„Auch dort drüben, dort im Altersheim, in dem die Leben erloschen, war der Abend wie ein melancholischer Waffenstillstand.“[1]
Albert Camus’ Roman „Die Pest“ wird seit Ausbruch des Corona-Virus wieder vermehrt gelesen.[2] Die Thematik – der Umgang der algerischen Stadt Oran mit einem Pestausbruch – lädt dazu ein, Parallelen zur Covid-19-Pandemie zu ziehen. Dennoch zielt Camus’ Roman auf etwas viel Größeres ab: die menschliche Existenz. Die Krankheit ist für Camus dabei Metapher und gerade nicht einziges Thema des Buchs. Dabei gilt für den Roman wie für Krisen, dass sich in ihnen Grundzüge unserer Existenz zwar noch deutlicher auftun, mit denen wir – aufgrund der Verfasstheit des menschlichen Lebens – aber immer schon konfrontiert sind. Die Pest ist ein passender Krisenroman, aber seine Wiederentdeckung ist noch viel mehr: ein Angebot, sich mit der „absurden Existenz“ zu beschäftigen.
Zum scheinbaren Konflikt zwischen Infektionsschutz und Wirtschaftswachstum
Torsten Windels
Abwägungen und Alternativkosten
Die Corona-Krise ist eine schwere Belastungsprobe für alle Menschen und
auch Institutionen. Zur Kontrolle des Infektionsrisikos griff und greift
weltweit ein überwiegend restriktives, staatliches Kontaktreduzierungsprogramm.
Es galt und gilt Gesundheits- und Lebensrisiken zu vermindern. Hierzu wurden
Versammlungs-, Veranstaltungs- und Geschäftsverbote sowie Abstands-, Hygiene-
und Quarantänegebote verhängt.
Recht früh warnten
einige Ökonomen vor hohen volkswirtschaftlichen Kosten durch die staatlichen
Infektionsschutzmaßnahmen. Dabei ging es nicht um die Kosten der Pandemie selbst,
durch Krankheit und Tod sowie deren medizinische Begleitung, sondern um die
entgangenen Einkommen und Gewinne durch die Schutzmaßnahmen. Denn auch diese
beinhalteten erhebliche soziale Risiken (Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit,
Existenz- und Zukunftssorgen, …). Problematisch hierbei war, dass die
staatlichen Maßnahmen und nicht die Pandemie als ursächlich für die Rezession
dargestellt wurden. Es entstand der Eindruck eines Gegeneinanders von Infektionsschutz
oder wirtschaftlicher Entwicklung. [1]
„Ein Wissenschaftler ist kein Politiker, der wurde nicht gewählt und der muss nicht zurücktreten. Kein Wissenschaftler will überhaupt so Dinge sagen wie: Diese politische Entscheidung, die war richtig. Oder diese politische Entscheidung, die war falsch. Oder diese politische Entscheidung, die muss jetzt als Nächstes getroffen werden. Sie hören das von keinem seriösen Wissenschaftler. […] Die Wissenschaft bekommt damit langsam wirklich ein Problem mit dieser doppelten Aussage, die sowohl von der Politik, wie auch von der Wissenschaft kommt. Beide Seiten sagen, die Politik trifft die Entscheidungen und nicht die Wissenschaft. Das sagt sowohl die Politik, wie auch die Wissenschaft. Dennoch wird weiterhin immer weiter dieses Bild des entscheidungstreffenden Wissenschaftlers in den Medien produziert. Wir sind hier langsam an einem Punkt, wo dann demnächst auch die Wissenschaft in geordneter Weise den Rückzug antreten muss, wenn das nicht aufhört.“ – Christian Drosten, NDR Info: Coronavirus-Update. Folge 24, 30.03.2020.
Die
Corona-Krise zeigt, wie viel Unsicherheit in der Verhältnisbestimmung von Politik
und Wissenschaft besteht. Politische Entscheidungsträger*innen – so scheint es
– waren noch nie so sehr auf wissenschaftliche Expertise angewiesen, aber auch
in der Gesellschaft selbst findet sich ein Verlangen nach eindeutigen
wissenschaftlichen Erklärungen und Empfehlungen. Zugleich finden sich
Wissenschaftler*innen wie nie zuvor in der medialen Öffentlichkeit präsentiert
und damit zugleich in Debatten, für die sie nicht immer gerüstet sind.[1] Trotz eines Grundvertrauens
gegenüber Wissenschaftler*innen[2] führt deren Sichtbarkeit
zu der Frage: Wie sehr können und müssen sich Wissenschaftler*innen in die
Politik einmischen? Und wie stark können und müssen Politiker*innen wissenschaftliche
Ergebnisse als Grundlage ihrer Entscheidungen gewichten?
„Nackt in der Badewanne“ verkündete Madonna in einem Videoclip, dass das Coronavirus „der große Gleichmacher“ sei, und stellte dabei erleichtert fest: „Wenn das Schiff untergeht, gehen wir alle zusammen unter.“[2] Eine solche Aussage zeugt von Blindheit gegenüber den unterschiedlichen Verwundbarkeiten, denen unterschiedliche Menschen aufgrund unterschiedlicher Gefährdungen in der Corona-Pandemie ausgesetzt sind. Zu Recht rieben sich einige Fans die Augen; verwundert ob derlei Weltfremdheit mahnten sie: „Entschuldige, meine Königin, ich liebe dich so sehr, aber wir sind nicht gleich. Wir können durch die gleiche Krankheit sterben, aber die Armen werden am meisten leiden. Romantisiere diese Tragödie nicht“.[3]