InDepth – longread: Wohnungsnot in deutschen Großstädten: Zur moralischen Zulässigkeit der Vermietung von Wohnraum zu Höchstpreisen

Birgit Heitker

1. Einleitung

Die aktuelle Wohnungsnot in Großstädten ist heute ein vieldiskutiertes gesellschaftliches Thema: „Im Anschluss an die globale Finanzkrise von 2008 sind Mieten und Wohnungspreise insbesondere in prosperierenden Metropolregionen, Groß- und Universitätsstädten deutlich gestiegen. Für einkommensschwache Haushalte und zum Teil selbst für Mittelschichten wird es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum in der Stadt zu finden.“[1] Es ist festzustellen, dass Wohnraum und Wohnkosten ungleich verteilt sind, so dass die heutige Wohnungsfrage eine ausgeprägte soziale Dimension hat.[2]

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InDebate: Die Kunst des Loslassens als Weg zu einem authentischen Selbst

Alexandra Lason

“Imagine no possessions, I wonder if you can
no need for greed or hunger, a brotherhood of man”
(John Lennon)

Viele Menschen verbringen ihre Freizeit heute in den überall neu entstehenden Einkaufszentren. Dabei geht es häufig nicht darum, etwas Notwendiges zu besorgen. Vielmehr handelt es sich um eine Weise der Freizeitgestaltung. Konsum oder allein die Vorstellung von Konsum wirkt dabei nicht selten als temporäres Antidot gegen die Langeweile.

Im Kern ist (überflüssiger) Konsum und Haben gleichwohl Ersatz für das Sein[1] und Konsumismus, verstanden als Geisteshaltung, die den Konsum als höchstes Gut ansieht, Ausdruck der Furcht vor dem Sein. Wer Haben mit Sein und Sinn gleichsetzt, erschafft sich durch äußere, materielle Angleichung an einen bestimmten Lebensstil ein inauthentisches Selbst, welches zum bloßen Bestandteil der Maschinerie des Konsums regrediert. Die Besitztümer, von denen man meinte, sie ermöglichten ein erfülltes Leben, füllen Häuser und Wohnungen, aber sie erfüllen nicht. Ihre Besitzer*innen ersticken vielmehr daran und nicht zuletzt auch deren authentisches Selbst, denn unter allem Besitz geht das authentische Existieren verloren. Nicht von ungefähr ist die Sehnsucht nach Authentizität heute in einer frappierenden Stärke präsent. So sehr sogar, dass sie wieder seitens des Marktes aufgegriffen wird, da sich auch mit dieser Sehnsucht Profit machen lässt. Ein authentisches Selbst ist, obgleich es sich immer auch (ent-)äußert, nicht Äußerlichkeit. Es ist diese falsche Gleichsetzung, die Authentizität verhindert, welche aus den Potentialen des Innen erwächst. Weiterlesen

Schwerpunktbeitrag: De-moralisierte Gesellschaften ‒ Zwischen Schuld und Schulden. Rückfragen nach einem ursprünglichen, wiederherzustellenden oder neu zu etablierenden Verhältnis von Moral und Gesellschaft

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Burkhard Liebsch

We have a chance to stop further vast debt enslavement […]
and the trumping of democratic control by economic fear.
David Malone[1]

  1. Gewaltsame Ökonomisierung?

Die ‒ noch lange nicht ausgestandene und möglicherweise gar nicht mehr lösbare ‒ Finanzkrise des Jahres 2008 hat jedermann vor Augen geführt, wie nationale und transnationale Schulden-Ökonomien aus den Fugen geraten sind. Massive Überschuldung von Staaten überschattet kommende Generationen und wirft neben Fragen finanzieller Haftung und ursächlicher Verantwortung auch moralische Probleme der Schuld auf, die man sich selbst oder anderen für exzessive Überschuldung zurechnet. Dabei steht nicht zuletzt auf dem Spiel, ob und wie ökonomische Schulden und moralische Schuld überhaupt zusammenhängen können. Ein gewichtiges Indiz dafür ist zweifellos, wie gegenwärtig nicht nur europäische Gesellschaften die kollektive Erfahrung einer gesellschaftlichen Demoralisierung durchmachen, die zu einem erheblichen Teil aus einer moralisch kritisierten, aber als überwältigend und lähmend erscheinenden Überschuldung resultiert. Diese Erfahrung zwingt dazu, den Zusammenhang von Moral und Gesellschaft neu zu bedenken, der von vielen Theoretikern gesellschaftlichen Lebens ganz in Abrede gestellt wird, so dass es den Anschein hat, als sei das Moralische kaum mehr zugleich als Gesellschaft­liches und umgekehrt dieses kaum mehr zugleich als Moralisches zu begreifen.[2] Weiterlesen

InDebate: Soziale Ungleichheit

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Wilhelm Vossenkuhl

Nach Marx hat es keinen ernst zu nehmenden Versuch mehr gegeben, um der Gleichheit willen die soziale Ungleichheit wenigstens in der Theorie abzuschaffen. Selbst der an der Idee der gleichen Gerechtigkeit orientierte John Rawls geht nicht nur vom Faktum der Ungleichheit aus, sondern will sie mit seiner Theorie der Gerechtigkeit als Fairness nur lindern, aber nicht abschaffen. Er hat sich wie die meisten Theoretiker damit abgefunden, dass es die soziale Ungleichheit gibt. Es kommt aber gewiss darauf an, wie groß sie ist, und ob sie wächst. Kürzlich ließ Oxfam verlauten, dass 99% des Reichtums weltweit lediglich einem Prozent der Menschheit gehörten. Dagegen argumentierten dann rasch einige Ökonomen – beschwichtigend –, diese Zahlen seien der Geldschwemme zu verdanken, die von einigen Notenbanken verursacht wurde, sie seien künstlich und nicht ernst zu nehmen. Weiterlesen