirklich nichts mit der Moral am Hut. Das sind zwei unterschiedliche Abteilungen. Aber ihr Philosophen bekommt scheinbar sogar Geld dafür, um zu beweisen, dass man sich über solche Themen durchaus streitbar bewegen kann. Finde ich auch gut. Jetzt macht der Moralist ständig Dreck weg, der kommt gar nicht nach, der Ethiker! Der Moralist hat ja nichts mehr zu tun, wenn der Ethiker kein neues Problem mehr hat! Aber ja, da macht sich der Ethiker wichtig und bedient sich der Moral : Müssen Ethiker moralisch sein? Da ist der Moralist schon mal sauer, dass er als Verb benutzt wird. Nö, als Moralist brauche ich keine Ethik! Ihr könnt mich mal…….Und als Ethiker bin ich von Moral durchaus unabhängig, außer Klugscheißer wollen mich instrumentalisieren und schütten mir immer wieder weltlichen Schmutz vor die Haustür. So philosophisch wollen beide Parteien nichts miteinander zu tun haben, Wer war eigentlich die Knalltüte, das verbinden zu wollen? Vermutlich der Zweifel, das ist ja immer der Störenfried, der sich gern allmächtig destruktiv einmischen will. Fragt Ethik die Moral: Haben wir grad mal Langeweile und fühlen uns so autark sinnlos? Schon ist der Zweifel mit Unmut im Gepäck da. Gern auch in Gestalt sinnsuchender Vollzeitphilosophen.

    • Die Ethik befasst sich mit der Frage, was das Gute ist und wie sich das begründen lässt. Moral bezieht sich zum einen auf die faktischen Konventionen in einer Gesellschaft, zum anderen ebenfalls auf das Gute. Moralisten sind auch nicht unbedingt Menschen der Tat, die den Dreck wegmachen. Dies können alle Menschen tun.
      Um „Dreck“ wegmachen zu können, brauche ich eine Vorstellung von dem, was „Dreck“ ist – folglich brauche ich dazu eine Ethik.
      Es gibt somit auch keine notwendige Trennung zwischen Ethiker und Moralist.

      Ethik hat nichts mit Jenseitigkeit zu tun, der Ethiker ist nicht unabhängig von der Weltlichkeit, sondern befasst sich ja gerade mit den realen Problemen, natürlich auf einem gewissen Abstraktionsniveau, damit er darüber gut und wohlbegründet urteilen kann, anstatt sich einfach nur an irgendwelche Dogmen zu klammern.

      Insofern die Moral einfach nur die Wiederspiegelung der bestehenden Verhältnisse ist, sollte der Ethiker, dem es vor allem um Begründung geht, durchaus eine gewisse Unabhängigkeit davon bewahren.
      Aber die Moral als bestehende Sitte fühlt sich ja keineswegs gelangweilt oder sinnlos, sondern dogmatisiert sich gerade als fixe Idee. Darum ist der Zweifel im Gepäck das entscheidende Werkzeug, um diesen Dogmatismus aufzubrechen.
      Die Schaffung von etwas Neuem, Besseren setzt immer auch die Zerstörung des Alten, Bestehenden voraus – Prinzip der schöpferischen Zerstörung.

  4. Contra
    Der Ethiker muss selbst nicht moralisch sein. Man wird aber tatsächlich kaum unmoralische oder besser gesagt, amoralische finden. Das liegt natürlich daran, dass sich Ethiker mit dem identifizieren, was sie postulieren. Ich glaube wie der erste Kommentator M.Wild, dass Ethik eine persönlichkeitsformende geistige Betätigung ist und somit andere Spuren beim „Betreiber“hinterlässt, als beispielsweise ein bloßer Beruf es vermag. Der ungesund lebende Arzt ist deshalb wohl nicht als Beispiel geeignet, da gehe ich d‘ accord.
    Trotzdem: Ethik ist ein Bereich der Philosophie, die ihrerseits von der schlüssigen Darlegung und Begründung intelligibler Positionen „lebt“. Der gute Ethiker ist also einer, dessen Argumente bestehen können, weil sie schlüssig sind und überzeugen. Möglicherweise zeigen sie auch neue Aspekte auf, die bisher übersehen wurden oder deren Bedeutung nicht genügend erkannt wurde. Kurz: Es handelt sich nicht um eine Lebensweise, die zwingend eigene parallele Gesinnung erfordert, sondern um ein geistiges Betätigungsfeld. Ein intelligenter Amoralist hat wahrscheinlich eine große Kenntnis von Moral, sonst könnte er diese nicht antizipieren und wenigstens im „eigenen Kopf“ widerlegen. Anderenfalls wäre der Amoralist immer nur schlechter Ethiker. Das erscheint mir aber zu kurz gegriffen. Ich will kurz erläutern wie ich zu dieser Überlegung komme.
    Ethik war in der Vergangenheit stets das „Allheilmittel“ gegen die böse Welt, und den Unwägbarkeiten in ihr. Ethik „hilft“ gegen Verrohung, Kriege, Egoismus, kurzum gegen alles von der Antike bis jetzt, das nicht auch das Wohl des Anderen berücksichtigt.
    Meinen aidskranken Kater konnte die Tierärztin im Mai erlösen. Mein krebskranker Vater musste viel mehr leiden. – Ergebnis ethischer Kommissionen zur Sterbehilfe. Aktive ist unter Strafe gestellt und verboten.
    Dies sei nur als ganz kleines persönliches Beispiel dafür angeführt, dass sich die Befolger einer Norm selbst ein Bein stellen, wenn sie sie konsequent befolgen.
    Ethik hat m. E. ihre Wurzeln in der religiösen Empfindung. Sie dient zur Regulierung und ist real durchgeführter Ausdruck enttäuschter Wunschvorstellung an eine rohe natürliche Welt.
    Ethiker bedenken alles mögliche Naheliegende. Aber dass der Mensch selbst ein gefährlicher Parasit auf diesem Planeten ist, der andere Lebewesen ausrottet, auffrisst und „vergewaltigt“, bedenken sie nicht. Sie kommen einfach nicht drauf, dass ihr Lieblingslebewesen aus ganz unethischen Gründen alles vernichtet.
    Ethik, so wie sie heute verstanden wird, wird m.E. in 100 Jahren so bewertet werden wie Alchemismus, Hexenverfolgung und andere Dummheiten, die ein kluger Kopf bei Zeiten hätte adäquat beurteilen können. Man weiß doch, dass allein durch die Überbevölkerung unsere Welt Schaden nimmt. Und wie verbessert man diese Situation? Indem man pragmatisch und nicht ethisch ( weil gegen geltende Menschenrechte verstoßend) die Geburtenrate reduziert.
    Ethik fußt auf einer gut gemeinten Wunschvorstellung der Vergangenheit Die Welt von heute müsste richtigerweise ökonomisch denken: Wer kann wie viel Terrain für seine Art beanspruchen. Wie dicht kann eine Besiedelung sein und trotzdem eine Homöostase gewährleisten. Und ganz wichtig: Wir sind eine Tierart und nichts von oben ebenbildnerisch „Gebasteltes“! Das sind Prüfsteine an die sich eine zukünftige „Ethik“ messen lassen müsste. Grüsse

    • Ich teile ihr Verständnis von Ethik ganz und gar nicht. Der Ethiker verkennt keinesfalls, dass der Mensch zerstörerisch handelt. Aber das ist die Dimension der Fakten. Ethik behandelt die normative Dimension. „Schaden zufügen“ (und dies irgendwie zu bewerten, ja überhaupt irgendetwas zu bewerten) ist schon eine ethische Vorstellung. Ethik hat überhaupt gar nichts mehr mit Religion oder Wunschvorstellungen zu tun, ausgenommen religiöse Ethiken, zu denen wir aber viele Alternativen haben, bspw. eine autonome Moral oder den Utilitarismus (der wohl ihren ökonomischen Vorstellungen am ehesten entsprechen würde, der Gott des Nutzens), usw.

      Ich denke eher, dass unsere heutige Gesellschaftsordnung in der Zukunft wie eine Dummheit, wie Alchemismus erscheinen wird.

      Und wo besteht ihrer Meinung nach genau der Unterschied zwischen einer pragmatischen und einer ethischen Reduzierung der Geburtenrate? Die Mittel, die Motive/Ursachen?
      Ethik als Lehre vom richtigen Handeln hat aber, sofern sie keine Absichtsethik ist, überhaupt nichts mit der Frage nach den Motiven, aus denen die Menschen tatsächlich handeln, zu tun, sondern nur mit der Art und den Ergebnissen der ausgeführten Handlungen.

      Man kann natürlich eine große Kenntnis von der Moralphilosophie im allgemeinen haben oder von einer bestimmten ethischen Position, ohne das daraus gleich entsprechende Handlungen nach diesen Lehren folgen würde. Das ist aber ein Problem der Motivation, nicht der Normen. Und ob ein Ethiker moralisch sein soll lässt sich, wie ich meine, auf zweierlei Art verstehen: Handelt es sich dabei um die Frage, ob er derjenigen ethischen Position in seinen Handlungen folgen soll, die er selbst vertritt; oder handelt es sich dabei allgemein um die Frage, ob er das tun soll, was moralisch richtig ist, als das, was er tun soll. Im ersten Fall ist das ganze sowohl eine moralische Frage als auch eine Frage der instrumentellen Rationalität, im letzten Fall dagegen ist es eine rein formale Frage, die man mit ja beantworten muss, und zwar nicht nur für den Ethiker, sondern für jeden, da jeder das tun soll, was er tun soll. Im ersten Fall jedoch spielt einerseits die Frage nach der Normativität instrumenteller Rationalität eine große Rolle, dann aber auch die Frage nach mehr oder weniger großen Übereinstimmung der eigenen ethischen Position, mit der Klasse der (möglicherweise verschiedenen) moralischen Wahrheiten.

      Dass die Welt heute „richtigerweise“ ökonomisch denken muss, ist selbst schon eine ethische Norm: warum „sollte“ sie ökonomisch denken? Warum ist es geboten, ökonomisch zu denken? Hier werden Gründe der Nützlichkeit eine wesentliche Rolle spielen. Aber warum das (vermeintlich) „Nützliche“/Ökonomische tun? Etwa weil es richtig ist? Aber das wäre dann schon wieder eine Ethik, eine Nützlichkeits-Ethik, eine Ethik des Pragmatismus – zumal eine, meist sich naturalistisch begründende, und daher auch dem naturalistischen Fehlschluss zum Opfer fallende, daher schlecht begründete Ethik. Ob nun die meisten Menschen derart handeln mögen, etwa nach Maßgabe eines psychologischen Hedonismus oder nach der Modellvorstellung eines homo oeconomicus etc., das ist ebenfalls eine Streitfrage, spielt jedoch bei der Ethik überhaupt gar keine Rolle. Es ist lediglich eine Frage der Tatsachen, nicht der Normen.

      Man könnte sich dann natürlich auch völlig der ethischen Frage enthalten und einfach pragmatisch weiterdenken, und dabei auch Unmoral/Amoral in Kauf nehmen.
      Genauso gut kann die Amoral (oder eine gegen die herkömmliche Moral gerichtete Anti-Moral, oder eine die herkömmliche Moral akzeptierende, aber dagegen handelnde Unmoral) mit anderen Maßstäben als dem heute verbreiteten pragmatischen Ökonomismus verbinden – z.B. mit einem auf völligen Exzes ausgerichteten Individualismus, mit sozialer Revolution, mit einem feinsinnigen aristokratischen Genussstreben, oder mit einer brutalen Unterdrückung und Gewalt, mit Selbsterniedrigung/-bestrafung, mit dem Verbrechen, oder mit weltentsagender Askese usw. Warum sollte sich das nichtethische Feld denn auf den pragmatischen Ökonomismus beschränken? Aus welchem Grund? Etwa einem ethischen? Oder einem rein pragmatischen? – Aber diese Lösungen gehen beide fehl, einmal, wenn wir uns außerhalb der Ethik bewegten (und einfach nur die Frage der Fakten stellen), das anderemal, da wir uns auch außerhalb des Ökonomismus bewegen (nämlich wenn wir die Möglichkeit und nichtethische Rechtfertigung von Alternativen und des Ökonomismus selbst in Betracht ziehen).

      • Zitat. MH.Ethik hat überhaupt gar nichts mehr mit Religion oder Wunschvorstellungen zu tun.

        Doch, Ethik ist in der westlichen Hemisphäre auch Ausdruck christlicher Wertevorstellung. Bitte mal die Präambel des GG lesen! Auch in den ersten wichtigsten Grundrechten, Art. 1 GG bis Art.19 GG sind natürlich die 10 Gebote eingeflossen.

        Zitat: MH:Und wo besteht ihrer Meinung nach genau der Unterschied zwischen einer pragmatischen und einer ethischen Reduzierung der Geburtenrate?

        Eine ethische Reduzierung der Geburtenrate ist absurd, weil in sich widersprüchlich. Sie verstieße überall auf der Welt gegen fundamentale Menschenrechte, außer vielleicht in China. Selbst wenn sie das einzige Mittel wäre eine Katastrophe abzuwenden. Darum habe ich versucht darzulegen, dass Ethik in vielen wesentlichen Fragen als falsche Kategorie leer läuft.

        • Sie identifizieren fälschlicherweise Ethik mit einer bestimmten Moralvorstellung, nämlich der christlichen. Bitte mal die Moralphilosophie genauer studieren! Es gibt jedoch auch utilitaristische Ethiken, oder die kantische Ethik, oder Nietzsches Herren- und Sklavenmoral, oder hedonistische Ethiken, die buddhistische Ethik usw. usw. usw.
          Was die Menschenrechte betrifft, so fußen sie auf einer ganz bestimmten Moralvorstellung und da hat natürlich das Christentum wesentlich mit hineingespielt. Aber Ethik ist nicht auf die Erklärung der Menschenrechte zu reduzieren, denn die Menschenrechte sind ein ganz bestimmter Sittenkodex.

          Ethik dagegen befasst sich ganz allgemein mit normativen Aussagen und deren Begründung; es gibt aber nicht eine bestimmte Norm, die in der Ethik zu begründen ist, sondern vielmehr soll sie ja gerade die richtigen Normen ausfindig machen und sie als die richtigen Normen (oder auch pluralistisch mehrere Normensysteme) begründen.

          Die pragmatischen Überzeugungen, sofern sie in einen begründenden normativen Diskurs eintreten, sind ganz klar ethische Aussagen, bestimmte normative Vorstellungen. Und treten sie dort einmal ein, so können sie nicht besonders gut überzeugen, und stehen, was die normative Rechtfertigung betrifft, häufig sehr schlecht dar. Treten sie dagegen nicht in einen solchen Diskurs ein, so sind sie eben bloßer Ausdruck der unreflektierten, vorherrschenden Ideologie.

          Gerade mit einer Variante einer utilitaristischen Ethik ließen sich durchaus normative Gründe für die Reduzierung der Geburtenrate angeben, z.B. den von ihn genannten: eine Katastrophe abzuwenden.
          Auch wenn dabei im normativen, auf Argumente angewiesenen Diskurs nicht so viel für diese Ansicht herauskommen sollte – oder vielleicht ja doch.
          Aber wenn eine Reduzierung der Geburtenrate gegen die Menschenrechte verstößt, und wir diese Menschenrechte als moralisch richtige Grundvorstellungen akzeptieren, dann ist gerade nicht die Ethik, sondern der Pragmatismus eine falsche Kategorie.

  5. Ich denke wie müssen dabei ganz klar zwischen drei verschiedenen Verwendungsweisen des Begriffs „sollen“ differenzieren: (1) motivationaler Aspekt, (2) Normativität der instrumentellen Rationalität (d.h. hypothetische Imperative, Zweck-Mittel-Rationalität), (3) das moralisch Gute.
    Nun heißt „moralisch gut zu sein“ ganz formell einfach „das zu tun, was man moralisch tun sollte“ – insofern ist die Frage „Soll ein Ethiker moralisch sein?“ trivial und trifft auf jeden zu, weil es ganz einfach tautologisch ist, dass man das tun soll, was man tun soll. Mit dieser formellen Bestimmung ist freilich noch überhaupt nichts über den Inhalt der Moral gesagt.

    Erschwerend kann bei der Inhaltsbestimmung hinzukommen, dass wir durchaus nicht auf ein einziges moralisch Gutes festgelegt sein müssen, sondern durchaus eine ontologische Pluralität und/oder Unbestimmtheit des Guten zulassen können. Dann könnte das Gute auch durchaus ein dynamisches, sich historisch und kulturell etc. wandelndes Konstrukt/Gebilde sein, und kein ewiges Prinzip, keine unveränderbare Idee des Guten an sich. Zudem könnte der Inhalt auch völlig leer sein, so dass es gar keine moralischen Werte gibt. Und auch beim Prinzip der Verallgemeinerung muss man noch nicht stehen bleiben – es könnte auch so sein, dass es durchaus, was die moralische Bewertung einer Handlung betrifft, darauf ankommt, wer oder welcher Charaktertyp etc. eine Handlung ausführt, sodass es nicht unbedingt eine universelle Pflicht sein muss, also nicht jede moralische Norm eine universelle Norm sein muss. Ebenso lässt sich auch eine Hierarchie von Moraltypen denken.

    Was der „Hang zum Guten“ eigentlich ist, hängt auch schon wieder davon ab, wie wir diese erschwerenden Fragen bei der Inhaltsbestimmung beantworten und welche Antwort bzw. Antworten hier richtig sind – oder ob es hier überhaupt ein richtig oder falsch gibt. Deswegen kann man den mangelnden „Hang zum Guten“ nicht gegen das mögliche Ergebnis des moralischen Relativismus oder der Moralkritik bei intensiver Beschäftigung mit moralphilosophischen Fragen als Gegenargument gegen diese Ergebnisse verwenden, da die Bestimmung des „Hangs zum Guten“ und folglich die Frage, was den überhaupt gut sei, in der moralphilosophischen Beschäftigung selbst festzustellen ist und nicht von vornherein feststeht – denn sonst bräucht man sich auch gar nicht damit beschäftigen. Die Kritik am moralischen Nihilismus/Relativismus, die darauf ausgeht, dass hier ein mangelnder „Hang zum Guten“ vorliegt, ist also in gewisser Hinsicht zirkelhaft, zumindest aber werden dabei Möglichkeiten ausgeschlossen, die noch nicht durch die bloß formelle Betrachtung von „gut“ ausgeschlossen werden können.

    Was den motivationalen Aspekt betrifft, so ist die Frage letztlich eine empirische bzw. psychologische Frage; „Soll ein Arzt Raucher sein?“, „Soll ein Ethiker moralisch sein?“ bedeutet in diesem motivationalen Sinne nur „Liegt ein Motiv für … vor?“ Hier können wir beiden, gemäß unserer Erwartungen, den gleichen Vorwurf machen. Ein Arzt interessiert sich für Medizin, aufgrund dieses Interesses legt er den Ergebnissen medizinisch-empirischer Untersuchungen einen Wert bei und hat gewissermaßen im Allgemeinen ein Motiv, diesen Erkenntnissen zu entsprechen. Dasselbe gilt für den Ethiker bei seinem Fachgebiet. Aber für das Fachgebiet des Ethikers gilt die Motivation in einem noch allgemeineren Sinne, denn jeder hält ja im Allgemeinen für gut, was er tut, und beabsichtigt auch, dass zu tun, was er selbst für gut erachtet – es sei denn er handelt bspw. akratisch.

    Was die instrumentelle Rationalität betrifft, so geht es hierbei nicht mehr unbedingt um den Inhalt des moralisch Guten, sondern um die Kohärenz zwischen dem eigenen Überzeugungssystem, den dazu gebildeten Absichten und den schließlich ausgeführten Handlungen, kurz um die Übereinstimmung zwischen Wort/Theorie und Tat/Praxis. Wäre es per se moralisch gut, die Mittel zu seinen Zielen zu ergreifen bzw. gemäß seinen Überzeugungen zu handeln, so überträgt sich der Vorwurf natürlich noch ins Moralische hinein: und dann ist es natürlich schwerwiegender, im allgemeinen nicht moralisch zu handeln, vor allem wenn man sich fachlich damit befasst, als ein besonderes und wahrscheinlich leichteres (moralisches) Vergehen zu begehen, wie etwa Raucher zu sein und seiner eigenen Gesundheit damit zu schaden, was in gewisser Weise einem guten Lebensstil im Wege stehen mag; wäre dagegen instrumentelle Rationalität keine moralische Pflicht, so bliebe hier nur der Vorwurf der besagten Inkohärenz übrig
    Hier kann man den gleichen Vorwurf sowohl dem Ethiker als auch dem rauchenden Arzt machen. Beide handeln gegen ihre Überzeugungen. Der Arzt hat die, durch seine medizinische Ausbildung gestützte, Überzeugung, dass Rauchen ungesund ist, raucht aber dennoch; der Ethiker hat die, durch seine philosophischen Argumente gestützte, Überzeugung, dass dies oder das moralische Pflicht ist, handelt aber nicht nach dieser Überzeugung.
    Im philosophischen Bereich bestehen durchaus größere Divergenzen und Kontroversen als im Bereich der Medizin, etwa der empirischen Befunden, dass Rauchen ungesund ist. In dieser Hinsicht müsste, bezüglich der instrumentellen Rationalität, zumindest was die Sicherheit der jeweiligen Überzeugungen betrifft, dem Arzt der größere Vorwurf gemacht werden, da sein Wissen weniger kontrovers ist, während der ethische Diskurs kontroverser ist – es gibt eben auch keine so sicheren Daten über moralische Urteile, noch gibt es überhaupt eine Einigkeit über die Methode der Forschung und Begründung in der Ethik; Daten und Methoden sind dagegen in den anderen Wissenschaften, wie z.B. Medizin, deutlich bestimmter, unkontroverser – und eben häufig genug empirisch, deskriptive Daten, die einen höheren Grad an Gewissheit bzw. Wissenschaftlichkeit zulassen als Daten anderer Art. Aufgrund der höheren Kontroversität und vor allem auch der größeren Relevanz und meist geforderter größerer Allgemeinheit und Strenge ist aber der ethische Diskurs deutlich mehr emotional besetzt. Aufgrund dessen ist bzw. scheint uns der Vorwurf bezüglich der mangelnden instrumentellen Rationalität beim Ethiker, eben wegen seines stärker emotional besetzten Wissensgegenstandes, als schwerer. Das gleiche können wir aber erhalten, wenn wir fragen: „Sollte der Arzt moralisch sein?“ – hier schwächt sich das Ganze vielleicht noch ein wenig zugunsten des Arztes ab, weil dieser kein Fachmann im Bereich der Ethik ist – dennoch gehen wir davon aus, dass jeder Mensch ein bestimmtes moralisches Überzeugungssystem hat, insbesondere auch weil die Moral jeden Menschen viel direkter und persönlicher angeht als irgendeine Wissenschaft.
    Wittgenstein hat mal gesagt:
    Angenommen, ich könnte Tennis spielen, und einer von Ihnen beobachtete mich beim Spiel und sagte: „Sie spielen aber schlecht“, und ferner angenommen, ich erwiderte: „Das weiß ich, ich spiele schlecht, aber ich will gar nicht besser spielen“, dann bliebe dem anderen gar nichts anderes übrig als zu antworten: „Dann ist ja alles in Ordnung.“
    Aber denken wir uns, ich hätte einen von Ihnen aberwitzig angelogen, und nun käme er auf mich zu und sagte: „Sie benehmen sich abscheulich.“ Wenn ich darauf erwiderte: „Ich weiß, dass ich mich schlecht benehme, aber ich will mich gar nicht besser benehmen“, könnte der andere dann antworten: „Dann ist ja alles in Ordnung“? Nein, das ginge bestimmt nicht, sondern er würde sagen: „Dann sollten Sie sich aber besser benehmen wollen.“

Beitragsthemen: Ethik | Moral

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