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Uneingestanden politisch? Eine rettende Kritik der Transformativen Wissenschaft

Veröffentlicht am 20. April 2023

Von Marvin Dreiwes

Spätestens mit dem Aufstieg der Klimaprotestbewegungen ab 2019 und deren wiederkehrende Bezugnahme auf die Klima- und Umweltwissenschaften (»Hört auf die Wissenschaft«), sehen sich die Wissenschaften erneut mit der Frage konfrontiert, wie sie auf die multiplen Krisen, allen voran der ökologischen reagieren sollen. Mit Scientist for Future oder Scientist Rebellion finden sich etwa Stimmen, die ein stärkeres politisches Engagement bis hin zu Aktivismus von Seiten der Wissenschaftler*innen fordern und praktizieren. Vorbei sei die Zeit kleinteiliger Detailforschung fernab gesellschaftlicher Debatten, da alle notwendigen Daten vorliegen und unmissverständlichen den Ernst der Lage und die Notwendigkeit zu handeln zeigen. Eine angemessene Antwort auf die Krisen kann nicht einfach ein Mehr an Forschung sein, sondern eine andere Wissenschaft. Kritisiert wird dabei ein dominantes Verständnis von Wissenschaft, demnach Wissenschaftler*innen politischen Entscheidungsträger*innen wissenschaftliche Erkenntnisse in Form von Berichten, Prognosen und Szenarien zur Verfügung stellen, darüber hinaus aber als Wissenschaftler*innen nicht in die gesellschaftliche und politische Debatte einschreiten. Wie umkämpft dabei die Grenzziehungen zwischen wissenschaftlicher Forschung und politischer Entscheidung in Person und Sache sind, hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt.

Das Projekt der Transformativen Wissenschaft

Vor diesem jüngsten Streit um die Notwendigkeit eines politisch angeschärften Wissenschaftsbegriff wurde zu Beginn der 2010er Jahre im deutschen wissenschaftspolitischen und theoretischen Diskurs die Debatte um die Transformative Wissenschaft (im Folgenden abgekürzt als ›TW‹) geführt, um die es heute indes ruhiger geworden ist. Eingeführt wurde das Konzept der TW von Uwe Schneidewind und Mandy Singer-Brodowski (2014). Begrifflich schließen sie dabei an die »transformativen Forschung« an, wie sie der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen prägte (WBGU 2011, 23 f.).[1] Schneidewind und Singer-Brodowski erweitern jedoch dieses Projekt, insofern sie das Wissenschaftssystem angesichts der ökologischen und klimatischen Krisen unter dem Leitprinzip der Nachhaltigkeit insgesamt neu ausrichten wollen.

Die folgende Darstellung und Kritik der TW will diese nun nicht apologetisch als ein überlegenes Projekt rehabilitieren, das zu Unrecht vergessen wurde, sondern das wissenschaftstheoretische Instrumentarium erweitern, mit welchem der ambivalente Nexus von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft aufeinander bezogen werden kann. Zugleich äußere ich den Verdacht, dass die TW die eigenen Implikationen einer radikal vergesellschaften Wissenschaft nicht theoretisch einfängt und damit zugleich unfreiwillig hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückfällt.

Hierzu werden in einem ersten Schritt einige Grundmotive der Transformativen Wissenschaften rekonstruiert. Dabei werde ich zunächst die Anleihen der Theorie der reflexiven Moderne herausarbeiten (1.1) und sodann die drei wissenschaftstheoretischer turns der TW (1.2); die Kritik an einem vulgären Begriff von Wissenschaftsfreiheit (1.3); den ambitionierten Begriff der Transdisziplinarität (1.4) sowie die kritische Bestandsaufnahme des deutschen Wissenschaftssystem vorstellen (1.5). Im zweiten Schritt werde ich eine Kritik an drei sich überschneidenden Stränge entwickeln. Dabei geht es um eine meines Erachtens fehlenden Reflexion auf die Verwendung des Begriffs der Moderne (2.1); einen mangelnden Sensus für die Eigendimension politischer Konflikte (2.2) und einer »solutionistischen« (Strohschneider) Verkürzung der Wissenschaften entlang scheinbar universeller epistemischer Prinzipien (2.3).

Wissenschaften in Zeiten der reflexiven Moderne

Gemäß ihrer gesellschaftstheoretischen Hintergrundannahme begreift die TW moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften vor allem als Wissensgesellschaften, die in ihrer Funktionsweise auf die Anhäufung, Vermittlung und technologische Anwendung von Wissen angewiesen sind. Im Anschluss an die Diagnose der »Risikogesellschaft« des Soziologen Ulrich Becks (Beck 1986), sprechen Schneidewind und Singer-Brodowski von einer reflexiven Moderne. Kennzeichnet für diese sei unter anderem, dass Wissenschaft in ihrem Zugriff reflexiv wird, sich also selbst problematisiert. Während in einer frühen Phase der Moderne Wissenschaften als aufgeklärte und rationale Kritik und Erklärung auf außerwissenschaftliche Gegenstände angewandt würden, Probleme also verwissenschaftlicht würden, problematisiere sich Wissenschaft in der reflexiven Moderne selbst. Da diese Problematisierung wiederum unweigerlich im Modus der Wissenschaft vollzogen werde, handele es sich um eine reflexiv gewordene Wissenschaft.

Diese Selbstproblematisierung sei die Folge einer zunehmenden Eingriffstiefe der Technologien sowie der gesteigerten Komplexität nicht-intendierter Nebenfolgen. Was sich für Beck damals in dem Reaktorunfall in Tschernobyl versinnbildlichte, zeigt sich heute etwa jüngst in der Corona-Krise oder dem drohenden ökologischen Kollaps infolge der Biodiversitäts- und Klimakrise. Diese Krisen verbindet, dass sie in ihrer Tragweite aus jenen Eigendynamiken wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen entstanden sind, die gerade zur Lösung gesellschaftlicher Probleme eingesetzt wurden.

Grenzerfahrungen der Moderne

Schneidewind und Singer-Brodowski sprechen in diesem Zusammenhang der multiplen Krisen von verschiedenen auftauchenden Grenzen, die im Widerspruch zur expansiven Steigerungslogik der Moderne stünden (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 20–22): So etwa in Gestalt der ökonomischen Grenzen (Finanzkrise), der sozialen Grenzen (soziale Ungleichheit und Prekarisierung, Landnahme) und der ökologischen beziehungsweise planetarischen Grenzen (Endlichkeit der Ressourcen, Biodiversitäts- und Klimakrise). Die Aporie, in der sich moderne Wissensgesellschaft befinden, sei somit, dass sie angesichts ihrer technologischen Komplexität nicht mehr in der Lage seien, alle möglichen und zum Teil fatalen Nebenfolgen zu überblicken, die einzige Bearbeitung dieser Folgen selbst die Form der Wissenschaft annehme und damit unweigerlich die Komplexität weiter steigere. Für Wissenschaften, die notgedrungen an den Lösungen der von ihr mit verursachten multiplen Krisen beitragen müssen, formulieren die Autor*innen der TW daher folgendes Ziel:

»Eine transformative Wissenschaft zielt darauf, die Werte und Errungenschaften der Moderne vor den ungewollten Dynamiken eben dieser Moderne zu sichern«

Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 69

Mit kontraktualistischer Emphase fordert die TW hierfür einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Gesellschaft und Wissenschaft, der den Bedingungen der reflexiven Moderne gerecht wird und die notwendigen Transformationsaufgaben hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft anstößt und begleitet (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 20–21, 25–26).

Auch wenn der Einschätzung gefolgt wird, dass Politik in der Moderne immer doppelt legitimationsbedürftig, das heißt auf Sachangemessenheit und Zustimmung angewiesen sei, liegt nun der bekannte doppelte Einwand nahe: Entweder werden in einer unterkomplexen Überantwortung gesellschaftlicher Probleme an Wissenschaft, jene faktisch szientistisch verengt und eine entpolitisierte Technokratie bahnt sich ihren weg. Oder die Reduktion von Forschung auf politische Auftragsarbeit bedroht die wissenschaftliche Qualität. Gegen diesen doppelten Einwand tritt die TW mit dem Anspruch auf, weder technokratische Politik noch populistische Forschung zu betreiben.

Die drei turns der Transformativen Wissenschaften

Damit die TW ihre Aufgabe als »Katalysator für gesellschaftliche Veränderungsprozesse« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 69) erfüllen kann, müsse der Transmissionsriemen zwischen Gesellschaft und Wissenschaft völlig neu gedacht werden; möglich werde dies durch drei richtungsweisende turns:

Normative turn

In Folge eines normative turn, versteht das Programm der TW Wissenschaft dezidiert offen für Wertfragen. Es bedürfe keiner Wertfreiheit, sondern einer Explikation von Werturteilen wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Akteur*innen. Damit ist weniger das Bekenntnis zu einer politischen Gesinnung gemeint, sondern die offene Artikulation von Motivationen und Zielen, die das jeweilige wissenschaftlichen Handeln immer auch mitbestimmen. Diese gilt es dann nicht mehr aus der Wissenschaft zu tilgen, sondern in diese zu integrieren. Normativität wird daher auch als Zielwissen im Sinne »wünschenswerte[r] und denkbare[r] Zukünfte« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 71) verstanden und fällt nicht mehr aus dem Zuständigkeitsbereich wissenschaftlicher Forschung. Eng verknüpft ist diese normative Ausrichtung mit einer Pluralisierung von Wissensarten: Neben dem klassischen Systemwissen, als »intersubjektiv reproduzierbares Wissen über die Welt« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 69 f.) und dem erwähnten Zielwissen finde sich schließlich das Transformationswissen, das auf Alltagswissen von Akteur*innen in Transformationsprozessen eingeheund auf diese angewiesen sei. Der normative turn ist daher nicht nur eine Öffnung der Wissenschaften für normative Fragen, sondern zugleich ein egalitäres Integrationsprojekt verschiedenster epistemischer Zugriffe auf Welt.

Experimental turn

Dem experimental turn folgend können für die TW gesellschaftliche Transformationsprozesse nicht als Modell beschrieben oder im kontrollierten Setting der Labore vorweggenommen werden. Es brauche dagegen Realexperimente (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 127), in denen Transformationswissen in eins angewendet und experimentell generiert werden könne. Hierdurch können gesellschaftliche Akteure eine transformative literacy ausbilden, die, in Anlehnung an Ernst Ulrich von Weizsäcker, zur »Sprach- und Denkkraft« für gesellschaftliche Veränderungsprozesse wird (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 75). Dabei handele es sich weniger um Patentrezepte für gelingende Transformationsprozesse, sondern um die Fähigkeit, mit den verschiedenen Aspekten experimenteller Transformationsprozesse – Scheitern, Offenheit, Unsicherheit – produktiv umzugehen.

Institutional turn

Schließlich betrachtet die TW gemäß des institutional turn, dass Wissenschaft immer in Institutionen erfolgt, die als Regime mitgedacht und damit gestalt- und veränderbar seien. Es geht mitnichten nur um ein Forschungspolitisches agenda setting mittels Wissenschaftsförderung, sondern um die Neubestimmung des gesamten Wissenschaftssystem mitsamt seinen Praktiken, Institutionen und Infrastrukturen.

Die Autonomiefalle als Kritik der vulgären Wissenschaftsfreiheit

Mit diesen drei turns versucht die TW auf einen neuralgischen Punkt in der Auseinandersetzung einzugehen: der Frage nach der Wissenschaftsfreiheit. Die im Grundgesetz Artikel 5, Absatz 3 verankerte Freiheit in Wissenschaft, Forschung und Lehre kann dabei zunächst als negative Freiheit beschrieben werden. Wissenschaften sollen frei von politischer Einflussnahme Forschungsthemen und Fragestellungen entwickeln, diese lehren und dazu arbeiten sowie die Ergebnisse für die Öffentlichkeit zugänglichen machen können. Alle Versuche, das Wissenschaftssystem auf einen ihr äußeren Zweck auszurichten – und sei es der scheinbar universelle normative Horizont der Nachhaltigkeit – müssten daher als unverhältnismäßiger Eingriff in die Forschungspraxis problematisiert werden.

Schneidewind und Singer-Brodowski reagieren auf diesen Einwand mit dem Begriff der Autonomiefalle, mit welchem sie die Ambivalenz in der Forderung nach einer völlig unabhängigen Wissenschaft fassen, der ihnen zufolge einem unzureichenden Verständnis von Freiheit aufsitze (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 53–60). Zum einen fassen sie damit die Spannung zwischen institutioneller und individueller Freiheit, die selten parallel gesteigert werden könne, zum anderen die Dialektik eines Freiheitsbegriffs, der in sein Gegenteil umschlüge.

Der Preis der Entfesselung

Während sich die institutionelle Wissenschaftsfreiheit in Deutschland seit den 1990er im Zuge einer »Entfesslung der Hochschulen« (Detlef Müller-Bölling)[2] stabilisieren oder sogar ausbauen könne, finde sich zugleich eine hohe Einschränkung von individueller Freiheit innerhalb des Hochschulsystem. Da sich die individuelle Forschungsfreiheit immer nur innerhalb wissenschaftlicher Organisationen und durch bestehende Infrastrukturen realisieren könne, sei die Verlagerung der Grundfinanzierung hin zu Drittmitteln nicht ohne Konsequenzen geblieben. Die Vergabe dieser Mittel folge dabei zunehmend ökonomisch-kompetitiven Verteilungslogiken, unter denen die individuelle Wissenschaftsfreiheit zunehmend prekär und wissenschaftliche Forschung auf wenige Kenngrößen quantifiziert werde.

Die institutionell gesicherte Wissenschaftsfreiheit dagegen, die sich zwar als Hochschulautonomie gegenüber staatlichen Zugriffen behaupte, habe faktisch zu einer Schwächung der Selbstverwaltung und der Ausbildung stärkerer Präsidenten- und Hochschulräte geführt. Zwar ließe sich eine stärkere Spitzenforschung (Exzellenzförderung) gerade in Technik- und Naturwissenschaften beobachten, dagegen stünde zugleich eine Schwächung kleiner Fächer, eine Abwertung der Hochschullehre[3] sowie ein Rückzug der Hochschule aus gesellschaftlichen Betätigungen. Die Folge, so die Autor*innen, sei, dass es keine aktive Verzahnung mit der Gesellschaft und damit keinen politischen impact gebe.

Schneidewind und Singer-Brodowski kommen damit zu dem Ergebnis, dass die empathische Rede der vollständigen Autonomie der Wissenschaften begrifflich widersprüchlich sei und im Fall des deutschen Wissenschaftssystem in eine Autonomiefalle geführt habe. Die vehemente Ablösung von wissenschaftstranszendenten Logiken staatlicher und öffentlicher Einflussnahme schlüge um in eine indirekte, aber nicht weniger mächtige Bindung an ökonomische Verteilungs- und Kontrolllogiken. Die inhaltliche Entkopplung des Wissenschaftssystems von staatlichen, demokratisch legitimierten Institutionen führe zudem zu einem wissenschaftspolitisches Legitimationsdefizit und fehlender politischer Sichtbarkeit. Das Pochen auf Wissenschaftsfreiheit verkenne darin die von den Wissenschaften angestoßenen Effekte auf Gesellschaft und die damit verbundene Verantwortung sowie die faktisch bestehenden Verflechtungen zwischen Wissenschaft und Politik, wie sie im Bereich der wissenschaftlichen Politikberatung gängige Praxi ist.[4]

Transdisziplinarität als vergesellschaftete Reflexivität

Neben der Kritik an einer verkürzten Wissenschaftsfreiheit formulieren die TW ein starkes Konzept der Transdisziplinarität. Transdisziplinarität gehe über die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen hinaus, um komplexe gesellschaftliche Probleme zu lösen. Angestrebt werde dabei eine erhöhte Reflexivität der Wissenschaft durch eine Pluralisierung auf allen Interaktionsebenen im Sinne einer »disziplinären Interdisziplinarität in transdisziplinären Prozessen« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 46). Während die klassische Interdisziplinarität die jeweilige Perspektive einer jeden einzelnen Disziplin mit ihren blinden Flecken erst sichtbar werden lasse, überschreite die Transdisziplinarität die klassischen Regime der Wissenschaftssysteme. Sie will »die Gesellschaft zu einem integralen Bestandteil ihrer Wissensproduktion mach[en]« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 105). Nur so würden die bestehenden Herausforderungen bearbeitet werden können, da gegenwärtigen Krisen nicht aus einer disziplinären Logik zu lösen seien. Zudem würden sich mögliche Transformationsdynamiken nur durch eine Partizipation über konventionelle wissenschaftliche Institutionen hinaus nachhaltig etablieren lassen. Hierfür müsse sich die Wissenschaft für die Interessen und Erkenntnisse verschiedenster zivil-gesellschaftlicher Akteur*innen öffnen und deren Perspektiven in die eigene Forschung integrieren. Transdisziplinarität gehe dabei weit über eine vermittelnde Wissenschaftsbildung oder einen informierenden Wissenschaftsjournalismus hinaus, in der Bürger*innen und Öffentlichkeit vorrangig als Empfänger*innen wissenschaftlicher Expertise adressiert werden. Sie beschränke sich ebenso wenig auf das Agenda-Setting (Co-Design), in welchem zivilgesellschaftliche Akteur*innen vor der Forschungspraxis befragt werden würden. Das Ziel der Transdisziplinarität ist die konkrete Mitwirkung über den gesamten wissenschaftlichen Prozess (Co-Producing) hinweg:

»Ein transdisziplinärer Prozess bedeutet, dass Fragestellungen mit Blick auf gesellschaftliche Problemlagen interdisziplinär, aber vor allem im Austausch mit Praxisakteuren gemeinsam entwickelt werden und die darauf aufsetzende Wissensproduktion am Ende zu ›sozial robustem Wissen‹ (Helga Nowotny) führt, das für weitere Wissenschaftsdiskurse anschlussfähig ist und eine orientierende Funktion für praktisch handelnde Akteure hat«

 Schneidewind 2015, 89

Durch den Anschluss an Konzepte wie Service Learning oder Citizen Science (Vohland u. a. 2021) unterstreichet die TW, dass nicht nur die die Wissensgenerierung transdisziplinärer werden müsse, sondern ebenso die Wissensdistribution zu Wirtschaft und Gesellschaft (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 69). Infolge dessen wird die Transdisziplinarität zur umgreifenden Prozessstrategie für das gesamte Wissenschaftssystem.

Durchaus entkräften können die Autor*innen der TW dabei den immer wieder geäußerten Vorwurf, dass in der Überbetonung von Trans- oder Interdisziplinarität, disziplinäre Spezialisierung und Grundlagenforschung in den Hintergrund rücken würden. In der Logik eines Nullsummenspiel wird dabei bemängelt, dass sich die Wissenschaften nicht mehr um eine fundiertere disziplinäre Fachexpertise, sondern zunehmend um eine oberflächliche Verknüpfung verschiedener Disziplinen drehen. Die TW votiert dagegen durchaus für eine starke Grundlagenforschung, die sich darin gerade einseitig industrieller und ökonomischer Verwertungen entziehen könne und komplementär zur Trans- oder Interdisziplinarität zu denken ist (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 376). Und schließlich erhalte der Gedanke der Interdisziplinarität erst vor dem Hintergrund abgegrenzter und konturierter Disziplinen ihre Bedeutung als reflexive Perspektivierung.

Disziplinäre Exzellenz statt produktiver Differenz – die Diagnose des deutschen Wissenschaftssystems

Ergänzend zu den programmatischen Überlegungen findet sich bei Schneidewind und Singer-Brodowski eine kritische Bestandsaufnahme des deutschen Wissenschaftssystems, die in ihrer diagnostischen Stoßrichtung trotz einer veränderten Datenlage bis heute wichtige Problemstellung benennt und prinzipiell zustimmungsfähig bleibt, weshalb sie hier in Kürze dargestellt wird. Hinzu kommt lobenswerter Weise eine Fülle von kleinteiligen aber konkreten Reformvorschlägen, die die Autor*innen anbieten (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 11 f.). Neben der bereits erwähnten Autonomiefalle kritisieren sie etwa die zunehmende vertikale Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems in die Spitze (u.a. Exzellenzinitiative) und  bei einem Mangel an horizontalen Ausdifferenzierungen (u.a. Verdrängung kleiner Fächer) in die Breite. Aber auch die Durchlässigkeit von Personen und Information zwischen den verschiedenen Wissenschaftsinstitutionen stoße zu häufig auf institutionelle Grenzen.

Im Weiteren wird die Marginalisierung der Sozial- und Kulturwissenschaften in der Nachhaltigkeitsforschung (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 49, 113), sowie der fehlende disziplinäre Übergang zwischen Natur- und Technikwissenschaft und Sozial- und Kulturwissenschaften beklagt (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 40). Dabei handele es sich nicht nur um ein »wissenschaftstheoretisches Problem« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 41), sondern um eine institutionelle und letztlich gesellschaftliche Kluft, auf die unter anderem mit einer veränderten Förderpolitik und einer Stärkung in den nationalen Wissenschaftsgemeinschaften geantwortet werden könne. Gerade für eine breite transformative literacy,also dem Wissen über die Herausbildung von Werten und den Ablauf von Transformationsprozessen, brauche es die Forschung der Sozial- und Kulturwissenschaften. Die Dominanz der Natur- und Technikwissenschaften im Wissenschaftssystem führe dagegen zu einer rein technischen Perspektive auf das Thema Nachhaltigkeit, bis hinein in die Semantik einer »Hightech-Strategie« oder einer »ökologische[n] Industriepolitik« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 52). Mit Rückblick auf die letzten zehn Jahre kann hier durchaus von einem Lernprozess im Wissenschaftssystem gesprochen werden, so etwa, was die Angewiesenheit auf Sozialwissenschaften für eine nachhaltige Transformation angeht.[5]

Für ein Archipel der Heterodoxien

Überdies würden disziplinäre »Grenzgänger« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 43) keinen Platz in ihrer Vermittlungsrolle finden, da die Wissenschaftsförderung und Karrierewege primär auf einzelne, disziplinäre Exzellenz ziele. Die multiplen Krisen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, würden jedoch die disziplinäre Logik des Wissenschaftssystem, wie sie in Lehre, Forschung und Förderung immer noch dominiert, sprengen. Institutionen und Personen an inter- und transdisziplinären Schnittstellen befänden sich aus strukturellen Gründen in schwächeren Machtpositionen im Wissenschaftssystem und würden über wenige Ressourcen für ihre Forschung verfügen. Der Ausbau kumulativer Qualifikationen in der transdisziplinären Forschung könne dagegen helfen, das Forschungsprofil transdisziplinärer Forscher*innen in ihrer breiten Expertise anzuerkennen und eine Perspektive im Wissenschaftsbetrieb ermöglichen.

Allgemein sei die Formulierung und Etablierung wissenschaftlicher Kriterien und Qualitätsstandards für die transdisziplinären Forschung notwendig. Dabei dürfe die vielbeschworene Inter- und Transdisziplinarität im Wissenschaftsbetrieb nicht zu einem weiteren Etikett im Antragsvokabular werden, sondern fordere infrastrukturelle Veränderungen und institutionelle Anpassungen. Schließlich brauche es in dem Wissenschaftssystem sowohl personell als auch institutionell »Inseln der Heterodoxie« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 101). Neben der Marginalisierung sozial- und kulturwissenschaftlicher sowie transdisziplinärer Forschung plädieren die Autor*innen daher generell für einen Rückbau von Hierarchien in der Wissensarbeit, wie sie gerade in Deutschland durch die anhaltende Organisation um Lehrstühle besteht. Als Vorschlag votieren die Autor*innen unter anderem für eine vermehrte Forschung in wissenschaftlichen Gruppen sowie für mehr verlässliche Stellen jenseits der Professur.[6]

Zur Kritik der Transformativen Wissenschaft

Die von mir formulierte Kritik an dem Projekt der TW stellt nicht die Dringlichkeit einer gesamtgesellschaftlichen Transformation mit Blick auf die Klima- und Biodiversitätskrise in Frage – darin sind sich auch die Kritiker*innen der TW einig (Strohschneider 2014). In diesem Sinne ist an viele Problemdiagnosen des deutschen Wissenschaftssystem anzuschließen, sei es die Fixierung auf Ingenieurs- oder Technikwissenschaften oder die verengte, disziplinäre Logik der Wissenschaftsförderung. Auch ist es nicht Ziel an dieser Stelle die teilweise veralteten empirischen Befunde aufzuarbeiten und auf ihre Aktualität zu prüfen. Gegenstand der Kritik sind vorrangig die wissenschaftstheoretischen Annahmen sowie das implizite Verständnis von Moderne und Politik. Der Verdacht – wo oben bereits genannt – ist, dass die TW in ihrem programmatischen Gestus die eigenen Implikationen einer radikal vergesellschaften Wissenschaft nicht theoretisch einfängt und damit zugleich unfreiwillig hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückfällt.

Niemand kann es so gewollt haben – Nebenfolge als diminutiv der Krise

Zunächst wäre zu befragen, ob die Idee einer möglichen »Sicherung der Werte und Errungenschaften der Moderne«, wie sie in der oben genannten Definition formuliert ist, nicht nur die Beck’sche Deutung der Spätmoderne unterläuft, sondern sogar unfreiwillig jene pathologischen Erwartungen der Moderne reproduziert, die sie zu überwinden beansprucht. Der Begriff der »Sicherung« legt nahe, dass durch eine gesellschaftliche Entgrenzung der Wissenschaften eine abschließende Entschärfung jener spätmodernen Eigendynamik möglich ist. Damit aber würde jener illusorischer Kontrollanspruch reproduziert, den bereits Beck als überholt dargestellt hat (Blühdorn 2020, 103). Die Aporie der Wissenschaften in der reflexiven Moderne kann nicht durch eine TW aufgelöst werden. Gewiss lassen sich ein besserer Umgang mit Komplexität und Unsicherheit sowie Formen der Ambiguitätstoleranz kultivieren. Der Versuch einer abschließenden Sicherung dagegen verkennt die irreduzible Unvorhersehbarkeit gesellschaftlicher und technologischer Dynamiken und verkommt im schlimmsten Fall zu reaktionär-romantischen Einheitsvorstellungen.

Darüber hinaus ist die Rede von den »ungewollten Dynamiken der Moderne« zu problematisieren, und zwar auf zweifache Weise. Einerseits werden darin alle negativen Konsequenzen, die mit der Moderne verbunden sind, von dieser gedanklich abgeschnitten und als irrationaler Überschuss oder Rest aus einer reinen Idee von Modernität getrennt. Dabei bleiben uns Schneidewind und Singer-Brodowski nicht nur eine inhaltliche Bestimmung dieser erhaltenswerten »Errungenschaften und Werte« oder zumindest Kriterien zur Unterscheidung dessen schuldig, sie verhindern überdies eine Kritik der Moderne, die ihren Namen verdient. Dynamiken der Umweltzerstörung, Ausbeutung und Herrschaft, wie sie in die Geschichte der Moderne eingeschrieben sind, werden so en passant zu akzidentiellen Nebenerscheinungen erklärt, aus der wir uns  nur »herausmodernisieren« (Blühdorn 2020, 89) müssen. In der Folge findet sich so die unschuldige Verwendung einer eigentlichen Moderne im Singularetantum (nämlich die, die wir alle vernünftigerweise wollen müssen), die sich gegen jeden Vorwurf eines eurozentristischen Universalismus immunisiert.[7] Neben einer spärlichen Analyse von Herrschafts- und Machtverhältnissen, die sich auf wenigen Stellen beschränkt und lediglich Hierarchien innerhalb akademischer Karrierewege beschreibt, werden so auch die Steigerungslogiken der Internationalisierung und Globalisierung unter der Hand als Errungenschaften der Moderne eingekauft und für die Transformation der Wissenschaften als win-win-Szenaren frei von den Ambivalenzen dieser »dynamischen Stabilisierung« (Rosa 2012) affirmiert. Das viele Probleme der Klima- und Biodiversitätskrise direkt mit der Globalisierung verknüpft sind (etwa Fragen der Mobilität, Einfuhr von Neobiota, unzureichende Standards und Verantwortungsdiffusion in Lieferketten) bleibt dabei ebenso unerwähnt.

Die Irrationalen sind die Anderen

Damit ist zweitens verbunden, dass die Rede der »ungewollten Eigendynamiken« die bestehenden Krisen entpersonalisiert und damit jene Interessen de facto übergeht, die in der Geschichte und bis heute genau von diesen Dynamiken profitieren. Während also bestehende Herrschafts- und Machtverhältnisse unsichtbar gemacht werden, wird zugleich jede Kritik an der TW gemäß eines universellen Rationalitätsstandards exkludiert. Was ›ungewollt ist‹, kann vernünftigerweise niemand wollen. Daher verwundert es nicht, dass sich in dem Ansatz der TW keine Überlegungen zur politischen Dimension der Wissenschaftsskepsis oder Wissenschaftsfeindlichkeit finden lassen. Ein Problemfeld, das nicht erst durch die Corona-Pandemie, sondern bereits im Kontext der Energiewende virulent geworden ist und etwa in seinen Verbindungen zu populistischen Instrumentalisierungen zu analysieren wäre.  Die zunehmende Verwissenschaftlichung etwa der ökologischen Bewegungen erhöht unfreiwillig die Voraussetzungen zur Teilnahme am politischen Diskurs und erlaubte es populistischen Akteur*innen Nachhaltigkeitspolitik als Elitenprojekt zu diffamieren (Blühdorn 2020, 96 f.). Ganz zu schweigen von den verschwörungsideologischen Aneignungsversuchen einer sich überschlagenden und letztlich destruktiven Wissenschaftskritik (Latour 2007).

Sobald aber eingestanden wird, dass es der TW nicht nur um die grand challenges einer reflexiv zu reinigenden zweiten Moderne als unvollendetes Projekt gehen sollte, sondern vielleicht auch um eine Kritik der immanenten Prinzipien einer zu provinzialisierenden europäischen Moderne selbst, ist zu klären, wie weit Wissenschaften nicht auch als ihr Produkt in dessen modernen Grundannahmen verfangen sind. Kurz: das Wissenschaftssystem müsste sich die Frage stellen, wie sehr ihre moderne Komplizenschaft zur kapitalistischen und extraktivistischen Gesellschaftsordnungen Teil ihres Selbstverständnisses ist, um nicht sprichwörtlich den Bock zum Gärtner zu machen. Was auch immer die Antwort darauf sein mag, sie lässt sich nicht allein durch ein Mehr an Transdisziplinarität im Sinne einer wissenschaftspolitischen Partizipation finden. Insbesondere nicht, wenn die eingeladenen ›Gäste‹ die bestehenden Praktiken und Institutionen nur legitimieren dürfen.

Dabei sein ist alles – Partizipation als apolitischer Selbstläufer

Was sich in einer unzureichenden Anerkennung der Moderne als hochgradig ambivalentes und umkämpftes Erbe zeigt, ist eng verbunden mit dem impliziten Politikverständnis der TW. Die Explikation dieses Politikbegriffs ist allerdings entscheidend, da der partizipative Anspruch der Transdisziplinarität für eine umgreifende gesellschaftliche Transformation unweigerlicher ein politisches Moment in die Prozesse der Wissenschaften einschreibt. Eine notwendige Konsequenz, wenn die TW beim Wort genommen werden soll, wäre, dass Wissenschaften – politikwissenschaftlich gesprochen – eben nicht mehr allein die Ebene policy bespielen, sondern in einem starke Sinne Teil der politics werden.[8] Dafür mangelt es ihr aber an einem Sensus für die Eigenlogiken der politics und ihren Konfliktformen. Daraus resultiert ein harmloser Politikbegriff, frei von Reibung oder Dissens. Jede Politisierung von Subjekten durch die TW erschöpft sich idealiter, so der Eindruck, in der Teilnahme und Vernetzung von Interessen qua Wissenschaft. Die Beteilung pluraler Akteur*innen muss dabei nicht im Sinne einer egalitären demokratischen Erweiterung potentiell erstritten, sondern nur noch pragmatisch in ein universelles wissenschaftliches Verfahren implementiert werden. Das Programm einer Politisierung weitere Teile der Gesellschaft durch die Wissenschaft drohe somit allerdings – selbst wo die TW bemüht ist, ihre szientistischen oder technokratische Obertöne zu dämpfen – zu einer »Politik der Depolitisierung« (Strohschneider 2014, 176 f.) zu werden.

Denn wenn die TW großzugig ihre Türen für verschiedenste gesellschaftliche Akteur*innen öffnet, kann sie nicht glauben, dass diese nach Eintritt auf magische Weise dessen universellen Rationalitätsstandards folgen und plötzlich ›vernünftiger‹ oder ›freier‹ agieren können als in anderen umkämpften und vermachteten gesellschaftlichen Sphären. Wenn es der TW, wie der institutional turn nahelegt, nicht nur auf policy-Ebene um eine nachhaltige Ausrichtung geht, sondern eben um eine Transformation der Institutionen selbst, kann diese Transformation durch Partizipation weder allein wissenschaftlich konzeptionalisiert noch als konfliktfreie Integration imaginiert werden, in der Differenzen allein auf »kommunikative[] Vermittlung« angewiesen sind (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 376). Der normative Anspruch auf Partizipation wird gewissermaßen umgedreht, da das Projekt (»die Sicherung der Moderne«) bereits gesetzt ist. Und für diese Projekt verspricht eine transdisziplinäre Beteilung erstens bessere Ergebnisse, die zweitens leichter gesellschaftlich umgesetzt werden können. Dabei werden genuin demokratische Praktiken und Verfahren instrumentalistisch gewendet, was schlicht als eine Form der »partizipative[n] Technokratie« (Michelsen und Walter 2013, 233) beschrieben werden könnte.

Politik und das Politische

Die unausgesprochene Hoffnung, dass sich politische Spannungen und Konflikte im Fahrwasser erkenntnisgeleiteter Debatten durch eine umfassenden Interessenvertretung vermitteln lassen, ist genau jene liberalistische, technokratische Vision vor der etwa Theorien des Politischen (Bedorf und Röttgers 2010) oder radikal-demokratische Theorien an verschiedenen Stellen warnen (Mouffe 2007; Rancière 2016). Denker*innen wie Rancière oder Mouffe argumentieren dagegen, dass Dissens und Konflikte nicht allein als lästige Reibungsverlust zu sehen sind, die die Realisierung politischer Programme aufhalten, sondern als konstitutiver Bestandteil einer demokratischen Praxis. Das Ziel von Politik ist damit nicht allein die Herstellung von Konsens qua Kompromiss, sondern zugleich ein Anfällig-bleiben für außerordentliche und dissensuelle Kontestation bestehender Ordnungen und Programme. Darüber hinaus unterstreicht der Begriff des Politischen als Differenzbegriff zur Politik die Eigenlogik politischer Auseinandersetzungen, die nicht gleichzusetzen sind mit geregelten und institutionellen Verfahren und damit erst recht nicht wissenschaftlich entschieden werden können. Dass Formen des Dissens konstitutiver Bestandteil politischer Aushandlungsprozesse sind, die sich angesichts des Partizipationsversprechen der TW tendenziell potenzieren, wird von den Autor*innen im Framing von Reallaboren auf eine experimentelle Politik des trial-and-errors verzwergt. In dem Versuch politische Aushandlungsprozesse sozialtechnisch als Partizipationsdefizite zu übersetzen, denkt die TW ihre eigentlich politische Dimension als a-politische Vorbedingung, mit dem Ergebnis, dass sowohl die Kritik an mangelnden Zugängen zu dem Wissenschaftssystem als auch die inner-wissenschaftlichen Konflikte über die politische Dimension der Wissenschaften jeder Politik enthoben sind. Das Projekt der Transdisziplinarität überspringt dabei die politische Dimension der Bedingungen jeglicher Partizipation, in der es um die Verteilung von Macht, Geld, Zeit oder Aufmerksamkeit geht. Partizipation ermöglicht potentiell nicht nur eine gerechtere Verteilung von Ressourcen oder besseres Wissen. Sie sind durch eine schlechte Verteilung eben auch politisch verstellt.

Wissenschaft als letztes Integral

Die Kritik der Transdisziplinarität zielt nicht auf die Spannungen zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientier Forschung oder wägt disziplinäre Eigenlogik und interdisziplinäre Austausch gegeneinander ab. Sie stellt grundsätzlich die Frage, auf welche wissenschaftstheoretische Annahme sich die TW stützt, um in der Transdisziplinarität ein probates Mittel für die Integration unterschiedlicher Wissensformen und Forschungsweisen zu finden. Denn genau diese Hoffnungen projiziert Schneidewind auf ›die‹ Wissenschaft (hier wieder auffälliger Weise in einem singularis majestatis).[9]

»Gerade in sich funktional ausdifferenzierenden modernen Gesellschaften ist die Wissenschaft vermutlich das einzige verbleibende Integrationsmoment – eben aufgrund ihrer universellen epistemischen Prinzipien.«

Schneidewind 2015, 90

Dabei ist bereits die idealistische Vorstellung »universeller epistemischer Prinzipien« innerhalb der Wissenschaften (im Plural![10]) fraglich, zeigen doch die Arbeiten auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie und -geschichte, dass die vermeintlich universelle Rationalität wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse viel häufiger das Ergebnis retrospektive Rationalisierungen, denn orthodoxer Methodentreue und planbaren Fortschritts ist (Kuhn 1988; Feyerband 2009).[11] Hier wäre also zunächst zu klären, wie sich eine geteilte Rationalität auf interdisziplinärer Ebene herstellt. Mehr noch, ob es sich hier überhaupt um eine angemessene Beschreibung der Wissenschaften handelt, woran Strohschneider in seiner grundlegenden Kritik etwa zweifelt, wenn er schreibt:

»Die Transformative Wissenschaft übersieht, dass die weltumgestaltende Kraft moderner Wissenschaft […] darauf beruht, dass es sich bei dieser Wissenschaft um ein enorm pluralistisches dezentrales System mit höchst komplexen Verschränkungen von Selbst- und Fremdbezügen handelt«

Strohschneider 2014, 184

Nicht nur, dass Schneidewind epistemische Prinzipien vorschnell und entgegen der eigentlichen Pluralität in den Wissenschaften universalisiert, er hofft auf eine idealistische Trennung von Prinzipen und institutionellen Bedingungen:

»Bei all diesen Fragen geht es nicht darum, epistemische Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis infrage zu stellen, sondern um die institutionellen Bedingungen, unter denen sie sich entfalten (können).«

Schneidewind 2015, 89

Damit vergibt die TW die Chance, die Verschränkung von angeblich rein epistemischen Prinzipien und gesellschaftlichen und sozialen Dynamiken überhaupt zu thematisieren. Was als »gute wissenschaftliche Praxis« gilt, ist vielleicht nicht in jedem Fall Resultat rein wissenschaftlicher Kriterien, sondern zugleich eine kontingente Geschichte von legitimen aber potenziell auch gewaltvollen Ausschlüssen und Abspaltungen. Um diese aber thematisieren und unterscheiden zu können, bedarf es eines Blickes auf das Wissenschaftssystem, der diese Trennung nicht bereits vorwegnimmt.

Wissenschaften vollziehen sich als pluraler Streit mit zum Teil inkommensurablen Weltbildern und Positionen, der immer wieder zum Motor der Wissenschaften wurde – und nicht die gemeinsame Suche nach einer Lösung ist. Strohschneider fragt in seiner Kritik daher ganz naiv bei wem es sich um die imaginierte »Expertengemeinschaft?« (WBGU 2011, 8) handeln soll, von der bereits WBGU spricht und bemerkt treffend, dass hier auffälliger Weise von Gemeinschaft und eben nicht von Gesellschaft die Rede ist. Damit ist klar, dass die hier formulierte Kritik der TW nicht einfach einen Kategorienfehler attestiert, in welchem die dissensuelle Politik mit ihren normativen Machtfragen und die konsensuellen Wissenschaften in ihrer Ausrichtung auf deskriptive Urteile vermengt werden. Vielmehr werden von der TW grobschlächtig alle Aushandlungsprozesse vorranging als experimentelle Lösungsprozesse verstanden. Doch erst, wenn sowohl in den Wissenschaften als auch auf dem Feld des Politischen jene Praktiken in den Blick geraten, die Differenzen erzeugen, also gerade nicht Wirklichkeit feststellen,sondern zur Disposition stellen, lässt sich ein stimmiges Bild beider gesellschaftlichen Sphären zeichnen.[12]

Zur Leerformel der Nachhaltigkeit

Noch fragwürdiger erscheint der Versuch, jene universellen epistemischen Prinzipien im Kontext gesellschaftlicher und politischer Konflikte als common ground vorauszusetzen. Wo diese Prinzipien dann unter dem Leitwert der Nachhaltigkeit inhaltlich gefüllt werden, erhalten wir im Ergebnis – so bereits Strohschneider – eine »entpolitisierte[…] Klimapolitik« (Strohschneider 2014, 187). Problematisch ist dabei weniger, dass ›Nachhaltigkeit‹ als normative Fundierung gesellschaftlicher Veränderung einen Anspruch auf Verallgemeinerung erhebt, sondern, dass sie als überzeitlich und unhintergehbar gesetzt wird und damit systematisch einen »Anti-Streitraum« (Großmann und Roskamm 2022, 130) erzeugt. Trotz aller Bekenntnis zur Pluralität zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zeigt sich darin die Tendenz der TW zur »Ent-Differenzierung« (Strohschneider 2014, 182), die sich im Medium eines geteilten Problemhorizonts vollzieht.[13] Diese apolitische Verwendung erklärt möglicherweise, warum der Begriff »Nachhaltigkeit« zunehmend zu einer symbolischen Phrase verkommen ist, die in den Forderungen der verschiedener Klimagerechtigkeitsbewegungen wie Ende Gelände, Fridays for Future, Letzte Generation oder Extinction Rebellion nur noch marginal und hinter Begriffen wie ›Gerechtigkeit‹ oder ›Solidarität‹ zurückgetreten ist.[14]

Damit ist auch jede Hoffnung vergebens, in dem Begriff ›Nachhaltigkeit‹ einen neuen leeren Signifikanten gefunden zu haben, ein Konzept das sich im Anschluss an Ernesto Laclau in der politischen Theorie etabliert hat. Dabei handelt es sich um Großbegriffe wie ›Gerechtigkeit‹ oder ›Freiheit‹ dessen spezifische Unterbestimmtheit sich vor allem als ein Mangel artikuliert, einer ausstehenden und zugleich unmöglichen Erfüllung. Diese leeren Signifikanten ermöglichen es scheinbar verschiedenste partikulare Forderungen in ihre Exklusion zu artikulieren und zu verknüpfen und dabei eine bestehende gesellschaftliche und politische Ordnung als kontingent auszuweisen. Die vermeintliche ›Leere‹ dieser Begriffe ist damit nur die Kehrseite eines Verlangens nach einer anderen vollständigeren Gesellschaft. Doch, wie Großmann und Roskamm plausibel argumentieren, ist es höchst fragwürdig, ob es sich bei ›Nachhaltigkeit‹ um solch einen leeren Signifikant handelt, der zugleich disparate Partikularinteressen bündelt und politisch mobilisiert (Großmann und Roskamm 2022, 131–33). Im Gegenteil, in der Rekonstruktion der neoliberalen Aneignung des Begriffs kommen die Autor*innen zu dem Schluss, dass »Nachhaltigkeit [insgesamt…] tatsächlich zur konsensstiftenden Leerformel [wird] und die Eigenschaften eines leeren Signifikanten [verliert].« (Großmann und Roskamm 2022, 133).[15]

Solutionismus – Wenn die Suche nach einer Lösung das Problem ist

Doch selbst, wo auf eine starke inhaltliche Bestimmung der Wissenschaften über eine Kopplung an das transzendente Metaproblem ›Nachhaltigkeit‹ aufgegeben wird, zeigt sich immer noch eine formale Verengung, für die bereits Strohschneider in seiner Kritik den etwas sperrigen Begriff des »Solutionismus« (Strohschneider 2014) anführte. Gemäß der TW könnte der Eindruck entstehen, Wissenschaften arbeiten vorrangig pragmatisch an Problemlösungen. Was dabei, so Strohschneider, völlig untergehe sei jene wesentliche Tätigkeit der Wissenschaften: das Problematisieren selbst. Wissenschaften erzeugen permanent Probleme, statt sie zu lösen – und zwar nicht nur kontingenterweise etwa durch unbeabsichtigte Folgen, sondern dezidiert. In dem Solutionismus der TW zeigt sich daher eine fragwürdige Überbetonung des instrumentellen Zugriffs auf Welt, gegenüber einem immer wieder erschütterten Staunen vor Welt.

Mit Strohschneiders Kritik lässt sich auch das beschwichtigende Argument Grunwalds (Grunwald 2015), entkräften, der in dem Aufkommen der TW eine Analogie zu der angeblichen Erfolgs- und Integrationsgeschichte der Technikwissenschaften erkennt. Für Grunwald müsse die TW weniger dramatisch als Herausforderung für das bestehende Wissenschaftssystem skandalisiert werden, wie es Strohschneider befürchte, da es die etablierte wissenschaftlichen Institutionen nicht ablöse, sondern ihnen nur zur Seite gestellt werden würde.[16] Doch die dabei bemühte Analogie stellt keineswegs eine Entwarnung dar, da die Integration der TW in das bestehende Wissenschaftssystem gerade jenes solutionistisches Ideal wissenschaftlichen prolongiert, das schon in den ökonomisch verwertbaren Technikwissenschaften angelegt ist. Weshalb Strohschneider schreibt, dass:

»es übrigens systematisch gleichgültig sein [dürfte], ob Wissenschaft in Diskurs des Wissens- und Technologietransfers direkt für Wirtschaftswachstum und Industriepolitik in Anspruch genommen wird oder im Diskurs der Transformativität ›grüner‹ Nachhaltigkeitspolitik. Die Strukturprinzipien des ökologischen unterscheiden sich nicht von denjenigen des ökonomischen Solutionismus«

Strohschneider 2014, 182

Strohschneiders Kritik an der TW richtet sich damit gleichermaßen gegen eine einseitige Indienstnahme von Wissenschaft durch die Industrie mit ihrem Effizienzlogik, verteidigt also keineswegs einen status quo des Wissenschaftssystems. Ob nun unter ökonomischen oder ökologischen Vorzeichen, in beiden Fällen wird eine eindimensionale Kriteriologie der Verwertung über die Wissenschaften gestellt, in der es kein Platz mehr für »Ergebnislosigkeit, Ineffizienz, Irrelevanz, Irrtum« (Strohschneider 2014, 183) gibt.

Für eine kämpferische Idee der Wissenschaften

Gehen wir noch einmal zurück zu dem Ausgangspunkt TW, deren These lautet: »Wir leben in einer Welt, die zunehmend durch gesellschaftliche Problemlagen bestimmt ist, die ohne wissenschaftliche Wissensbestände nur schwer bearbeitbar sind.« (Schneidewind 2015, 89). So unverdächtig diese Annahme in ihrer Allgemeinheit ist und selbst, wenn zugestanden wird, dass ein Großteil der gesellschaftlichen Herausforderungen und Konflikte, nicht ohne wissenschaftlichen Wissensbestände zu bearbeiten ist, folgt daraus nicht ein gesellschaftliches Primat der Wissenschaft. Kritiker*innen wie Strohschneider werfen diesen Schluss der TW vor: »Aus der Verwissenschaftlichung moderner Gesellschaften wird auf ein Programm der Vergesellschaftung von Wissenschaft gefolgert« (Strohschneider 2014, 182). Während Strohschneider dabei eine Überforderung auf beiden Seiten sieht und für eine gesunde Arbeitsteilung der gesellschaftlichen Teilsysteme argumentiert, scheint mir der wahre Kern der TW in genau diesem Verlagen nach einer anderen, intensiveren Beziehung zwischen Gesellschaft und Wissenschaft zu stecken. Sodann ist aber die befürchtete Vermengung oder Öffnung der Wissenschaften mit Gesellschaft der TW nicht einfach abzulehnen. Das Problem ist vielleicht viel eher, dass die TW auf halber Strecke stehen geblieben ist.

Zwei überspannte Klammern

Die im Theoriedesign der TW bemühten zwei Klammern, einerseits ›Nachhaltigkeit‹ als universeller Problemhorizont und andererseits wissenschaftlich-methodische Rationalität als universeller Modus Operandi der Problemlösung, konnten die Spannung, in die sich die TW aus guten Gründen begibt, nicht halten. Während die erste Klammer – wie zurecht bemerkt wurde – für uns heute jede kritische Funktion verloren hat und zur symbolischen Phrase verkommen ist, ist der Geburtsfehler an der zweite Klammer nicht allein eine grassierende – wie von manchen Zeitdiagnose so titulierte – »Epistemisierung des Politischen« (Bogner 2021), sondern ebenso eine Universalisierung des Epistemischen.

Die Integration pluraler Gesellschaft kann sich nicht bloß wissenschaftsförmig vollziehen. Jede Hoffnung einer umfassenden gesellschaftlichen Integration durch ein universalistisches Verfahren ist tendenziell totalisierend – für Politik und für Wissenschaften. Dagegen steht einerseits der prinzipiell nicht abzuschließende Problemhorizont eines demokratischen Projekts, das zweifelsohne auf verschiedenste wissenschaftliche Perspektiven angewiesen ist; aber eben auch der nicht vollständig zu rationalisierende und immer wieder agonale Fortgang der Wissenschaften, die sowohl Wirklichkeit konstruieren als auch von ihr korrigiert werden.

Krisen der Wirklichkeit

Das Projekt einer entgrenzten Vergesellschaftung der Wissenschaften wäre in dieser Perspektive nicht mehr nur eine unzulässige Vermengung wissenschaftlicher Forschung und gesellschaftlicher Auseinandersetzung (sei sie nun deliberativ oder agonal). Es wäre das wichtige Eingeständnis, dass die Krisen der Wissenschaften und der Politik als eine geteilte Krise der Wirklichkeit und ihrer Konstitution zu verstehen sind. Eine Krise die uns vielmehr nach Familienähnlichkeiten zwischen wissenschaftlichen und politischen Praxen fragen lassen sollte, als nach einseitigen Auflösungen oder geordneter Arbeitsteilung. Auf die Wissenschaft zu hören, hieße dann nicht nur, ihren Anweisungen Folge zu leisten, sondern ihre Hilferufe angesichts jener gesellschaftlichen Verwerfungen zu vernehmen, für die ihr eine Sprache noch fehlt.

Wesentlich sinnvoller scheint mir hierfür eine radikal pluralistische Idee der Wissenschaften, die ihre Differenzen zu Politik und Gesellschaft nicht einreißen, aber gleichermaßen ihre Binnen-Differenzierungen nicht homogenisieren, sondern produktiv wenden. Ihre Aufgaben bestünden dann nicht in der Integration und Moderation von Konflikten aus der Warte einer partizipativen Vermittlungsinstanz. Sie wüssten um die irreduzible politische Dimension ihrer momenthaften und immer wieder zu erneuernden ›Sicherung‹ einer gemeinsamen Welt, von der jeweils zugleich gelten soll, dass wir uns auf ihr Gegenüberstehen und um ihr Fortbestehen oder ihren Niedergang ringen.

© Marvin Dreiwes

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[1]     »Der WBGU bezeichnet mit dem Begriff transformative Forschung (tF) diejenige Forschung, welche die Transformation konkret befördert. Die transformative Forschung unterstützt Umbauprozesse durch spezifische Innovationen in den relevanten Sektoren (23)«.
[2]     Vgl. hierfür exemplarisch den jüngsten Schlagabtauschen um die Bilanz nach 20 Jahren »Entfesselung« in Forschung & Lehre (Kieser 2020; Müller-Böling 2020).
[3]     Dies zeigt sich etwa an der geringen Relevanz von Hochschulpolitik- oder Wissenschaftspolitik innerhalb gesellschaftlicher Debatten, die kaum politisches Kapital abwirft oder in der öffentlichen Wahrnehmung mit ›heißeren‹ Themen der Bildungspolitik assoziiert werden können.
[4]     Die Autor*innen der schließen dabei an die Arbeiten von Peter Weingart (Weingart und Lentsch 2008).
[5]     Vergleich hier das Teilgebiet: »Climate-Related Dynamics of Social Systems« des Hamburg Climate Futures Outlook, in welchem die sozialen Dynamiken des Klimawandel untersucht werden und zu diesem Zweck Soziologie, Makroökonomie und Erdsystem-Wissenschaften zusammen arbeiten (Engels u. a. 2023). Personell finden sich in dem Gremium der European Technology & Innovation Plattform Wind, das zur Hälfe mit Stakeholdern aus der Windindustrie besetzt, zur Anderen mit Wissenschaftler*innen, nun zunehmende Sozialwissenschaftler*innen. (https://etipwind.eu/meetings/steering-committee/). Aber auch Forschungen im Bereich der Energie-Informatik, wie an der Universität Oldenburg, die vor der Aufgabe stehen, IT-gestützt dezentrale regenerative Energiesysteme zu modellieren und zu simulieren, zeigen ein verstärktes Interesse an menschlichen und gesellschaftlichen Faktoren für die eigenen Modelle.
[6]     Wie aktuell diese Einwände nach wie vor sind zeigt sich an den jüngsten Protesten angesichts der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetz (SPIEGEL Online 2023).
[7]     Vgl. etwa einführend für eine (Selbst-)Kritik an dem Begriff der Moderne aus der Warte der Ethnologie (Hahn 2013, 209–26) oder exemplarisch dagegen für die Idee der multiple modernities (Eisenstadt 2006).
[8]     Dieser Überstieg ist dabei nicht, wie vermutet werden könnte, Resultat des oben genannten normative turns, der Wissenschaften durchaus aus politics heraushalten könnte, sondern vor allem der Transdisziplinarität geschuldet.
[9]     Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass Schneidewind an einzelnen Stellen durchaus anerkennt, dass notorische Vorwürfe gegenüber der TW vor allem das Resultat einer undifferenzierten Rede von der Wissenschaft sind (Schneidewind 2015, 91). Stattdessen votiert er für einen kontextsensiblen Blick auf einzelne Disziplinen und die sie konstituierenden Institutionen, für die die TW völlig unterschiedlich Impulse geben kann.
[10]   Vgl. hierfür Bruno Latours, der konsequent für einen Wissenschaftsbegriff im Plural votiert: Es gibt nicht die Wissenschaft, es gibt nur Wissenschaften (Latour 2016, 21).
[11]   Es ist insofern nicht frei von Ironie, dass die Autor*innen der TW selbst auf Kuhn verweisen und mit ihre Projekt einen neuen Paradigmenwechsel anstoßen wollen, ohne gerade dessen Pointe zu bedenken, nämlich dass sich Paradigmenwechsel gerade nicht streng wissenschaftlich vollziehen, sondern konflikthaft (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 47 f.). Dass diese Brüche dabei nicht völlig unvermittelte Ereignisse sind, zeigte jüngst von Redecker in ihrer praxis-theoretischen Interpretation des Kuhn’schen Paradigmenwechsels, ohne dabei eben ihren revolutionären Charakter zu unterschlagen (von Redecker 2020, 222–38).
[12]   Das Kernproblem in der Debatte um die TW als Wiederkehr des Werturteilstreits zu Beginn des 20. Jahrhundert sowie des Positivismusstreits zu interpretieren, wie es Strunz und Gawel in ihrer gelungen Rekonstruktion nahelegen, scheint mir indessen genau diese Fronstellung zu reproduzieren, die es anders zu denken gilt (Strunz und Gawel 2017). Ihr abschließendes Plädoyer beschränkt sich in der Forderung einer Explikation von Normativität, bzw. eines eindeutigen Bekenntnis zur Rolle als honest broker oder als issue advocat (Pielke 2007). Dieses »Farbe zu bekennen« (Strunz und Gawel 2017, 325) wünscht sich damit wieder nur den transparenten Ausstieg aus dem Erkenntnis-Spiel der Wissenschaft im Betreten der politischen Arena, träumt also unentwegt von der Möglichkeit einer sauberen Trennung der Sphären in Sache und Person.
[13]   Blühdorn deutet auch die gegenwärtige Prominenz von Begriffen wie ›Transformation‹ oder ›transformativ‹ als verzweifelten Versuch, die apolitische Leerformel der Nachhaltigkeit zu revitalisieren, ohne dabei grundlegende politische oder ökonomische Ordnungen zu verändern (Blühdorn 2020, 103–8).
[14]   Wobei die TW festhält: »Im Kern ist ›Nachhaltigkeit‹ ein Gerechtigkeitskonzept« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 27).
[15]   Aus dieser Perspektive ist es durchausaus bemerkenswert, dass Mouffe angesichts ihrer jüngsten Wende hin zu einer green democratic revolution selbst der Vorwurf gemacht wird, ins gleiche apolitische Horn einer politischen Ökologie zu blasen und plötzlich ökologische Affekte als »letzten Grund« der Politik zu setzen (Voß 2023).
[16]   Ob dabei die TW überhaupt solch einen bescheidenen Anspruch hat, oder nicht eher, wie sie immer wieder betont, eine umfassende institutionelle Transformation des Wissenschaftssystem anstrebt, bleibt als Unklarheit in der Debatte bestehen (Strunz und Gawel 2017). Als Antwort auf Kritik ist nur noch defensiv die Rede von einer »institutionelle Re-Justierung des bestehenden Wissenschaftssystems« (Schneidewind 2015, 91), dann wiederum von einer »institutionellen Weiterentwicklung« oder »Reformvorschlägen« (Schneidewind und Singer-Brodowski 2014, 11, 15) – Formulierungen die in einem merkwürdigen Kontrast zur eigenen Programmatik, wie dem starken Begriff der Transdisziplinarität stehen.

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