Demokratie ist mehr als eine Regierungsform. Sie ist eine Lebensform. Und sie ist vor allem eins: ein Ereignis. Zur Demokratie befähigt werden wir durch unsere Leidempfindlichkeit, welche die Voraussetzung dafür ist, nicht nur das eigene Leid, sondern auch das Leid Ander*er wahrzunehmen. Demokratie zeichnet sich überdies durch eine Differenzsensibilität aus, die der Motor von Pluralität ist (für ausführliche Literaturhinweise zum Folgenden siehe Manemann 2019).
„Nackt in der Badewanne“ verkündete Madonna in einem Videoclip, dass das Coronavirus „der große Gleichmacher“ sei, und stellte dabei erleichtert fest: „Wenn das Schiff untergeht, gehen wir alle zusammen unter.“[2] Eine solche Aussage zeugt von Blindheit gegenüber den unterschiedlichen Verwundbarkeiten, denen unterschiedliche Menschen aufgrund unterschiedlicher Gefährdungen in der Corona-Pandemie ausgesetzt sind. Zu Recht rieben sich einige Fans die Augen; verwundert ob derlei Weltfremdheit mahnten sie: „Entschuldige, meine Königin, ich liebe dich so sehr, aber wir sind nicht gleich. Wir können durch die gleiche Krankheit sterben, aber die Armen werden am meisten leiden. Romantisiere diese Tragödie nicht“.[3]
Unsere Schwester, Mutter Erde, „schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. Die Gewalt des von der Sünde verletzten menschlichen Herzens wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen bemerken. Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unterdrückte und verwüstete Erde, die ‚seufzt und in Geburtswehen liegt‘ (Röm 8,22).“ – Mit diesen eindringlichen Worten in „Laudato si“ (Nr. 2) wollte Papst Franziskus die Welt und vor allem die Christ*innen wachrütteln. Bis heute bleiben die Schreie der Erde jedoch in der katholischen Kirche hierzulande ungehört. Ja, es gibt viele Papiere, Verlautbarungen, Predigten, in denen „Laudato si“ zitiert wird. Unzählig sind die Forderungen zur „Bewahrung der Schöpfung“. Auch gibt es viele einzelne Umweltaktionen, etwa das Klimafasten. Aber all die Worte und Aktionen haben bislang keine Taten hervorgebracht, die der Höhe der Herausforderung angemessen wären. Dies wird zur Anklage in einer Zeit, in der sich der Zukunftshorizont zunehmend verfinstert.
Die
ökologische Krise, in der wir uns befinden, ist verursacht durch eine gestörte
Weltbeziehung, deren Ausdruck Entfremdung ist. Der Soziologe Hartmut Rosa hat
diese Zusammenhänge scharfsinnig analysiert. Entfremdung ist
das „Gefühl, dass die Welt ihre Bedeutung verloren hat, dass sie blass und grau
geworden ist. Dass mich nichts mehr berührt.“ Der Gegenbegriff zu dieser
Weltbeziehung ist Resonanz: „berührt werden, […] die Welt erreichen können.
Nicht verschlossen, sondern offen sein.“[1]
Eine resonante Weltbeziehung gelingt uns immer weniger. Deutlich spüren wir das
in unseren Städten. In einem Interview wurde der zurzeit wohl
einflussreichste Stadtplaner, Jan Gehl, gefragt, woran man die Lebensqualität
einer Stadt erkenne. Seine Antwort: „Es gibt einen sehr simplen Anhaltspunkt.
Schauen Sie, wie viele Kinder und alte Menschen auf Straßen und Plätzen
unterwegs sind. Das ist ein ziemlich zuverlässiger Indikator. Eine Stadt ist
nach meiner Definition dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß
respektiert. Wenn sie also nicht im Tempo des Automobils, sondern in jenem der
Fußgänger und Fahrradfahrer tickt.“[2]
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