Liebe Blogger-Freundinnen und -Freunde, im Juli möchten wir mit Euch ein Experiment wagen. Wir möchten herausfinden, welches philosophische Potenzial in der kollektiven Intelligenz (Schwarmintelligenz) steckt. Jede Woche wird es eine Frage geben. Bitte schreibt zu dieser Frage ein eigenes Statement und versucht, dieses Statement mit anderen Statements zu verbinden, zu korrigieren, zu überarbeiten, weiterzuschreiben etc. Vielleicht entsteht am Ende ein einziges Statement, verfasst von einem AutorInnen-Kollektiv. Die Frage für diese Woche lautet:
Wird der Tod überbewertet?
Natürlich wird er überbewertet, da das Unvorstellbare unsere Fantasie beschäftigt. Gegen die existenzphilosophische Verklärung unseres „je eigenen Todes“ hilft nur der der gewaltsame „Tod am Nachmittag“, dessen brutale und zugleich banale Faktizität Hemingway so ernüchternd beschrieben hat. Wer Stierkämpfe nicht mag, kann sich „Spiel mir das Lied vom Tod“ ansehen. Das ist ein passabler Ersatz.
„Selbstverständlich weiß ich, daß ich selber sterben muß. Selbstverständlich weiß ich auch, daß das Ende mir immer näherrückt, ich richte mich darauf ein, treffe praktische Vorbereitungen. Selbstverständlich weiß ich gewiß und bestimmt, daß ich sterben werde, daß ich nicht mehr sein werde. Aber es ist sonderbar: Wenn ich genau darauf achte – im geheimsten glaube ich nicht daran.“ (Dolf Sternberger, Über den Tod, S. 30)
Zunächst einmal: Auf welche Weise wird der Tod denn „bewertet“? Er wird defniert u.z. ständig anders: Vom „Zustand als Leiche“ bis zum „Ausfall einiger Hirnfunktionen“. Vermutlich gibt es den Tod „als solchen“ gar nicht „wirklich“, sondern lediglich den Ausfall von etwas, was zum Leben als Bedingung hinzudefiniert wurde (früher Herz und Kreislauf, heute Gehirntätigkeit, „Bewusstsein“ usw.). Das Sterben hat eine existentielle und erlebte Realität, der Tod nicht; also kann er auch nicht über- oder unterbewertet werden (R.M. Rilke: „Dort ist der Tod, das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not“). Bestimmte Definitionen des Todes werden jedoch eindeutig überbewertet, also z.B. die Definition des Todes als „irreversibler Ausfall der Funktionen des Organs: Gehirn = Gehirntätigkeit“ wird zum „Tod des Menschen“ überbewerte (Organtransplantation). Und zu bestimmten Zwecken (z.B. Befriedigung des „Organbedarfs“) wird die Definition angepasst („partieller Gehirntod“). Der Bedarf nach transplantierbaren Herzen oder die bevorstehende „Verwendung“ von transplantierbarem Gehirngewebe wird die Definition nochmals verändern. Die Überbewertung des so definierten Todes hat eine Unterbewertung des Lebens zur Folge: z.B. erhält das „Leben“ der atmenden, warmen, stoffwechselnden usw. Explantationskörper keine Wertzuschreibung mehr; die „Verwertung“ ersetzt die „Bewertung“; die „Totenruhe“ wird durch den Gebrauchswert des Toten ersetzt, der „Friedhof“ durch die Salzkrustenurne oder die verstreute Asche usw.