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Pro und Contra: Sollen wir das Altern bekämpfen?

Veröffentlicht am 23. September 2013

Pro: Stefan Lorenz Sorgner

Bei jeder Frage, in der auf ein ‚wir‘ verwiesen wird, gilt es zunächst einmal zu spezifizieren, worauf dieses ‚wir‘ genau verweist. Wenn die Frage impliziert, dass eine Verlängerung der Lebensspanne notwendigerweise mit jedem Konzept des Guten verbunden ist, dann würde ich die Frage verneinen, da ich es für plausibel erachte, dass die authentische Wahl eines guten Lebens von manchen Menschen keine Verlängerung der Lebensspanne impliziert. Entscheidend scheint mir vielmehr die Frage nach der Verlängerung der Gesundheitsspanne. Diese verweist auf die Quantität an gesund verbrachten Lebensjahren und geht häufig mit einer verbesserten Lebensqualität einher, wie zahlreiche psychologische Studien nahelegen. Wenn man die Frage so versteht, ob es moralisch angemessen ist, dass die politischen Richtlinien so strukturiert werden sollten, dass die wissenschaftliche Forschung zur Verlängerung der Gesundheitsspanne finanziell gefördert werden soll, dann kann ich nur mit einem emphatischen „Ja“ antworten.

Sozial-liberale Demokratien müssen nicht nur auf eine Wahrung der bürgerlichen Freiheiten achten, sondern sollten sich ebenso um die Chancengleichheit bezüglich eines guten Lebens bemühen. Die Möglichkeit schulischer Erziehung, der Nutzung von verlässlichen und nützlichen Impfungen und der Förderung der Gesundheitsspanne sind zentrale, diesbezüglich besonders relevante Optionen. Es sollte Bürgern jedoch offen stehen, sich für oder gegen die jeweilige Maßnahme zu entscheiden, was hinsichtlich von Impfungen in Deutschland seit 1983 glücklicherweise gegeben ist. Die moralisch problematische Schulpflicht ist leider noch immer vorhanden. Entscheidend für die hier thematisierte Frage ist es, dass es sich bei den erwähnten drei Bereichen um solche handelt, die von den meisten Menschen mit einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit auf ein gutes Leben identifiziert werden, und dass es aus diesem Grund moralisch angemessen ist, dass sich sozial-liberale Demokratien um deren Förderung bemühen.

Mit der Förderung der Forschung zur Verlängerung der Gesundheitsspanne geht unmittelbar die Bekämpfung des Alterns einher. Tatsächlich gibt es zahlreiche Gründe, die dafür sprechen, dass der Prozess des Alterns als eine Art von Krankheit aufzufassen ist (vgl. dazu Aubrey de Grey: https://de.wikipedia.org/wiki/Aubrey_de_Grey). Mit einer erfolgreichen Förderung der Gesundheitsspanne gehen weitere, insbesondere auch gesellschaftliche Herausforderungen einher, wie z.B. Knappheit von Nahrung und Lebensraum, die in Dan Browns neuem Roman „Inferno“ auf treffende Weise thematisiert werden. Diese Probleme stellen jedoch aus meiner Sicht keinen überzeugenden Grund dar, warum ein Staat sich nicht um die Möglichkeit der Verlängerung der Gesundheitsspanne kümmern sollte; schließlich ist die erfolgreiche Förderung der Gesundheitsspanne im Interesse der meisten eigenen Bürger. Zu den erwähnten gesellschaftlichen Herausforderungen gibt es zahlreiche spannende Überlegungen (siehe www.ieet.org), die unter Berücksichtigung von anderen, neu entstehenden Technologien vielversprechende Lösungsansätze beinhalten.

Stefan Lorenz Sorgner ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Contra: Mark Schweda

Das Altern bildet einen zentralen Zug unserer Existenz, geradezu die Grundstruktur des menschlichen Lebens überhaupt. Es prägt unser gesamtes Dasein von Anfang bis Ende. Egal wer wir sind, wie wir leben, was wir tun: Wir alle werden älter und erleben dabei gewisse unausweichliche und unumkehrbare Veränderungen unseres Körpers, unserer Persönlichkeit und unserer gesellschaftlichen Stellung.

Dieser Prozess verläuft individuell wie soziokulturell ganz unterschiedlich, sodass sich kaum Allgemeines darüber sagen lässt. Traditionell wird das Altern oft nach dem Muster natürlicher Vorgänge im Sinne einer Reifung und Vollendung gedeutet und mit Zugewinnen an Lebenserfahrung, Besonnenheit und Gelassenheit in Verbindung gebracht. Andererseits fehlt es nicht an Stimmen, die die Zumutungen und Härten des Alterns herausstreichen: Die Zeit rinnt uns unwiederbringlich durch die Finger, das Leben nimmt eine feste, unabänderliche Gestalt an, Handlungsmöglichkeiten und Zukunftsaussichten schrumpfen, wir sehen uns mit Verlust, Vergänglichkeit und Endlichkeit konfrontiert.

Ob wir das Alter bekämpfen sollten, hängt offenkundig davon ab, was genau wir darunter verstehen. Zurzeit scheint die moderne Medizin hier die Deutungshoheit zu gewinnen. Sie bestimmt, was es heißt, alt zu werden und zu sein. Diese ‚Medikalisierung‘ führt zu einer einseitigen Fixierung aufs Körperliche und fördert so ein Defizitmodell des Alters im Zeichen von Krankheit, Niedergang und Verfall. Entsprechend boomt das Angebot an teils fragwürdigen, nutzlosen oder gar riskanten medizinischen (und pseudomedizinischen) „Anti-Aging“-Ansätzen, die versprechen, den Alterungsprozess zu verlangsamen, aufzuhalten oder zurückzudrehen und die biologische Lebensspanne zu verlängern.

Gewiss: Wer könnte etwas dagegen einzuwenden haben, mit dem Älterwerden einhergehende Krankheiten medizinisch zu behandeln, zumal wenn das Ergebnis ein längeres, gesünderes, zufriedeneres Leben ist? Der Wunsch nach einer Bekämpfung des Alters als solchen und im Allgemeinen hingegen bekundet eine sonderbar verengte Sichtweise. Schließlich werden gerade im Alter elementare Dimensionen des Menschseins erfahrbar: Möglichkeiten der Abhängigkeit und Zerbrechlichkeit, aber auch des Loslassens und der Selbstüberschreitung. Und all das macht unser Leben nicht nur schwer, sondern auch ernster, tiefer und reicher. Es fordert uns nicht zuletzt dazu heraus, uns mit unseren Grenzen auseinanderzusetzen, unsere Ziele in ihrem Licht zu überdenken und so als Personen zu wachsen – eine Art von Wachstum und Steigerung freilich, die weder durch Anti-Aging-Programme noch durch transhumanistische Enhancement-Projekte zu erreichen ist. Hinter deren technologischen Optimierungskalkülen und kraftmeierischen Nietzscheanismen dürfte sich so in Wahrheit oft ein kleinmütiger, überängstlicher Geist verbergen, der letztlich gerade davor zurückscheut, sich mit Haut und Haaren ins volle Leben zu stürzen und es tatsächlich in seiner ganzen Breite und Tiefe auszukosten.

Mark Schweda ist promovierter Philosoph und Mitarbeiter am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen.

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2 Kommentare

  1. Sollen wir das Altern bekämpfen?
    Ich sehe es zwiespältig. Im ersten Beitrag wurde bereits angedeutet, dass medizinische Versorgung bereits faktische Lebensverlängerung ist. Herr S. dagegen bezieht sich auf eine „Grundstruktur“ des Lebens, die aus seiner Sicht gewahrt bleiben müsse.

    Der wichtigste Punkt wurde übersehen. Die Grundstruktur des einzelnen Menschenlebens ist lediglich winziger Teilbereich und Ausdruck einer Gesamtstruktur, die man als Evolution bezeichnet. Der Tod der Individuen ist der Motor der Evolution, Verlängerung des Lebens bedeutet „Ausbremsen“ derselben. Nur durch das Sterben/ Aussterben weniger „fitter Arten“ konnte überhaupt erst eine Spezies entstehen, die über sich selbst reflektieren kann, anderenfalls wäre die Entwicklung der Arten bei den Blaualgen stehengeblieben, bzw. hätte sich gar nicht erst ereignet. Es gibt übrigens bereits „Stimmen“, die behaupten, die heutige medizinische Versorgung hätte zu einem evolutionären Stillstand geführt.
    Die Frage nach Abschaffung des Alterns, im Extremfall nach ewigem Leben, wäre also keine geringere, als die nach Abschaffung der Evolution, bzgl.der menschlichen Spezies.

    Um das Thema “ Abschaffen des Alterns“ ein wenig zu beleuchten, müsste man sich zunächst einmal mit der Funktion der Evolution befassen. Was genau „macht“ sie mit welchen Mitteln, nach welchen Kriterien „siebt“ sie und welche „Richtung verfolgt“ sie?
    Nach heutigem Stand führen mutagene Veränderungen bei den Lebenwesen zu mehr oder weniger anpassungsfähigen Arten, deren fitteste Vertreter dann zahlreichen Nachwuchs haben. Weniger Anpassungsfähige geraten diesbezüglich ins Hintertreffen und sterben im Extremfall, wenn nicht einmal mehr sog. Nischen vorhanden sind, aus. Die Evolution agiert dabei blind, d.h. sie begünstigt ohne Ansehen von etwaigen anderen Qualitäten, dasjenige Individuum, welches im betreffenden Habitat seinen Lebenskampf optimal bewältigt. Man sollte sich diesen Vorgang vielleicht einmal an Extrembeispielen verdeutlichen, um die Tragweite zu verstehen.
    Ein potentiell noch so „fittes“ Einzelindividuum wäre, auf sich selbst gestellt, bereits bei kleinster Störung dem Untergang geweiht .Viele Menschen wären gar nicht erst lebend geboren, weil die Geburt selbst schon ein für Mutter und Kind hoch riskantes Ereignis darstellt. Intellektuelle Fähigkeiten der Menschen, die über eine konkrete eigene Lebensbewältigung hinausgehen, werden von der Evolution nicht berücksichtigt. Selbst ein winziges gesundheitliches Manko würde einem großen Genie sofort zum Verhängnis. Die Evolution ließe von einem solchen „Spielkandidaten“ ab. Er würde sterben, selbst wenn das körperliche Gebrechen ein Jahr später durch einfachste medizinische Behandlung hätte geheilt werden können.
    Diese „Blindheit“ der Evolution wirkt sich sehr verschwenderisch hinsichtlich eigener, hervorgebrachter Potentiale aus. Obwohl die Natur hochintelligente Gehirne hervorgebracht hat, scheint diese Eigenschaft im evolutionären Wettlauf sogar eher nachteilsbehaftet.
    Kurz: Das „Modell Archimedes“ hat sich nicht durchsetzen können, Günstling der Evolution war eindeutig das „Modell Römer mit Schwert“.
    Man sollte deshalb die ursprünglich aufgeworfene Frage “ Bekämpfung des Alters“ mit der Frage nach dem Sinn der Evolution verknüpfen. Wäre ein von Menschenhand ungehinderter Fortgang der Evolution ( als Gegenstück) für die Entwicklung der Menschheit erstrebenswerter? Also beispielsweise Einstellung aller medizinischer Versorgung.
    Meiner Ansicht nach, befinden wir uns an einer epochalen Schwelle. Natürlich sollte man Menschen innerhalb ihrer natürlichen Lebensspanne ( 120 Jahre maximal)von allen medizinischen Erkenntnissen profitieren lassen.

    Aber es ist m.E. auch Zeit Tabuthemen anzusprechen, die mit genetischer Veränderung einhergehen. Man hört soetwas immer nur im Zusammenhang pränataler Diagnostik mit anschließender, obligatorischer Moraldiskussion: Ab wann ist Leben noch lebenswert, obwohl mit schweren Behinderungen zu rechnen ist?
    Ebenso wichtig fände ich eine Diskussion über Autoevolution. Wenn Genetiker mehr und mehr den Bauplan des Menschen dechiffrieren, kann sich dieser irgendwann in die Lage versetzen, eine eigene Evolution zu kreieren. Z.B. eine mit ganz anderen Maßgaben, als wir es von der natürlichen kennen. Wäre es beispielsweise vertretbar, einen menschlichen Fötus so zu manipulieren, dass dieser das Potential Mozarts besäße? Oder das Ghandis? Wäre es überhaupt moralisch vertretbar, soetwas nicht zu tun, wenn es technologisch möglich wäre? Grüße von hier

    • Wie kann man etwas bekämpfen, das absolut nicht aufzuhalten ist?

      Natürlich ist der hippokratische Eid der Ärzte heutzutage sowas wie eine Lizenz zum Überleben. Ich persönlich bin jetzt 56 und wenn ich morgen sterbe habe ich so weit alles erlebt, was in dieser medialen Welt zu erleben gilt. Ich könnte gehen! Die Welt hat mir aufgezeigt, dass ich nicht mehr jung sein kann und im Grunde somit keinen besondern Nutzen mehr habe, was die maßgeblichen Denker in unserer Gesellschaft betrifft.
      JEDER wird alt – das muss man nicht mal diskutieren, das ist langweilig……Es gibt aber keine Philosophen mehr, die selbst alt wurden (80-90) und deswegen rumphilosophierten……das haben die damals nicht gemacht, wegen Alter, sondern wegen Leben und so.
      Heute geht es aber um´s Altern. Und dass wir alle älter als geplant werden…..und trotzdem dement und Alzheimer….etc. Mir persönlich ist das egal, ich komme klar, aber mir graut es vor den ganzen Kranken, die mit ihrer Vergangenheit Macht ausüben wollen. Die Klugscheißer, die im richtigen Leben schon große Fresse hatten und dann in Demenz jedem Pfleger für 8 Euro Stundenlohn das Leben zur Höllle machen……….Das wird ein Desaster!

Beitragsthemen: Ethik | Körper | Medizin

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