Pro: Lutz von Werder
Es gibt weltweit etwa 1000 Philosophische Cafés. In Frankreich sind es rund 500, in Deutschland etwa 150. Der seit Jahren angekündigte „Philosophieboom“ hat sich in den Philosophischen Cafés institutionalisiert. Philosophische Cafés sind allerdings umstritten. Schon Marc Sautet, dem Erfinder dieser Orte sokratischen Philosophierens, wurde „Kleinhirngymnastik“ unterstellt. Der Ausbruch aus dem „Elfenbeinturm“ und die Positionierung auf dem „Marktplatz“ gelten vielen akademischen Philosophen als kleiner Skandal. Denn die Cafés wollen nicht philosophieren für Wenige, sondern für Alle. Der Streit zwischen esoterischer und exoterischer Philosophie begleitet die Philosophiegeschichte. Auf der Seite der Philosophischen Cafés stehen die Sophisten, die Epikureer, die Aufklärer, die Existenzphilosophen: also keine schlechten Bündnispartner. Die Cafés haben vielfältige Methoden entwickelt, wie das Philosophieren gelehrt und gelernt werden kann. Diese reichen von traditionellen Vorträgen, über Moderation und Animation mit Übungen, über Denken mit Hilfe von kreativen Medien bis hin zu modularisierten Formaten. Es wird produktiv argumentiert, imaginiert, assoziiert, frei geschrieben, gemalt und gedichtet. Philosophische Cafés verbreiten Themen wie Liebe, Revolution, Weltuntergang, Lachen, Tod, Kapitalismus, Selbsterkenntnis, Geld usw., die an der Universität oft zu kurz kommen. Sie erwecken verfehmte Philosophen – wie z.B. Diogenes, La Mettrie, de Sade, Holbach, Bahnsen, Horstmann, P. Hadot, Wilber, Grof, Bataille usw. – wieder zum Leben und stellen sie zur Diskussion, zur Lösung aktueller Lebensprobleme des Alltagsmenschen. Philosophische Cafés entfalten unverzichtbare, aber vernachlässigte Seiten der Philosophie, wie z.B. Philosophie als Liebeskunst, als Lebenskunst, als Psychotherapie, als sokratische Selbsterkenntnis, als existenzialistische Selbstanalyse, als philosophische Meditation. Philosophische Cafés frischen das Blut des Denkens in aller Öffentlichkeit auf. In unserer Gesellschaft des medialen Spektakels und der Talk-Shows mit den immer gleichen Verdächtigen stiften sie für den orientierungsbedürftigen Einzelnen diskursfähigen Sinn. Aber die Philosophischen Cafés stehen auch vor einigen Herausforderungen. Sie dauern alle zwei Wochen 1,5 bis 2 Stunden, versammeln 50 bis 100 Menschen mit unterschiedlichen Lebensorientierungen. Die Leiter/innen brauchen Kenntnisse in Großgruppendynamik, Zielgruppendynamik, im alltäglichen Wissenstransfer, im Umgang mit Denkkrisen und Weltanschauungskonflikten. Tagungsorte für Philosophische Cafés sind schwer zu finden. Kommerzielle Cafés sind zu laut, Volkshochschulräume oft zu entlegen. In Großstädten siedeln sich Philosophische Cafés in Literaturhäusern, Galerien, Kulturzentren an. Aber es sollte viel mehr Philosophische Cafés in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, geben. 500 neue Philosophische Cafés könnten dem Steuerzahler zeigen, dass das Geld für die Philosophie nachhaltig angelegt ist. Allerdings sollten die Leiter/innen qualifiziert werden – durch universitäre philosophische Institute, die mit Karl Popper hoffen: Alle Menschen können Philosophen werden, durch Mitdenken im öffentlichen Raum, wie Aristoteles es für den freien Polisbürger angedacht und Hannah Arendt für moderne Gesellschaften ausgeführt hat.
Lutz von Werder ist emeritierter Professor für Kreativitätsforschung an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin. Er leitet seit 17 Jahren Philosophische Cafés in Berlin und seit 12 Jahren im Radio auf WDR 5.
Contra: Héctor Wittwer
Die Frage, ob es Philosophische Cafés „geben sollte“, ist zweideutig. Wenn sie darauf abzielt, ob es solche Cafés geben darf, wird sie offensichtlich jeder Liberale bejahen. Selbstverständlich haben Menschen das Recht, sich bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein öffentlich über philosophische Themen auszutauschen. Das folgt ganz einfach aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Zweifellos darf es Philosophische Cafés geben. Man kann die Frage jedoch auch anders verstehen: Sprechen aus der Sicht der akademisch betriebenen Philosophie, der ich mich zurechne, gute Gründe dafür, sich für die Verbreitung philosophischer Cafés einzusetzen und diese zu unterstützen? In Bezug auf diese Frage scheinen mir zumindest Zweifel angebracht. Diese rühren daher, dass sich die Philosophie seit ihren Anfängen zu einer Wissenschaft mit verschiedenen Teildisziplinen entwickelt hat. Wer sich ernsthaft mit ihr beschäftigen will, der muss spezielle Kenntnisse erworben haben und bestimmte Methoden beherrschen. Wie alle Bereiche moderner Gesellschaften, so ist auch die moderne Wissenschaft nach den Grundsätzen der Arbeitsteilung und der Spezialisierung organisiert. Das gilt auch für die Philosophie: Sie ist nicht die „Königin der Wissenschaften“, die das Wissen der anderen Fächer zusammenfasst, sondern eine hoch spezialisierte Disziplin neben anderen. Der Veranstaltungsform des Philosophischen Cafés liegt nun eine ganz andere Auffassung vom Wesen und der Aufgabe der Philosophie zugrunde. Philosophieren erfordert demnach keine besondere Ausbildung, sondern nur die Bereitschaft, sich auf ein sachliches Gespräch mit anderen einzulassen. Die Philosophie soll keine rein akademische Angelegenheit sein, sondern eine öffentliche Tätigkeit, die den Interessierten dabei hilft, ihre Gedanken zu klären, und damit gleichzeitig zur kritischen Reflexion auf unsere Lebensbedingungen beiträgt. Die Ausrichter solcher Veranstaltungen berufen sich gern auf die antiken Ideen des sokratischen Dialogs und des öffentlichen Disputs auf der Agora. Für eine philosophische Diskussion müssten demnach nur wenige Voraussetzungen erfüllt sein. Man benötigt einen öffentlichen Raum, gesprächswillige Teilnehmer und einen Moderator, man muss sich auf ein Thema einigen, und dann kann es losgehen. Man philosophiert aus dem Stegreif. Anhand eines beliebigen platonischen Dialogs kann man sich jedoch davon überzeugen, dass die erbaulichen Diskussionen in den Philosophischen Cafés kaum etwas mit Sokrates’ strenger, vorbehaltloser Gesprächsführung zu tun haben, die in der Regel dazu führte, dass seine Gesprächspartner verunsichert waren. Darüber hinaus bezweifle ich, ob man der Philosophie mit dieser Art von Popularisierung einen Dienst erweist. Zwar gibt es in der langen Geschichte der Philosophie keinen stetigen Fortschritt. Es sind jedoch bereits fast alle Probleme systematisch durchdacht worden. Hinter die Einsichten, die im Verlauf der Geschichte zusammengetragen wurden, zurückzugehen und voraussetzungslos und ohne methodische Standards drauflos zu denken, erscheint mir wenig ergiebig. Dabei entsteht der irreführende Eindruck, dass man nebenbei bei einem Gläschen Wein philosophieren könnte. Dass Philosophie kontinuierliche Anstrengungen verlangt, weil sie Arbeit am Begriff ist, wird dabei wohl kaum deutlich.
Héctor Wittwer ist Privatdozent für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und ehemaliger Fellow des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover
Unter dem Titel „Selber philosophieren“ habe ich hier http://www.myheimat.de/augsburg/kultur/selber-philosophieren-d2374197.html noch ganz andere Gesichtspunkte aufgeführt, die bei der praktischen Umsetzung der Idee eines „Philosophischen Cafés“ berücksichtigt werden können. In Augsburg verfolge ich diese Linie seit über sieben Jahre – und mit Erfolg, wie ich anmerken kann. (Auf Facebook ist die Seite zum PCAS hier zu finden: http://www.facebook.com/pages/Philosophisches-Caf%C3%A9-Augsburg-Schwaben-PCAS/291287068833)