Pro: Wilfried Härle
Ja, gewiss! Und zwar sogar jeder einzelne Mensch, selbst eineiige Zwillinge. Wer wollte das bestreiten, und wie?
Aber das ist mit unserer Frage vermutlich gar nicht gemeint, sondern ‚der Mensch’ als Gattungswesen, also die Gattung oder Spezies ‚Mensch’. Und wieder würde ich sagen: Ja, gewiss! Selbst im Verhältnis zu Säugetieren, die mit dem Menschen 96 Prozent der Gene gemeinsam haben, gilt doch: Wir sind einzigartig. Aber – und da wird es interessant – die anderen Wesen sind es auch. Und auch hier gilt das nicht nur von der Gattung, sondern von jedem einzelnen Exemplar: Es ist einzigartig.
Und um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Das kann man keineswegs auf die Säugetiere beschränken, geschweige denn auf die höher entwickelten. Es gilt für alle Lebewesen, ja sogar für alles, was es überhaupt gibt.
Was könnte dann mit der Frage nach der Einzigartigkeit gemeint sein, auf das sich mit ‚Ja’ oder ‚Nein’, also im Pro oder Contra antworten ließe? Solchen Streit gab und gibt es über die Frage, ob die Entwicklung und Abstammung des Menschen dem Gesamtzusammenhang der Evolution gegenüber etwas schlechterdings Einzigartiges darstelle. Insbesondere in Reaktion auf Darwin gab es darüber im 19. Jahrhundert bekanntlich heftige Kontroversen.
Zur Entspannung dieser Auseinandersetzungen hat nicht zuletzt die Tatsache beigetragen, dass die Bibel selbst an ihren Anfang reichlich unbefangen zwei Schöpfungserzählungen setzt (1. Mose 1,1-2,4a und 1. Mose 2,4b-25), die hinsichtlich der Frage nach Art und Abfolge der Weltentstehung ganz unvereinbar sind.
Das spricht dafür, dass es diesen Texten nicht um eine naturkundliche (geschweige denn naturwissenschaftliche) Welterklärung geht, sondern darum, das jeweilige Wissen über die Entstehung der Welt zum Glauben an Gott in Beziehung zu setzen und so die Welt und das eigene Leben als Gabe Gottes zu verstehen.
Der Streit um den Darwinismus ist – jedenfalls hierzulande – im Großen und Ganzen ausgestanden und an ein Ende gekommen. Die Entwicklung und Abstammung des Menschen fällt aus dem Gesamtzusammenhang der Evolution nicht heraus. Man hätte das eigentlich schon der ersten biblischen Schöpfungserzählung entnehmen können, die den Landtieren und dem Menschen gemeinsam den sechsten Schöpfungstag zuweist. Oder man hätte es Luthers Kleinem Katechismus entnehmen können: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen“. Aber rückblickend ist das leicht gesagt.
Der Zusammenhang zwischen ‚mir’ und allen Kreaturen schließt freilich nicht aus, dass der Mensch auch insofern ‚einzigartig’ ist, als ihm Möglichkeiten gegeben sind, die es in der ganzen Schöpfung – soweit wir wissen – sonst nirgends gibt: Er kann nach seinem Ursprung, seinem Ziel und seiner Bestimmung fragen. Und damit kann und muss er Verantwortung übernehmen, für sich selbst und für die Lebenswelt, die ihm anvertraut ist. Gerade das, was den Menschen von allen anderen Kreaturen unterscheidet, verbindet ihn zugleich mit ihnen in Form eines Verantwortungszusammenhanges. Wie schlecht wir dem gerecht werden, ist freilich auch einzigartig, aber darauf könnten wir und der Rest der Welt gerne verzichten, ohne etwas zu vermissen.
Wilfried Härle ist Professor emeritus für Systematische Theologie/Ethik an der Universität Heidelberg.
Contra: Eckart Voland
Alle biologischen Arten sind einzigartig – sonst wären sie keine – und auch Homo sapiens ist einzigartig und kann deshalb eine Sonderstellung im Reich der Organismen für sich beanspruchen. Allerdings wird mit dieser trivialen Feststellung die narzisstische Eitelkeit des Menschen nur selten befriedigt. Sie verlangt mehr. Sie verlangt, dass der Mensch auf eine einzigartige Art und Weise einzigartig sei, und eine anthropozentrische Weltsicht scheint gute Gründe für die Berechtigung dieses Anspruchs zu liefern. Schließlich sind Menschen wie keine andere Art symbolfähig. Sie haben eine Moral, sind sich ihrer selbst bewusst und können über Gott und die Welt diskutieren und über ästhetische Urteile streiten.
Will man entscheiden, ob diese Merkmale nun die Rede von einer einzigartigen Einzigartigkeit rechtfertigen können, müssen zunächst die Kriterien festgelegt werden, an Hand derer die Frage zu klären wäre. Die Einzigartigkeit der biologischen Arten erklärt sich aus den darwinschen Evolutionsprozessen. Legt man dieses Kriterium an, ist nach bestem Wissen der besten Fachleute unserer Zeit keine Einzigartigkeit zu erkennen, denn Homo sapiens verdankt seine Entstehung denselben Prozessen – und zwar ausschließlich. Konstitutive Merkmale des Menschen, die nicht evolutionären Ursprungs wären und ihre Existenz nicht dem survival of the fittest verdanken, sind bis heute nicht gefunden worden, jedenfalls nicht mit dem analytischen Instrumentarium der Wissenschaften. Dies betrifft notabene auch den menschlichen Geist und seine Produkte. Man kann das auch gar nicht ernsthaft bestreiten wollen, denn für alle angeblichen Belege der Sonderstellung hat man inzwischen evolutionäre Keime bei nicht-menschlichen Organismen, insbesondere bei den Großen Menschenaffen, gefunden. Selbstbewusstsein und Moral, Symbolverständnis und therapeutische Intervention, machiavellische Politik und Technologie, mathematische Repräsentationen und soziale Attributionen sind nicht erst mit und durch den Menschen in die Welt gekommen, sondern sind in ihren Ansätzen älter als die menschlichen Gehirne, die damit operieren.
Wer die aufregenden Erkenntnisse der evolutionären Anthropologie wahrzunehmen bereit ist und den ausschließlich evolutionären Ursprung des Menschen nicht bestreiten will, könnte, um die Sonderstellungsidee nicht aufgeben zu müssen, auf das Argument ausweichen, dass der Mensch doch klar fortgeschrittener sei, als es die entwickeltsten Menschenaffen je waren. Menschen seien von allen Arten die Evolutionsleiter am höchsten hinaufgestiegen, und das begründe ihre Einzigartigkeit. Der Haken dieser Argumentation besteht freilich darin, dass das Naturgeschehen keinen Fortschritt kennt. Menschen mögen komplexer strukturiert und organisiert sein als andere Primaten, aber um von Fortschritt reden zu können, bedarf es einer Messlatte, an Hand derer er zu bestimmen ist. Evolution ist bekanntlich ziellos und deshalb liefert sie auch nichts mit, was als Fortschrittsmaß dienen könnte. Nein – Fortschritt ist eine vom Menschen gemachte Idee und für vieles tauglich, nur nicht zur wissenschaftlichen Begründung der menschlichen Sonderstellung. Da ist sie also wieder: jene eitle Anthropozentrik, die sich eines einfachen Tricks bedient, um die narzisstische Selbstüberhöhung nicht in Gefahr geraten zu lassen. Man macht sich zum Maß aller Dinge und so zur Partei und zum Schiedsrichter zugleich.
Eckart Voland ist Professor für Philosophie der Biowissenschaften am Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft der Universität Gießen.
Zum heute weit verbreiteten demütigen Eingeständnis, dass der Mensch auch nur ein Tier ist, heißt es beim Nestor der darwinschen Evolutionstheorie: „Aber das stimmt ganz und gar nicht. Der Mensch ist tatsächlich so einzigartig, so verschieden von allen anderen Tieren, wie Theologen und Philosophen es seit jeher behauptet haben“ (Ernst Mayr, Das ist Evolution, S. 308). Der Theologe Wilfried Härle hat klar Stellung bezogen, ich möchte ihm als Philosoph zur Seite stehen. Kein vernünftiger Mensch (Kreationisten ausgenommen) zweifelt heute daran, dass der Mensch Produkt der Evolution ist und dass alle biologischen Arten einzigartig, d. h. verschieden, sind. Aber die Einzigartigkeit des Menschen besteht darin, dass nur er ein Wissen von seiner Einzigartigkeit hat. Wenn der renommierte Soziobiologe Eckart Voland dagegen hält, man habe im Tierreich „Ansätze“ für Selbstbewusstsein, Moral usw. gefunden, so ist das eine anthropozentrische Projektion. Denn für Ideen gibt es keine „Ansätze“, sondern sie sind ganz da oder gar nicht. Daher kommen wir nicht umhin, in der Evolution einen Quantensprung anzunehmen. Das System der Evolution ist infolge der hoch komplexen Strukturierung und Organisation des Gehirns in der Spezies Homo selbstbezüglich geworden. Das ist ein anderes Modell als die Idee des Fortschritts, die Voland zu Recht aus der Evolutionstheorie eliminiert. Aber es ist ein Modell, das nichts mit „narzisstischer Selbsterhöhung“ zu tun hat, sondern nur die Phänomene rettet, die wir Menschen an uns selbst erfahren. Ich habe den Verdacht, dass viele Primatologen in der Gleichstellung mit den Affen unbemerkt einer theologischen Denkform huldigen: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“. Es bleibt zu hoffen, dass damit der gemeinsamen Lebenswelt von Mensch und Tier kein Bärendienst erwiesen wird.