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InDebate: Von der „Religionsfreiheit“ seit 1700 Jahren

Veröffentlicht am 17. Juni 2013

„Religionsfreiheit“ ist heute wie in vergangenen Jahrhunderten keineswegs politisch gesichert; das gilt vor allem für diktatorisch und autokratisch geführte Staaten, besonders wenn sie sich von einer Religion her definieren möchten; davon können gegenwärtig Christen, Juden und Buddhisten in muslimisch geprägten Staaten berichten. Aber leider gilt es auch für (sog.) Demokratien. Ein aktuelles Beispiel sind die Homeschoolingfamilien, welche ihre schulpflichtigen Kinder aus religiösen und weltanschaulichen Gründen nicht in eine anerkannte öffentliche Schule schicken, sondern diese in den eigenen vier Wänden unterrichten. Die Religionsfreiheit endet hier beim Schulzwang, der ggf. mit staatlicher Ordnungsmacht und Strafverfahren gegen die Eltern zur Durchsetzung gebracht wird.
Die Geschichte einer staatlich geschützten Religionsausübung hat jedoch ihre Wurzeln im frühen Christentum und in seiner opferreichen Bedrängnis während der ersten „nachchristlichen“ Jahrhunderte. Toleranz, so erfuhren die Menschen in der Blütezeit des römischen Reiches durch das Auftreten dieser neuen Religion ganz allmählich, ist nicht nur das Ertragen des Andersgläubigen, sondern das bewusste Realisieren und Zulassen seines Andersseins. Politische Toleranz zeigt ein offenes Interesse an dem Andersgläubigen und an seinem Wohlergehen.
Die bloße Duldung eines irgendwie religiös gestalteten Lebens im Schutz des Privaten, also unter Ausschluss des Öffentlichen, war bereits unter dem Philosophenkaiser Marc Aurel (121-180) möglich. Aber die Präsenz des Andersreligiösen im politischen Leben, also auf den Märkten der Polis, war ausgeschlossen. Der Briefwechsel aus dieser Zeit zwischen einem unbekannten Christen und seinem heidnischen Bekannten namens Diognet berichtet davon. Auch das Vorhandensein eines Tempels des „Unbekannten Gottes“ (von Paulus, Apg.17,23, bis zu Friedrich Nietzsche) zeugt zwar von Respekt und der Bereitschaft, den Anderen gewähren zu lassen; aber die grundsätzliche Gleichheit des Anderen vor Recht und Gesetz blieb unrealisiert, bis die Christen in der (jüdischen) Botschaft von der Ebenbildlichkeit aller Menschen mit ihrem menschgewordenen Gott und von der Allumfassenheit des ganzen Menschengeschlechtes bei seinem Erlösungswerk an die Öffentlichkeit drängten.
Am 13. Juni des Jahres 313 n. Chr., also vor genau 1700 Jahren, verfügten die beiden Kaiser des römischen Reiches, Konstantin im Westen und (seit März desselben Jahres) dessen Schwager Licinius im Osten erstmalig und bis dahin auch einzigartig Religionsfreiheit für alle Kulte der damaligen Welt:
„Nachdem wir beiden, Kaiser Konstantin und Kaiser Licinius, durch glückliche Fügung in Mailand zusammengekommen sind und uns mit allem befasst haben, was zur öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit gehört, halten wir es für notwendig, unter den Dingen, deren Nutzen für die Allgemeinheit wir erkannt haben, vor allem die Verehrung (reverentia) der Gottheit zu regeln. Wir wollen deshalb sowohl den Christen als auch überhaupt allen Menschen freie Wahl gewähren, der Gottesverehrung (religio) anzuhängen, die ein jeder für sich wünscht, damit, was auch immer an göttlichem Wesen auf ihrem himmlischen Throne sitzt, uns und allen unseren Untertanen friedlich und gnädig gesinnt sein kann. Dies geschieht im Interesse der Ruhe unserer Zeiten und so glauben wir deshalb folgenden Beschluss fassen zu müssen: Keinem Menschen soll die Möglichkeit verweigert werden, sein Herz entweder dem Kult (observatio) der Christen zu weihen oder aber der Religion (religio), die er selbst für die angemessenste hält. So kann uns die höchste Gottheit, nach deren Verehrung (religio) wir mit freiem Herzen streben, in allen Dingen wie bisher gnädig und gewogen bleiben. Bezüglich der Christen erlassen wir folgende Bestimmung: Wer die Stätten, an denen sie zu früheren Zeiten zusammenzukommen pflegten, in der Zwischenzeit entweder aus dem Staatsbesitz oder von einem anderen käuflich erworben hat, der muss sie den Christen unentgeltlich und ohne Rückforderung des Kaufpreises unverzüglich und ohne jede Einschränkung zurückgeben. Auch diejenigen, die durch ein Geschenk in den Besitz solcher Stätten gelangt sind, müssen sie so schnell wie möglich zurückerstatten. Wenn aber diejenigen, die die Stätten gekauft oder als Geschenk erhalten haben, von unserem Wohlwollen einen Ausgleich erwarten, so mögen sie sich an den zuständigen Statthalter wenden, damit auch sie die Fürsorge unserer Milde erfahren.“
Dieses Ereignis wird oftmals als „Toleranzedikt“ bezeichnet, obwohl es nur die Bekanntgabe einer kaiserlichen Vereinbarung war, und es wird mit der „konstantinischen Wende“ gleichgesetzt, obwohl dadurch keineswegs das Christentum zur Staatsreligion wurde; das geschah erst im Jahre 380 unter dem Kaiser Theodosius I. Auch hatten die Christen keineswegs bereits die Mehrheit im Reich und auch die beiden Kaiser hatten zu diesem Zeitpunkt zwar einen Ein-Gott-Glauben, verehrten jedoch den „Sol invictus“ , also den Sonnengott, wie auf den Münzen dieser Zeit ersichtlich ist. Aber die Verfolgungen der Christen fanden damit ein (vorläufiges) Ende, und die Verfolgung der sogn. Heiden fand noch nicht statt. Der Erfinder eines Toleranz-Kalküls war außerdem bereits Kaiser Galerius allerdings zusammen mit Konstantin und Licinius im Jahre 311 gewesen. Allerdings fand der Versuch einer Dominanz der alten Kulte mit Duldung der Christen (und Juden) seit 313 auch sein Ende. Dass daraus schließlich eine „Machtergreifung des Christentums“ wurde, war ursprünglich nicht die Absicht, sondern lediglich die Bewahrung von Friede und Wohlstand für alle.
Die Legende vom Kreuz, das dem Kaiser Konstantin vor der Schlacht an der Milvischen Brücke erschienen sei („ in diesem Zeichen wirst du siegen“ ) ist eine spätere Erfindung, und der Kaiser selbst ließ sich erst auf dem Sterbebett von einem arianischen Bischof taufen. Auch wurde er selbst nach dem Tod vergöttlicht (divus); und die Christenverfolgungen waren damit auch noch keineswegs beendet. Aber nun wurde versucht, allmählich so etwas wie eine Zwei-Gewalten-Herrschaft auszuprobieren, also eine wechselseitige Unterstützung von staatlicher Administration und religiösen Bekenntnissen zu erreichen; auch das zur Sicherung von Friede und Wohlstand. Die Frage eines getrennten oder gemeinsamen Regierens war damit aber noch keineswegs gelöst. Konstantin bemühte sich deshalb auch als Schlichter in religiösen Fragen z.B. auf der Synode von Arles (314) und beim bedeutenden Konzil von Nizaea (325), auf welchem die „Wesensgleichheit“ Jesu Christi mit seinem göttlichen Vater formuliert wurde. Allerdings überdehnte er bereits diese Schlichterrolle, indem er die Arianer und Donatisten verfolgen ließ, nicht jedoch die sogn. Heiden der alten römischen Kulte, welche bis in die römische Spätzeit hinein durchaus an Regierungen beteiligt blieben. Allerdings kam es ab 324 vermehrt zu Konfiszierungen der Tempelschätze zugunsten der Staatskasse, aber nicht der christlichen Kirchen. Auch wurden die Gladiatorenkämpfe und die Tempelprostitution verboten. Er selbst blieb aber bis zu seinem Tode „Pontifex Maximus“ (Oberpriester) der heidnischen Kulte.
Woran liegt es also, dass der Toleranzimpuls von 313 sich nicht wirklich hat durchsetzen können, obwohl auch der Art. 4 unseres Grundgesetzes ohne die Vereinbarung von 313 kaum zustande gekommen wäre? „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Woran liegt es, dass der 13. Juni keineswegs zu einem internationalen Feiertag geworden ist, ja dass der 1700. Jahrestag nahezu nirgends Erwähnung findet? Woran liegt es, dass, wenn ein Bekenntnis irgendwo die nummerische Mehrheit repräsentiert, wieder ein diskriminierender Unterschied zwischen „Gläubigen“ und „Ungläubigen“ gemacht und ein Miteinander oder auch nur ein geduldetes (toleriertes) Nebeneinander ausgeschlossen werden? Und warum scheinen bei vielen Menschen und Völkern Rationalität und (Offenbarungs-)Glaube nach wie vor unvereinbar?
Vermutlich liegt das in der weiteren römischen, später christlichen Geschichte begründet. Beispielsweise fiel die Jugendzeit des Augustinus von Thagaste (später: Heiliger Augustinus) ausgerechnet in die Zeit des letzten kaiserlichen Christenverfolgers Julian (361-363), worin vielleicht die Theologisierung der Reichskirchen-Idee durch ihn in seinem Werk „De Civitate Dei“ hundert Jahre nach 313 begründet liegen könnte. Außerdem wurde eben nicht die Toleranz, sondern der Theologenstreit innerhalb der Christenheit zum tragenden Impuls der nächsten Jahre; aus der Christenverfolgung wurde keine Kultur der Religionsfreiheit, des Sowohl-als-auch und des Miteinander, sondern die Häretiker-Verfolgung, also die Fortsetzung des Entweder-Wir-Oder-Keiner. Und dann verstrickte sich das römische Reich in die Rückzugskämpfe und in die Bemühungen, den Verfall aufzuhalten.
Vielleicht kann eine Besinnung auf das Jahr 313 der staatlich geschützten Religionsausübung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens (wieder) zum Durchbruch verhelfen.

Prof. Dr. Franco Rest, Prof. em. für Erziehungswissenschaften, Sozialphilosophie/ Sozialethik an der Fachhochschule Dortmund. Nähere Informationen finden Sie unter https://www.angewandte-sozialwissenschaften.fh-dortmund.de/rest/

(c) Franco Rest

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