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Müdigkeit und Ohnmacht als soziale Phänomene: Überlegungen mit Erich Fromm

Veröffentlicht am 21. Oktober 2025

Von Cedric Braun

„Wer das Leben liebt, fühlt sich vom Lebens- und Wachstumsprozeß in allen Bereichen angezogen. […] Er möchte formen und beeinflussen mit Liebe, Vernunft und Beispiel und nicht mit Gewalt, nicht indem er die Dinge auseinandernimmt und auf bürokratische Weise die Menschen verwaltet, so als ob es sich um Dinge handelte. Er erfreut sich am Leben und allen Lebensäußerungen mehr als an bloßen Reizmitteln.“[1]

Erich Fromms Denken zielt auf den lebendigen Menschen, wie er hier beschrieben wird. Als radikaler Gesellschaftskritiker analysiert er die sozialpsychologischen Faktoren, die der Entfaltung dieses lebendigen Menschen zuwiderlaufen. Im März 2025 jährte sich der Geburtstag des Psychoanalytikers, promovierten Soziologen und philosophischen Denkers zum 125. Mal.[2]

Der Beitrag beleuchtet zentrale Aspekte von Fromms Gesellschaftsanalyse und humanistischer Ethik. Im Fokus stehen zwei ausgewählte Phänomene: innere Müdigkeit und Ohnmacht. Sie werden hier nicht als rein individuelle Befindlichkeiten verstanden – auch wenn sie von Einzelnen erlebt werden –, sondern als Ausdruck sozialer Zustände, die Fromm als Symptome einer entfremdeten Gesellschaft deutet. Die Grundgedanken dazu entwickelte Fromm ab 1929 während seiner Zeit am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Sowohl das Institut als auch Fromm selbst emigrierten 1934 infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme nach New York City. Ende 1938 trennte sich Fromm vom Institut.[3]

Ziel ist ein schlaglichtartiger Einblick in Fromms Denken, der durch gezieltes Zitieren des Autors selbst gestützt wird – mit Blick auf die gesellschaftliche Relevanz seiner Überlegungen heute.

Menschliche Destruktivität ist nicht angeboren

Zunächst ein paar Grundgedanken: Fromms Werke zeigen eindrücklich das Unvermögen des Menschen – gerade in demokratischen kapitalistischen Gesellschaften – auf, mit seiner Freiheit umzugehen. Fromm mahnt unablässig an, die Entwicklungen und Phänomene nicht zu verkennen, die den sozialpsychologischen Nährboden für den Faschismus sowie für destruktive und nekrophile Tendenzen in uns darstellen. (Unter ‚nekrophil‘ versteht Fromm „das leidenschaftliche Angezogenwerden von allem, was tot, vermodert, verwest und krank“ oder „rein mechanisch“ ist.)[4] Anders als Sigmund Freud ist Fromm nicht der Meinung, dass masochistische und sadistische oder nekrophile Tendenzen den natürlichen Anlagen des Menschen in Form eines Destruktionstriebs innewohnen; vielmehr sind diese Tendenzen für ihn „sekundäre Potentialitäten“[5], welche sozioökonomisch mitbedingt sind und dann entstehen, wenn es uns als Menschen nicht gelingt, liebend und schöpferisch – ‚produktiv‘[6], wie Fromm häufig sagt, d.h. lebendig im Sinne freier Selbsttätigkeit – zu sein:

Destruktivität ist die Folge ungelebten Lebens.“[7]

Dieser zentrale Satz gilt auch für die innere Müdigkeit und das Gefühl der Ohnmacht, die Fromm in modernen Demokratien ebenfalls als weitverbreitet ansieht.[8]  Wie Rainer Funk, Fromm-Forscher und Nachlassverwalter seines Werks, es mit Blick auf heute ausdrückt:

„Polarisierungen sind psychologisch immer ein Hinweis darauf, dass Menschen sich bedroht fühlen und das Eigene sichern wollen. Klimawandel, Kriege, Turbokapitalismus, verstärkte Ungleichheiten, digitale Revolution – all das führt dazu, dass sich Menschen massiv bedroht, verunsichert und zunehmend ohnmächtig fühlen.“[9]

Destruktivität und Selbstdestruktivität, Konformismus und Narzissmus sind Weisen, mit der innerpsychischen Spannung umzugehen, die ein klares Bewusstsein von der eigenen inneren Müdigkeit, Ohnmacht und Isolation mit sich brächte. Sie sind ‚Lösungen‘ zum psychischen Selbstschutz, wo es dem einzelnen Menschen nicht gelingt, eine liebende und schöpferische Lösung für die Herausforderungen der menschlichen Existenz[10] zu finden. Das ist nicht als Entschuldigung, Rechtfertigung oder gar als moralische Verurteilung zu lesen, sondern als etwas, das es erst einmal zu verstehen gilt.[11] Die Ursachen sind komplex. Neben konstitutionellen Faktoren und der je individuellen Biographie ist für Fromm immer auch der von vielen Menschen geteilte historisch-kulturelle, politische und ökonomische Kontext ein wichtiger Faktor, der die Psyche der einzelnen Menschen und von Generationen prägt. Die Analyse von ökonomischen, gesellschaftlichen und psychologischen Faktoren in ihrem Zusammenhang zeichnet Fromms Denken besonders aus.[12] In Kurzform schreibt dieser:

„Die individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen, die eine solche Blockierung der lebensfördernden Energie bewirken, bringen die Destruktivität hervor, die ihrerseits zur Quelle der verschiedensten Manifestationen des Bösen wird.“[13]

Freiheit: zwischen Last und Erfüllung

Fromm unterscheidet zwischen positiver Freiheit („Freiheit zu etwas“) und negativer Freiheit („Freiheit von etwas“).[14] Der zentrale Gedanke scheint mir dabei zu sein: Eine bloße Freiheit von äußeren Zwängen und Nöten lässt Individuen in ihrem Anliegen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen bzw. ein selbstbestimmtes Zusammenleben mitzugestalten, hilflos zurück, wenn nicht eine positive Befähigung durch Bildung, Institutionen und Anerkennungsstrukturen (von Fromm u.a. mit dem Thema Liebe angesprochen) gelingt.[15]

Vor dem Hintergrund der anthropologischen und psychologischen Hypothesen erschließt sich nun das Grundthema der Freiheit besser:

„Der Mensch hat – je mehr er aus seinem ursprünglichen Einssein mit seinen Mitmenschen und der Natur heraustritt und ‚Individuum‘ wird – keine andere Wahl, als sich entweder mit der Welt in spontaner Liebe und produktiver Arbeit zu vereinen oder aber auf irgendeine Weise dadurch Sicherheit zu finden, daß er Bindungen an die Welt eingeht, die seine Freiheit und die Integrität seines individuellen Selbst zerstören.“[16]

Zu den negativen, kompensatorischen und defizitären Weisen, „Sicherheit zu finden“, gehören nach Fromm etwa die Unterwerfung unter eine Autorität[17], die Unterordnung unter eine Ideologie oder die Flucht in konformistisches Denken, Fühlen und Wollen unter Aufgabe des eigenen Ichs zugunsten kulturell vorgegebener Persönlichkeitsmodelle; oder auch der Gruppennarzissmus. Letzterer besteht in der Überhöhung der eigenen Position nicht beim Individuum, wie beim individuellen Narzissmus, sondern bei Gruppen.[18] Das Selbstbild der Gruppe ist ebenso grandios wie fragil. Es will aufrechterhalten werden. In der Konsequenz kommt es zu einer Art Gruppenegoismus, der Gleichgültigkeit oder Aggressivität gegen andere mit sich bringt.[19]

Für Fromm ist die Aufgabe der Emanzipation als Mensch gleichermaßen in individualgeschichtlicher Sicht wie auch in kulturgeschichtlicher Sicht bedeutsam. Individuen müssen sich im Prozess der Trennung von „primären Bindungen“ neu zur Welt in Beziehung setzen. In diesem Sinne ist Selbstwerdung ein Prozess und eine Errungenschaft, sofern bzw. soweit sie gelingt:

„Es sind jene Bindungen, die das Kind mit der Mutter, den Angehörigen eines primitiven Stammes mit seiner Sippe und der Natur oder den mittelalterlichen Menschen mit der Kirche und seinem sozialen Stand verbinden. Ist einmal das Stadium der völligen Individuation erreicht und hat sich der einzelne von diesen primären Bindungen gelöst, so sieht er sich vor eine neue Aufgabe gestellt: Er muß sich jetzt in der Welt orientieren, neu Wurzeln finden und zu einer neuen Sicherheit auf andere Weise gelangen, als dies für seine vorindividuelle Existenz charakteristisch war.“[20]

Dieser Prozess der Selbstwerdung geht mit der Trennung von diesen primären Bindungen einher, was Angst und Ohnmacht mit sich bringt.[21] Zugleich sieht sich der Mensch in der westlich-geprägten Welt durch den Prozess der „historisch wachsenden Individuierung“ herausgefordert. Axel Honneth beschreibt dies prägnant so:

„Der Prozess der Enttraditionalisierung von Gesellschaften bringt zugleich mit größeren Autonomiespielräumen stets auch die Gefahr mit sich, dass die Individuen Zuflucht im Autoritarismus oder Konformismus suchen, weil sie sich in ihren neuen Freiheiten als isoliert und bindungslos erfahren.“[22]

Der Gesellschafts-Charakter

Diese schwierige Aufgabe des einzelnen Menschen, gelingend mit der Welt, anderen Menschen und der Natur in Beziehung zu treten[23], wird noch erschwert durch sozialpsychologische Faktoren: In der Geschichte einer jeweiligen Gesellschaft entstehen unter Einfluss sozialer, ökonomischer und ideologischer Faktoren kollektiv geteilte Muster, die das Denken, Fühlen und Wollen von Individuen, die denselben Bedingungen ausgesetzt sind, prägen. Fromm spricht hier vom „Gesellschafts-Charakter“[24]. Er unterscheidet bestimmte Ausformungen, die dieser annehmen kann, etwa die autoritäre, rezeptive, hortende, narzisstische und die Marketing-Orientierung.[25]

Um ein Beispiel zu geben: Bei der autoritären Orientierung sind Dominanz und Unterwerfung kennzeichnend, sadistische und masochistische Bestrebungen. Die Beziehungen zu anderen Menschen sind bei Personen mit ausgeprägter autoritärer Orientierung derart, dass eine wechselseitige Abhängigkeit vorliegt, die Fromm „Symbiose“ nennt. Denn auch in der beherrschenden Rolle besteht eine Abhängigkeit gegenüber jemandem, der sich unterwirft. Der psychische Mechanismus ist, kurz gesagt, folgender: Der Sadist versucht Sicherheit zu gewinnen, indem „er einen anderen verschlingt“ und „zum absoluten Herrscher über ihn [den anderen], zu seinem Gott“ wird; der Masochist, indem „er sich verschlingen läßt“ und „Teil eines größeren und mächtigeren Ganzen“ wird. So können „quälende Zweifel“ durch das „unerträgliche Gefühl der Ohnmacht“, „Isolation und Schwäche des eigenen Selbst“ überwunden werden.[26] Eine solche autoritäre Orientierung kann sich in Charakterzügen wie „der Bewunderung und Idealisierung von Autorität“, „in der Unterwerfung unter Befehle und Anordnungen“, „in einer Geringschätzung des Schwachen und Hilflosen“ oder auch „in einer Kritikunfähigkeit gegenüber den Oberen“ ausdrücken.[27]

Individuen spiegeln solche Ausformungen des Gesellschaftscharakters in je individuellen Mischungen und Gewichtungen wider.[28] Wichtig ist hier, dass der Gesellschaftscharakter und seine Ausformungen funktional bestimmt sind: „Es ist die Funktion des Gesellschafts-Charakters, die menschliche Energie in einer gegebenen Gesellschaft so zu formen und zu lenken, daß diese Gesellschaft weiter funktionieren kann[29]. Eine sozialpsychologische Untersuchung der Gesellschaft muss die „gesellschaftsimmanente“ Normativität erfassen, die die Einzelnen zur Anpassung drängt, damit die soziale Ordnung fortbestehen kann. Diese ist klar von einer reflektierten humanistischen Ethik zu unterscheiden, wie Fromm sie vertritt: „deren Ziel das Wachstum und die Entfaltung des Menschen ist“.[30] Denn, wie Sandra Buechler schreibt: „Anpassung kann letztlich destruktiv sein, wenn die Gesellschaft selbst nicht auf menschliches Wachstum ausgerichtet ist“.[31] Die analytische Stärke Fromms liegt nicht zuletzt darin, detailliert aufgezeigt zu haben, wie die Orientierungen des Gesellschaftscharakters, die wir alle auch in uns tragen, zu blockierenden Faktoren echter Entfaltung des Menschen werden. Zudem ist der Gesellschaftscharakter zwar eine träge, aber dennoch veränderliche Struktur und kann sich über viele Generationen hinweg weitertragen und so auch dysfunktional mit Blick auf sich verändernde ökonomische und gesellschaftliche Bedingungen werden[32]; und er mischt sich mit neuen Formen, die unter veränderten Bedingungen der genannten Art allmählich entstehen.

Die Möglichkeit gesellschaftlichen Wandels

Hinsichtlich der Frage gesellschaftlichen Wandels sieht Fromm den Gesellschafts-Charakter auf einer vermittelnden Ebene zwischen den materiellen sozialen und ökonomischen Bedingungen und der Ebene der „Ideen und Ideale“. Dies geht in beide Richtungen. In der Sphäre des organisierten Denkens und Handelns von Menschen im Sinne demokratischen Mitgestaltens können Ideen und Ideale nach Fromm in Freiheit gründen und dabei „Macht gewinnen und so stark das menschliche Herz ansprechen“, dass sie zu einer wünschenswerten gesellschaftlichen Transformation beitragen.[33] Zugleich ist aber auch die Bedingtheit der Ideen und Ideale zu sehen:

„Weshalb aber gerade eine bestimmte Idee aufkommt und populär wird, ist historisch zu verstehen, das heißt aus dem in einer bestimmten Kultur erzeugten Gesellschafts-Charakter.“[34]

Nach dieser kursorischen Darstellung einiger Grundgedanken Fromms wird nun folgender Zusammenhang ersichtlich: Die Frage nach dem guten Leben ist für Fromm aufs Engste mit seiner kritischen Gesellschaftsanalyse verknüpft. Letztere identifiziert verschiedene Faktoren, die ein glückliches und moralisch gutes Leben, das auf Unabhängigkeit, Liebesfähigkeit und Lebensbejahung beruht, blockieren.

Innere Müdigkeit und Ohnmacht

„Der heutige Mensch hungert nach Leben. […] Trotz allem dick aufgetragenen Optimismus und trotz aller äußerlichen Initiative ist der heutige Mensch vom Gefühl einer tiefen Ohnmacht erfüllt, so daß er wie gelähmt herannahenden Katastrophen entgegenstarrt.“[35]

Die innere Müdigkeit, die auch an Langeweile[36] denken lässt und hier mit dem Hungern nach Leben angesprochen ist, sieht man jemandem nicht immer an. Konformisten, schreibt Fromm kurz vorher resümierend, lebten zwar „biologisch noch weiter“, seien jedoch „emotional und seelisch tot.“[37] Fromms Worte in Die Furcht vor der Freiheit sind, wie hier, teils sehr drastisch. Der Ausdruck der inneren Müdigkeit findet sich bei Fromm nicht häufig, steht aber stellvertretend für einen Komplex, zu dem auch das Gefühl der Ohnmacht, die Isolation des Individuums und der „Verlust des Selbst“[38] im modernen Kapitalismus gehören.[39] Nach dieser naheliegenden Lesart sind innere Müdigkeit und Ohnmacht Gegenbegriffe zu dem, was Fromm an verschiedenen Stellen als seelische Produktivität, Biophilie[40] oder Spontaneität bezeichnet. Die ‚Macht‘, die das Gegenteil zur inneren Müdigkeit und Ohnmacht ist, ist für Fromm vielmehr die Fähigkeit und Kraft[41], sein Leben so zu führen, dass man sich als Mensch umfassend darin entfaltet. Dafür sprechen die Zitate und auch Fromms These von 1937, das Ohnmachtsgefühl sei nicht nur irgendein Symptom, sondern es spreche einiges dafür, dass es den Kern der Neurose überhaupt ausmache.[42] Vor diesem Hintergrund ist offen erkennbare Resignation[43] eines Individuums eine mögliche Folge von Ohnmacht oder innerer Müdigkeit; die letzteren wiederum sind zugrundeliegende seelisch-emotionale Phänomene, die sich bei subtiler, psychoanalytischer Beobachtung auch bei Menschen zeigen, die oberflächlich aktiv und geschäftig oder sehr freundlich und heiter erscheinen.[44]

All you need is love – und Ungehorsam

Fromm schrieb 1955 über die Wege aus einer kranken Gesellschaft und die „Pathologie der Normalität“. Sein Gedanke ist, etwas plakativ ausgedrückt, der: Es gelingt Menschen deshalb häufig nicht, gegen Ungerechtigkeit, Irrationalität und Umweltzerstörung zu protestieren, Haltung zu zeigen oder innere und äußere Unabhängigkeit zu erreichen, weil wir in einer Gesellschaft leben, die die dafür nötigen menschlichen Eigenkräfte geradezu verkrüppelt.[45] Eine popkulturelle Charakterisierung findet sich in John Lennons Lied Working Class Hero, mit Versen wie den folgenden:

„They hurt you at home, and they hit you at school / They hate you if you’re clever, and they despise a fool / Till you’re so fucking crazy, you can’t follow their rules”

Wut, Hass oder Resignation entstammen der inneren Müdigkeit und der erlebten Ohnmacht, die aus der Verletzung, Absenz oder den Blockierungen von Selbstwirksamkeit, Liebe und Anerkennung entstehen, und der Vereinzelung des Individuums. In Fromms Ausführungen darüber, wie der moderne Mensch in lebenszerstörende Situationen gerät, wie in der Vergangenheit beispielsweise im Nationalsozialismus oder in der Kubakrise im Oktober 1962 angesichts der Gefahr einer atomaren Katastrophe, spielt dieser begriffliche Komplex eine wesentliche Rolle.[46] Fromm, der den Begriff des autoritären Charakters prägte, war nicht nur an den psychischen Mechanismen interessiert, durch die sich das Verhalten derer erklären lässt, die den Nationalsozialismus fanatisch unterstützen oder mit der atomaren Vernichtung drohen. Ebenso zentral zu verstehen ist aus Fromms Sicht, warum diejenigen, die sich nicht sehr stark von nationalsozialistischer Ideologie angezogen fühlen, oder die, die im Ernstfall einen Befehl zur atomaren Vernichtung auszuüben hätten, in ihrer Fähigkeit zum Widerstand und Ungehorsam gehemmt sind.[47]

Die Ohnmacht des Individuums

1941 schreibt Fromm:

„Psychologisch scheint diese Bereitschaft, sich dem Nazi-Regime zu unterwerfen, vor allem auf eine innere Müdigkeit und Resignation zurückzuführen zu sein, die […] selbst in demokratischen Ländern für die Menschen unserer Zeit charakteristisch sind.“[48]

Einige Seiten später kommt Fromm zu der hier angekündigten Einschätzung der inneren Müdigkeit in kapitalistischen, demokratischen Ländern. Im ersten Teil des letzten Kapitels von Die Furcht vor der Freiheit, der mit „Die Illusion der Individualität“ überschrieben ist, heißt es:

„[…], daß wir in unserer eigenen Gesellschaft dem gleichen Phänomen gegenüberstehen, das überall auf der Welt ein fruchtbarer Nährboden für den Faschismus ist: der Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht des Individuums.“[49]

Diese innere Müdigkeit und das Ohnmachtsgefühl sind im Grunde seelische Verletzungen ganzer Gruppen von Individuen, die auf eine Serie belastender ökonomischer Umstände, Sozialisation und Ideologie sowie auf wiederholte Enttäuschungserfahrungen von Hoffnungen auf bessere Lebensumstände zurückzuführen sind. Eine Reihe von Enttäuschungserfahrungen machten beispielsweise die Arbeiter*innen in der Weimarer Republik, nachdem sie mit großen Hoffnungen in die Nachkriegszeit eintraten[50]: Die Hyperinflation von 1923, der Börsen-Crash in den USA von 1929, aber auch die unveränderte soziale Ungleichheit trotz einer gut organisierten Arbeiterbewegung und neuer Sozialgesetzgebung. In einer von Fromm geleiteten Umfrage von 1929 mit 584 Fragebögen heißt es etwa:

„Obwohl die Arbeiterpartei die stärkste Fraktion im Reichstag bildete, herrschte innerhalb der Arbeiterklasse selbst große Enttäuschung über ihr tatsächliches Machtpotential.“[51]

Die meisten Linken unter den Befragten folgten in ihrem Antwortverhalten der marxistischen Theorie und der „Propaganda der Linksparteien“. Die Arbeiter*innen hatten Zweifel an der parlamentarischen Demokratie und sahen die eigentliche Macht nicht, wie die Weimarer Verfassung versprach, beim Volk, sondern beim Kapital.[52]

Für Fromm war der Nazismus „ein ökonomisches und politisches Problem“. Zugleich war er aber der Meinung, dass es einer psychologischen Erklärung bedarf, warum „er ein ganzes Volk erfaßt hat“.[53] Das genannte Beispiel der Arbeiter*innen ist nur ein Ausschnitt von Fromms Analyse des sozialpsychologischen Nährbodens des Nazismus. Eine ausführliche Darstellung findet sich im Kapitel „Die Psychologie des Nazismus“ in Die Furcht vor der Freiheit.

Wie zeigt sich Ohnmacht in der Erfahrung von Individuen?

Fromm erhellt sein Verständnis von Ohnmacht auch aus individueller Perspektive. Unter dem Ohnmachtsgefühl versteht Fromm ein meist mehr oder weniger unbewusst bleibendes Phänomen, das zum Inhalt hat:

„Ich kann nichts beeinflussen, nichts in Bewegung setzen, durch meinen Willen nicht erreichen, daß irgend etwas in der Außenwelt oder in mir selbst sich ändert, ich werde nicht ernstgenommen, bin für andere Menschen Luft.“[54]

Das so bestimmte Ohnmachtsgefühl hat vorwiegend den tiefsitzenden Unglauben, seine Mitmenschen durch eigene Bemühungen beeinflussen und sich selbst ändern zu können, zum Gegenstand.[55] Wie Fromm beschreibt, sind Menschen mit Ohnmachtsgefühlen „häufig sehr erstaunt, wenn sie hören, daß ein anderer über sie in ernsthafter Weise gesprochen oder gar sich auf sie oder eine Meinung von ihnen bezogen hat.“ In Nahbeziehungen besteht der Unglaube darin, sie könnten nichts aktiv dazu tun, „um Liebe und Sympathie anderer zu gewinnen“; und sehen sich entsprechend bestätigt darin, wenn diese ausbleiben. Für ursächlich würden entsprechend gehalten, ob man „klug, schön, gut genug“ sei, „um andere anzuziehen“. Häufiges Resultat: „ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl“. Eigentlich liege freilich eine „optische Täuschung“ vor.[56] Ein anderes Beispiel:

„Ein Analysand, der auf einem wissenschaftlichen Gebiet außerordentliches Ansehen genoß und vielfach zitiert wurde, war jedesmal von neuem überrascht, daß ihn überhaupt jemand ernst nahm […]. Auch die lange Erfahrung, daß dies tatsächlich so war, hatte an dieser Einstellung kaum etwas geändert.“[57]

Das Ohnmachtsgefühl richtet sich aber ebenfalls auf einen selbst: „Nichts scheint überhaupt unmöglicher, als sich zu ändern.“ Fromm hebt hier auch die überspielenden, kompensatorischen Strategien hervor, denen Individuen nachgehen. Gelegentlich wirkten diese „geradezu grotesk“:

„Ob solche Menschen von einem Arzt zum anderen oder von einer religiösen oder philosophischen Lehre zu anderen laufen, ob sie jede Woche einen neuen Plan haben, wie sie sich ändern können[;] […] alle diese Geschäftigkeit und bewußte Anstrengung ist doch nur der Schirm, hinter dem sie sich im Gefühl der tiefsten Ohnmacht verstecken.“[58]

In der heutigen Zeit des neuen Kapitalismus mit ihren Forderungen an die Flexibilität von Arbeitnehmer*innen[59], die ins Private übergreift, und im Lichte der Forderung nach ständiger Neuerfindung der eigenen Person[60], können solche kompensatorischen Verhaltensweisen – von den Arztbesuchen abgesehen – als gesellschaftlich funktional gelten.

Entstehungskontexte von Ohnmacht

In der Entstehung solcher Ohnmacht ist, wenig überraschend, auch die Erziehung sehr bedeutsam, wie Fromm in „Zum Gefühl der Ohnmacht“ von 1937herausstellt. Dort beschreibt Fromm „die Situation des Kindes in der bürgerlichen Familie“ so:

„Das Verhalten des Erwachsenen zum Kind läßt sich dahin charakterisieren, daß das Kind im letzten Grunde nicht ernstgenommen wird. […] Dieses Nichternstnehmen drückt sich gewöhnlich keineswegs in dramatischen und auf den ersten Blick auffallenden Formen aus. Man muß nach sehr subtilen Eigenheiten des Verhaltens der Erwachsenen suchen, um den hier gemeinten Einfluß zu verstehen. Das leichte und kaum wahrnehmbare Lächeln, wenn das Kind etwas Selbständiges sagt oder tut, kann eine ebenso niederschmetternde Wirkung haben wie die gröbsten Versuche, seinen Willen zu brechen.“[61]

Auch die „Freundlichkeit der Eltern“ könne „das Kind an der Entfaltung jeder prinzipiellen Opposition hinder[n]“.[62] Gerade diese Unmöglichkeit der Opposition bzw. des Durchsetzens des eigenen Willens kann von Kindern als Unterdrückung erfahren werden, die Ohnmacht und daraus resultierende Feindseligkeit hervorbringt.[63] Nach Fromms Überzeugung sind zudem verschleierte Formen des Nichternstnehmens noch stärker verunsichernd als offene Ablehnung.[64]

In der Mitte des 20. Jahrhunderts sieht Fromm einen Wandel in der Erziehung vonstatten gehen, der durch die Ablösung eines Erziehungsstils mit offenen autoritären „Anordnungen“ und „Befehlen“ durch eine (häufig verdeckt auftretende) Erziehung zur Konformität gekennzeichnet ist. Im letzteren Fall habe man es viel eher mit „Vorschläge[n]“[65] zu tun: „man befiehlt nicht mehr, sondern überredet und manipuliert.“[66] So ändert auch das Nichternstnehmen seine Form, lebt aber in neuer Verkleidung fort. Zur Illustration nutzt Fromm hier einmal einen „Bericht über eine Siedlung in Park Forest, Illinois“, einen Vorort Chicagos.[67] Fromm stellt die rhetorische Frage:

„Könnte man den Begriff der Konformität besser formulieren als jene Mutter, die sagte: ‚Johnny macht sich in der Schule nicht besonders gut. Der Lehrer hat mir gesagt, er mache seine Sache zwar in mancher Hinsicht recht nett, aber seine soziale Anpassung lasse einiges zu wünschen übrig. Er suche sich immer nur einen oder zwei Freunde zum Spielen aus, und manchmal wolle er am liebsten ganz für sich allein bleiben‘. (Hervorhebung E. F.).“[68]

Johnny wird nach diesem Bericht der Mutter vom Lehrer für seine Individualität kritisiert, die sich an seiner Fähigkeit zum Alleinsein zeigt – nach Fromm überhaupt ein wichtiges Merkmal einer produktiven Orientierung des Charakters sowie als Eigenständigkeit (independence) Voraussetzung für Liebesfähigkeit[69]. Die Individualität, so erscheint im Zitat das pädagogische Ziel, soll zugunsten der sozialen Angepasstheit ausgetrieben werden.

Allerdings sieht Fromm bei der Erziehung eine umgekehrte Kausalität am Werk, als die, die man vielleicht erwartet:

„Man kann daher die Struktur einer Gesellschaft oder die Persönlichkeit ihrer Mitglieder nicht mit dem Erziehungsprozeß erklären. Wir müssen umgekehrt das Erziehungssystem mit den Erfordernissen erklären, die sich aus der sozialen und wirtschaftlichen Struktur der jeweiligen Gesellschaft ergeben.“[70]

In der Erziehung und in der Familie werden, mit Ausnahmen, nicht nur die in der Gesellschaft vorhandenen Methoden angewandt, sondern gerade in der Familie wird der Gesellschafts-Charakter weitergegeben:

„Sie [die Eltern] übermitteln dem Kind das, was man als die psychologische Atmosphäre oder den Geist einer Gesellschaft bezeichnen könnte, indem sie das sind, was sie sind, nämlich die Vertreter dieses Geistes.“[71]

Die Familie als „psychologische Agentur der Gesellschaft“

Die Familie bezeichnet Fromm entsprechend als die „psychologische Agentur der Gesellschaft“.[72] Die Aufgabe der Erziehung überhaupt bestimmt Fromm in diesem Kontext funktionalistisch: sie diene dazu, „daß man den einzelnen in die Lage versetzt, die Rolle auszufüllen, die er später in der Gesellschaft spielen soll“. Zugleich erwähnt Fromm jedoch, dass es erstens Ausnahmen gibt, d.h. dass es auch in Familien eine reflektierte Form der Erziehung geben kann und gibt, die nicht nur der Reproduktion des Gesellschafts-Charakters dient, und dass Veränderung durch die „Kenntnis der Erziehungsmethoden und das Verständnis dafür ein wichtiger Bestandteil der Gesamtanalyse der Funktionsweise einer Gesellschaft“ ist.[73]

Ohnmacht als Folge betrieblicher Hierarchie

Die funktionalistische Perspektive, die mit dem Begriff des Gesellschafts-Charakters einhergeht, darf nicht vergessen lassen, dass Fromm sich deutlich für eine partizipative Demokratie, inklusive einer Demokratisierung der Wirtschaft und der Arbeitswelt[74], ausspricht, in der menschliche Bedürfnisse (z.B. nach Sinn, Nähe, Verwurzelung, schöpferischem Tun) realisiert werden können:

„Worauf es ankommt ist, daß man einem jeden wieder Gelegenheit gibt, echtes Tätigsein zu entfalten […] Es kommt darauf an, daß er seine Kraft und Vernunft aktiv bei seiner Arbeit einsetzt und daß er sich mitverantwortlich fühlt, weil seine Arbeit für ihn im menschlichen Bereich Sinn hat.“[75]

Das Nichternstnehmen ist eine grundlegende Form fehlender Achtung, Wertschätzung und Liebe[76], die zur Verunsicherung und Gefühlen von Ohnmacht und Isolation führt. Das eben zitierte Plädoyer Fromms legt nahe, dass wir dieses auch mit Blick auf die Arbeit und Wirtschaft ins Auge fassen müssen. Fromm glaubte, dass neben der Erziehung und der Art und Weise, wie formale Bildung vermittelt wird, auch steile betriebliche Hierarchien, hochgradig durchorganisierte Arbeitsschritte, die Freiheit und Verantwortung der Arbeitenden auf ein Minimum reduzieren, und fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten Ohnmacht fördern können.

Ein Grund dafür ist die Entfremdung von Arbeit, die ich unten noch mit Blick auf den Konformismus betrachte. Arbeitende in der Automobilindustrie charakterisiert Fromm mit Peter Drucker als einzig an der „Lohntüte“ interessiert, während sie „[i]n ihrer Arbeit […] etwas Unnatürliches“ sehen; die Arbeit erscheine ihnen „ohne jede Würde und Wichtigkeit“ und schließlich seien sie häufig unglücklich, da „man seine Selbstachtung nicht nur auf eine Lohntüte gründen kann.“[77] Partizipationsmöglichkeiten sind hier nicht vorhanden:

„Er [der Arbeiter] wird an einen bestimmten Arbeitsplatz verwiesen und hat eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, aber er hat keinen Anteil an der Organisation oder dem Management der Arbeit. Er weiß nicht, weshalb gerade diese und nicht eine andere Ware produziert wird, und interessiert sich auch nicht dafür, genauso wenig wie er sich dafür interessiert, in welcher Beziehung diese Ware zu den Bedürfnissen der Gesellschaft als Ganzer steht.“[78]

Entfremdete Arbeit, wie sie die durchorganisierte Industriearbeit darstellt, läuft also der Selbstachtung der Arbeitenden zuwider, da diese sich als „Ersatz für die Maschine“ empfinden. Fromm bemerkt dazu, dass lange abfällig über diese Form entfremdeter Arbeit gesprochen wurde, indem man vom „menschlichen Problem der Industrie“ sprach. Aus der Logik betriebswirtschaftlicher Effizienz heraus wird dabei der Mensch selbst zum Problem erklärt, während das Leid der Arbeitenden zugleich bagatellisiert wird. Man erkennt auch deutlich das Phänomen des Nichternstnehmens. Ich möchte nun einen kurzen Blick auf eine aktuelle Studie werfen, die Fromms Ideen weiterführt – allerdings ohne psychoanalytische Methodik[79].

Betriebliche Hierarchie in Ostdeutschland heute

In der Nachkriegszeit sei – so eine Forschergruppe um Johannes Kiess – die Forderung von mehr Demokratie in der Arbeitswelt auch eine Reaktion auf den Nationalsozialismus gewesen – d.h. auf „[die] Organisation der ‚deutschen Arbeit‘ in den Betrieben mit ‚Gefolgschaft‘ statt Arbeiter*innen und ‚Wirtschaftsführern‘ statt Unternehmern (METALL 1972)“[80]. Der Soziologe Thomas Marshall prägte auf der anderen Seite des Atlantik den Begriff industrial citizenship, womit der „Status Lohnabhängiger als selbstbestimmte bzw. mitbestimmende Bürger*innen im Betrieb“[81] gemeint ist. Andre Schmidt führt dazu aus:

„Ein zentraler Gedanke, nicht nur von Marshall, war damals: Die politische Demokratie kann sich nicht von selbst tragen. Um sie zu stützen, müssen auch die anderen gesellschaftlichen Bereiche weiter demokratisiert werden.“[82]

Diese Ideen greift eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung mit dem Titel „Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland“ auf. Sie stützt Fromms Überlegungen dazu, dass auch die Organisation des Arbeitslebens ein Entstehungsfaktor für Ohnmacht ist, der wiederum die Anfälligkeit für Autoritarismus und Konformismus begünstigt. Besonders spannend dabei: Es wird ein Zusammenhang von Erfahrungen in einem ‚vorpolitischen‘ Lebensbereich mit Einstellungen gegenüber Politik und hinsichtlich politischer Überzeugungen hergestellt. Den thematischen Bezug zu Fromms Werk stellt Andre Schmidt heraus, der an der Studie mitarbeitete. Die Ohnmachtsthematik, die bei Fromm und anderen herausgearbeitet wird, beschreibt Schmidt zusammenfassend wie folgt:

„Die rechte Gesinnung zelebriert Härte gegen Schwache. Doch ist sie zugleich oft Symptom einer tiefen Machtlosigkeit gegenüber den Autoritäten, die das eigene Leben beherrschen. In der Aggression gegen gesellschaftliche Außenseitergruppen wie Migrantinnen und Migranten, sexuelle Minderheiten oder Obdachlose – so die Interpretation – bricht sich auch eine Wut über jene Ohnmacht Bahn, zu der man selbst in der kapitalistischen Arbeitshierarchie verdammt ist.“[83]

Eine empirische Untersuchung zum Zusammenhang betrieblicher Hierarchien und politischer Gesinnung ist aus Fromm‘scher Perspektive zu begrüßen. Zudem liegt die hohe gesellschaftliche Relevanz einer solchen Ursachenforschung auf der Hand – gesetzt den Fall, die Empirie zeigt klare Zusammenhänge auf. Im zentralen Lebensbereich der Arbeit gebe es ein „Demokratiedefizit“, heißt es in der neuen Studie. Betriebliche Mitbestimmung existiere nur bedingt, trotz der Existenz von Betriebsräten bestünden nur eingeschränkte Rechte etwa „bei der Planung von technischen Anlagen, Arbeitsabläufen und Arbeitsplätzen.“[84] Zudem spiele unabhängig von Betriebsräten auch die Stimmung in der Belegschaft und Unternehmensleitung eine wichtige Rolle, die als mitbestimmungsfeindlich erfahren werden kann.[85] Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Zusammenhang von antidemokratischen Einstellungen und betrieblicher Beteiligung, wobei eine frühere Studie bereits zeigen konnte, „dass Erfahrungen von demokratischer Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz zu einer Stärkung demokratischer Einstellungen führen.“[86] Als ein zentrales Ergebnis der Studie nennen die Verfasser:

„Der Einsatz für Mitbestimmung und Beteiligung im Wirtschaftsleben ist kein Allheilmittel – aber ein direkter Einsatz für die Demokratie.“[87]

In der Studie wurden 3011 Individuen in ostdeutschen Bundesländern befragt. Darunter wurden circa 1680 Personen nicht nur zu Demokratiezufriedenheit und politischer Einstellung, sondern auch zu ihren industrial citizenship-Erfahrungen befragt.[88] Zwei Beispiele aus dem Fragebogen hierzu:

„Ich fühle mich bei Entscheidungen im Arbeitsalltag übergangen.“

„Wenn ich in meinem Betrieb aktiv werde, kann ich etwas zum Positiven verändern.“[89]

Demokratie als Lebensform

Indem die quantitative Auswertung der Antworten solcher Erfahrungen mit den Daten zur Demokratiezufriedenheit und politischen Einstellungen korreliert und anschließend weitergehend analysiert wird, und unter der Analyse von Besonderheiten in Ostdeutschland[90], kommen die Autor*innen zur folgenden Einschätzung:

„Die politische Deprivation, das Gefühl, keinen Einfluss auf die Politik zu haben, korreliert stark mit industrial citizenship-Erfahrungen, das heißt fehlende demokratische Erfahrungen in der Arbeitswelt gehen mit generalisierter Politikverdrossenheit einher. Aus den Frustrationen und der Wut über ‚die Dinge‘ speist sich das Ressentiment gegen ‚die da oben‘, gegen die Demokratie und gegen alle, die nicht so sind wie man selbst.“[91]

Damit stützt die Studie Fromms Theorie, die mit Blick auf die Ursachen und Folgen von Ohnmacht eine solche Verbindung von Wirtschaft und Arbeitswelt einerseits und den Charakterorientierungen von Individuen ausarbeitet.[92] Ohnmacht wird durch negative industrial citizenship-Erfahrungen erlernt[93] und als generelles Gefühl der Ohnmacht (in Fromms Sinne) zur Grundlage für die im Zitat genannten Folgeerscheinungen wie Frustration, Wut und Ressentiment.

Die Lösung sieht die Studie in der Förderung der Demokratie als Lebensform (ohne dies so zu benennen)[94]:

„Langfristig können hier positive Erfahrungen mit der Demokratie Abhilfe schaffen. Diese Erfahrungen müssen ihrerseits bereits im ‚vorpolitischen‘ Raum gemacht werden, also im Alltag, in der Schule (Kiess 2022) oder eben in der Arbeitswelt.“ (S. 49)

Auch Fromm sieht eine Abkehr von einer „passiven ‚Zuschauerdemokratie‘“ vom Debütwerk bis zum Spätwerk Haben oder Sein als notwendig an, um den „Bedrohungen durch autoritäre Gesellschaften standhalten [zu können]“:

„Um eine am Sein orientierte Gesellschaft aufzubauen, müssen alle ihre Mitglieder sowohl ihre ökonomischen als auch ihre politischen Funktionen aktiv wahrnehmen. Das heißt, daß wir uns von der Existenzweise des Habens nur befreien können, wenn es gelingt, die industrielle und politische Mitbestimmungsdemokratie (participatory democracy) voll zu verwirklichen.“[95]

Konformismus und soziale Pathologie

Ein gutes, gesundes Leben à la Fromm widerspricht dem Konformismus diametral. Der Begriff der sozialen Pathologie ist in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Fromm fokussierte sich dabei auf die westliche Kultur seiner Zeit.

Die Rede von sozialer Pathologie oder einem breit geteilten und „gesellschaftlich vorgeprägten Defekt“ setzt „universale Kriterien für psychische Gesundheit“ voraus.[96] Ohne diese Kriterien, die in Fromms Theorie der menschlichen Situation und der existenziellen Bedürfnisse zu suchen sind, hier angemessen einführen und diskutieren zu können, hilft bereits die folgende Unterscheidung: In Fromms Theorie erschließt sich soziale Pathologie durch den Unterschied der Anpassung an die Gesellschaft und die Erfordernisse ihrer Wirtschaftsform einerseits von der „Nicht-Anpassung der Kultur selbst“ andererseits.[97] Die erste Perspektive ist die eines „soziologischen Relativismus“, der auf das bloße Funktionieren von Gesellschaften schaut und Krankheit als Fehlanpassung des Individuums an die Gesellschaft versteht.[98] Die zweite Perspektive ist die eines „normativen Humanismus“, der von den erwähnten universalen Kriterien für psychische Gesundheit ausgeht: Die westliche Kultur, die Fromm in den Blick nimmt, kann insofern krank sein, als die sozial angepasste Lebensweise der Mehrheit der Individuen einer Gesellschaft es nicht vermag, die existenziellen Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen.[99] Mit dem Philosophen John Dewey könnte man ergänzen, dass es in einer gesunden Gesellschaft nicht um eine Anpassung an äußere Gegebenheiten, sondern immer auch um die aktive Anpassung der Lebensumstände durch partizipatorische Demokratie geht.[100]

Was ist Konformismus nach Fromm?

Fromm beschreibt den Konformismus in Die Furcht vor der Freiheit als den verbreitetsten psychischen Mechanismus, mit dem (nicht-neurotische) Menschen ihrer inneren Müdigkeit, Ohnmacht und Isolation zu entfliehen versuchen. Der einzelne Mensch taucht in der Masse unter und passt sich vollkommen an, opfert dabei seine Individualität.[101] Dabei spielt der „Identitätsverlust“ eine wichtige Rolle. Die Identität des modernen Menschen bringt Fromm mit dem italienischen Dramatiker Luigi Pirandello so auf den Punkt:

„Ich besitze keine Identität, es gibt kein Selbst außer dem Spiegelbild dessen, was andere von mir erwarten: Ich bin, ‚wie du mich haben willst.‘“[102]

Fromm führt weiter aus:

„Dieser Identitätsverlust macht es nur um so dringlicher, sich anzupassen; er bedeutet, daß man sich seiner selbst nur sicher sein kann, wenn man den Erwartungen der andern entspricht. Entsprechen wir ihren Vorstellungen von uns nicht, so riskieren wir nicht nur ihre Mißbilligung, was zu einer noch stärkeren Isolierung führt, wir riskieren auch, die Identität unserer Persönlichkeit zu verlieren, womit wir unsere geistige Gesundheit aufs Spiel setzen.“[103]

Wichtig in Fromms Ausführungen zum Konformismus ist, dass jener sehr verbreitet ist und in der Konsequenz eine Schwächung oder gar einen Verlust des Selbst darstellt.

Konformismus als Hindernis menschlicher Entfaltung

Das macht den Konformismus zu einem sehr signifikanten psychischen Mechanismus aus mindestens drei Gründen:

1. Fromm nimmt die Gedanken zum Konformismus in sein erst einige Jahre nach Die Furcht vor der Freiheit ausgearbeitetes Konzept der Marketing-Orientierung des Gesellschafts-Charakters auf.[104] Von jener ist auszugehen, dass sie gerade heute stark verbreitet ist.

2. Vor diesem Hintergrund liegt es zweitens nahe, von einer Schwächung des Selbst auszugehen, die die Ohnmacht und Isolation in unterschiedlicher Hinsicht verschleiert. Mit dem Verschleiern meine ich einerseits die epistemische Dimension von Fromms kritischer analytischer Sozialpsychologie, wonach die psychische Motivation vom (offen) beobachtbaren Verhalten und Erscheinungsbild zu unterscheiden ist. Fromm zeigt, dass beispielsweise eine angepasste Geschäftigkeit oder Fröhlichkeit zwar auf den ersten Blick nicht nach Ohnmacht und innerer Müdigkeit aussehen mögen, diese aber dennoch vorliegen können. Nun ist man generell weniger geneigt, in dem, was einem normal erscheint – bei sich oder anderen – so etwas wie ein überspieltes Leid oder eigene innere Leere zu erkennen. Ein Verschleiern liegt zudem insofern vor, als die Gesellschaft am Funktionieren gehalten wird und die Grundlage für Initiativen zur Veränderung und zum Widerstand sediert werden. Denn der Konformismus führt dazu, dass man besser funktioniert im Sinne der Normen, die dem Fortbestehen der Gesellschaft dienen. „Für die meisten von ihnen“, schreibt Fromm über die automatenhaften Konformisten, „liefert die Kultur das Modell, welches ihnen ermöglicht, mit einem Defekt zu leben, ohne krank zu werden.“[105] Konformismus ist also zugleich als verschleiernde Blockade auf dem Weg zu einem liebenden und schöpferischen Weltverhältnis anzusehen.

3. Daher zeigt sich hier eine direkte Verbindung zur oben eingeführten Thematik des gelähmten, tief ohnmächtigen Selbst, das nach Leben hungert, und der These, dass ungelebtes Leben die Quelle menschlicher Destruktivität ist. Wie im obigen Abschnitt zu den Grundgedanken ausgeführt, gründet nach Fromm die gelingende Weise, sich mit der Welt in Beziehung zu setzen, in Selbsttätigkeit, seelischer Produktivität. Vor diesem Hintergrund erschließt sich, warum der Konformismus „unsere geistige Gesundheit aufs Spiel setz[t]“. Damit findet sich nach Fromms Auffassung bei konformistischen Individuen zugleich „die Bereitschaft, jede Ideologie und jeden Führer zu akzeptieren, wenn er nur etwas Aufregendes verspricht und eine politische Struktur und Symbole anbietet, die dem Leben des einzelnen angeblich einen Sinn geben und wieder Ordnung hineinbringen.“[106]

Von offener Autorität zu anonymer Autorität

Betrachtet man demokratische Gesellschaften im Vergleich mit vorangehenden Formen sozialer Organisation, ist ein Wandel weg von offener Autorität hin zu anonymer Autorität zu beobachten:[107]

„Im Verlauf der modernen Geschichte ist an die Stelle der Autorität der Kirche die des Staates getreten, an die Stelle der Autorität des Staates trat die des Gewissens, und in unserer Zeit hat man letztere durch die anonyme Autorität des gesunden Menschenverstandes und der öffentlichen Meinung ersetzt, um hierdurch zur Konformität zu gelangen. Weil wir uns von den älteren, unverhüllten Formen der Autorität freigemacht haben, merken wir nicht, daß wir einer neuen Art von Autorität zum Opfer gefallen sind.“[108]

Ich möchte zwei Bausteine zum Verständnis jener neuen Art von Autorität herausstellen, nämlich die Entfremdung und den Markt als anonyme Autorität.

Konformismus als Folge von Entfremdung

R. Waldo Emerson schreibt in seinem Gedicht „Ode, Inscribed to W.H. Channing“:

„Die Dinge sitzen im Sattel und reiten die Menschheit.“[109]

Fromm stellt dieses Zitat zusammen mit anderen seinem Buch Wege aus einer kranken Gesellschaft voran. Dies ist ein Aspekt, wie anonyme Autorität in die Welt kommt.[110] Der Mensch bringt Kultur und Technik durch eigene Aktivität hervor und kann sich zugleich von seinen eigenen Erzeugnissen entfremden, sich folglich in Eigendynamiken derselben verlieren.

In Das Menschenbild bei Marx heißt es, Entfremdung bedeute,

„daß der Mensch sich selbst in seiner Aneignung der Welt nicht als Urheber erfährt, sondern daß die Welt (die Natur, die anderen, und er selbst) ihm fremd bleiben. Sie stehen als Gegenstände über ihm und ihm gegenüber, obgleich sie von ihm selbst geschaffen sein können.“[111]

Weiterhin würden die Gegenstände der Arbeit zu der arbeitenden Person fremden Wesen, die ‚über sie mächtig werden‘, d.h. zu unabhängigen Mächten, die die arbeitende Person beherrschen können.[112] Konformismus in Fromms Verständnis umfasst diesen Entfremdungsaspekt. „Er [der Mensch]“, schreibt Fromm, „lebt in einer Welt, zu der er keine echte Beziehung mehr hat und in der jeder und alles instrumentalisiert ist, wo er zu einem Teil der Maschine geworden ist, die seine Hände konstruiert haben.“[113]

In düsterem Ton, aber nicht ohne Hoffnung, führt Fromm den Zusammenhang zwischen Entfremdung und Konformismus weiter aus. Ein „neues Gespenst“ gehe um, das Huxley und Orwell in Romanform fassten:

„eine völlig mechanisierte Gesellschaft, die sich der maximalen Produktion und dem maximalen Konsum verschrieben hat und von Computern gesteuert wird. In diesem gesellschaftlichen Prozeß verwandelt sich der Mensch selbst in einen zwar gut geölten und instand gehaltenen, aber untätigen, unlebendigen und gefühlsarmen Teil der Gesamtmaschinerie. Mit dem Sieg der neuen Gesellschaft werden Individualismus und Privatleben verschwinden. Das Mitgefühl mit anderen wird mit Hilfe psychologischer Konditionierung und anderer derartiger Methoden oder auch mit Hilfe von Drogen, die gleichzeitig eine neue Art der introspektiven Erfahrung vermitteln, organisiert werden.“[114]

Hier werden Motive deutlich, die auch den Konformismus charakterisieren: der innere, emotionale Tod – oder eben die innere Müdigkeit – sowie als Reaktion darauf die flexible, gefügige Anpassung des Menschen als eines „gut geölten“ Glieds der „Gesamtmaschinerie“ und das Verschwinden der Individualität. Dazu kommt der Aspekt, der Entfremdung und Konformismus gefährlich macht, nämlich dass das Mitgefühl zu einem organisierten und fremdbestimmten wird. Wem gelten unser Mitgefühl und unsere Solidarität, und gelten sie auch nicht-menschlichen Lebewesen (und wenn ja, welchen) sowie der Natur? Das alles mit dem illusorischen Gefühl[115], der Mensch sitze im Sattel.

Der Markt als anonyme Autorität

Neben diesem Aspekt der Entfremdung ist ein Blick auf den Markt wichtig, der in modernen kapitalistisch geprägten Gesellschaften eine wesentliche anonyme Autorität darstellt.

Die neue, anonyme Form der Autorität ist die des „Man“[116]. Sie bezeichnet den gesellschaftlichen Konformitätsdruck, der die Folge der Erfordernisse der modernen kapitalistischen Wirtschaft ist. Mit seiner Beschreibung der Marketing-Orientierung des Gesellschafts-Charakters erfasst Fromm die Art und Weise, wie das Denken, Fühlen und Handeln von Individuen an die Erfordernisse des Marktes im modernen Kapitalismus angepasst sind.

Individuen mit dominanter Marketing-Orientierung verstehen sich selbst als „Tauschwert“ (Karl Marx) auf dem „Persönlichkeitsmarkt“:

„Das Bewertungsprinzip ist dasselbe wie auf dem Warenmarkt, mit dem einzigen Unterschied, daß hier ‚Persönlichkeit‘ und dort Waren feilgeboten werden.“[117]

Hier gilt es, sich zu Markte zu tragen. Es kommt darauf an, sich zu verkaufen, sich zu präsentieren, „um unter allen Bedingungen des Persönlichkeitsmarktes begehrenswert zu sein.“[118] Da das Ziel die Anpassung an diese Bedingungen ist, ist die Marketing-Orientierung konformistisch. Auch hier gilt, wie wir schon oben sahen, das Motto: „Ich bin so, wie du mich haben möchtest.“ Entsprechend wird das eigene Ich negiert.[119] Es liegt ein spezifischer „am Markt orientierter Konformis[mus]“ vor, wie Rainer Funk es treffend ausdrückt:

„Um sich selbst verkaufen zu können, muß der Mensch seines Eigenseins fremd geworden sein, muß er sich selbst ent-eignen. […] Beim Abstraktions- und Distanzierungsvorgang übereignet sich der Mensch dem anonymen Markt und anonymisiert sich selbst.“[120]

Aber warum überhaupt sich dem anonymen Markt übereignen? Der Antrieb hinter der Marketing-Orientierung ist, auf diesem Wege die menschlichen Bedürfnisse nach Nähe und Zugehörigkeit zu befriedigen. Die Versuche, dies durch „chamäleonhaft[e]“ Anpassung und rein instrumentelle Beziehungen zu anderen zu erreichen, münden in den Verlust des Selbst und machen den Selbstwert von außen abhängig.[121] Nichtsdestotrotz kann die Marketing-Orientierung mit positiven und negativen Charakterzügen einhergehen. Die Individuen können „zielbewußt, gesellig, tüchtig, intelligent“ und „witzig“ sein, aber auch „opportunistisch, kindisch, gleichgültig, ziellos“ und „zum Alleinsein unfähig“.[122]

Fremdbestimmung durch anonyme Autorität

Was man will geht, wie Fromm schon vor über 80 Jahren festhielt, schnell darin unter, was ‚vernünftig‘, was ‚zweckmäßig‘ ist und Erfolg, Anerkennung, Status verspricht, etwa wenn es um Lebensentscheidungen wie die über die Berufsausbildung geht.

Um zu gefallen, Anerkennung zu bekommen oder zumindest nicht negativ herauszustechen, wird über Konsum definiert, wie oder wer man ist, wenn man Produkt XY nutzt, mit sich herum oder am Leib trägt, auch in ganzen Paketen für den bevorzugten Lifestyle. Auch sieht das Individuum sich und andere als Tauschwert, woher ein am Markt orientierter Konformismus rührt, der entsprechend auch persönliche Beziehungen prägt. Die Frage, was wir selbst denn wirklich wollen[123], hat wenig Platz, aber unser Wollen, insofern es gesellschaftlich vorgeprägt ist, wird umfassend und tiefgreifend von Angeboten bedient.

Konformismus und opportunistische Flexibilität[124] sind heute durch exzessives und individualisiertes Marketing gestützt. Es werden uns Individualität und Freiheit ebenso wie Geborgenheit oder Glück versprochen, die durch Konsumentscheidungen zu haben seien.

Eigene Gedanken sind heute vielleicht noch schwerer zu entwickeln, in einer Zeit, wo oft fertige Positionen und Argumente aufeinanderprallen, die ständige Versuchung da ist, zuerst zu googeln oder die KI zu befragen, bevor man selbst überlegt.[125] Mit einem Gedanken traut man sich vielleicht erst aus sich heraus, wenn er vorher einem entsprechenden Plausibilitätscheck unterzogen wurde. Verwirrung und Unsicherheit zu äußern, explorative Gespräche mit offenem Ausgang und ohne vorher festgelegten Zweck zu führen, sind wenig attraktive Dinge. Für Jüngere steigert die Nutzung von KI womöglich das Risiko, vorgebahnte Wege zu gehen und Optionen zu erwägen, auch für Fragen der Lebensorientierung. Denn: Jüngere Menschen in ihren 20ern oder 30ern „nutzen es [ChatGPT] vielleicht wie einen Lebensberater“, während ältere Menschen die KI eher wie einen Google-Ersatz verwenden, hält OpenAI CEO Sam Altman fest.[126]

Im Licht der hier diskutierten Herausforderungen wird deutlich, wie wichtig es ist, Ohnmacht und innere Müdigkeit als soziale Phänomene zu begreifen – Phänomene, die uns in der eigenen Gesellschaft, international, im Alltag und nicht zuletzt bei uns selbst begegnen. Hier liefern Fromms kritische Sozialpsychologie[127] und humanistische Ethik wertvolle Ansatzpunkte: Sie helfen dabei, Quellen der Fremdbestimmung aufzudecken und gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen, die menschliche Selbstentfaltung behindern.

Dabei wäre es ein Fehler, Konformismus oder autoritäre Tendenzen bloß mit bestimmten Personengruppen oder offensichtlich fanatischen Überzeugungen zu verbinden. Sie zeigen sich in vielfältigen Formen – auch in uns selbst, unabhängig von Beruf, Bildung oder Milieu.[128] Fromms Denken hilft, diese Muster zu erkennen und regt dazu an, sie zu hinterfragen – als Grundlage für mehr Eigenständigkeit, Verantwortungsgefühl und lebendige Menschlichkeit.

© Cedric Braun

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[1] Fromm, GA II, S. 186.
[2] Ich danke dem AK Bochum der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft für anregende Gespräche zu Die Furcht vor der Freiheit sowie für Literaturhinweise. Linda Grohmann danke ich für diverse Korrekturvorschläge, die den Text verbessert haben.
[3] Fromm, GA I, S. XXII.
[4] Fromm, GA VII, S. 301; Funk, o. J., „necrophilia / Nekrophilie“.
[5] Zur Unterscheidung von „primärer Potentialität“ und „sekundärer Potentialität“ siehe Fromm, GA II, S. 137. Zur Kritik an Freud mit Blick auf die – nach Fromms Auffassung zu ihrem Übel dualistische – Konzeption von Lebenstrieb und Todestrieb siehe ebd., S. 134–138.
[6] Genauer dazu z.B. Fromm, GA I, S. 368–370; GA II, S. 59, 186.
[7] Fromm, GA II, S. 137.
[8] Bei der Anwendung der Theorie des Gesellschafts-Charakters auf eine Nation oder auf in einer bestimmten Region lebende Menschen muss äußerst sorgfältig vorgegangen werden. Siehe etwa Fromm, GA V, S. 10. Herausforderungen u.a. mit Blick auf die Anwendung in kulturell anders als westlich-demokratisch geprägten Ländern und Regionen diskutiert Jay (2022), jedoch mit primärem Blick auf die Studie zur autoritären Persönlichkeit von T. W. Adorno und anderen aus dem Jahr 1950.
[9] Funk, 2025. Zur Polarisierung aus Sicht von Fromms Theorie siehe auch Buechler, 2025, S. 129-133.
[10] Fromm vertritt hier eine objektive Theorie existenzieller menschlicher Bedürfnisse, einen „normativen Humanismus“, wie er etwa in Wege aus einer kranken Gesellschaft sagt. Diese menschlichen Bedürfnisse gründen in der basalen Struktur der menschlichen Existenz, die Fromm unter dem Titel „menschliche Situation“ (engl. human situation) analysiert.
[11] Martin Jay zeigt zugleich auf, dass eine Charakter- oder Persönlichkeitsforschung im Sinne der frühen Frankfurter Schule auch für heute wichtige Einsichten liefern könnte und welche Fallstricke z.B. hinsichtlich einer problematischen Pathologisierung politischer Gruppen zu vermeiden wäre. Wie Jay herausstellt, hatten sowohl Erich Fromm wie auch T. W. Adorno hinsichtlich des letzteren Problems immerhin ein klares Problembewusstsein. Siehe Jay, 2022.
[12] Dazu aus soziologischer Sicht: Chancer und McLaughlin, 2024.
[13] Fromm, GA II, S. 137.
[14] Fromm, GA I, S. 236–238.
[15] Vgl. ebd., S. 279–281.
[16] Ebd., S. 230.
[17] Zur „Flucht ins Autoritäre“ siehe allgemein Die Furcht vor der Freiheit und zum so bezeichneten psychologischen „Fluchtmechanismus“ besonders ebd., S. 300–322.
[18] Funk (2019) identifiziert, Fromm’sche Methodik anwendend, eine „ego orientation“ des Gesellschaft-Charakters „at the expense of ego strength“. Siehe ebd., S. 129-143.
[19] Für eine detaillierte Ausführung siehe Fromm, GA II, S. 211–218.
[20] Fromm, GA I, S. 232. Fromms Denken steht der westlich-kapitalistischen Kultur sehr kritisch gegenüber. Das ist zu beachten, wenn er im Zitat von den primären Bindungen der „Angehörigen eines primitiven Stammes“ spricht. Fromm kritisiert an anderer Stelle ausdrücklich die „unerschütterliche[] Überzeugung von der Überlegenheit der heutigen Zivilisation über die vortechnischen Kulturen“ (GA VII, S. 193). Für ihn sind „Egoismus, Selbstsucht und Habgier“ Eigenschaften des Menschen, die aus ideologischen Gründen zu angeborenen erklärt werden (GA II, S. 277). Gesellschaften, welche diese Eigenschaften nicht aufweisen, würden als „primitiv“ betrachtet und ihre „Mitglieder als ‚naiv‘ [im Original childlike, C.B.] abqualifiziert“ (ebd., S. 278).
[21] Ebd., S. 234.
[22] Honneth, 2006, S. 153. Vgl. Fromm, GA I, S. 231–240.
[23] “Einmal gelöste primäre Bindungen können nicht mehr geflickt werden; in ein einmal verlassenes Paradies kann der Mensch nicht zurückkehren. Es gibt nur eine einzige produktive Lösung für die Beziehung des Menschen zur Welt: seine aktive Solidarität mit allen Mitmenschen und sein spontanes Tätigsein, Liebe und Arbeit, die ihn wieder mit der Welt einen, nicht durch primäre Bindungen, sondern als freies, unabhängiges Individuum“ (Fromm, GA I, S. 238).
[24] Vgl. z.B. Fromm, GA I, S. 379–392.
[25] Einen sehr hilfreichen Überblick über die Charaktertheorie und die verschiedenen Orientierungen des Gesellschafts-Charakters in Fromms Werk gibt Funk (1995).
[26] Fromm, GA I, S. 308, 310.
[27] Funk, 1995, S. 33 f.
[28] Fromms sozialpsychoanalytische Charaktertheorie ist sehr komplex und zum Teil empirisch erprobt. Sie leugnet nicht die Individualität des je einzelnen Menschen, den man nicht in Schubladen stecken darf.
[29] Fromm, GA IX, S. 90.
[30] Fromm, GA II, S. 151.
[31] Buechler, 2025, S. 32, übers. v. mir, C.B.
[32] Vgl. Fromm, GA I, S. 240, 383 f.
[33] Fromm, GA IX, S. 94­–95.
[34] Ebd., S. 95.
[35] Fromm, GA I, S. 366.
[36] In Anschluss an den Begriff der Langeweile, mit dem sich Fromm ebenfalls beschäftigte, ließen sich die Ausführungen zur inneren Müdigkeit ebenfalls weiterführen. Fromm sah etwa einen Zusammenhang zwischen Langeweile und Sadismus, was neuerdings durch eine Studie der Universität Aarhus gestützt wurde (Herrmann, 2020).
[37] Fromm, GA I, S. 366.
[38] Ebd., S. 365.
[39] Hier im Beitrag kann dieser Komplex nicht vollständig adressiert werden. Die Isolation als Phänomen und auch Ursache für Hilflosigkeit und Ohnmacht liegt außerhalb des gewählten Fokus und kann hier höchstens gestreift werden. Dasselbe gilt für verwandte Phänomene wie Resignation, Langeweile, Gleichgültigkeit und andere.
[40] Zu den Begriffen der Biophilie und der Nekrophilie siehe Fromms Die Seele des Menschen (1964), Kap. 3 sowie sein spätes Hauptwerk Anatomie der menschlichen Destruktivität (1973). Fromm kritisiert den „narzißtische[n] Stolz des Menschen“ gegenüber der Natur, wie er sich in Naturwissenschaft und Technik zeigt (Fromm, GA II, S. 216).
[41] Fromm, GA I, S. 312. Dort unterscheidet Fromm Macht als domination von Macht als potency. Siehe auch GA V, S. 370; Arendt, 1965, S. 174; Dewey, 1916/1980, S. 47.
[42] Fromm, GA I, S. 190.
[43] Zum engen Umfeld des genannten Begriffskomplexes gehört auch das Gefühl der Resignation. Der chilenische Psychologe Jorge Gissi (1995) beschreibt das Phänomen der Resignation in einem Aufsatz zur Armut in Lateinamerika, in der er auch an Fromms Mexiko-Studie anschließt, so: „Resignation bedeutet, mit der Frustration leben zu lernen. Dies ist allerdings normalerweise eine spätere und keine primäre Reaktion auf Frustration. Wenn Aggression und/oder Kompensation als Reaktion auf Frustrationen scheitern, letztere bestehen bleiben und ihre Ursachen als relativ unveränderbar wahrgenommen werden, fügt sich das Subjekt in sein Schicksal. Dies stellt dann die Situation der chronischen Frustration dar“ (S. 9). Gissi sieht die Resignation als eng verbunden mit einem „Gefühl der Ohnmacht, einer pessimistischen Sicht der Welt und einem niedrigen Anspruchsniveau“ (S. 10).
[44] Vgl. Kap. 7 aus Die Furcht vor der Freiheit.
[45] In den letzten Jahren erscheinen immer mehr Arbeiten, die sich an einer Aktualisierung und, wo nötig, kritischen Revision, von Fromm versuchen. Dies zeigen Chancer und McLaughlin (2024) im Detail.
[46] Eine mögliche Anwendung des Fromm’schen Denkens auf das Versagen vieler Länder „schnelle und entschlossene gemeinsame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen“ führen Chancer und McLaughlin (2024, S. 404) an. Sie ziehen dafür Haben oder Sein heran, wo Fromm aufzeigt, wie „Menschen sich eher an Profit und Besitz von Dingen orientieren als an guten zwischenmenschlichen Beziehungen [humanistic relations] und lebensbejahenden Praktiken und Aktivitäten“, ebd., übers. v. mir.
[47] Vgl. Fromm, GA I, S. 339; Fromm, GA IX, S. 367–373 [„Der Ungehorsam als ein psychologisches und ethisches Problem“].
[48] Fromm, GA I, S. 339, Herv. v. mir, C.B.
[49] Ebd., S. 357. Herv. v. mir, C.B. Siehe auch Honneth, 2006, S. 154.
[50] Fromm, GA I, S. 339.
[51] Fromm, GA III, S. 45–47. Siehe auch GA I, S. 344.
[52] Fromm, GA III, S. 45–47.
[53] Fromm, GA I, S. 339.
[54] Ebd., S. 190.
[55] Ebd., S. 191–193.
[56] Ebd., S. 191.
[57] Ebd.
[58] Ebd., S. 193.
[59] Siehe beispielsweise Hartmann und Honneth (2010) und die dort angegebene Literatur.
[60] Siehe auch die Überlegungen in Thomä (2018) über das „TOX-Prinzip“. („TOX“ steht dort kurz für „think out of the box“ und soll zugleich an „toxic“ denken lassen).
[61] Fromm, GA I, S. 201. Hervorhebung v. mir, C.B.
[62] Ebd.
[63] Ebd., 201, 232 Fn1.
[64] Vgl. ebd., 201–202.
[65] Im Original bereits in Anführungszeichen („man ‚macht Vorschläge‘“). Siehe Fromm, GA IV, S. 110.
[66] Ebd.
[67] Ebd., S. 111. Fromm zitiert aus dem Bericht „The Transients“ von William Hollingsworth Whyte, Jr., der im Jahr 1953 veröffentlicht wurde.
[68] Ebd., S. 112.
[69] Zu letzterem siehe etwa Fromms Die Kunst des Liebens.
[70] Fromm, GA I, S. 384.
[71] Ebd., S. 385.
[72] Ebd.
[73] Fromm, GA I, S. 384 f.
[74] Für mehr „Mitbestimmung und für Wirtschaftsdemokratie“ setzten sich „im Nachkriegsdeutschland auch Gewerkschafter wie Otto Brenner oder Hans Böckler“ ein (Schmidt, 2024). Zur Geschichte der Wirtschaftsdemokratie in Deutschland, die nicht nur bis in die Weimarer Republik, sondern bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, siehe Potthoff, 1985. Siehe auch die Ausführung unten zum Begriff industrial citizenship.
[75] Fromm, GA I, S. 376.
[76] Diese Phänomene, „Respekt“ bzw. „Achtung“, „Wertschätzung“ und „Liebe“, werden u.a. in der Anerkennungstheorie von Axel Honneth gebraucht und bezeichnen verschiedene Dimensionen des positiven Gegenstücks zum angesprochenen Nichternstnehmen. Hierzu Parallelen und Unterschiede auszumachen, überstiege jedoch den Rahmen des Blogbeitrags.
[77] Peter F. Drucker, zitiert nach Fromm, GA IV, S. 128 f.
[78] Ebd., S. 128.
[79] Zentral für Fromms Ansatz war ein klarer Unterschied zwischen „Meinung“ (opinion) und „Überzeugung“ (conviction; oder ‚Haltung‘). „Meinung“ sei „relativ unverläßlich“ und spiegle im Wesentlichen die allgemeinen Denkmodelle wider, die in der Gesellschaft kursieren; hinter einer „Überzeugung“ dagegen stehe die Charakterstruktur einer Person und sie ist daher entscheidend für die „Motivation für das Handeln“ (Fromm, GA III, S. 3). Für die psychoanalytisch geprägte empirische Sozialforschung wurden umfangreiche ‚interpretative Fragebögen‘ verwendet und – darin liegt die Besonderheit – die Antworten im Hinblick auf ihre „unbewußte oder unbeabsichtigte Bedeutung hin“ gedeutet (ebd., S. 4).
[80] Kiess et al., 2023, S. 4.
[81] Ebd., S. 5.
[82] Schmidt, 2024. Schmidts Einordnung von Fromm in die Kategorie der „Spekulationen aus dem psychologischen Ohrensessel“ erscheint mir allerdings nicht fair.
[83] Ebd. Hervorhebung von mir, C.B. Wut als eine von verschiedenen Reaktionen auf Ohnmacht bespricht Fromm im Aufsatz „Zum Gefühl der Ohnmacht“ (1937). Siehe auch Kiess et al., 2023, S. 16 f., 35.
[84] Kiess et al., 2023, S. 4 f.
[85] Ebd., S. 47 f.
[86] Ebd., S. 5; Kiess und Schmidt, 2020.
[87] Kiess et al., 2023, S. 49.
[88] Ebd., S. 42.
[89] Ebd., S. 27.
[90] So heißt es ebd.: „In weiten Teilen der Arbeitswelt haben hier Betriebsräte, gewerkschaftlicher Organisationsgrad sowie Löhne und Arbeitsbedingungen bis heute nicht zu Westdeutschland aufgeschlossen“ (S. 6). Trotz hoffnungsvoller Transformation im Arbeitsmarkt und einem „Aufbruch in der Arbeitswelt“, stellen die Autor*innen heraus, sei der Weg zu mehr Demokratisierung in der Arbeitswelt „kein[] Selbstläufer“ (S. 14).
[91] Ebd., S. 49.
[92] Vgl. Fromm, GA III, S. 7–31.
[93] Martin Seligman prägte in den 1970er Jahren den Begriff der erlernten Hilflosigkeit. Jorge Gissi (1995) schreibt hierzu: „Die Untersuchungen [Seligmans] zeigen, daß die Subjekte kaum gemäß den vorhandenen Möglichkeiten auf die Frustrationen reagieren. Die erlernte Resignation ist also für die Subjekte selbst eher unadaptiv und dysfunktional“ (S. 10).
[94] Dass Demokratie mehr als eine Regierungsform, nämlich primär eine Form des Zusammenlebens und Teilens von Erfahrung sei, vertrat prominent John Dewey (z.B. 1916/1980, S. 93). Zu Vorschlägen Ohnmacht zu begegnen siehe auch das Motivationspapier „Transformatives Community-Learning“ des fiph: https://fiph.de/institut/Transformatives_Community_Learning.pdf
[95] Fromm, GA II, S. 399. Zu Fromms Ideen zum gesellschaftlichen Wandel siehe die letzten Kapitel von Wege aus einer kranken Gesellschaft und Haben oder Sein.
[96] Fromm, GA IV, S. 13, 16.
[97] Ebd., S. 9 und S. 13–19. Dort führt Fromm sein Verständnis sozialer Pathologie genauer aus.
[98] Ebd., S. 13.
[99] Ebd. S. 14 f. Vgl. oben den Unterschied zwischen gesellschaftsimmanenter Normativität und humanistischer Ethik im Abschnitt zum Gesellschafts-Charakter.
[100] Dewey, 1922/1983, S. 38; ders., 1916/1980.
[101] Fromm, GA I, S. 325 f.
[102] Fromm, GA I, S. 365. Fromm bezieht sich auf Pirandellos Stück „Como tu mi vuoi“ von 1931.
[103] Ebd.
[104] Funk, 1995, S. 37.
[105] Fromm, GA IV, S. 16.
[106] Fromm, GA I, S. 366.
[107] Funk, 1995, S. 38.
[108] Fromm, GA I, S. 365.
[109] Zitiert nach Fromm, GA IV, S. 3.
[110] Fromm merkt an, dass es einen sachlichen Zusammenhang zwischen Entfremdung und Konformismus gibt, der in seinen Texten auch vielfach deutlich wird. Aus Darstellungsgründen, wie er sagt, führt er den Zusammenhang etwa in Wege aus einer kranken Gesellschaft jedoch nicht explizit aus, wenn er den Konformismus analysiert. Hierzu ebd., S. 109.
[111] Fromm, GA V, S. 370.
[112] Ebd., S. 370–371. Fromm gibt hier direkt Marx wieder und zitiert aus Karl Marx und Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe (MEGA), I, 3, S. 83.
[113] Fromm, GA I, S. 365.
[114] Fromm, GA IV, S. 260 f.
[115] Zur Freiheits-Illusion konformistischer Individuen siehe z.B. Fromm, GA I, S. 358.
[116] Fromm gebraucht diesen von Martin Heidegger geprägten Begriff auf seine eigene Weise (z.B. Fromm, GA IV, S. 110). Fromm sieht Heidegger sehr kritisch und wirft ihm „bürgerlichen Egoismus und Solipsismus“ und sein Sympathisieren mit dem Nazismus vor (Fromm, GA II, S. 162, Fn 1).
[117] Fromm, GA II, S. 374.
[118] Ebd.
[119] Ebd.
[120] Funk, 1995, S. 37
[121] Ebd., S. 36–38.
[122] Fromm, GA II, S. 76.
[123] Zum Thema Wollen und Pseudo-Wollen siehe Fromm, GA I, S. 333–336.
[124] Eine Eigenschaft der Marketing-Orientierung des Gesellschafs-Charakters. Siehe Funk, 1995, S. 34–41.
[125] Vgl. Tan, 2025.
[126] Ebd. Laut Gerlich (2025) wirkt sich die häufige Nutzung von KI, vermittelt durch „kognitive Auslagerung“, negativ auf die Fähigkeit zum kritischen Denken aus. Bei jüngeren Nutzer*innen zeige sich eine größere Abhängigkeit von der KI-Nutzung bei gleichzeitig geringeren Werten beim kritischen Denken im Vergleich zu älteren.
[127] Siehe auch Funk, 2022.
[128] Diesen wichtigen Punkt hat mir dankenswerterweise Dr. Dr. Michael Kubsda in Erinnerung gerufen.

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