Wenn wir die globale Erwärmung sicher auf die international verbindlich vereinbarten 1,5 bis 1,8 Grad begrenzen wollen, müssen wir innerhalb der kommenden zwanzig Jahre alle Emissionen weltweit auf null senken – und zwar in allen Sektoren. Das bedeutet null fossile Brennstoffe und eine stark reduzierte Tierhaltung. Davon sind derzeit praktisch alle Länder weit entfernt. Um uns zu entwöhnen, wäre es am wirksamsten, die fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle und die Nutztierhaltung deutlich teurer zu machen, im Falle Europas am besten auf EU-Ebene. Doch die Debatte darüber wird hitzig geführt: Ist drastischer Klimaschutz nicht unzumutbar für weniger Wohlhabende?
Unsere Schwester, Mutter Erde, „schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. Die Gewalt des von der Sünde verletzten menschlichen Herzens wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen bemerken. Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unterdrückte und verwüstete Erde, die ‚seufzt und in Geburtswehen liegt‘ (Röm 8,22).“ – Mit diesen eindringlichen Worten in „Laudato si“ (Nr. 2) wollte Papst Franziskus die Welt und vor allem die Christ*innen wachrütteln. Bis heute bleiben die Schreie der Erde jedoch in der katholischen Kirche hierzulande ungehört. Ja, es gibt viele Papiere, Verlautbarungen, Predigten, in denen „Laudato si“ zitiert wird. Unzählig sind die Forderungen zur „Bewahrung der Schöpfung“. Auch gibt es viele einzelne Umweltaktionen, etwa das Klimafasten. Aber all die Worte und Aktionen haben bislang keine Taten hervorgebracht, die der Höhe der Herausforderung angemessen wären. Dies wird zur Anklage in einer Zeit, in der sich der Zukunftshorizont zunehmend verfinstert.
Die
ökologische Krise, in der wir uns befinden, ist verursacht durch eine gestörte
Weltbeziehung, deren Ausdruck Entfremdung ist. Der Soziologe Hartmut Rosa hat
diese Zusammenhänge scharfsinnig analysiert. Entfremdung ist
das „Gefühl, dass die Welt ihre Bedeutung verloren hat, dass sie blass und grau
geworden ist. Dass mich nichts mehr berührt.“ Der Gegenbegriff zu dieser
Weltbeziehung ist Resonanz: „berührt werden, […] die Welt erreichen können.
Nicht verschlossen, sondern offen sein.“[1]
Eine resonante Weltbeziehung gelingt uns immer weniger. Deutlich spüren wir das
in unseren Städten. In einem Interview wurde der zurzeit wohl
einflussreichste Stadtplaner, Jan Gehl, gefragt, woran man die Lebensqualität
einer Stadt erkenne. Seine Antwort: „Es gibt einen sehr simplen Anhaltspunkt.
Schauen Sie, wie viele Kinder und alte Menschen auf Straßen und Plätzen
unterwegs sind. Das ist ein ziemlich zuverlässiger Indikator. Eine Stadt ist
nach meiner Definition dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß
respektiert. Wenn sie also nicht im Tempo des Automobils, sondern in jenem der
Fußgänger und Fahrradfahrer tickt.“[2]
„Klimanotstand“ – was heißt das eigentlich? Der Begriff steht für einen Bewusstseinswandel. Wer den Klimanotstand ausruft, anerkennt, dass er/sie sich nicht in einer Situation einer Krise, sondern in der Situation einer Katastrophe befindet. Nur eine Katastrophe legitimiert die Ausrufung eines Notstandes. Mit der Ausrufung des Notstandes geht deshalb das Bekenntnis einher, dass die Katastrophe nicht etwas ist, das in der Zukunft droht, sondern dass wir uns schon in der Situation einer Katastrophe befinden. Durch das rapide Artensterben verschwinden nicht nur viele Tier- und Pflanzenarten für immer. Mit diesem Aussterben sind die Lebensgrundlagen aller Lebewesen bedroht. Die Ausrufung des Klimanotstandes als symbolischer Akt verleiht der Katastrophe eine sinnbildhafte Repräsentanz. Der Klimanotstand avanciert somit zu einem Instrument, die Katastrophe auf der politischen Ebene sinnlich erfahrbar werden zu lassen.