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Demokratisierung der Demokratie. Kein Luxus-, sondern ein Lebensproblem

Veröffentlicht am 9. Januar 2024

Von Robert Ziegelmann

Die Krise ist zur Normalität geworden und sie ist mehr als nur eine Krise. Wenn viele große Krisen zu der ganz großen eskalieren, wird die Frage entscheidend, wie sich die einzelnen Krisendynamiken zueinander verhalten. Im Folgenden gehe ich der Frage nach, wie sich die ökologischen zu den demokratischen Dimensionen der multiplen Krise verhalten. Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, ergeben sich unterschiedliche politische Strategien. Gibt es Synergieeffekte zwischen einer progressiven Bearbeitung der ökologischen und der demokratischen Krise oder stehen diese Ziele in Konflikt miteinander? Erleichtert oder erschwert die Bewältigung der einen Krise die Bewältigung der anderen? Aktuell sieht es eher nach einem Zielkonflikt aus. Nicht nur die deutsche Gesellschaft polarisiert sich zunehmend zwischen einem Lager, das die ökologischen Herausforderungen ernst nimmt und einem, das sich dieser Herausforderung unter Hinweis auf die Sorgen der »einfachen Leute« verschließt.

Zwar ist von der Herrschaft desjenigen Volkes, das AfD, Springer und Wagenknecht mobilisieren, in der Tat nur das Schlimmste zu erwarten. Dennoch wäre es ein Fehler, deshalb die Wissenschaft an die Stelle der Demokratie zu setzen. Zwar lassen die Ergebnisse der Klimaforschung keinen Zweifel daran, dass die bisherigen politischen Antworten ungenügend sind. Die lange Sicht, wie sie klimatischen Veränderungen angemessen wäre, findet nur mühsam Eingang in die kurzfristigeren Zyklen repräsentativer Demokratie. Politische Entscheidungen deshalb an die Wissenschaft abtreten zu wollen, ist eine verständliche Reaktion darauf, aber keine sinnvolle. »Demophobie«[1] weist in die falsche Richtung. Richtig ist die Gegenthese. Gerade angesichts der katastrophalen Entwicklungen des Erdklimas und der Biodiversität und gerade angesichts der Erosion liberaler Öffentlichkeit braucht es mehr Demokratie und nicht weniger. Diese im Folgenden zu erläuternde These ist nicht als unmittelbar politische, sondern als philosophische gemeint. Das bedeutet, dass ich bei einer Frage ansetze, die selten explizit gestellt wird: Warum (bzw. wofür) ist Demokratie eigentlich gut?

Der Wert der Demokratie

Formen von Epistokratie, etwa die Einschränkung des Wahlrechts für schlecht informierte Bürger:innen, können attraktiv erscheinen, weil sie im Hinblick auf die Klimakrise bessere Ergebnisse versprechen.[2] Dagegen lässt sich einwenden, dass der Wert der Demokratie nicht in der Qualität der unmittelbar generierten Ergebnisse liege, sondern intrinsisch sei. Es gehe nicht nur darum, was, sondern vor allem auch darum, wie entschieden wird. Bei der Beurteilung demokratischer Verfahren sollten wir auf diese selbst als Prozesse schauen und nicht allein auf deren Resultate. So argumentiert etwa Ana Honnacker in einem Plädoyer »Für eine ökologische Demokratisierung der Demokratie«: Der intrinsische Wert demokratischer Entscheidungsprozesse liege in deren integrativer und transformativer Wirkung auf die Teilnehmenden. Die von der Klimakrise geforderte »große Transformation« sei auf Akzeptanz und kreative Mitwirkung der Bürger:innen angewiesen. In diesen Effekten liege der »›Prozessnutzen‹ der Demokratie, die sich im Vollzug vitalisiert«[3].

Um das richtungsweisende Potenzial dieser Formulierung zu verstehen, braucht es zunächst ein wenig Begriffsarbeit. Geht es tatsächlich um eine Differenz zwischen Ergebnissen und Prozessen? Lässt sich diese Unterscheidung überhaupt kategorisch treffen? Auch die Zustimmung zu den nötigen sozialen Veränderungen ist ja ein Resultat, nur eben ein anderes als die jeweils unmittelbar erreichte politische Entscheidung. Gleiches gilt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Entfaltung menschlicher Potenziale auf individueller wie kollektiver Ebene. So wichtig es ist, den prozessualen Charakter von Demokratie in den Blick zu nehmen, erscheint hier eine Präzisierung angebracht. Den intrinsischen Wert von Demokratie zu betonen, heißt (gerade für die von Honnacker vertretene pragmatistische Position) nicht, sie zum Selbstzweck zu erklären. Worin sollte ein »Prozessnutzen« bestehen, der letztlich nicht auch bessere Ergebnisse herbeiführte? Die Frage liegt also nicht so sehr darin, ob der Wert der Demokratie in Prozessen oder in Resultaten besteht, sondern darin, welche Resultate zur Kenntnis genommen und für relevant erachtet werden. Die normative Auszeichnung der Demokratie lässt sich – das ist die philosophische These, auf die ich hinauswill – nur über ihre Fähigkeit einholen, bestimmte Leistungen zu erbringen. Nur Resultate können den demokratischen Prozess legitimieren. Zu diesen Resultaten gehört aber eben viel mehr als die (etwa an wissenschaftlichen Einsichten gemessene) unmittelbar sinnvollste policy.

Vitalismus statt Normativismus

Vor dem Hintergrund dieser Präzisierung entfaltet Honnackers Hinweis auf das Vitale seine Bedeutung. In letzter Instanz legitimiert sich demokratische Selbstbestimmung durch ihre Funktionalität im Hinblick auf die Reproduktion und Gestaltung des Lebens. So verstanden ist Demokratie kein abstraktes moralisches Ideal, das den faktischen Zuständen von außen entgegengehalten würde. Zwar handelt es sich um ein Sollen, insofern ja eine Demokratisierung gefordert wird, die über den Status quo hinausgeht. Dieses Sollen hängt aber enger mit dem Sein zusammen, als es das verdächtig eingängige Mantra vom »naturalistischen Fehlschluss« zulässt. Woher sonst soll das Sollen kommen, wenn nicht aus dem Sein? Nach einer treffenden Formulierung von John Dewey kann ein Ideal sinnvollerweise gar nichts anderes bedeuten als »die bis zu ihrer äußersten Grenze getriebene […] Tendenz und Bewegung einer bestehenden Sache«[4]. Ein solches Ideal ist eine Extrapolation dessen, wohin der Status quo sich seiner eigenen Logik nach entwickelt. Das Sein, auf welches das Ideal der Demokratie rekurriert, ist Leben, nämlich das kollektive Leben menschlicher Gesellschaften. Diese tendieren ihrem Sein nach dazu, sich in demokratischen Formen zu organisieren. So kommt Dewey zu der Behauptung, Demokratie sei nichts anderes als »die Idee des Gemeinschaftslebens selbst«[5].

Nun handelt es sich bei der Aussage darüber, wohin sich eine bestehende Realität der ihr inhärenten Rationalität gemäß entwickeln würde, allerdings um eine kontrafaktische Unterstellung. Das menschliche Gemeinschaftsleben würde sich nach dieser These demokratisch organisieren, wenn es nicht durch partikulare Interessen und ideologische Blockaden an seiner Entfaltung gehindert würde. Somit enthält auch diese Weise, praktische Normativität zu begründen, unvermeidlich ein willkürliches Moment. Das, was als eigene Tendenz der »bestehenden Sache« behauptet wird, ist dennoch etwas anderes als ein bloßes Ideal. Es handelt sich, mit Hegel gesprochen, nicht um ein »leeres Sollen«. Es geht nicht bloß darum, was nach Gesichtspunkten der Moral oder Gerechtigkeit geboten wäre, sondern unter welchen Bedingungen das fragliche soziale Gebilde am besten funktionieren bzw. gedeihen würde.[6] Normativistische Ansätze formulieren ein Sollen, das vom Sein absieht. Die alternative Herangehensweise[7] tut eben dies nicht. Ideale werden hier nur in Verbindung mit einer Theorie derjenigen Sache formuliert, deren inhärente Tendenzen das Ideal zum Ausdruck bringen soll. Für die Theorie der Demokratie bedeutet das, dass sie mit einer Theorie der Gesellschaft Hand in Hand gehen muss. Dewey begründet Demokratie sozialtheoretisch. Was Demokratie gut macht, hat nichts mit überzeitlichen Werten zu tun, sondern liegt darin begründet, dass sie den sozial-ökonomischen Bedingungen der Moderne besser gerecht wird als es die Alternativen vermögen.[8]

Demokratie, materialistisch verstanden

Worin die sozialen Strukturen moderner Gesellschaften genau bestehen, denen sich am besten in demokratischer Weise begegnen lässt, braucht uns an dieser Stelle nicht zu interessieren. Ich argumentiere hier nicht dafür, dass Demokratie sich in der eben skizzierten Weise normativ begründen lässt. Mir ging es allein um die spezifische Art der Begründung. Technisch gesprochen: Ich vertrete (jedenfalls hier) nicht die ethische These, dass Demokratie gut sei, sondern eine metaethische These darüber, was mit der Aussage, wonach etwas (hier Demokratie) gut sei, überhaupt gemeint ist (bzw. gemeint sein sollte). Was helfen derartig abstrakte philosophische Überlegungen nun aber für die eingangs aufgeworfene Problematik des scheinbaren Zielkonflikts zwischen Demokratie und Klimaschutz?

Zumindest ist nun deutlich geworden, dass beides überhaupt auf derselben Ebene liegt. Versteht man Demokratie nicht als etwas, das aufgrund eines Ideals wie der Menschenwürde oder individueller Autonomie geboten ist, sondern als rational angemessene Weise, mit Problemen umzugehen, die sich menschlichen Gesellschaften in bestimmten historischen Situationen stellen, dann kommt direkt auch die Natur in den Blick. Denn soziale Reproduktion findet im »Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur«[9] statt. Die Klimakrise ist Resultat einer partiell zwar sehr erfolgreichen, letztlich aber fehlgeleiteten Weise, diesen Stoffwechsel zu organisieren. Begreift man demokratische Formen als Antworten auf strukturelle und materielle Anforderungen komplexer Gesellschaften, dann wird es grundsätzlich unplausibel, sie in Gegensatz zu den Imperativen des Klimaschutzes zu bringen. Zwar spielt all das noch auf einer rein begrifflichen Ebene, dennoch nimmt es der konservativen Gegenposition einigen Wind aus den Segeln.

Feinsinniger Diskurs oder existenzielles Bedürfnis?

Inwiefern es sich bei der Gegenposition um eine konservative handelt, lässt sich an einem lesenswerten Beitrag von Jens Hacke im Journal weiter denken des fiph [10] verdeutlichen. Anhand der philosophischen Schule, die sich in Münster um Joachim Ritter bildete, zeigt Hacke zwar gerade, wie sich in der Bundesrepublik ein Konservativmus etablierte, der mit völkisch-reaktionären Traditionen brach und seinen Frieden mit der liberalen Moderne machte. Zwar gibt er den Kampf gegen die Demokratie auf, diese bleibt aber ein nachgeordneter Wert. Die in der Vergangenheit erkämpfte Demokratisierung wird akzeptiert, aber damit soll es dann bitte auch gut sein. Im Zuge von 1968 verbreitete sich hingegen die Vorstellung, dass die real existierenden Demokratien erst Zwischenresultate einer umfassenden Demokratisierung sozialer Institutionen wie der Familie, der Betriebe, der Schulen und Universitäten seien. Dies hält der Liberalkonservatismus für einen beinahe frivolen Luxus, auf den zugunsten von »existenziellen Bedürfnissen« zu verzichten sei.

Diese polemische Gegenüberstellung – Stabilisierung, Entlastung, Selbsterhaltung hier, »[f]einsinnige Diskurse über eine Demokratisierung der Demokratie«[11] dort – wird in der von mir vorgeschlagenen Perspektive unterlaufen. Dem konservativen »Realismus« ist ebenso wie der klimabewegten Demokratieskepsis zu entgegnen: Die Verteidigung und Vertiefung[12] demokratischer Formen der sozialen Kooperation ist nicht bloß nice to have. Es handelt sich dabei nicht um ein Projekt, das man erst dann angehen sollte, wenn die existenziellen Probleme einer Gesellschaft gelöst sind. Demokratisierung ist nicht das Sahnehäubchen auf dem Kuchen der sozialen Kooperation,[13] ja noch nicht einmal bloß der Kuchen, sondern das täglich Brot. Sie ist kein exzentrischer Luxus, sondern die Antwort auf die Frage nach dem Leben moderner Gesellschaften und – wie wir spätestens im Licht der brennenden Erde sagen müssen: dem Überleben.

Philosophie angesichts der Katastrophe

Zwischen dieser philosophischen These und der politischen Situation klafft dennoch eine so erhebliche Lücke, dass mein Vorschlag eine bloß rhetorische Lösung zu präsentieren scheint. Denn einmal angenommen, dass Demokratie tatsächlich die geeignete Weise des Umgangs mit den strukturellen Herausforderungen ist, die sich modernen Gesellschaften stellen. Angenommen also, dass es demokratischen Gesellschaften gelingt – genauer gesagt: demokratischeren Gesellschaften auf lange Sicht gelingen würde – die Einzelnen zur Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten zu befähigen und es ihnen ermöglichen würde, sich angemessen zum eigenen Leben und dessen unhintergehbaren kollektiven Dimensionen zu verhalten. Selbst wenn dem tatsächlich so wäre, bleibt dennoch die sehr reale Möglichkeit, dass diese langfristigen Prozesse eben zu langfristig sind. Bis die Entfaltung der inhärenten Rationalität moderner sozialökonomischer Strukturen Früchte trägt, könnte schon alles zu spät sein.

Philosophisch lässt sich dieser Befürchtung wenig entgegensetzen. Es handelt sich dabei um eine politische Einschätzung, die wesentlich auch mit naturwissenschaftlichen und technischen Aspekten zu tun hat. Die hier vorgeschlagene philosophische Perspektive erlaubt jedoch auch eine umgekehrte Einschätzung: Vielleicht ist die Situation so schlimm, die Krise so fundamental, dass wir es uns nicht leisten können, eine weitergehende Demokratisierung unserer Lebensformen zum Luxusproblem zu erklären. Denn selbst wenn eine autoritär-technokratische Bewältigung der Klimakrise gelingen würde, könnten wir uns damit eine noch größere – und dann endgültig nicht mehr zu bewältigende – Krise einhandeln. Für die Lebenskrisen von Gesellschaften gilt dasselbe wie für diejenigen einzelner Menschen: Wenn es hart auf hart kommt, muss man die regressiven Handlungsmuster ablegen, die man in weniger existenziellen Krisen nicht ablegen konnte. Hier wie dort stellt sich die Frage, warum in der schwierigeren Situation gelingen sollte, was schon in leichteren Zeiten nicht gelang.

Das Schlimmste vermeiden – und zugleich mehr

Eine Antwort auf diese Frage findet sich bei Theodor W. Adorno. Ob es zu echtem Fortschritt komme, so schreibt er bereits Mitte des letzten Jahrhunderts, »darüber entscheidet einzig die Vermeidung der Katastrophe durch eine vernünftige Einrichtung der Gesamtgesellschaft als Menschheit«[14]. Adorno hat hier weniger eine ökologische Krise vor Augen. Zwar gehört die Kritik an einer Naturbeherrschung, die ihren eigenen Zweck – die Selbsterhaltung der Menschen – unterminiert, zu den zentralen Themen seines Denkens. An der hier zitierten Stelle geht es eher um die Möglichkeit, dass sich die Menschheit in einem Atomkrieg auslöscht. Aktuell ist Adornos Gedanke aber dennoch – nicht nur deshalb, weil die Gefahr des Atomkriegs zwar im öffentlichen Bewusstsein weniger präsent, deshalb aber objektiv keineswegs unwahrscheinlicher geworden ist. Sondern weil es auch hinsichtlich der Klimakatastrophe instruktiv ist, deren substanzielle Abmilderung nicht bloß als notwendige Bedingung eines weitergehenden Fortschritts der Menschheit zu konzipieren. Die Verhinderung des Schlimmsten wäre nicht bloß eine Abwehr des Negativen, auf die dann in weiteren Schritten ein Aufbau des Positiven folgen (aber ebenso gut auch unterbleiben) könnte. Gerade weil die Situation so aussichtslos ist, kann die Vermeidung der Katastrophe nur noch durch Erreichen eines umfassenderen Fortschritts gelingen – nach Adorno durch das Etablieren einer rationalen Organisation der Weltgesellschaft.

Diese Denkfigur hat eine notwendig deprimierende Seite, insofern die einzige Weise, wie sich die Katastrophe demnach vermeiden ließe, das unwahrscheinliche Szenario einer kosmopolitischen Überwindung von Kapital und Nation wäre. Der Zusammenhang lässt sich aber eben auch umgekehrt formulieren. An der Sache ändert das nichts, aber es klingt dann optimistischer: Die Mittel, die es braucht, um das Schlimmste zu verhindern, wären als solche zugleich mehr als das. Sie wären selbst bereits der Fortschritt, von dem Adorno gelegentlich behauptet, es habe ihn in der ganzen bisherigen Geschichte noch nicht gegeben. Selbst wenn das eine absichtliche Übertreibung ist, gilt hier doch wiederum wie im Leben der Einzelnen: Irgendwann muss man den entscheidenden Schritt machen. Wenn das – selten genug – gelingt, dann meistens nicht, weil man gerade keine anderen Sorgen hätte, sondern weil es keinen anderen Ausweg mehr gibt.

© Robert Ziegelmann

Literatur

  • Adorno, Theodor W.: Fortschritt, in: Gesammelte Schriften, Band 10.2, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1977, 617-638.
  • Brennan, Jason: Against Democracy, Princeton (NJ): University Press, 2016.
  • Dewey, John: Die Öffentlichkeit und ihre Probleme, Bodenheim: Philo, 1996.
  • Hacke, Jens: Die bundesrepublikanische Variante eines Liberalkonservatismus. Bürgerlichkeit und Common Sense in der Ritter-Schule, in: weiter denken: Journal für Philosophie (2022), 1, S. 11–15. Online unter: https://weiter-denken-journal.de/fruehjahr_2022_konservatismus/Ritter-Schule_Liberalkonservatimus.php.
  • Honnacker, Ana: Stressfaktor Klimakrise. Für eine ökologische Demokratisierung der Demokratie, in: Dabrowski, Martin; Ehret, Patricia; Radtke, Mark (Hrsg.): Demokratie – Gerechtigkeit – Partizipation, Paderborn: Brill/ Schöningh, 2021, S. 35-43.
  • Jaeggi, Rahel: Kritik von Lebensformen, Berlin: Suhrkamp, 2014.
  • Lübbe-Wolff, Gertrude: Demophobie. Muss man die direkte Demokratie fürchten? Frankfurt/M.: Klostermann, 2023.
  • Luxemburg, Rosa: Zur russischen Revolution, in: Gesammelte Werke, Band 4, Berlin: Dietz, 1974, S. 332-365.
  • Marx, Karl: Das Kapital, Band 1, Marx-Engels-Werke 23, Berlin: Dietz, 1962.
  • Vogelmann, Frieder: »Geltung« versus »Leben«, »Normativität« versus »Kraft«. Genealogie einer (sozial)philosophischen Verwerfungslinie, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 46 (2021), 2, S. 207-228.


[1] Zu diesem Ausdruck siehe Lübbe-Wolff: Demophobie, S. 147.
[2] Eine philosophische Rechtfertigung epistokratischer Modelle auf dieser Basis (aber unabhängig von spezifisch ökologischen Fragen) betreibt Brennan: Against Democracy.
[3] Honnacker: Für eine ökologische Demokratisierung der Demokratie, S. 38-41.
[4] Dewey, Die Öffentlichkeit und ihre Probleme, S. 129.
[5] Dewey, Die Öffentlichkeit und ihre Probleme, S. 129. Auch Rosa Luxemburg denkt Demokratie als Ausdruck kollektiven Lebens, der sich durch seine Wirkung legitimiert: »je demokratischer die Institution, je lebendiger und kräftiger der Pulsschlag des politischen Lebens der Masse ist, um so unmittelbarer und genauer ist die Wirkung […]. Gewiß, jede demokratische Institution hat ihre Schranken und Mängel, was sie wohl mit sämtlichen menschlichen Institutionen teilt. Nur ist das Heilmittel, das Trotzki und Lenin gefunden: die Beseitigung der Demokratie überhaupt, noch schlimmer als das Übel, dem es steuern soll: es verschüttet nämlich den lebendigen Quell selbst, aus dem heraus alle angeborenen Unzulänglichkeiten der sozialen Institutionen allein korrigiert werden können.« (Luxemburg: Zur russischen Revolution, S. 356) Es dürfte sich lohnen, Luxemburgs Theorie der Demokratie eingehender auf deren implizit vitalistische Begründung von Normativität zu untersuchen.
[6] Detailliert erläutert wird der Zusammenhang von ethischen und funktionalen Kriterien in Jaeggi: Kritik von Lebensformen, 177-199.
[7] Eine erste Annäherung an diese Alternative unternimmt Vogelmann: »Geltung« versus »Leben«, »Normativität« versus »Kraft«. Für das Paradigma der Geltung ist Kant ein Vorbild, für dasjenige des Lebens Nietzsche. Ersteres kehrt in normativistischen Positionen der Gegenwartsphilosophie wieder, zweiteres im Poststrukturalismus. Soweit ist Vogelmanns Beschreibung instruktiv. Irreführend ist jedoch, dass er hegelianische und neoaristotelische Ansätze dem Paradigma der Geltung zuschlägt. Meines Erachtens handelt es sich dabei vielmehr um ein drittes Paradigma, das durchaus vitalistische Elemente enthält. Die Tradition, die auf Aristoteles zurückgeht, von Hegel unter modernen Bedingungen reformuliert und auf diese Weise in den Pragmatismus sowie den historischen Materialismus der kritischen Theorie eingegangen ist, transzendiert die von Vogelmann beschriebene Dichotomie. Dort werden, wie ich im vorliegenden Text bestenfalls andeuten kann, sowohl die Schwächen eines bloßen Normativismus wie eines vorgeblich normfreien Vitalismus überwunden.
[8] Zu dieser gesellschaftstheoretischen Begründung von Demokratie bei Dewey siehe Jaeggi, Kritik von Lebensformen, S. 344.
[9] Marx: Das Kapital, S. 57.
[10] Hacke: Die bundesrepublikanische Variante eines Liberalkonservatismus.
[11] Hacke: Die bundesrepublikanische Variante eines Liberalkonservatismus, S. 15.
[12] Nach der progressiven Ansicht, die ich hier nicht weiter begründe, lässt sich Demokratie überhaupt nur durch ihre Vertiefung verteidigen. Sie bloß in ihren aktuellen Formen zu verteidigen, ist ein aussichtsloses Unterfangen.
[13] Hier greife ich eine Metapher von Rahel Jaeggi auf, die die von ihr erläuterte materialistische Lebensformenkritik von dem Missverständnis abgrenzt, es gehe dabei »(im Sinne einer luxurierten Philosophie der Lebenskunst) um ›Sahnehäubchenfragen‹ des guten Lebens, die zu stellen sich erst lohnte, wenn die Basisfragen gesellschaftlicher Organisation gelöst wären« (Jaeggi: Kritik von Lebensformen, S. 11).
[14] Adorno: Fortschritt, S. 618.

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