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Pro und contra: Eine Therapie-Robbe für demenzkranke Menschen?

Veröffentlicht am 31. März 2014

Foto Friesacher

Pro: Heiner Friesacher

Modernes Leben ist ohne Technik nicht vorstellbar und nicht mehr realisierbar. Das betrifft natürlich auch das Gesundheitssystem und damit auch die Pflege. Technische Innovationen haben ohne Zweifel zur Lebensverbesserung von Patienten/innen und Bewohnern/innen beigetragen (denken wir z.B. an Gehhilfen und Rollstühle, an elektronische Kommunikationsmedien und Notrufsysteme), bergen aber auch Risiken und Gefahren. Es kommt in technikintensiven Arbeitsbereichen schnell zur Verschiebung der Aufmerksamkeit weg von den Menschen und hin zu den technischen Systemen.

Der in Japan entwickelte Kuschelroboter Paro, der die Gestalt einer weißen Sattelrobbe hat, wird seit einigen Jahren auch in Deutschland in der Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz eingesetzt. Anders als in Japan stößt Paro hierzulande auf ein geteiltes Echo. Es ist von Ersatz für menschliche Zuwendung die Rede und von einer entfremdeten und kalten Pflege. Andere sehen in Paro eine Chance, den Umgang mit Menschen mit Demenz zu verbessern. Aus Sicht eines Pflegewissenschaftlers und Pflegepraktikers muss zunächst festgehalten werden, dass es bisher nur wenige wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die Wirkung von Paro gibt. Das gilt allerdings auch für andere Therapieansätze bei Menschen mit Demenz. Praktische Erfahrungen zeigen allerdings, dass der Einsatz von Paro durchaus den Zugang zu Menschen mit Demenz und den Beziehungsaufbau unterstützen kann, als ein Baustein in einem Gesamtkonzept. Paro ersetzt keine menschliche Zuwendung, sondern ist ein Medium unter vielen zur Unterstützung der Kommunikation. Diese findet bei Menschen mit (fortgeschrittener) Demenz zu großen Teilen über Berührungen und Körperkontakt statt. Ein Kuschelroboter kann, ebenso wie ein Therapiehund, eine Puppe oder ein anderes Medium, in der zwischenmenschlichen Begegnung als „Türöffner“ genutzt werden. Zentral bleibt im Umgang mit Menschen mit Demenz immer die persönliche Interaktion, die anteilnehmende, sorgende, respektvolle und die Autonomie des Menschen mit Demenz bewahrende Haltung der Pflegenden.

Deshalb ist der Einsatz von Paro erlaubt, wo diese „emotionale Technologie“ in ein schlüssiges Gesamtkonzept eingebettet ist. Die Anwendung ist geboten, wo sichtbar und deutlich die Lebensqualität und das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz verbessert wird. Der Einsatz verbietet sich, wenn menschliche Zuwendung durch Paro ersetzt werden soll und wenn Bewohner/innen auf die Anwendung negativ oder ablehnend reagieren. Weitere pflegewissenschaftliche Forschung muss zeigen, wie und bei welchen Personengruppen der Einsatz von Paro sinnvoll ist.

Dr. Heiner Friesacher ist Pflegewissenschaftler, Dipl. Berufspädagoge sowie Krankenpfleger und arbeitet als freier Dozent an diversen Hochschulen sowie als Autor und Herausgeber.

Foto Manemann

Contra: Jürgen Manemann

Pflegekräfte beschreiben den Einsatz von Servicerobotern in ihrer Arbeit als Hilfe. Der Umgang mit der Robbe Paro kann Demenzkranke zeitweise aus einer tiefen Versenkung herausführen, sie stimulieren – emotional und geistig. Wenn man diese Reaktionen sieht, empfindet man jedoch auch eine Scham: Wie kalt, wie gefühllos ist unser Umgang mit Demenzkranken im Alltag geworden, wenn wir den Eindruck haben, selbst immer weniger in der Lage zu sein, Demenzkranke anzusprechen, während Emotionsroboter Patienten zum Sprechen bringen? Der Einsatz von Emotionsrobotern ist kein Ersatz, sondern Ausdruck eines Mangels und eines Verlustes. Hier handelt es sich nicht um eine neue Form von Kommunikation, sondern um den Verlust von Kommunikation. Kommunikation ist eine Sozialhandlung, die auf Teilhabe beruht. Teilnehmen findet in einem Erfahrungsraum statt. Das Sammeln von Informationen durch einen Roboter hat nichts mit Kommunikation zu tun. Das dürfen wir nicht verwechseln!

Der Einsatz von Paro mag angesichts des Pflegenotstands kurzfristig eine Unterstützung, ja vielleicht auch eine notwendige Unterstützung sein. Eine Lösung kann ich darin nicht erkennen. Paro ist kein Ersatz für echte Zuwendung. Demenzkranke haben zu allererst Anspruch auf menschliche Zuwendung und auf einen Umgang mit Natur. Statt des Einsatzes von Paro sollten Tiere einbezogen werden. Ihre therapeutische Wirkung ist bewiesen. Tiere, etwa Katzen und Hunde, sind aufgrund ihrer Fähigkeit, mitfühlen zu können, zu einer echten Kommunikation fähig. Es zeigt unser gestörtes Verhältnis zur Natur, wenn wir uns einreden, die Robbe Paro könnte den Kontakt mit Menschen und Tieren ersetzen. Dadurch betrügen wir nicht nur die Demenzkranken, sondern auch uns selbst. Demenzkranke brauchen viel Trost, da sie ständig mit dem Verlust von Erfahrungen und Kompetenzen konfrontiert sind. Trost spenden können nur Menschen, Tiere und die übrige Natur.

Professor Dr. Jürgen Manemann ist Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover.

Pro und Contra sind auch auf der Website zum Wissenschaftsjahr 2013 „Die demographische Chance“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu finden (www.demografische-chance.de/die-themen/themen-dossiers/besser-leben-mit-technik/eine-therapie-robbe-fuer-demenzkranke-menschen.html). Wir danken dem Redaktionsbüro Wissenschaftsjahr 2013 für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.

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Beitragsthemen: Ethik | Medizin

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