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‚Lügenpresse‘: zum Anspruch auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Die Pose der Wahrheit als Instrument der Meinung

Veröffentlicht am 4. Mai 2016

Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) und die Proteste der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) in Dresden sind seit 2013 bzw. 2014 eine Erscheinung in Deutschland, über die seitens der etablierten Politik Ratlosigkeit herrscht. Dies hat nicht nur damit zu tun, dass sie die Einwanderung von Muslimen und Muslimas problematisieren, sondern ebenfalls mit der Haltung und dem Selbstanspruch, die seitens AfD und Pegida in Bezug zum politischen und medialen Establishment evoziert werden: man sieht sich als exklusive Vertreter der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit.

Der Vorwurf der ‚Lügenpresse‘ an die Medien, die die Meinung des Volkes zensiere und filtere, ist eines der stärksten wiederkehrenden Motive in Aussagen von AfD- und Pegida-AnhängerInnen, und eine ihrer verbindenden kollektiven Wahrnehmungen. In dieser erscheinen die Medien als Organe, die sich an den durch Lobbymacht gelenkten Staat anbiedern und sich seinen politischen VertreterInnen, welche nur ihre eigene Macht wahren wollen, unterwerfen. Ebenfalls lehnen AfD und Pegida die etablierten Medien ab, weil diese mit strategischen Falschdarstellungen und „Hetze“ die Berichterstattung über AfD und Pegida entstellen würden[1]. Besonders im Zuge der Pegida-Proteste wurden die Vorwürfe laut, die Medien hätten bewusst eine verzerrte Darstellung geliefert, um Vorurteile gegen Pegida und ihre Agenda zu fördern und die Möglichkeit einer Richtigstellung zu untergraben[2].

Der Vorwurf der „Lügenpresse“ durch Pegida-SympathisantInnen geht laut einer Befragung durch Geiges, Marg und Walter mit dem Vorwurf einher, ungerechtfertigter Weise aus dem politischen Dialog ausgeschlossen zu sein, während Meinungsfreiheit und Pressefreiheit keine Gegebenheiten mehr darstellten. Viele der Befragten identifizierten sich, die Protestierenden, als ‚das Volk‘, das gegen die gegenwärtige bundesrepublikanische Demokratie aufstehe und Unbehagen vor allem bezüglich der Zuwanderung von Muslimen äußere. Ebenfalls gingen viele davon aus, dass ‚das Volk‘, anders als Politiker, die ‚richtigen Entscheidungen‘ treffe, grenzten jedoch ‚die Anderen‘ (jene die nicht oder gegen Pegida protestierten, die aus einem anderen Land kommen oder einer anderen Religion angehören) teilweise scharf von dieser Volksgemeinschaft ab. Den Vorwürfen gegen die Presse, umfassend und autoritär eine Propagandawelt zu vermitteln, scheint bei Befragten mit der Annahme verbunden zu sein, das Propaganda-System der Medien durchschaut, und sich auf der Basis einer kritischen Betrachtung mittels ‚alternativer Medien‘ eine eigene Haltung gebildet zu haben. Dagegen wurde Personen, die den Pegida-Protesten kritisch oder ablehnend gegenüberstanden, das Fehlen einer differenzierten Haltung attestiert[3].

Das Bedeutsame, das in den Aussagen der Pegida- und AfD-SympathisantInnen zum Ausdruck kommt, ist der Anspruch der Wahrheit[4]. Die Empfindung, dass ihnen das Recht vorbehalten wird, sich an der öffentlichen Diskussion ohne Diffamierung durch die Gegenseite zu beteiligen, ist verbunden mit dem Bewusstsein, eine Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, die entweder böswillig verzerrt oder naiv-unbedarft nicht verstanden wird. In der Verbindung beider Annahmen liegt ein Rundumschlag, der einen Dialog mit jenen verunmöglicht, die die Haltung von Pegida und AfD nicht teilen können. So wurde bei den Pegida-Befragungen eine Verständigung mit der Gegenseite als sinnlos interpretiert, und es wurde die Annahme deutlich, dass ein Entgegenkommen durch die gegnerische Seite oder durch Muslime höchstens ein strategisches Entgegenkommen mit unerwünschtem Ausgang bzw. eines mit verdeckten Motiven sein könne.[5]

Problematisch ist außerdem, dass die Gesprächsbereitschaft mit Rekurs auf ‚Entstellung‘ durch die Medien verweigert, und gleichzeitig ein Entgegenkommen durch die etablierten Medien und Politik eingefordert wird. Gerade in Bezug auf die Medien wird dabei übersehen, dass das Thema der Einwanderung und der Flüchtlingspolitik regelmäßig breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, und dass rechtskonservative Stimmen, die die ‚Überfremdung‘ und ‚Islamisierung des Abendlandes‘ befürchten, sich nicht erst seit dem Entstehen der AfD und den Pegida-Protesten erfolgreich im öffentlichen Diskurs zu Wort melden[6]. Die Vorwürfe der medialen Ausgrenzung halten sich hartnäckig, obwohl Frauke Petry, Bernd Lucke, Kathrin Oertel und weitere VertreterInnen durch sämtliche deutschen Polit-Talkshows gereicht wurden, und dort durchaus zu Wort kamen. Angesprochen auf provokante Statements, hatten sie dann häufig die eigenen Positionen soweit verwässert, bis sie sich nicht mehr allzu stark von den salonfähigen Haltungen der ‚Lügenpresse‘ zu unterscheiden schienen[7]. In den Comment-Sektionen der zahllosen Kanäle, die es sich zur Aufgabe gemacht haben ‚die Wahrheit‘ auf Youtube zu berichten, sieht dagegen die Zurückhaltung deutlich geringer aus[8].

Zum einen wird mit den Vorwürfen der Lügenpresse und des Ausschlusses aus einer neutralen Berichterstattung bewusst populistisch Aufmerksamkeit erzeugt und gleichzeitig das Recht eingefordert ‚die Wahrheit‘ als Gegenpropaganda gegen die Unwahrheiten der Presse zu bieten. Anzumerken ist hierzu, dass dieser ‚Mut zur Wahrheit‘ der AfD bewusst genutzt wird, um rechtspopulistische und wohlstandschauvinistische Aussagen salonfähig zu machen, gerne unter Nutzung von Kampfbegriffen wie Islamisierung, Geschlechtergleichschaltung, Political Correctness, Schuldkult oder Gutmenschentum[9].

AfD und Pegida stellen ausgesprochen stark auf den Begriff der Wahrheit und auf die eigene Wahrhaftigkeit ab. Sie beschwören damit die Pose einer echten Kritik durch ‚das Volk‘, das sich gegen etablierte Machtformen wehrt, um ein Bewusstsein für ‚die Wahrheit‘ zu wecken. Der Anspruch, einen Volkswillen zu verkörpern verkennt jedoch, dass Pegida- und AfD-SympathisantInnen lediglich einen kleinen Teil der Bevölkerung stellen, der spezifische Positionen und, wenn überhaupt, partikulare Wahrheiten vertritt. Diese Partikularität als Allgemeines und Universelles zu fassen, bringt dann die Denunziation anderer Haltungen als Lüge oder Dummheit mit sich. So verschließt man sich einer ernstgemeinten Auseinandersetzung, da diese die Möglichkeit miteinschließen müsste, dass die Gegenseite auch nach diskursiver Darlegung der eigenen Position die erwünschte Haltung nicht übernimmt.

Daran wird auch deutlich, wie eine Öffentlichkeit auszusehen hätte, der man als AfD- oder Pegida-AnhängerIn wieder Vertrauen entgegenbringen könnte. Denn in der Ablehnung der öffentlichen Medien, die zwar einerseits ihre jeweilige ideologische Anbindung besitzen, sich jedoch damit in ein pluralistisches Ganzes einfügen, offenbart sich der Wunsch nach einer Medienlandschaft, die die Haltungen von Pegida und AfD unangefochten stehen lässt. Eine solche Öffentlichkeit wäre jedoch notwendigerweise ideologisch einheitlich und anti-pluralistisch gefasst. Die Vorstellung, eine an einer klaren Wahrheit ausgerichteten Öffentlichkeit sei wünschenswert, ist generell hochproblematisch, da sie den Widerstreit der Positionen nicht erträgt und den Ausblick einer heterogenen Gesellschaft zugunsten einer ihrer Teilperspektiven gewaltsam schließen muss. Die Konsequenz einer solchen Schließung wäre jedoch die Auflösung der politischen Debatten im Zuge der Aufhebung aller (legitimer) Verschiedenheit der lebenspraktischen Bezüge.[10] Und wenn nun diese Teilperspektive die einer Rechten jenseits der etablierten Volksparteien ist, die ihre lebensweltliche Verankerung als einzigen Ausdruck des gesunden Menschenverstandes und ihr eigenes Programm als einziges Konzept einer realistischen Politik entgegen dem ‚linksliberalen Konsensdruck‘ sieht, kommen weitere Problematiken hinzu. Denn eine Politik- und Medienlandschaft, die jene Realität kritiklos abzubilden vermag, würde biologisch und kulturell rassistische Logiken verallgemeinern.

An der Problematik, die sich durch einen exklusiven Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsanspruch ergibt, zeigt sich ebenfalls, dass der Begriff der Wahrheit in der philosophischen Postmoderne eine seltsame Wendung erfahren hat. Der Aufruf an die Subjekte, sich nicht durch eine von oben verordnete Wahrheit formen und regieren zu lassen, hat uns nun in einer ‚Krise der Wahrheit‘ ankommen lassen, in der eingängige Unwahrheiten und viral gewordene Lügen selbst nach ihrer Richtigstellung realer erscheinen mögen als uneindeutige Wahrheiten.[11] Dieser Effekt dürfte antidemokratischen politischen Kräften in ihrem Handeln zugutekommen, weswegen das weitere Bestehen einer pluralistischen Öffentlichkeit umso wichtiger ist.

Abschließend bleibt festzustellen, dass der Vorwurf ‚Lügenpresse‘ und der damit verbundene Wahrheitsanspruch von AfD- und Pegida-AnhängerInnen nicht dazu beitragen, dass ihr Beharren auf Wahrhaftigkeit ernst genommen werden kann, selbst wenn darunter ein ernstgemeintes Bedenken oder eine ehrliche Sorge für die Gemeinschaft liegen sollte. Denn die Wahrheits-Pose, die durch AfD und Pegida  vielfach eingenommen wird, lässt das Gegenüber mit nichts zurück an das es produktiv anknüpfen kann, und kommt somit einer offenen Suche nach Wahrheit und einer wohlmeinenden Gesprächskultur kaum entgegen.

[1] So sei eine „hohe Kunst Propaganda“ und „gezielte Verleumdung“ zu erkennen  (Bergmann, Dennis (2016): Kommentar: AfD- Erfolg dank ‚Lügenpresse‘; URL: https://www.neopresse.com/medien/was-bedeutet-der-afd-erfolg-langfristig/; Stand: 31.03.2016).
[2] Dies nach den Befragungen zur Studie von Lars Geiges, Stine Marg und Franz Walter: „PEGIDA – Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?; Bielefeld 2015; 100-130.
[3] So wurden abweichende Meinungen mit naiver Unwissenheit und der medialen Radikalisierung durch den Mainstream erklärt: „Sie lesen nicht, machen sich nicht schlau – aber eine Meinung“, „die ist durch diese Pressedarstellungen soweit radikalisiert worden“, „…oder indoktriniert“; den meist jüngeren Gegendemonstranten sprachen die Befragten Wissen, Lebenserfahrung und Bildung ab, über die angesprochenen Belange urteilen zu können: “viele Unwissende“, „unbedarft bis sonst wohin“. Gleichfalls betonten die Gefragten, sich im Gegensatz zu anderen über die ‚richtigen‘ Kanäle zu informieren, und nun die Dinge „klipp und klar“ zu sehen (A.a.O. 104/126f; 122).
[4] Um dies zu untermauern wird durch einen AfD-Befürworter bspw. Heidegger bemüht. So lautete es in der Kommentar-Sektion des Artikels von Bergmann (s.o.): „Nun mal schön langsam mit der Verleumdung – das mit der Lügenpresse ist Tatsache und deshalb kann es nicht nur, sondern muß den Lügnern immer wieder vorgehalten werden. Denn: ‚Das Wesen der Lüge beruht nicht nur im Gegensatz zur Wahrheit…..Es gibt ein Pathos der Wahrhaftigkeit, das sich überall so heftig und laut gebärdet, daß es sich erlauben kann, darin eine unnachgiebige Lügenhaftigkeit des eigenen Wesens zu verstecken…..‘ M. Heidegger“.
[5] A.a.O. 122/124.
[6] So Thilo Sarrazin mit dem 2010 erschienenen Buch ‚Deutschland schafft sich ab‘.
[7] So bspw. im Interview von Frauke Petry zu ihrer Äußerung zum Schusswaffengebrauch durch Grenzposten; Petry’s AfD: Conflict Zone; URL: https://www.youtube.com/watch?v=anmDcVeuZwA; Stand: 31.03.2016.; vgl. Peter Taubes’ Feststellung zu Bernd Lucke (16:24 min) in ‚Maybrit Illner‘ vom 21.05.2015; URL: https://www.youtube.com/watch?v=Psscx4gqDkM; Stand: 01.04.2016.
[8] Bspw. in den Comment-Sektionen der Kanäle NuoViso.TV, Infokrieger oder RT Deutsch.
[9] Häusler, Alexander (o.J.): ‚Die Alternative für Deutschland – Eine rechtspopulistische Partei?‘; URL: https://www.boell-thueringen.de/de/2014/03/14/die-alternative-fuer-deutschland-eine-rechtspopulistische-partei, Stand: 31.03.2016.
[10] Vgl. Manemann, Jürgen (2014): InDebate: Pegida ist eine anti-politische Bewegung!; URL: https://philosophie-indebate.de/2052/indebate-pegida-ist-eine-anti-politische-bewegung/; Stand: 27.04.2016.
[11] Schumatsky, Boris (2016): Politik, Populismus und Lüge. Die Krise der Wahrheit; in: Neue Züricher Zeitung; URL: https://www.nzz.ch/meinung/kommentare/politik-populismus-und-luege-die-krise-der-wahrheit-ld.15541; Stand 26.04.16.

(c) Agnes Wankmüller

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