Eike Bohlken
Man mag dies bedauern, aber die Frage, ob wir Eliten brauchen, kann nur mit einem klaren Ja beantwortet werden. Robert Michels, einer der Gründerväter der Elitentheorie, wies mit seinem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ darauf hin, dass Großorganisationen in modernen Großgesellschaften nicht ohne Hierarchien und Führungspositionen funktionieren. Dieses funktional-organisatorische Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Zu einer Elite gehören demnach diejenigen Männer und Frauen, denen es gelungen ist, in einem (idealerweise leistungsorientierten) Ausleseprozess Spitzenpositionen in wichtigen Institutionen und Organisationen einer Gesellschaft einzunehmen. In der Regel sind diese Positionen mit Macht und Einfluss verbunden. Deren Ausmaß ist oft so groß, dass es den Mitgliedern politischer, wirtschaftlicher oder medialer Eliten in besonderer Weise möglich ist, auf die sozialen Strukturen eines Gemeinwesens einzuwirken.
Gegen diese Sichtweise wird oft eingewendet, dass die Existenz von Eliten eine krasse soziale Ungleichheit bedeutet, die nicht mit den Prinzipien der Demokratie vereinbar ist. Das Vorhandensein von Eliten sei ein oligarchisches Element und damit per se un-, wenn nicht sogar antidemokratisch. Hinzu kommt ein historisches Argument: Sowohl die deutschen Nationalsozialisten und die italienischen Faschisten als auch die Bolschewisten in Russland bezogen sich positiv auf den Elitegedanken. Mit den Verbrechen und Gräueltaten dieser Regime sei der Elitenbegriff ein für alle Mal diskreditiert.
Beide Argumente sind gewichtig, greifen aber zu kurz: Dass der Elitebegriff historisch kompromittiert ist, steht außer Frage. Daraus folgt aber keineswegs, dass man ihn nicht mehr verwenden darf. Dies wäre nur dann plausibel, wenn sich zeigen ließe, dass eine Elitentheorie notwendig faschistisch, rassistisch oder totalitär ausfällt. Diese Behauptung ist jedoch falsch, wie schon die Existenz der sogenannten demokratischen Elitentheorie belegt, die auf Joseph Schumpeter und den Politologen Otto Stammer zurückgeht. Inwieweit Demokratie und das Vorhandensein von Eliten zusammengehen, hängt zwar auch davon ab, was für einen Begriff von Demokratie man zugrunde legt. Für das vorherrschende Modell der repräsentativen Demokratie ergibt sich aber eine klare Vereinbarkeit. Die Macht geht vom Volke als dem eigentlichen Souverän aus. Die von diesem gewählte Regierung und die Führungsspitzen der parlamentarischen (eventuell auch der außerparlamentarischen) Opposition sind jedoch nichts anderes als politische Eliten (bzw. Gegeneliten). Sofern es die regierende Elite ist, in deren Händen die Gesetzgebung faktisch liegt, enthält die repräsentative Demokratie damit ein oligarchisches Moment. Dieses Moment macht sie aber weder undemokratisch noch steht es einer Ergänzung durch basisdemokratische oder zivilgesellschaftliche Elemente entgegen.
Die Einsicht, dass es auch in Demokratien faktisch immer Eliten gibt, und dass es wichtig ist, diesen Sachverhalt offen zu thematisieren, hat sich in den letzten 20 Jahren mehr und mehr durchgesetzt. Die Diskussion des Themas Eliten wäre aber unvollständig, wenn es lediglich darum ginge, zu ermitteln, welche Eliten es gibt und wer jeweils dazugehört. Entscheidend – und der immer gebräuchlicher werdende Begriff des Elitenversagens verdeutlicht dies – ist letztlich die Frage, welche Eliten wir brauchen. Diese Frage verweist zum einen auf Schwächen des dominanten Paradigmas der Funktionselite, zum anderen darauf, dass das Elitenthema auch Gegenstand einer philosophisch-normativen Theorie des guten Gemeinwesens sein sollte. Einerseits ist es offenbar naiv, gemäß der neoliberalen Vorstellung der ‚unsichtbaren Hand‘ davon auszugehen, dass das Gemeinwohl dann am besten gefördert wird, wenn die Eliten der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche einfach das tun, wofür sie ausgebildet wurden, und ohne Rücksicht auf das soziale Ganze ihre jeweiligen Interessen verfolgen. Andererseits bedarf es dazu einer explizit normativ ausgerichteten Theorie von „Verantwortungseliten“ und eines ebenfalls normativ ausgerichteten Verständnisses des Gemeinwohlbegriffs als Maßstab der Verantwortung der Eliten wie aller übrigen Mitglieder des Gemeinwesens. Was wir brauchen ist daher nicht etwas anderes als Eliten, sondern andere Eliten. Es ist bedauerlich, dass sich die politische Philosophie in dieser Frage bislang so zurückgehalten hat.
(c) Eike Bohlken
Literaturtipp: Bohlken, Eike: Die Verantwortung der Eliten. Eine Theorie der Gemeinwohlpflichten, Frankfurt a.M./New York: Campus 2011
Eine Weile war ich auswärts und off-line. Es wäre ganz schön, wenn das WBGU in Transformations-Gutachten in die Elitendiskussion einbezogen würde. Aber ich möchte die Diskussion nicht allzu sehr ausweiten. –
Die stärkere Berücksichtigung der Gegeneliten in die Diskussion finde ich gut. Auch manche wissenschaftliche Eliten wirken oft als Gegeneliten, wenn sie etwas thematisieren, das nicht im Trend ist, was auf Gefahren hinweist, die andere Eliten einfach negieren. Gehört auch übrigens auch das Wissen, bestimmtes Wissen zu den basalen Gemeinwohlgütern? Denn von Eliten unwissend gehaltene Menschen werden um die Möglichkeit gebracht, basale Gemeinwohlgüter einzufordern.
Ich würde die Diskussion um Verantwortungseliten und wie deren Orientierung am Gemeinwohlbegriff angesichts der anstehenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und klimatischen-Veränderungen aussehen könnte, gern auf eine konkrete Ebene bringen und hierfür aus dem Memorandum „Für einen Bewusstseinswandel. Von der Konsum- zur Wohlstandskultur“ zitieren, das von der Stiftung Denkwerk Zukunft (www.denkwerkzukunft.de, sehr lesenswerte Beiträge!) veröffentlicht wurde.
Das Memorandum diagnostiziert zunächst unsere heutige, auf Wirtschaftswachstum und materielle Wohlstandsmehrung fokussierte Konsumkultur, zeigt deren Ursächlichkeit für die heutigen Probleme auf und plädiert für ein erweitertes Wohlstandsverständnis – weg von den überwiegend materiell geprägten Sicht- und Verhaltensweisen hin zu immateriellen Wohlstandsaspekten (z.B. bewusst erfahrene Lebenszeit für sich selbst und andere mit all seinen Aspekten wie Kunst, Bildung, Sprache, Sport, Muße, Beteiligung am gesellschaftlich-politischen Leben).
Als eine Hürde des Wandels aber werden in diesem Zusammenhang u.a. die Eliten, hier Vorbilder genannt, gesehen:
„Trotz aller Gleichheitspostulate demokratisch verfasster Gemeinwesen gibt es auch in diesen Individuen und Gruppen, an denen sich die Mehrheit orientiert. (…) Da diese Vorbilder ihren Status unter Bedingungen des materiell dominierten Paradigmas erworben haben, zeichnen sie sich in der Regel durch weit überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Erfolg aus. (…) Damit befinden sich aber sowohl diese Leitfiguren als auch die Gesellschaft als Ganzes in einem Dilemma. Denn um unter den Bedingungen des neuen Paradigmas Leitfigur zu sein, müssten gerade die wirtschaftlich Erfolgreichen einen materiell anspruchslosen und zugleich einen an immateriellen Wohlstandsformen reichen Lebensstil pflegen. Das aber tun nur wenige. (…) Dieses Dilemma ist zahllose Male thematisiert worden, wobei seine überzeugendste Lösung stets darin bestand, den materiellen Wohlstand mit anderen zu teilen oder ihn zum Nutzen der Allgemeinheit zu verwenden.
Geschehen ist dies jedoch nur ausnahmsweise. In der Lebenswirklichkeit pflegen wirtschaftlich besonders Erfolgreiche einen materiell sehr aufwändigen Lebensstil, wobei die ostentativen Luxusleben Einzelner und kleiner Gruppen nur die Spitze eines Eisbergs sind. Bewusstseinsprägend wirkt auch das Verhalten bloß überdurchschnittlich Erfolgreicher, die den Anderen vorleben, dass Erfolg vor allem materieller Erfolg ist und dieser dazu berechtigt, mehr Ressourcen zu verbrauchen und die Umwelt stärker zu belasten als der Durchschnitt. Das führt dazu, dass in früh industrialisierten Ländern rund achtzig Prozent des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastung von nur etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung ausgehen. Ironischerweise meint gerade diese Gruppe häufig, umweltbewusst zu sein.
Der Kreis materiell Wohlhabender, der sich selbst beschränkt, und der Mehrheit eine Vorstellung davon vermittelt, dass Lebenszufriedenheit und sozialer Status auch ohne größeren Mitteleinsatz möglich sind, ist immer noch klein. Gerade in diesen Bevölkerungsgruppen muss deshalb ein Umdenken einsetzen, wenn der erforderliche Bewusstseinswandel ohne revolutionäre Verwerfungen erfolgen soll.“ (S. 24/25)
Vielen Dank für diese Konkretisierung. Schon Hans-Peter Dreitzel („Elitebegriff und Sozialstruktur“, Stuttgart 1962, S. 71) hat den Eliten in seiner Definition neben der direkten Funktion der Gestaltung der Sozialstruktur und der diese tragenden Normen auch eine indirekte Funktion als Vorbild zugeschrieben. Das ist leider zunächst einmal rein deskriptiv zu verstehen: Das heißt (ganz in dem von Ihnen beschriebenen Sinne) kann auch objektiv negatives und gemeinwohlschädliches Verhalten vorbildhaft wirken oder neutraler: zur Nachahmung verleiten.
So gibt es in jedem Gemeinwesen eine politische und auch so etwas wie eine wirtschaftliche Kultur mit meist ungeschriebenen Regeln darüber, was als akzeptables politisches oder als erfolgreiches wirtschaftliches Handeln gilt. Ergänzt werden diese ‚Kulturen‘ durch offene und verdeckte ‚Diskurse‘ darüber, was als statussichernd (oder -bildend), modisch, modern oder distinguierend gilt.
Der Hinweis auf Dreitzel sollte verdeutlichen, dass die Vorbildfunktion zunächst ein rein struktureller Mechanismus ist, der mit beliebigen Inhalten gefüllt werden kann. Dies ändert sich erst, wenn man nicht mehr von Funktions-, sondern von Verantwortungseliten spricht. So sollte die besondere Verantwortung der Eliten für die Sicherung des Gemeinwohlgutes lebensfreundlicher Umweltbedingungen eigentlich dazu führen, das Wirtschaftsmodell eines extrem ressourcenfressenden und umweltschädlichen Dauerwachstums zu verabschieden. Solange das nicht einfach passiert, weil dem kurzfristige materielle Eigeninteressen entgegenstehen, kann meines Erachtens nur auf sozialen Druck etwa durch zivilgesellschaftliche Protestbewegungen mit Gegeneliten gesetzt werden. Dabei kann zum Teil auch an Modebewegungen – z.B. Prominente als Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability) – angeknüpft werden, wenn man sich nicht zu viel davon erwartet.
Das führt dann zu Fragen, in welchen Zeiträumen sich Verbesserungen im Sinne einer wirklich umweltverträglicheren Lebensweise bewirken lassen. Meines Erachtens sollten die Aktivitäten der Umweltbewegung seit den 1970er Jahren mindestens relativ als Erfolg bewertet werden. Ob sie objektiv ausreichend sind, steht leider auf einem anderen Blatt.
Die Erweiterung des Themas auf die Ebene der Weltgesellschaft macht ein neues Fass auf, in dem weit mehr enthalten ist als nur eine „Ergänzung“. Auch auf transnationaler Ebene kommt dem Handeln der verschiedenen Eliten eine besondere Wirksamkeit und Bedeutung zu. Und der Wandel von der Funktionselite zur Verantwortungselite muss in der Tat nicht nur auf nationaler, sondern auch auf transnationaler Ebene stattfinden. Dabei gibt es aber auch noch eine Reihe von Zwischenebenen zu berücksichtigen: Von supranationalen Staatsgebilden wie der EU oder der GUS, über transnational tätige Unternehmen und NGOs bis hin zur umfassendsten globalen Ebene der Weltgesellschaft.
Ich halte es für wichtig, das Verhältnis von Eliten und Gemeinwohl zunächst einmal auf nationalstaatlicher Ebene zu klären, weil die Verantwortlichkeiten, insbesondere der politischen Eliten, hier deutlicher herausgearbeitet werden können. Schon aus dieser Perspektive bestehen aber Verflechtungen mit und Verpflichtungen gegenüber anderen Gemeinwesen. Wenn es sich ergibt, dass „das Gemeinwohl des einen Gemeinwesens nicht das Gemeinwohl des anderen ist“, so ist dies dann moralisch bedeutsam, wenn es um basale Gemeinwohlgüter geht, die die Existenzsicherung der Mitglieder eines Gemeinwesens betreffen. Wenn wir z.B. Biosprit herstellen und dies damit verbunden ist, dass in Entwicklungsländern Anbauflächen für Grundnahrungsmittel fehlen, so schädigen wir damit das basale Gemeinwohl dieser Länder. Man kann dies auch so formulieren, dass wir externe Gemeinwohlpflichten gegenüber Menschen in anderen Gemeinwesen haben.
Aber zurück zu den Eliten und der Weltgesellschaft: Ich denke, dass man durchaus von einem Weltgemeinwohl sprechen kann, auch wenn es keinen Weltstaat gibt. Solange keine globalen demokratischen Institutionen existieren, kann es sich dabei nur um ein basales Gemeinwohl handeln, das diejenigen Güter betrifft, die Menschen als in Gemeinschaft lebende Natur-Kultur-Wesen benötigen, um sich in ihrer Existenz zu erhalten. Sofern das Handeln transnationaler politischer, wirtschaftlicher und geistig-kultureller Eliten die Produktion und Sicherung dieser Güter betrifft, lassen sich daraus (Welt-)Gemeinwohlpflichten dieser Eliten ableiten. Diese sind aber anders zwischen Politik und Wirtschaft verteilt, als dies auf nationalstaatlicher Ebene der Fall ist. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sich die Mitglieder dieser Eliten als Weltbürger verstehen müssen, um diese Pflichten zu erfüllen. Sie müssen aber auf jeden Fall realisieren, dass ihre Entscheidungen und Handlungen globale Auswirkungen haben und sollten dafür verantwortlich gemacht werden.
Einverstanden! Aber ich wollte nicht gleich zu Anfang ein neues Fass aufmachen. Aber nun ist es ja offen! Und Weltbürger-Eliten? Halt Weltbürger-Pathos der Aufklärung! Es geht auch eine Nummer kleiner, wenn dabei die Sache denn eine Nummer größer wird. Also es gibt noch keinen Weltstaat, aber immerhin schon ein zweifelsfrei ein riesengroßes Weltproblem, das in der Summe der globalen Veränderungen sich immer weiter vergrößert. Wenn also bestimmte Gemeinwohl-Eliten sich wenigstens um die basalen Gemeinwohlgüter in anderen Staaten und Regionen der Welt kümmern, folgen sie sicher einem moralischen Gebot der Gerechtigkeit.
Diese Problemanzeige lässt mich andere Prioritäten setzen. Ich bin nämlich nicht einverstanden, zunächst das Verhältnis von Eliten und Gemeinwohl auf nationaler Ebene zu klären, obwohl ich zustimme, dass dieses in einem bestimmten Sinn gewiss leichter möglich ist. Stattdessen plädiere ich dafür, diese Klärungen auf internationaler Ebene voranzutreiben, weil es sowohl nötiger wie auch schwieriger ist und deswegen aus beiden Gründen möglichst früh begonnen werden muss. Ich würde z.B. zunächst die Akteure der internationalen oder international tätigen Organisationen und Netzwerke ins Auge fassen, die sich um die Sicherung oder Wiederherstellung wenigstens der basalen Gemeindewohlgüter an allen Enden der Welt kümmern, ohne dabei Herstellung von weiteren Gemeinwohlgütern zu blockieren. Diese besonderen Akteure nenne ich die internationale Transformationselite.
Wenn es aber überall schon brennt, schickt man vernünftigerweise zunächst die Feuerwehr. Ich würde das eine „Option für die Armen“ nennen, die wenigstens die basalen mit Gemeinwohlgüter sichert, oder einen ( alternativen politischen Akt ) der „Barmherzigkeit“, der seine eigenen Regeln hat. In dem e-mail-Fastenbrevier von Misereor habe ich dieser Tage von Dimitré Dinev folgendes Zitat gelesen:
„Die Gesellschaft, der Staat… schaffen die Grenzen: Hier sind die Eigenen, dort die Fremden. Und wo es Grenzen gibt, gibt es auch Ausgrenzung. Jede Staatsgründung ist ein Gewaltakt, es kommt immer zu Verletzungen, zu Anhäufung von Schuld. Die Barmherzigkeit dagegen verkörpert den Verzicht auf Gewalt, sie ist oft blind, nicht steuerbar und jeglicher Logik enthoben. Durch sie lässt sich kein Staat, keine Gesellschaft, kein politisches System manifestieren, und trotzdem ist sie eine Macht. Sie ist die Macht, die jedem Einzelnen zur Verfügung steht. Sie ist die Macht des Einzelnen.“
Ich würde sagen, sie ist auch die Macht jedes einzelnen Weltbürgers, schon jetzt etwas zu tun, um die Welt zu verändern.
Wie politisch kann politische Philosophie sein? Eine „Feuerwehr“ ist sie sicherlich nicht. Ich wiege mich durchaus in der Hoffnung, dass gute, sauber gearbeitete und auf praktische Anwendung hin ausgerichtete politische Philosophie etwas bewirken und verändern kann. Dass sie es als Philosophie genau wissen will, ja wollen muss, kann sie aber in eine gewisse Spannung zur direkten politischen Aktion bringen.
Gegen Platon bin ich skeptisch, dass Philosophen besonders gute Politiker abgeben. Ich stimme aber mit ihm überein, dass es in der Analyse des Politischen sinnvoll ist, mit den kleineren und überschaubaren Einheiten zu beginnen. Dies scheint mir auch deshalb sinnvoll, weil es auf transnationaler Ebene in vielfacher Hinsicht unterbestimmt ist, wer eigentlich genau wofür verantwortlich ist, und vor allem: wer durch welche konkreten Handlungen zur Lösung von globalen Problemen beitragen kann und sollte.
Insgesamt plädiere ich ebenfalls für eine Mischung von Strategien: Ich gehe davon aus, dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten aufgrund ihrer besonderen Macht einen besonderen Einfluss darauf haben, das Weltgemeinwohl zu fördern oder zu schädigen. Es bedarf aber nicht minder des individuellen wie kollektiven Engagements der nicht zu einer Elite zählenden Weltbürger/innen – nicht zuletzt im Sinne einer Protestkultur, um die Eliten auf ihre Versäumnisse hinzuweisen und diese zu einem anderen Handeln zu forcieren. Im Ziel sehe ich uns daher einig. In der Einschätzung, dass die Lage äußerst dringlich ist, übrigens auch.
Es ist schön, dass wir uns im Ziel und in der Einschätzung der Lage einig sind. Unter der Frage, welche Eliten wir brauchen, lässt mich aber die Frage nach den Transformationseliten nicht los. Damit meine ich das, was der WBGU die „große Transformation“ nennt. Die ist wissenschaftlich sehr gut beschrieben. Aber das Politische dabei ist eher unterbestimmt. Deswegen wünsche ich mir eine besondere Anstrengung und Aufmerksamkeit der politischen Philosophie, die danach fragt, was eigentlich das Politische bei dieser Transformation ist. Den offensichtlich muss sie eigens zustandegebracht werden wie sie andererseits auch verhindert werden kann. Oder ist die große Transformation nur die Illusion einer Wissenselite, während die Vorstellung eines Chaos von vielen kleinen Transformationsprozessen viel versprechender und ganz anders politisch zu legitimieren?
Vielen Dank für den Hinweis! Für nicht Eingeweihte: Es geht um das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“.
http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2011-transformation/
Ich hatte mich bislang noch nicht näher damit befasst und brüte noch über meiner Antwort. Näheres später.
So „spät“ sollte es eigentlich nicht werden – ich war auf einer Tagung und bitte um Nachsicht. Um noch einmal kurz zu rekapitulieren: Ich denke, wir stimmen darin überein, dass es einer grundlegenden Transformation der marktwirtschaftlichen Produktionsweise und der damit verbundenen Lebensform bedarf. Den normativen Zielpunkt der Veränderungen kann man über den Begriff der Nachhaltigkeit oder aber über den des Gemeinwohls in den Blick nehmen. (Zum Verhältnis der beiden Maßstäbe kann ich bei Gelegenheit gerne mehr sagen).
Die Frage, über die wir hier hinsichtlich der beschriebenen großen Transformation diskutieren, lautet „Wer macht’s?“ bzw. „Wie kann das gelingen?“. Meine erste Antwort lautet: Wir brauchen einen möglichst vielfältigen Mix aus Institutionen und Akteuren. Ohne Eliten – zu denen ja auch die „Gegeneliten“ der Führungsspitzen von einflussreichen NGOs gehören – wird es meines Erachtens nicht gehen, da sie zu den mächtigsten Akteuren im Spiel gehören und auch wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung von Institutionen haben. Wenn sie sich selbst als „Transformationseliten“ oder als „Weltbürgereliten“ begreifen ist das mit Sicherheit zu begrüßen. Für den besagten Mix scheint es mir nicht minder wichtig, dass sich lokale und dezentrale sowie zentrale und übergreifende (nationale, supranationale, transnationale bis globale) Initiativen ergänzen. Auf nationaler gesellschaftlicher Ebene sind die Verhältnisse vergleichsweise überschaubar. Es gibt das gemeinwohlförderliche Komplementärverhältnis von Staat und Zivilgesellschaft, einen Primat der Politik und der regierenden Elite, für die Produktion, Bereithaltung und langfristige Sicherung basaler Gemeinwohlgüter zu sorgen. Auf transnationaler Ebene sind die Verhältnisse insofern schwieriger, als die Zuständigkeit der Politik ohne repräsentative transnationale politische Institutionen weniger eindeutig ausfällt. Wenn man davon ausgeht, dass Verantwortung wesentlich an Positionen, an Macht und Einfluss gekoppelt ist, verschiebt sich hier ein nicht unbeträchtlicher Teil der Verantwortung auf die Eliten der Weltwirtschaft. Eine Theorie des Weltgemeinwohls ist für mich eine Theorie der Weltgemeinwohlpflichten und hier gilt es genau zu differenzieren, welchen Beitrag politische, wirtschaftliche und auch wissenschaftliche Eliten aus ihrer Position heraus leisten können. Nächstes Mal kann ich dann gerne noch näher auf das WBGU-Gutachten eingehen.
Zur Frage, welche Eliten wir brauchen, möchte ich etwas ergänzen, und zwar im Hinblick auf die Notwendigkeit der Transformation unserer Industriegesellschaft zu einer nachhaltigen Weltgesellschaft. Auch ich kritisiere die Einengung des Elitebegriffes auf eine bloße Funktionselite so wie ich die gesellschaftliche Geltung einer philosophisch-normativen Elite vermisse. Die Frage, welche Eliten wir brauchen, bringt sich aber selbst um ihre Dynamik, wenn sie sich zu sehr in dem engeren Umfeld dessen bewegt, was die Eliten verschiedener gesellschaftlicher Bereiche für das Gemeinwohl in einem Gemeinwesen tun oder nicht tun. Wenn wir betrachten, dass ein Gemeinwesen überwiegend noch in nationalen Grenzen verstanden wird und etwa die gesellschaftlichen Bereiche anderer Gemeinwesen wieder ganz andere sind, und wenn wir zugeben, dass das Gemeinwohl des einen Gemeinwesens nicht das Gemeinwohl des anderen ist, sondern oft das Gegenteil, dann sehen wir deutlicher, dass auch zwischenstaatliche oder internationale Eliten nicht nur für das „Funktionieren“ der globalen Welt, sondern auch für Gerechtigkeitsprobleme dieser Welt gebraucht werden. Ich möchte hierfür den Begriff „Weltbürger-Eliten“ vorschlagen. Der Bericht der Brundtland-Kommission, der zur Konferenz von Rio führte, ist wohl nur zustande gekommen, weil eine Art Weltbürger-Elite den Weg vorgezeichnet hat. Rio wollte „Umwelt und Entwicklung“ durch eine gerechtere Verteilung des Wachstums voranbringen. Die Vorstellung von einer nachhaltigen Welt aber verlangt nicht mehr die Verteilung eines quantitativen, sondern allem voran das Teilen eines qualitativen Wachstums innerhalb der Grenzen der endlichen Ressourcen. Das Wissen um die Bedingungen einer nachhaltigen Welt ist seit Rio enorm gewachsen. Die Wissenseliten und auch die Verantwortungseliten sind immer mehr geworden mit ihrer Kompetenz über das, was zwischen den nationalstaatlichen „Erzählungen“ gesagt und getan werden muss. Damit diese Kompetenz zum Tragen kommt müssen auch philosophische Weltbürger den Weg bereiten.
08.03.2013