InDepth – shortread: »Sie können diese Überschrift in 5 Sekunden überspringen« Zur Dialektik des Skippens.

Marvin Dreiwes

Technik steht uns nicht einfach in ihrer Materialität verheißungsvoll oder bedrohlich gegenüber. Eine philosophische Auseinandersetzung mit Technik muss gleichermaßen fragen, wie unsere praktischen Vollzüge immer schon »technisiert« sind, also Praxis selbst ein technisches Moment innewohnt. Ausgehend von diesem Gedanken werde ich im Folgenden die Praxis des Skippens als eine dialektisch verfasste Kulturtechnik untersuchen[1] Wenn vom Skippen als einer Kulturtechnik die Rede ist, geht es nicht bloß um einzelne Praktiken, die im Umgang mit einzelnen Artefakten in spezifischen Situationen auftauchen. Die Rede von einer Kulturtechnik zielt auf die Frage ab, wie eine Praxis umgreifend den praktischen Umgang mit und den Zugriff auf Welt, somit also Weltverhältnisse prägt. Diese Überlegungen schließen an Benjamins Gedanken an, die er in seinem Kunstwerkaufsatz entwickelt. Für Benjamin ist Wahrnehmung nicht natürlich und unveränderlich, sondern trägt einen historischen Index, sie ist »geschichtlich bedingt« (Benjamin 1963:14). Von Interesse für Benjamin waren bekanntermaßen die neuen Reproduktionsmöglichkeiten der Fotografie und des Films, die in Folge technischer Innovation ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftraten. Diese machten nicht nur eine Neubestimmung dessen notwendig, was als »Kunst« galt, sondern veränderten auf eine fundamentale Weise, die Art wie überhaupt wahrgenommen und schließlich gehandelt wurde. Entscheidend ist dabei die Annahme, dass Technologien unsere Wahrnehmung und damit unsere Weltverhältnisse selbst strukturieren und formen können.[2] Genau gefasst lautet daher die Frage: Wie strukturieren und modifizieren technologisch bedingte Praktiken wie das Skippen die Praxisformen von Subjekten?

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InDepth – shortread: Technisierung, Datafizierung und die angebliche Semantikfreiheit von Daten

Dr. Nicole Thiemer

Von Hans Blumenberg stammt eine Aufsatzsammlung, die den Titel trägt: „Wirklichkeiten, in denen wir leben“. Versammelt sind u. a. Beiträge zum Thema Lebenswelt und Technisierung, die vor mehr als 50 Jahren verfasst wurden. „Philosophie“, heißt es dort, sei „in ihrem deskriptiven Verfahren als Phänomenologie […] Disziplin der Aufmerksamkeit.“[1] Diese Aufmerksamkeit hat mit Blumenberg zum Ziel „die Schärfung der Wahrnehmungsfähigkeit im weitesten Sinne“[2] und die Ausbildung einer „Nachsicht […] mit dem, […] daß man nur gerade übersehen hat, was sich bei größerer Intensität des Hinsehens hätte sehen lassen müssen.“[3] Heute ist das Thema der Technisierung der Lebenswelt eines der brennendsten. [4]

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InDepth – longread: Learning to See. Nietzsche, Trump, and the New Digital Media*

© Christiane Gundlach

Paul Stephan

I. Introduction: A Case Like No Other

On January 20, 2017, the inauguration of the 45th President of the United States of America, Donald Trump, took place under the motto “uniquely American.” Trump already suspected on January 9 that “[w]e are going to have an unbelievable, perhaps record-setting turnout for the inauguration.”[1] In his own speech, he accordingly invoked the eventfulness of this historic moment and claimed: “You came by the tens of millions to become part of a historic movement the likes of which the world has never seen before.”[2] However, this statement applies, in a literal sense, neither to the number of those who voted for Trump, who surprisingly won the election but who was clearly inferior to Clinton regarding the number of votes and who greatly underperformed regarding the delegate numbers in the electoral college compared to former presidents, nor to the size of the actual crowd gathered in Washington, D.C. at that time. Aerial photographs of the National Mall quickly circulated, clearly showing that Trump’s audience was only a fraction of that of Obama’s in 2009.[3] Although it is difficult even for experts to give an accurate estimate: all the evidence suggests that Trump not only attracted far fewer supporters than Obama, but also that his inauguration witnessed at best an average attendance – even when one considers the ratings for his speech on television and digital media.[4]

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Philosophy and the Media: Demos und Demut der digitalen Demokratie. Twitch Plays Pokémon und internetgestützte Steuerung

Wankmüller Foto

Agnes Wankmüller

Am 12. Februar 2014 wurde eines der bemerkenswerteren Online-Computerspiele auf dem internationalen Videospiel-Netzwerk Twitch als kollektives Echtzeit-Spiel durch einen anonymen australischen Entwickler eingebettet und gestartet. Twitch Plays Pokemon: Edition Red (im folgenden TPP abgekürzt) konnte man mit hunderttausenden[1] weiteren Personen spielen, und zwar nicht in einem üblichen Multiplayer-Szenario. Vielmehr sieht das Spielformat die Navigation einer einzigen Figur (Red) durch die simultane Beteiligung einer beliebigen Anzahl von Spieler*innen über einen zeitlich verzögerten Chat vor, in dem eine Masse sich widersprechender Steuerungseingaben (wie up, down, left und start) in Sekundenbruchteilen einströmen. Weiterlesen