Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) prägen längst unseren Alltag, häufig unerkannt. KI erleichtert den Alltag, ermöglicht aber auch Machtmissbrauch und Manipulation. Wir haben als Gesellschaft darüber hinaus längst gelernt, schwache KI von starker KI zu unterscheiden. Auch in der Politik ist die Regelbedürftigkeit von KI-Anwendungen angekommen. Beispielsweise hat die EU hat in der Zwischenzeit Risikoklassen von KI-Anwendungen formuliert (European Commission, 2019). Grundsätzlich ist die Erfahrung, dass neue technologische Entwicklungen auch Risiken und Gefährdungen nach sich ziehen, nicht neu. Über technische und politische Fragen hinaus wird ein entscheidender Punkt häufig unterschätzt. Dabei geht es um die Auswirkungen einer neuen Technologie auf das menschliche Selbstbild. Die Frage einer selbstreflexiven Vorstellung des Menschen von sich selbst in Reaktion auf technische Entwicklungen ist bislang jedoch eher ein blinder Fleck der Philosophie. Aus diesem Grund soll hier die Frage nach der Abgrenzung zwischen Menschen und Künstlicher Intelligenz im Vordergrund stehen.
Versuch über die Aktualität von Hans Blumenbergs philosophischer Anthropologie vor dem Hintergrund paläoanthropologischer und kognitionswissenschaftlicher Episteme
(c) Anna Sophie Reuter
Anna Sophie Reuter
1 Einleitende
Worte
„Der Mensch ist das Tier, das einen
aufgerichteten Gang hat.“[1]
Auf dieser zunächst einfachen, an eine Formulierung Herders angelehnten,
Feststellung fußt Hans Blumenbergs philosophische Anthropologie, wenn er den
aufrechten Gang für die Entwicklung und Eigenart des Menschen als entscheidend
klassifiziert.[2]
Zugleich beschreibt er den Menschen als ein Mängelwesen, das sich selbst nur
deshalb an die Spitze der Evolution setzen kann, da „jeder
vermeintliche Fortschritt der Entwicklung nicht ein Superadditum, sondern die
Lösung einer akuten Schwierigkeit der Selbsterhaltung gewesen ist“[3].
Aufrechter Gang, die
damit einhergehende Veränderung der Perspektive sowie die Bedürftigkeit, sich
in einer spezifischen Umwelt zurechtzufinden, sind allerdings nicht nur Aspekte
von Blumenbergs Überlegungen hinsichtlich der Genese des Menschen, sondern
koinzidieren mit aktuellen kognitionswissenschaftlichen und
paläoanthropologischen Epistemenen. Diese transdiziplinäre Nähe zu
Kognitionswissenschaft und Paläoanthropologie macht Blumenbergs philosophische
Anthropologie in den Momenten seiner Ausführungen interessant, in denen
er für einen Werkzeug- sowie metaphorischen Charakter der Sprache argumentiert:
als jenes Mängelwesen benötigt der Mensch sprachliche Konstrukte, um seine
Wirklichkeit zu gestalten; dabei präfigurieren Überzeugungen (in Form von
Metaphern und Mythen), wie die Welt wahrgenommen wird. Ähnliche Thesen lassen
sich in der Extended Mind-Theorie von
Andy Clark und David Chalmers finden, da auch sie davon ausgehen, dass
Überzeugungen einen aktiven Einfluss auf die Wahrnehmung und Gestaltung der
Umwelt ausüben. Unter anderem diese Theorie wiederum spielt eine Rolle in der
Interpretation archäologischer Artefakte und paläoanthropologischer
Erkenntnisse. So plädiert Ben Jeffares dafür, dass die Bipedität des
Australopithecus, der wie der heute lebende Mensch zu den Hominiden gezählt
wird, eine physiologische Veränderung darstellte, die umfassende Konsequenzen
für seine Kognition mit sich brachte[4],
womit sich der Kreis zu Blumenberg schließen ließe.
Die entscheidende organische Voraussetzung für geistige Leistungen ist ohne Zweifel die spezifische Entwicklung des Gehirns, insbesondere des Neokortex. Evolutionär gesehen kam es zu einer ungewöhnlich schnellen Vergrößerung (Enzephalisation) des menschlichen Gehirns, das im Verhältnis zur absoluten Körpergröße des Organismus etwa 7- bis 8-mal größer ist als der Säugetierdurchschnitt. Die Enzephalisation findet dabei in einem Organismus statt, der sich vor allem durch das zunehmende Freiwerden der Hände aufgrund des aufrechten Gangs (Bipedie) sowie durch die weitere Ausdifferenzierung der Daumen-Hand-Motorik auszeichnet. Diese inzwischen klassischen Merkmale sind von der Evolutionsbiologie in ihrer Bedeutung für die kognitiven Leistungen des Menschen gut untersucht.[1] Im gegenwärtigen Forschungsfeld finden sich weitere Aspekte, die vor allem auf die Bedeutung emotionaler und sozialer Faktoren Bezug nehmen. Weiterlesen →
Macht und Gewalt stellen Grundformen menschlichen Zusammenlebens dar. Doch der Machtbegriff ist schwer zu fassen. Es sind vor allem drei Fragen, die in Philosophie und Wissenschaft immer wieder aufgeworfen, aber bis heute nicht endgültig beantwortet worden sind: 1. Was ist Macht? 2. Ist das Streben nach Macht dem Menschen als solchem angeboren oder wird er von den gesellschaftlichen Verhältnissen zur Macht gezwungen? 3. Wie lassen sich die destruktiven Wirkungen des Machtstrebens verhindern? Weiterlesen →