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Schwerpunktbeitrag: Wozu Metaethik?

Veröffentlicht am 22. Dezember 2014

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Nico Scarano

Die Frage nach dem Wozu einer philosophischen Disziplin ist nicht einfach zu beantworten. Dies gilt auch für die Metaethik. Einen Zugang zur Frage nach ihren Zielen und Zwecken gewinnt man darüber, dass es Philosophie generell um Verstehen geht. Was versucht die Metaethik zu verstehen? Welche Fragen möchte diese Disziplin mit Hilfe philosophischer Methoden beantworten? Im Folgenden werde ich (1.) zunächst umrisshaft skizzieren, was überhaupt Metaethik ist, um (2.) dann vier metaethische Arbeitsgebiete voneinander abzugrenzen und deren jeweilige Hauptfragen zumindest ansatzweise zu benennen. Schließlich werde ich (3.) kurz darauf eingehen, inwiefern die Metaethik neben ihrer eigentlichen Aufgabe, die in der Beantwortung dieser Fragen liegt, auch als Hilfsdisziplin für andere wissenschaftliche Untersuchungen dienen kann.

Eine übliche, aber meines Erachtens unzureichende Antwort auf die Frage, was Metaethik ist, besteht darin, dass es sich bei ihr um eine Disziplin handelt, die Vorfragen der Ethik klärt. Diese Antwort ist schon deshalb unzureichend, weil es beiden Disziplinen um die Ausarbeitung eigenständiger Theorien geht. Um Ethik und Metaethik genauer voneinander abzugrenzen, ist es nützlich, einen Blick auf die Aussagen zu werfen, die im Zentrum der beiden Theorieformen stehen:

1.) Im Zentrum ethischer Theorien stehen Aussagen eines besonderen Typs. Normative Ethiken formulieren und rechtfertigen normative (d.h. evaluative oder deontische) Aussagen mit einem hohen Allgemeinheitsgrad. Beispielsweise gibt eine personale Ethik Antworten auf die Frage, wie Individuen handeln sollen, Theorien des guten Lebens sagen, worin menschliches Wohlergehen besteht, und politische Ethiken formulieren normative Grundsätze für politische Institutionen.

In metaethischen Theorien finden sich keine solchen normativen Aussagen. Metaethiken geht es um die Formulierung und Rechtfertigung von Aussagen eines anderen Typs. Die zentralen Aussagen der Metaethik sind Aussagen höherer Ordnung: Es sind Aussagen über normative Urteile, beispielsweise Aussagen über solche Prinzipien, wie sie von ethischen Theorien formuliert werden.

Nun sind aber nicht alle Aussagen über ethische oder moralische Urteile metaethische Aussagen. Ein Blick auf folgende Beispielsätze macht dies deutlich:
(i) „Foltern ist unter allen Umständen verwerflich.“
(ii) „Der Satz ‚Foltern ist unter allen Umständen verwerflich.‘ besteht aus 40 Buchstaben.“
(iii) „Der Satz ‚Foltern ist unter allen Umständen verwerflich.‘ bringt keine deskriptive, sondern eine normative Aussage zum Ausdruck.“
Nur in Satz (iii) kommt eine metaethische Erkenntnis zum Ausdruck.

Welche Aussagen zweiter Ordnung gehören zur Metaethik, welche nicht? Die Metaethik fällt selbst keine ethischen bzw. moralischen Urteile, sondern macht Aussagen und formuliert Hypothesen über diese. Ihr geht es zunächst einmal darum, was überhaupt ethische bzw. moralische Urteile sind – oder noch allgemeiner: was normative Aussagen von deskriptiven Aussagen unterscheidet. Sie richtet sich nicht auf die Inhalte solcher Urteile, sondern analysiert deren formale Aspekte. Insofern reiht sich die Metaethik in andere philosophische Disziplinen ein, die ganz ähnliche Fragen zu anderen Urteilsarten zu beantworten versuchen. Was z.B. sind „mathematische Urteile“, was sind „modale Urteile“, was sind „ästhetische Urteile“ etc.?

2.) Auch in ihren Untersuchungsmethoden und -gebieten steht die Metaethik nicht isoliert da. In ihr finden dieselben Instrumentarien Anwendung wie in anderen Bereichen philosophischer Analyse. Demnach lassen sich vier metaethische Untersuchungsgebiete voneinander unterscheiden. In jedem dieser Gebiete geht es um spezifische, nicht aufeinander reduzierbare, jedoch miteinander zusammenhängende Fragestellungen:

(a) Zunächst gehören zur Metaethik sprachphilosophische Fragen. Hier stehen sich zwei Erklärungsansätze gegenüber. Beide werden heute in unterschiedlichen Versionen vertreten. Der eine Ansatz betont die Gemeinsamkeiten von normativen und deskriptiven Aussagen und tritt oft in Form einer wahrheitsfunktionalen Semantik auf. Zumindest oberflächlich betrachtet weisen normative und deskriptive Äußerungen dieselbe Form auf. Zum Beispiel treten moralische Äußerungen als prädikative Aussagen auf, in denen bestimmten Gegenständen ein moralisches Prädikat zu- oder abgesprochen wird. Wir reden beispielsweise davon, dass bestimmte Handlungen „moralisch gut“, andere „moralisch schlecht“ sind.

Die wahrheitsfunktionale Analyse setzt allerdings voraus, dass normative Urteile wie deskriptive Urteile entweder wahr oder falsch sind. Der zweite Ansatz weist diese Annahme zurück. Er wird oft in Form einer handlungstheoretischen Semantik vertreten. Die Grundidee lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Wenn der Beitrag moralischer Ausdrücke zur Bedeutung eines Satzes nicht als ein Beitrag zu dessen Wahrheitsbedingungen verstanden werden kann, muss er als ein Beitrag zu dessen sprachpragmatischer Funktion aufgefasst werden. Mit der Äußerung eines normativen Satzes, so die Annahme, machen wir keine Aussage, die wahr oder falsch sein kann. Vielmehr führen wir mit der Äußerung solcher Sätze eine ganz andere Art von Sprechhandlung aus. Je nach Theorie steht dabei jeweils eine etwas andere sprachpragmatische Funktion im Mittelpunkt. So wird beispielsweise im „Expressivismus“ die Hauptfunktion normativer Äußerungen im Zum-Ausdruck-Bringen, der Expression, einer Einstellung gesehen. Demgegenüber steht im „Präskriptivismus“ eher der vorschreibende Aspekt unserer moralischen Sprache im Vordergrund.

Lassen sich normative Äußerungen vollständig wahrheitsfunktional analysieren, oder können sie nur über eine handlungstheoretisch ansetzende Theorie der Bedeutung erfasst werden? Die Antwort ist nicht nur von sprachphilosophischem Interesse. Sie hat auch ganz entscheidende Konsequenzen für die anderen Bereiche der Metaethik. Es ist nicht unerheblich, ob normative Urteile wahr oder falsch sein können. Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, kommt man beispielsweise zu einer ganz anderen Auffassung darüber, was es heißt, ein normatives Urteil zu begründen.

(b) Die Metaethik kann auch als derjenige Bereich der Philosophie charakterisiert werden, der sich dem Gegenstand der praktischen Philosophie aus der Perspektive der theoretischen Philosophie nähert. Untersuchungen der theoretischen Philosophie beschränken sich jedoch nicht auf sprachphilosophische Themen. Heute stehen vor allem Fragen aus dem Bereich der Philosophie des Geistes im Zentrum des metaethischen Interesses. Welche Art von mentalem Zustand bringen wir mittels normativer Äußerungen zum Ausdruck? Was sind überhaupt Wertungen? Was sind moralische Gefühle? Und wie ist der Zusammenhang zwischen unseren Wertungen und unseren Handlungen zu verstehen?

Fragen der Handlungsmotivation werden vor allem im Zusammenhang mit moralischen Urteilen bzw. moralischen Überzeugungen diskutiert. Geht man von den Grundlagen der klassischen Handlungstheorie aus, dann sind Glaubensannahmen, etwa Annahmen über Zweck-Mittel-Beziehungen, zwar notwendig für das Zustandekommen einer Handlung. Hinreichend sind sie jedoch nicht. Damit es zur Ausführung einer Handlung kommen kann, muss auch ein entsprechendes Motiv vorliegen. Werden moralische Überzeugungen als Glaubenszustände analysiert, dann bräuchte es, damit es zur Ausführung einer entsprechenden Handlung kommt, zusätzlich zur Überzeugung – beispielweise dass gegebene Versprechen zu halten sind – noch eine spezielle Motivation, um die als moralisch richtig angesehene Handlung auch tatsächlich auszuführen. Die Motivation für moralisches Handeln würde also nicht intern, durch die moralische Überzeugung selbst, sondern extern, etwa durch einen davon unabhängigen Wunsch geleistet. In der metaethischen und handlungstheoretischen Literatur wird eine solche Position deshalb auch als „Externalismus“ bezeichnet. Diesem steht der sogenannte „Internalismus“ gegenüber, welcher annimmt, moralischen Überzeugungen kämen intern, also von sich aus motivierende Kraft zu. Was also sind moralische Überzeugungen? Meinungen über die Beschaffenheit der Welt oder handlungswirksame Motive? Oder muss etwa die traditionelle Handlungstheorie aufgegeben werden? Dies ist nur eine der zahlreichen Fragen, die die Metaethik im Bereich der Philosophie des Geistes zu klären hat (vgl. dazu auch den Beitrag von Sabine Döring und Peter Königs in fiph-Journal 19, April 2012, S. 22/23).

(c) Unter einem normativem Urteil lässt sich zweierlei verstehen. Zum einen kann damit eine sprachliche Äußerung gemeint sein, zum anderen eine dadurch zum Ausdruck gebrachte normative Überzeugung. Sowohl bei den Äußerungen als auch bei den mentalen Zuständen stellt sich die Geltungsfrage: Können normative Urteile in einem strikten Sinn wahr oder falsch sein? Wenn man annimmt, die Wahrheit von Überzeugungen oder Aussagen hängt von der Beschaffenheit der Welt ab, kann man normativen Urteilen nur dann einen Wahrheitswert zuerkennen, wenn man davon ausgeht, dass es normative Tatsachen gibt. Ein normatives Prädikat (etwa: „x ist moralisch gut“) lässt sich einem Gegenstand (zum Beispiel einer bestimmten Handlung) nur dann mit Wahrheit zuschreiben, wenn der Gegenstand die entsprechende normative Eigenschaft aufweist. Und das heißt, dass auch die entsprechende Tatsache existiert. Andernfalls wäre das Urteil falsch. Mit der Annahme, normativen Urteilen könnten Wahrheitswerte zukommen, verpflichtet man sich also auch auf die Existenz normativer Tatsachen. Verneint man hingegen, dass es normative Tatsachen gibt, so kann auch nicht mehr im strikten Sinn von der möglichen Wahrheit oder Falschheit der entsprechenden Urteile gesprochen werden. Will man dennoch, wofür es gute Gründe gibt, an der Idee der Geltung normativer Urteile festhalten, muss deren Möglichkeit auf andere Weise erklärt werden.

Die Frage nach der Geltung der Urteile führt also auf direktem Weg zu der ontologischen Debatte um den Status normativer Eigenschaften und um die Existenz normativer Tatsachen. In Bezug auf moralische Urteile wird die Debatte seit dem Ende der 1970er Jahre unter den Titeln „moralischer Realismus“ versus „moralischer Antirealismus“ intensiv geführt. Vertritt man einen moralischen Realismus, legt man sich damit nicht nur auf die Existenz moralischer Tatsachen fest, man muss auch klären, welcher ontologische Status moralischen Eigenschaften zukommt. Sind es subjektunabhängige Eigenschaften? Oder sind es subjektabhängige Eigenschaften, die durch unser moralisches Urteilsvermögen mitkonstituiert werden? Und wie wäre dies genauer zu verstehen? (Zum moralischen Realismus vgl. auch den Beitrag von Christoph Halbig in fiph-Journal 19, April 2012, S. 6/7.)

(d) Die Frage nach der Geltung normativer Urteile hat nicht nur sprachphilosophische und ontologische Implikationen. Zur Metaethik gehören auch epistemologische Fragen. Dass normative Urteile eine Geltungsdimension besitzen, zeigt sich daran, dass wir uns in bezug auf sie sinnvoll streiten können. Es besteht die Möglichkeit, solche Urteile einer rationalen Kritik zu unterziehen bzw. sie gegen solche Kritik zu verteidigen. Wir gehen davon aus, dass wir uns bezüglich normativer Fragen irren können und dass es in diesem Bereich so etwas wie „richtige Antworten“ gibt. Diese Annahme ist erklärungsbedürftig.

Was heißt es, von normativen Urteilen zu sagen, sie seien gerechtfertigt? Kann es so etwas wie normatives Wissen geben? Und was wären die Kriterien für das Vorliegen eines solchen Wissens? Wer von vornherein annimmt, dass nur solche Urteile sich rechtfertigen lassen, die wahr oder falsch sein können, macht es sich zu einfach. Dass sich die Logik normativer Argumentationen auf einer antirealistischen Grundlage erklären lässt, ist nicht von vornherein auszuschließen. Dennoch muss auch der Antirealismus zeigen können, was es heißt, normative Urteile zu rechtfertigen. Ein meines Erachtens gangbarer Weg besteht zum Beispiel darin, die Geltung normativer Urteile auf die Vernünftigkeit der Handlungsorientierung zurückzuführen, die diese Urteile leisten.

Es gibt noch weitere epistemologische Fragen in der Metaethik. Eine davon betrifft die Rolle von moralischen Intuitionen für ethische Argumentationen. Können wir hinter unsere eigenen Intuitionen zurückgehen? Auf was könnten wir uns dann noch berufen? Aber warum sollten unsere Intuitionen überhaupt eine begründende Kraft haben? Auch ist umstritten, inwieweit eine antirealistische Metaethik relativistische Konsequenzen mit sich bringt.

3.) Die Metaethik bewegt sich also aus in vier voneinander unterscheidbaren Teilgebieten: der Sprachphilosophie, der Philosophie des Geistes, der Ontologie und der Epistemologie. Alle vier Bereiche zeichnen sich durch eigenständige Fragestellungen und eigene Untersuchungsmethoden aus, sind also nicht aufeinander reduzierbar. Dennoch gibt es vielfältige Zusammenhänge, und Festlegungen auf einem Gebiet ziehen unweigerlich Konsequenzen für die anderen nach sich. Will man klären, was überhaupt unter normativen Urteilen zu verstehen ist, müssen zu allen vier Teilbereichen angemessene und miteinander kompatible Antworten gefunden werden. Die Ansprüche, die eine umfassende metaethische Theorie erfüllen muss, sind erheblich: Nicht nur müssen die Antworten zu den vier metaethischen Bereichen kohärent sein; sie sollte auch dem neusten Stand der Forschung innerhalb der theoretischen Philosophie und der philosophischen Handlungstheorie entsprechen.

Der Zweck der Disziplin Metaethik besteht meines Erachtens in der Ausarbeitung solcher umfassenden und erklärungsmächtigen metaethischen Theorien. Es geht ihr in erster Linie darum, das Phänomen Normativität zu verstehen.

Selbstverständlich kann sie auch als Hilfswissenschaft für andere wissenschaftliche Disziplinen dienen. Beispielsweise ist die Ethik darauf angewiesen, zu verstehen, wie moralische Urteile begründet werden können. Und auch zu empirischen Disziplinen, die sich mit Normativität befassen, wie Rechtswissenschaft, Moralpsychologie oder Moralsoziologie gibt es vielfältige Bezüge. Dennoch sollte man die Metaethik nicht auf solche externen Zwecke festlegen. Neben ihren unterstützenden Funktionen für andere Disziplinen kommt den metaethischen Analysen auch ein eigenständiger Wert zu. Wenn wir verstehen wollen, was überhaupt Normativität, was Moral, was Rationalität ist, wenn wir wissen wollen, worin die Wurzeln einer der grundlegenden Eigenschaften des Menschen, seiner Fähigkeit normative Überzeugungen auszubilden und an ihnen sein Handeln zu orientieren, zu suchen sind, dann kann auf eine umfassende Behandlung aller vier Teilbereiche der Metaethik nicht verzichtet werden.

Prof. Dr. Nico Scarano vertritt den Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Erstveröffentlichung des Beitrags in: fiph-Journal 19 (April 2012), S. 1, 3-4.

(c) Nico Scarano

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Beitragsthemen: Epistemologie | Ethik

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