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InDebate: Über das Philosophieren philosophieren. Oder: die Notwendigkeit einer Selbstkonstitution der Philosophie

Veröffentlicht am 21. Mai 2013

Wolfgang Gleixner

Es gibt philosophische Grund- und Anfangsfragen, die auch innerhalb der universitären Philosophie nicht hinreichend Aufmerksamkeit erhalten. Diese Grund-Fragen sind unbedingt durch die Philosophie selbst zu lösen. Das Philosophieren kann sich hier nicht ‚vertreten‘ lassen.
Das sind auf den ersten Blick sehr ‚einfache‘ Fragen. Sie entscheiden aber über die Bedeutung der Philosophie. Beispielsweise: Was betreibt eigentlich derjenige, der philosophiert, für ein ‚Geschäft‘? Welche Inhalte sind wirkliche ‚philosophische Inhalte‘? Welche Methoden, welche Formen sind philosophische Methoden, philosophische Formen? Und vor allem (und alle diese oder ähnliche Fragen fundierend): ‚wer‘ oder ‚was‘ sichert ‚den‘ Anfang des Philosophierens, der Philosophie?
Darüber sollte es keinen Streit geben. Es ist unverzichtbar, sich als Philosophierender oder als Philosophierende selbst um die Philosophie, das Philosophieren, um Anfang und Grund zu (be)kümmern. Ausdrücklich ‚systematisch‘; das ist aus wesentlichen, eben aus philosophischen Gründen. Die Anlage, die ‚Logik‘ der Philosophie, des Philosophierens, – ihre ‚unbedingte Radikalität‘ erfordern selbst diesen fragenden, unbedingten Selbstbezug.
Daher die Notwendigkeit, auch die Not der Anfangsfragen. Die Neigung ist nach wie vor (ein Blick in diese oder jene Veröffentlichung genügt), rasch darüber hinwegzu-kommen.
Lassen wir uns davon nicht beirren.
Sehen wir stattdessen als systematisch Philosophierende selbst hin.
Offensichtlich ist zunächst, – dass das Philosophieren, die Philosophie nicht mehr als selbstverständlich gilt. Wer ‚braucht‘ denn heute noch wirklich ‚die‘ Philosophie, ‚das‘ Philosophieren? Das ‚Tun‘ selbst und die ‚Ergebnisse‘ seien (so wird ‚man‘ uns vorhalten) höchst erklärungsbedürftig. Keine Herstellung und Verteilung von dringend benötigten Waren oder Dienstleistungen. Stattdessen, eine Produktion immer neuer Bedenken. Sollten also die Philosophie und das Philosophieren tatsächlich nur bloß Ornamentik für ein ansonsten (irgendwie) funktionierendes Leben sein? Im Übrigen, und das nur nebenbei, ist auch der Blick von ‚Außen‘ auf das Philosophieren und ‚die Philosophen‘ nicht sehr schmeichelhaft (denken wir beispielsweise an Freuds Verständnis von Philosophie und den Philosophen).
Nun mag der Eine oder die Andere unter den Philosophierenden (aus ‚Not‘ oder ehrlicher Überzeugung) auf die heute so beliebte und durchaus ‚erfolgreiche Antwort‘ verweisen: Philosophie sei eine Anleitung zum glücklich werden; zumindest könne sie demjenigen, der philosophiert, eine gewisse Zufriedenheit ermöglichen, vielleicht auch Sinn stiften, oder zumindest ‚den Verstand dialektisch schulen‘. Sie ist also durchaus ‚nützlich‘.
Philosophieren hat aber (um hier nur dieses eine anzusprechen) mit glücklich wer-den wahrhaftig nichts zu tun. Es gibt eine Tradition von Pascal, Kierkegaard, Nietz-sche bis zu Scheler und Heidegger, eine Tradition, die dem Philosophieren sogar die oft unangenehme Aufgabe zuweist, ‚den Dingen‘, ‚den Lagen‘, ‚dem Mensch-Sein überhaupt‘, erst wieder die ‚angemessene Schwere‘ zurückzugeben. Das ist nicht etwas, das Begeisterungsstürme hervorruft. Kurz, das Philosophieren hat nichts mit Glück, – wohl aber mit einem ‚menschengemäßen Leben‘ zu tun. Und das ist eine ungeheure, unverzichtbare Leistung.
In einem lässt sich sicher rasch Übereinstimmung herstellen. Philosophieren gestaltet sich als eine methodische Form radikaler Zuwendung: radikale Zuwendung zur ‚Welt‘ (auch zu diesen oder jenen ‚Weltstücken‘); radikale Zuwendung zu ‚sich selbst‘; und ,radikale Zuwendung‘ zu diesen radikalen Zuwendungen. Nichts, wirklich nichts lassen wir philosophisch auf sich beruhen. Das ist nicht bloß ein ‚Nachdenken‘ über dieses oder jenes; oder eine Beschäftigung mit den Restfragen, die die Wissenschaften beiseitelegen, einer philosophischen Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie zuweisen; oder gar ein ‚selbstvergessenes Grübeln‘ (ein Sublimieren der Libido). Geradezu im Gegenteil. Im philosophischen Blick ist immer nicht nur der philosophische Blick selbst, sondern auch der Schauende, der Philosophierende selbst. Nicht abstrakt und allgemein (als ‚transzendentales Schema‘, als erkenntnis- oder geltungstheoretische Gestalt), sondern wirklich, konkret; kurz: als wirkliches Da-in-der-Welt-sein.
Die Philosophie ist in dieser ‚existentiellen‘ Form eine ‚fundamentale Korrelationsforschung‘. In ihrem Blick: die Selbst-Wahrnehmung, die Reflexion der Reflexion und der Selbstentwurf der Existenz. Das sind drei praktisch ineinander verflochtene, systemisch vernetzte ‚Horizonte‘.
Das ist keine Gestaltung einer lebensfremden ‚reinen‘ Vernunft; die Vorstellung einer Existenz, die sich hinter ihrer philosophischen Konstruktion verbirgt; vielleicht sich sogar selbst vergessen hat. Diese ‚idealistischen Formen‘ eines Philosophierens, das sich ‚die Welt‘, die Freude, die Not, die Hoffnung ‚der Welt‘ ‚vernünftig blass‘ zu recht legt, interessieren mich nicht.
Wir können natürlich über dieses oder jenes nachdenken; können es wissenschaft-lich, methodisch, praktisch in den Blick nehmen, also ausgerichtet auf das, ‚was tat-sächlich der Fall ist‘. Das gibt Sinn. Der Erfolg solchen Vorgehens spricht für sich. Und wer möchte schon (zumindest auf bestimmte) ‚Ergebnisse‘ dieses wissenschaftlichen, technischen, praktischen Denkens verzichten?
Verstehen wir uns aber als Philosophen, unser Tun als Philosophieren, bleibt unsere Reflexion selbst im Blick. Das ist nicht der methodischen Unzulänglichkeit des Philosophierens geschuldet. Sondern ist ihre Stärke (ihre ‚Tugend‘). Gerade diese Weise der Reflexion der Reflexion (diese endlos fortschreitende Reflexion) ist kein Stillstand, kein ‚Münchhausen-Verhalten‘ (sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen). Es ist der einzige ‚Weg‘ (methodos), ein nicht-weiter-hinterdenkbares, ein ‚unbedingtes Fundament‘ einzuführen. Allerdings, – anders als es die Idealisten mit großem bewundernswerten Denkaufwand vorgestellt haben. Es waren ‚gewaltsame Versuche‘, auf diese Weise einen ‚absoluten Anfang‘, ein ‚unbedingtes Fundament‘ herzustellen. Kurz: nicht das ‚cogito‘ Descartes‘; die ‚Monade‘ Leibniz‘, die ‚transzendentale Apperzeption‘ Kants interessiert hier, – sondern, ‚vollbringen‘ wir die Reflexion der Reflexion, werden wir nun auf dasjenige aufmerksam, das sich jeder weiter zurückgreifenden Reflexion verweigert. ‚Mein leibhaftes‘ Da-in-der-Welt-sein als der Anfang und das Fundament des Philosophierens. Das ‚ich selbst‘, als diese wirkliche Wirklichkeit, ‚ist‘ der unhinterdenkbare Grund der Philosophie; ‚ist‘ auch seine Perturbation und Irritation, ‚ist‘ Anlass, Ausrichtung, ‚ist‘ das Worum-willen allen Denkens, allen Philosophierens.
Das bedeutet ausdrücklich keine Engführung des Philosophierens. Sondern im Ge-genteil, erst in dieser Form stellt es sich in seine größtmögliche, aber sichere Weite.

(c) Wolfgang Gleixner

Dr. Wolfgang Gleixner ist Wissenschaftlicher Referent am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover. Nähere Informationen finden Sie unter  https://fiph.de/personen/institut/Gleixner_Wolfgang.php.

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Beitragsthemen: Geschichte | Wissenschaft

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